Bundestagswahl 2009/Programmvorschlag Kernthemen/Demokratie
Demokratie durch Transparenz und Beteiligung
Transparenz des Staatswesens
Die politische Arbeit wird in Deutschland stark von Lobbyinteressen gesteuert. Unternehmensvertreter nehmen unbemerkt Einfluss auf Politiker und arbeiten sogar an Gesetzen mit.
Abhängigkeiten zwischen Unternehmen und Politikern müssen aufgedeckt werden. Abgeordnete sollen ihre Nebentätigkeiten und die gegebenenfalls daraus resultierenden Einkünfte veröffentlichen. Abgeordnete der Piratenpartei werden mit gutem Beispiel vorangehen und dies mit dem Einzug ins Parlament offenlegen. Dem Bürger muss klar ersichtlich sein, welche Interessen hinter Gesetzesinitiativen stecken und wer, wie und wann auf den Gesetzgebungsprozess Einfluss genommen hat.
Zu einem transparenten Staat gehören neben den Regelungen zu Lobby- und Nebentätigkeiten von Parlamentariern und Amtsträgern auch die gelebte Verpflichtung, Entscheidungsfindungsprozesse für den Bürger wahrnehmbar und nachvollziehbar öffentlich zu machen, wie auch Verordnungen, Diskussionspapiere und Vertragswerke so zu gestalten, dass diese so kurz wie nötig, so sprechend wie möglich und für den Bürger verständlich gehalten sind. Wir lehnen geheime Ausschüsse ab.
Gleichzeitig müssen die Interessen der Bürger besser vertreten werden. Zudem sollen Nichtregierungsorganisationen gefördert werden, die für die Rechte und Interessen der Bürger eintreten.
Die PIRATEN treten ein, für eine nachvollziehbare und transparente Politik und Verwaltung in Deutschland.
Deutschland sollte sich an die höchsten demokratischen Standards halten und innerhalb Europas eine vorbildliche Rolle diesbezüglich anstreben. Deshalb sollten solche Prinzipien wie transparente Staatsführung, schnelle und gerechte Gerichtsverfahren und die Redefreiheit stets beachtet werden. In diesen Tagen und in dieser Zeit ist es wesentlich, den gesetzlichen Schutz der Bürger vor willkürlichen Staatszugriffen weiterhin durchzusetzen.
Eine demokratische Gesellschaft braucht einen transparenten Staat und keine gläsernen Bürger. Die Bürger müssen die Möglichkeit haben, sich frei und unbeobachtet zu versammeln, und ihre Meinung ohne Furcht vor staatlicher Überwachung ausdrücken zu können. Um dies in die Informationsgesellschaft zu übertragen, muss das Recht auf anonyme Kommunikation ausgebaut werden. Deswegen muss das Korrespondenzgeheimnis auf digitale Kommunikation ausgeweitet werden.
Keine Zensur!
Die derzeitigen Bestrebungen einiger politischer Kräfte eine Inhaltsfilterung im Internet zu etablieren, lehnen wir kategorisch ab. Staatliche Kontrolle des Informationsflusses, also Zensur, ist ein Instrument von totalitären Regimen und hat in einer Demokratie nichts verloren. Der Kampf gegen rechtswidrige Angebote im Internet muss jederzeit mit rechtsstaatlichen Mitteln geführt werden. Allein die Etablierung einer Zensurinfrastruktur ist bereits inakzeptabel. Die Beurteilung der Rechtswidrigkeit muss gemäß der in Deutschland geltenden Gewaltenteilung und Zuständigkeit getroffen werden.
Informationsfreiheit
Die Informationsfreiheit ist in Deutschland trotz des Informationsfreiheitsgesetzes noch nicht auf einem zufriedenstellenden Niveau angekommen. Sowohl bei den gesetzlichen Vorgaben als auch bei der immer noch herrschenden mangelnden Umsetzung in der Praxis (Beispiel: Maut-Vertrag) fordern wir weitere Verbesserungen.
- Jeder Bürger hat unabhängig von der Betroffenheit und ohne den Zwang zur Begründung das Recht auf allen Ebenen der staatlichen Ordnung, Einsicht in die Aktenvorgänge und die den jeweiligen Stellen zur Verfügung stehenden Informationen zu nehmen. Dies gilt ebenso für schriftliches Aktenmaterial wie digitale oder andere Medien.
- Seine Schranken findet dieses Recht in den Bestimmungen zum Schutz der Persönlichkeitsrechte, der nationalen Sicherheit, zur Verhinderung von Straftaten und ähnlichem. Diese Ausnahmeregelungen sind möglichst eng und eindeutig zu formulieren und dürfen nicht pauschal ganze Behörden oder Verwaltungsgebiete ausgrenzen.
- Die Auskunftsstelle ist verpflichtet, zeitnah und in einer klaren Kostenregelung, Zugang in Form einer Akteneinsicht oder einer Materialkopie zu gewähren, um eine breite, effiziente Nutzung der Daten zu ermöglichen.
- Die Verweigerung des Zugangs muss schriftlich begründet werden und kann vom Antragsteller, sowie von betroffenen Dritten gerichtlich überprüft werden lassen, wobei dem Gericht zu diesem Zweck voller Zugang durch die öffentliche Stelle gewährt werden muss.
- Alle öffentlichen Stellen sind verpflichtet, sowohl regelmäßig Organisations- und Aufgabenbeschreibungen zu veröffentlichen, einschließlich Übersichten der Arten von Unterlagen, auf die zugegriffen werden kann, als auch einen jährlichen öffentlichen Bericht über die Handhabung des Auskunftsrechts.
Unter besonderer Berücksichtigung der immensen Möglichkeiten, die sich mit der rasanten Entwicklung und Verbreitung der Neuen Medien ergeben, gibt es verschiedene Ansatzpunkte, um diesen grundsätzlichen Forderungen Rechnung zu tragen. So sollten staatliche Stellen die Nutzung freier Software forcieren, eine automatische Veröffentlichung dazu geeigneter Dokumente einrichten und allgemein den kostengünstigen und aufwandsarmen digitalen Zugriff ausbauen.
Die Abkehr vom "Prinzip der Geheimhaltung", der Verwaltungs- und Politikvorstellung eines überkommenen Staatsbegriffs, und die Betonung des "Prinzips der Öffentlichkeit", das einen mündigen Bürger in den Mittelpunkt staatlichen Handelns und Gestaltens stellt, schafft nach der festen Überzeugung der Piratenpartei die unabdingbaren Voraussetzungen für eine moderne Wissensgesellschaft in einer freiheitlichen und demokratischen Ordnung.
Informantenschutz
Die Piratenpartei fordert für Deutschland einen Informantenschutz-Schutz (Whistleblowing), der den international anerkannten Standards, wie sie sich z.B. im UN-Toolkit gegen Korruption und im britischen PIDA-Gesetz finden, genügt. Wir stimmen dem grundsätzlichen Vorhaben der Kodifizierung des Whistleblower-Schutzes gemäß dem Gesetzesvorschlag zur Einführung eines §612a n.F. BGB zu. Im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens gilt es, die Schwächen des derzeitigen Entwurfs durch entsprechende Änderungen zu beseitigen. Ansonsten wird das Ziel, einen besseren Informantenschutz zu schaffen, verfehlt. Im einzelnen müssen folgende Schwächen behoben werden:
- Der Entwurf stellt zu hohe Anforderungen an die Beweisbarkeit des Missstandes und die Gesinnung des Whistleblowers. Zwar wird teilweise behauptet, dass die Formulierung „aufgrund konkreter Anhaltspunkte der Auffassung“, ähnlich wie vom Bundesverfassungsgericht gefordert, jeden schützt, der gutgläubig und nicht leichtfertig von der Richtigkeit seines Vorbringens ausgeht. Die schon jetzt zur gleichen Formulierung im § 17 II Arbeitsschutzgesetz vorliegende Rechtsprechung verlangt vom Whistleblower aber ein substantiiertes Vorbringen objektiv nachvollziehbarer Beweise und überprüft zusätzlich die Motivation. Würde diese Rechtsprechung übertragen – und davon ist auszugehen – fiele man im Bereich des Whistleblowings nicht nur hinter die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, sondern sogar hinter die bisherige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zurück.
- Der Entwurf stellt verengend auf das Vorliegen einer Pflichtverletzung und deren Abhilfe ab. Diese Anforderung ist viel zu hoch, da es beim Whistleblowing gerade auch um Hinweise auf Risiken und Gefahren geht. Bei derartigen Hinweisen reicht aber das Verlangen nach Abhilfe, das ohnehin nicht einklagbar sein soll, nicht aus. Notwendig ist vielmehr eine ein klagbare Pflicht auf einen ordnungsgemässen Umgang mit einem risikobezogenen Hinweis (formell korrekt, zügig, dem Problem angemessen, Bemühen um Abhilfe, keine Vertuschung).
- Der Entwurf ist zu unklar formuliert und führt zu schädlicher Rechtsunsicherheit. Jeder der vielen unbestimmten Rechtsbegriffe führt zu Unsicherheiten und Risiken beim Arbeitnehmer. Er hat nur eine Möglichkeit diesen zu entgehen: „Schweigen“. Dies aber ist genau jene Option, die die meisten Arbeitnehmer auch heute schon wählen und die dazu führt, dass Risiken, Missstände und Skandale weiterhin viel zu lange unentdeckt bleiben.
- Der Entwurf postuliert den Vorrang der internen Anzeige, ohne die Ausnahmen klar genug zu beschreiben. Auch das Whistleblower-Netzwerk befürwortet es, wenn Whistleblower sich zunächst um eine interne Klärung bemühen. Dies tun sie in der Praxis ja auch. Problematisch ist es aber, ihnen dies per Gesetz aufzuzwingen. Dass hierbei Ausnahmen nötig sind, ist zwar allgemein anerkannt, diese können jedoch aufgrund der unterschiedlichen Fallgestaltungen nicht so formuliert werden, dass sich der Whistleblower bei seiner Entscheidung in vorhinein und mit begrenzten Informationen sicher sein kann, diese zu erfüllen.
- Der Entwurf ist durch seine Begrenzung auf Arbeitnehmer zu eng. Es macht keinen Sinn arbeitnehmerähnliche Personen auszuschliessen, Leiharbeitsverhältnisse und andere Dreiecksverhältnisse zu ignorieren, für Beamte die Möglichkeit zur Strafanzeige nur auf Korruptionsdelikte zu begrenzen und schliesslich Geheimdienstmitarbeitern sogar den Weg zur parlamentarischen Kontrollkommission eröffnen zu wollen. Die überall gleiche Grundproblematik bedarf einer einheitlichen Lösung, auch um kulturelle Akzeptanz zu erreichen.
- Der Entwurf lässt den notwendigen Schutz von anonymen und vertraulichen Hinweisen vermissen. Dies macht auch die Stellungnahme des Bundesverbandes der Lebensmittelkontrolleure e.V. deutlich. Sie schildert drei Fälle, in denen Informationen von Whistleblowern zu behördlichem Einschreiten geführt haben. Zweimal war der Whistleblower durch Anonymität geschützt. Dort wo dies nicht der Fall war, wurde er entlassen. Ausserdem macht es keinen Sinn, wenn viele Unternehmen jetzt Hotlines und Ombudsleute zum anonymisierten Whistleblowing einrichten, gerade dieser Fall aber vom Gesetz ausgeklammert wird und das BAG bei Anonymität eine Berufung auf Artikel 5 GG ausschliesst und die Betroffenen im Ergebnis weitgehend rechtlos stellt.
- Der Entwurf ändert nichts am unzureichenden Schutz vor Repressalien. Hier wird nur auf den schon heute weitgehend wirkungslosen gegenwärtigen § 612a BGB (§612b neu) verwiesen. Nötig ist aber ein umfassendes Verschlechterungsverbot mit Beweiserleichterung ähnlich der Regelung im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Relevant ist, ob es eine irgendwie geartete Verschlechterung der Situation des Arbeitnehmers nach seinem Whistleblowing (Kündigung, Abmahnung, Nichtbeförderung, schlechte Beurteilung, keine Vertragsverlängerung, Mobbing) und Indizien (z.B. zeitliche Nähe, fehlende andere Anhaltspunkte) für einen solchen Zusammenhang gibt. Liegt beides vor, muss die Beweislast der fehlenden Kausalität beim Arbeitgeber liegen.
- Dem Entwurf fehlt es an ergänzenden Massnahmen. Gegen Whistleblower gerichtete Repressalien oder Untersuchungsmanipulationen müssen sanktioniert werden. Hilfs- und Beratungsangebote sowie ein Whistleblower-Hilfsfonds müssen geschaffen werden. Forschungsvorhaben, wie sie gerade in den Niederlanden beschlossen wurden, müssen durchgeführt werden.
Darüber hinaus hält die Piratenpartei Deutschland (PIRATEN) die in dem Entwurf enthaltene Regelung, dem Whistleblower die Information von zuständigen ausser betrieblichen Stellen grundsätzlich erst nach Ausschöpfung der innerbetrieblichen Beschwerdemöglichkeiten zu erlauben, für falsch. Die bessere Lösung ist hier ein an keine Bedingungen geknüpftes Wahlrecht des Whistleblowers.
Nebeneinkünfte und Nebentätigkeiten von Amts- und Mandatsträgern
Offenlegung von Nebeneinkünften und Nebentätigkeiten
Mandatsträger und Ausübende politischer Ämter müssen zur Offenlegung sämtlicher Nebeneinkünfte und Nebentätigkeiten verpflichtet sein. Nur wenn der Bürger weiß von wem die genannten Personen bezahlt werden und für wen sie arbeiten kann er sich ein vollständiges Bild über deren Unabhängigkeit oder ggf. deren Abhängigkeit machen. Die Offenlegungspflicht soll auch für unentgeltliche [nicht private] Nebentätigkeiten, wie Ehrenämter in Vereinen und Verbänden gelten.
Begrenzung von Neben- und Folgetätigkeiten
Amtsträger dürfen neben ihrem Amt und wenigstens 2 Jahre nach Beendigung ihrer Amtstätigkeit nicht in Unternehmen, Vereinen oder Verbänden tätig sein, die direkt durch die Amtstätigkeit betroffen sind. Auf Antrag eines Betroffenen kann die jeweilige Situation von einem Ausschuss gesondert untersucht werden, um unverhältnismäßige Eingriffe in die Berufsfreiheit zu vermeiden.
mehr direkte Demokratie wagen
Während auf Landes- und Kommunalebene die Bürger die Möglichkeiten haben, sich per Volks- bzw. Bürgerbegehren an der Gesetzgebung zu beteiligen, ist ihnen dieses Recht auf Bundesebene immer noch versagt. Dabei zeigt doch gerade ein Volksbegehren, dass ein entscheidender Teil der Bürger sich mit der Sache beschäftigt hat und seine Meinung äußert. Da dies in einer Demokratie nicht ungehört bleiben darf, fordern wir, das repräsentative demokratische System um die direktdemokratischen Elemente Volksinitiative, Volksbegehren zu ergänzen. Dabei sind Unterstützerquoren festzulegen, die einerseits die Wichtigkeit der Angelegenheit belegen andererseits auch ohne unangemessen hohe finanzielle Mittel gesammelt werden können.
Zusätzlich sollen die Bürgerinnen und Bürger die Möglichkeit haben, eine Volksabstimmung gegen Beschlüsse des Bundestages einzuleiten (fakultatives Referendum) und bei wichtigen EU-Reformen und Grundgesetzänderungen mitzuentscheiden (obligatorisches Referendum).
Auf regionaler bzw. kommunaler Ebene sollen die Möglichkeiten des Bürgerbegehrens und des Bürgerentscheides ausgeweitet und vereinfacht werden.