Piratenmagazin Interview mit C.Leng

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  • Interview: C.Leng (ehemaliger Vorsitzender Piratenpartei)
  • Fragen: Nimix
  • Erstellt am: 01.01.2007
  • Rechte: CC (siehe auch Diskussion:Piratenmagazin#Bitte_Beachten)
  • Stand: nicht ausreichend gegengelesen / unformatiert


Wie bist du zur Piratenpartei gestoßen?

Ich bin seit einigen Jahren in politischen Bereichen aktiv und habe mich dabei insbesondere auch damit beschäftigt, was beim Weg zur "digitalen Gesellschaft" momentan so alles schief läuft. Anfang 2002 hatte ich unter dem Titel Kulturflatrate ein Essay darüber veröffentlicht, wie man den Konflikt um das private Kopieren lösen könnte. Im Frühjahr 2006 wurde ich auf die schwedische Piratenpartei aufmerksam und entdeckte über einen Link bei Wikipedia eine kleine Website, die zur Vorbereitung einer deutschen Piratenpartei erstellt worden war. Danach ging alles recht schnell...

Nutzt du Filesharing-Dienste? Bist du ein räuberischer Pirat?

Filesharing-Dienste sind dermaßen verbreitet, dass kaum ein erfahrener oder auch unerfahrener Internetnutzer sie noch nicht benutzt hätte. Darauf versuchen die Piraten eben hinzuweisen: Kopieren ist kein Verbrechen sondern schon immer Teil der menschlichen Kultur gewesen. Da ich selbst als Wissenschaftler im Peer-to-Peer Bereich tätig bin, kenne ich mich mit den Netzwerken ganz gut aus. Ich habe allerdings hohe Achtung vor Künstlern und kaufe regelmäßig CDs, DVDs und Merchandising. Ich gehe ungefähr einmal pro Woche ins Kino und helfe bei der Organisation von Konzerten für Underground-Bands. Aber gerade deshalb befürworte ich die Pirvatkopie. Ich kann nicht erkennen, wieso sie plötzlich schädlich sein sollte.

Was erwartest du dir persönlich von der Piratenpartei?

Die Piratenpartei soll Anstöße in der gesellschaftlichen Diskussion geben und die Debatte um digitale Kultur und Wirtschaft, Datenschutz, Zensur und Wissensmonopole vom derzeitigen Stammtischniveau der Lobbyisten befreien.

Welche Erfahrungen macht man als Vorsitzender einer Partei?

Das Politik vom Mitmachen lebt. In einer Demokratie sollte das nicht von Funktionären und Verbänden dominiert sein. Und Mitmachen ist leichter als man denkt.

Wie kam es zu der provokanten Namensgebung "Piratenpartei"?

Der Name kommt von den Vorreitern in Schweden. Er ist eine gezielte Provokation: Ihr sagt, wer Inhalte kopiert ist ein Pirat, und meint, dass sei etwas Schlechtes. Wir finden Kopieren wichtig und notwendig, gerade in Kultur und Wissenschaft. Daher tragen wir diesen Titel mit Stolz.

Kannst du nach 4 Monaten Piratenpartei ein positives Resümee ziehen?

Es ist erstaunlich, mit wie viel Engagement und Ideen sich die Menschen an einem solchen Projekt beteiligen. Ständig werden uns neue Projekte von Mitgliedern herangetragen. Es ist toll zu sehen, wie sich aus einer Idee einer kleinen Gruppe so schnell eine Organisation entwickelt hat.

Wo möchte die Piratenpartei in 2 Jahren stehen? Welches Ziele strebt sie an?

Wir wollen natürlich in der öffentlichen Diskussion als Ideengeber wahrgenommen werden. Es ist wichtig, die vielen unsinnigen Gesetzesprojekte zu Patentrecht, Urheberrecht und Überwachung zu stoppen und durch eine nachhaltige Politik zu ersetzen. Hier ist viel Aufklärungsarbeit nötig. Und natürlich wollen wir unsere organisatorische Basis stärken und bei den kommenden Wahlen antreten. Schließlich sind wir kein Spaßprojekt sondern eine politische Partei im Sinne des Grundgesetzes.

Welche Fortschritte hat die Deutsche Piratenpartei seit ihrer Gründung gemacht?

Wir haben natürlich eine Menge neue Mitglieder gewonnen. Zurzeit arbeiten wir daran, diese Mitglieder in die Parteiarbeit zu integrieren. Dazu werden zum Beispiel Schritt für Schritt Landesverbände gegründet. Sachsen, Berlin und Bayern haben bereits gegründet, weitere folgen nun. Darüber hinaus wollen wir natürlich die Ideen der Piraten nutzen, um unser politisches Programm zu erweitern und zu vertiefen.

Was unterscheidet euch von den traditionellen Parteien?

Wir haben uns inhaltlich noch nicht so abgenutzt. Die so genannte Politikverdrossenheit ist oft eine Enttäuschung über Parteien und Politiker, denen die Vision und der Willen zu einer aktiven Gestaltung der Gesellschaft fehlt. Es wird verwaltet und gefeilscht, aber die hehren Ziele findet man oft nur noch im Wahlprogramm.

Verändern sich demokratische Strukturen im Zeitalter des Internets?

Das Internet ist ein interaktives Medium. Man kann sich zu Wort melden und man kann sich beteiligen. Das macht das Internet zu einer idealen Plattform für gelebte Demokratie. Aber das geht natürlich nicht von selbst, es muss auf beiden Seiten der Willen zur Kommunikation bestehen. Auf der anderen Seite ist das Internet aber auch sehr schnelllebig. Themen, Gerüchte, Trends und Diskussionen lösen einander im Stundentakt ab. Da ist es manchmal notwendig, sich zurückzulehnen und die Gedanken zu sammeln. Sonst verfällt man in Aktionismus.

Wie beurteilst Du den Ausgang der Wahlen in Schweden und die Wahlschlappe der dortigen Piratenpartei?

Der Wahlkampf in Schweden war extrem hart und der Ausgang denkbar knapp. Da wollte sich kaum ein Wähler auf ein Experiment einlassen und als solches wurden die Piraten verstanden. Außerdem hat die schwedische Piratenpartei sich radikal auf ihre Kernthemen beschränkt und so wenig Raum für ein inhaltliches Wachstum gelassen. Das hat sicher manchen abgeschreckt, dessen Sorgen sich nicht auf die digitale Welt beschränken. Mit etwas Abstand ist das Wahlergebnis für eine dermaßen junge Partei alles andere als enttäuschend. Vielleicht waren bei vielen die Erwartungen an eine erste Wahl zu hoch.

Ist die Gesellschaft überhaupt bereit für einen Paradigmenwechsel im Urheberrecht?

Der eingeschlagene Weg führt in eine Sackgasse. Manch einer hat das bereits vor 25 Jahren erkannt, andere werden es nie begreifen. Aber je deutlicher die negativen Folgen werden, desto wahrscheinlicher ist die Rückkehr zu einer vernünftigen Politik. Ich persönlich hoffe, dass die Einsicht erfolgt bevor allzu große Schäden angerichtet wurden.

Kann die Piratenpartei der politische Arm dieser Open Access Bewegung sein?

Der Piratenpartei ist Open Access, also der freie Zugang zu gesellschaftlichem Wissen und Kultur, ein immanentes Anliegen. Wir wollen aber keinen Alleinvertretungsanspruch, sondern rufen alle engagierten Kräfte zu einem gemeinsamen Arbeiten auf.

Liegt es dann nicht an einem Vermittlungsproblem, wenn die Wikipedia den Eintrag "Piratenpartei Deutschland" löscht?

Wikipedia ist ein komplexes Projekt mit seinen eigenen Regeln. Die (oft unberechtigte) Kritik der vergangenen Zeit hat zu einer stärkeren Orientierung an traditionellen Enzyklopädien geführt. Da hat eine neue Entwicklung wie die Piraten vielleicht (noch) keinen Platz. Die Entscheidung der Wikipedia ist nicht prinzipiell, sondern gilt nur für den Augenblick.

Welchen Lösungsvorschlag haben die Piraten im Urheberrecht anzubieten?

Die ausufernde Monopolisierung der Informationen ist gesellschaftlich und wirtschaftlich, wie in jedem anderen Bereich auch, fatal. Der Umgang mit Werken muss im Interesse aller Beteiligten wieder offener werden. Privatkopien sind nicht schädlich. Schädlich sind aber Kopiersperren und künstliche Verknappung. Während alle Märkte, oft ohne Sinn und Verstand, liberalisiert werden, errichtet das aktuelle Urheberrecht einen fast mittelalterlichen Protektionismus. Die Piratenpartei will aufzeigen, dass es auch jenseits der Kundenverfolgung lukrative Geschäftsmodelle gibt, wie zum Beispiel bei Open Source oder Creative Commons.

Ist ein umfassender Datenschutz angesichts von Terrorängsten noch durchsetzbar?

Die Terrorängste werden gezielt geschürt, um endlich Pläne umsetzen zu können, die oft schon lange in den Schubladen liegen. Allerdings wird Überwachung und Unterdrückung den Terrorismus nicht stoppen können, denn Terrorismus ist eben die Strategie um gegen einen weit überlegenen und skrupellosen Gegner zu bestehen. In den vergangenen fünf Jahren wurden oft erschreckende Einschnitte in die Bürgerrechte durchgesetzt und eine Vielzahl von Kriegen gegen den Terrorismus geführt. Im Ergebnis haben wir aber eine stetig wachsende Zahl von Terroristen und eine zunehmende Radikalisierung in der islamischen Welt. Wenn der islamistische Terrorismus beendet werden soll, müssen wir uns seinen eigentlichen Ursachen zuwenden. Diese finden sich zu einem guten Teil in ungelösten Konflikten und ungerechten Zuständen im Nahen und Mittleren Osten. Aber da die Industriestaaten von diesen Problemen profitieren, ist das Interesse leider gering. Stattdessen werden Repressalien gegen die eigene Bevölkerung durchgesetzt - man kommt sich fast vor wie in "1984".

Worin genau liegt deiner Meinung die Gefahr von weiteren Gesetzeslockerungen im Datenschutz?

Eine freie Gesellschaft und eine funktionierende Demokratie basiert in ihrem Kern auf freien Individuen, die ohne Angst leben können. Wenn man bei jedem Schritt, jeder noch so kleinen Verfehlung und jedem offen gesprochen Wort die Befürchtung haben muss, dass anonyme Gesetzeshüter alles protokollieren und ahnden, wird sich der Bürger nicht mehr frei entfalten können. In einem solchen Klima ist gesellschaftlicher, politischer, wirtschaftlicher und wissenschaftlicher Fortschritt nur schwer möglich.

Gibt es überhaupt noch Verbündete Organisationen im Datenschutzbereich?

Selbstverständlich. Die AG Vorratsdatenspeicherung zum Beispiel ist ein Zusammenschluss von vielen NGOs im Bereich Datenschutz um dieses gefährliche Vorhaben zu stoppen. Weiterhin warnen die Landesdatenschützer nach wie vor den vielen kleinen und großen Gefahren im Bereich der Überwachung. Auch die öffentliche Meinung entwickelt sich, nachdem die erste Panik nach den schockierenden Terroranschlägen verflogen ist, wieder hin zu einer kritischen Diskussion.

Verhält es sich im Streit um Kleinstpatent auf Software und Gene nicht ähnlich? Ist der Markt zu bezwingen?

Sicherlich wird in beiden Fällen die Diskussion von mächtigen Interessenverbänden und einem extrem konservativen Wirtschaftsverständnis geprägt. Aber gerade die bisherigen Erfolge in der Patentdebatte im EU-Parlament haben gezeigt, dass sich weder Bürger noch Politiker auf Dauer von rücksichtslosen Profiteuren bevormunden lassen wollen.

Wird sich die Piratenpartei gesellschaftlichen Fragen von Wachstum, Arbeit und Demographie öffnen können?

Wir betreiben ein behutsames inhaltliches Wachstum, denn wir wollen uns nur zu Themen äußern, zu denen wir einen kompetenten Standpunkt bieten können, ein weiterer Unterschied zu manchen Politiker der etablierten Parteien. Man darf jedoch nicht vergessen, dass viele unserer bisherigen Themen die langfristigen wirtschaftlichen Fragen der Bundesrepublik betreffen. Wir können weder durch wertvolle Rohstoffe noch durch billige Arbeitskräfte punkten. In einer globalisierten Wirtschaft müssen wir uns auf unsere Innovationskraft besinnen und diese nachhaltig gestalten.

Welche Gesellschaft würdest du dir in 10 Jahren vorstellen?

Der Mensch wird von allgegenwärtigen und freien Informationen umgeben sein. Seine entscheidende Kompetenz ist es, diese Informationen zu filtern, zu bewerten und eigene Entscheidungen zu treffen. In dieser Welt wird der gesellschaftliche Fortschritt eine neue Geschwindigkeit erreichen, aber gleichzeitig wesentlich behutsamer negative Folgen abschätzen. Soweit meine Hoffnung.

Wann wird die Piratenpartei in den Parlamenten vertreten sein?

"Schwer zu sehen, in ständiger Bewegung die Zukunft ist." wie Yoda zu sagen pflegt. Die Vertretung in Parlamenten ist zwar unser erklärtes Ziel, aber auch nicht die einzige Möglichkeit politische Arbeit zu machen.

Was würdest du die Bundeskanzlerin fragen, wenn du ein Bundestagsmandat hättest?

Ob sie wirklich weiß, was die Politik ihrer Funktionäre für unser Leben in 20 Jahren und das Leben unserer Kinder bedeutet.

Welche Frage würdest du gerne gestellt bekommen?

Ich würde gerne irgendwann gefragt werden: "Was wollen sie machen, jetzt wo die Ziele der Piratenpartei erreicht sind?" :-)