Benutzer:Tomtar/Entwuerfe/Schatzmeistererfahrungen/bongs2012 Nachlese/Thema109

Meinung!
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Versuch der Überprüfung einer Liquid Feedback-Abstimmung

Anlass

Eigentlicher Anlass, eine Liquid Feedback-Abstimmung überprüfen zu wollen, war ein Tweet von Niels Lohmann: "Bis ins Datenbank-Schema abgestiegen und immer noch nicht verstanden, wie die Mehrheit bei https://lqpp.de/mv/issue/show/109.html … zustande kam #schulze #lqfb". Mir erschien das nicht einleuchtend. Sollten die Abstimmungsergebnisse von Liquid Feedback nicht für jeden auch ohne Programmierkenntnisse nachvollziehbar sein? Wieso muss ich dafür ins Datenbanken-Schema "absteigen"? Ich wählte also willkürlich die im Tweet erwähnte Abstimmung für meinen Versuch aus und versuchte, anhand der hier auffindbaren Erklärung die Abstimmung nachzurechnen. Ich musste nach Rücksprache mit Niels Lohmann erkennen, dass das Präferenzwahlverfahren von Liquid Feedback nicht durch einfaches Drauflosrechnen verstanden werden kann. Deshalb will ich hier zuerst darstellen, welche Literatur mir beim Versuch, das Wahlverfahren zu verstehen, weitergeholfen hat. Ich will außerdem eine verständliche Darstellung der Theorie aufzeigen, und schließlich versuchen das erwähnte Thema durchzurechnen.

Literatur

Theoretische Grundlagen: Soziale Auswahlverfahren

Wahlen (und Abstimmungen) lassen sich als "soziale Auswahl" auffassen. Eine soziale Auswahl findet dann statt, wenn mehrere Menschen eine gemeinsame Entscheidung treffen wollen.

Eine individuelle Präferenz ist eine Bewertung möglicher Entscheidungen anhand einer Ordnung der Alternativen nach Vorliebe. Die individuellen Präferenzen in einer Gruppe von Menschen können sehr verschieden sein. Die Menge der individuellen Präferenzen sämtlicher Individuen bezeichnet man als Präferenzprofil.

Soziale Auswahl bedeutet nun, individuelle Präferenzen zu einer kollektiven Präferenz zu vereinigen. Die Abbildung aller individueller Präferenzen (d.h. des Präferenzprofils) auf eine kollektive Präferenz wird soziale Wohlfahrtsfunktion oder auch soziale Entscheidungsfunktion genannt.

Im Rahmen dieser Betrachtung wird nur die Frage diskutiert, wie diese Funktionen aussehen. Zweck der Diskussion um Auswahlverfahren ist es, zu ermitteln "welche Anforderungen stellen sich an die Auswahlverfahren?", "welche Verfahren gibt es?" und "welche davon erfüllen diese Anforderungen am besten?".

Den Schwerpunkt lege ich dabei natürlich auf dasjenige Verfahren, auf dem Liquid Feedback letztlich basiert.

Für die weitere Betrachtung spielt der Gegenstand der Entscheidung keine Rolle. Die folgenden Betrachtungen gelten unabhängig davon, ob über Positionspapiere, Programmanträge, Vorstandskandidaten, Abgeordnete, Termine oder beliebige andere Ergebnisse entschieden wird.

Nebenbei sei erwähnt: Der tatsächliche "Wählerwille" wird durch das Präferenzprofil gebildet, also der Gesamtheit aller individuellen Präferenzen. Das Ergebnis einer Wahl entsteht nach Anwendung einer sozialen Entscheidungsfunktion auf das Präferenzprofil. Die soziale Entscheidungsfunktion übt also wesentlichen Einfluss darauf aus, wie aus dem "Wählerwillen" eine Entscheidung gebildet wird.

Grenzen der Sozialwahltheorie

Die Sozialwahltheorie gibt nur einen ganz bestimmten Blickwinkel auf solche Phänomene wie das der demokratischen Mehrheitsentscheidung frei. Was z.B. weitgehend ausgespart bleibt, sind sogenannte "deliberative" Prozesse, also all diejenigen Diskussions- und Meinungsbildungsprozesse, die, besonders in Demokratien, politischen Entscheidungen oder Abstimmungen voraus zu gehen pflegen. Diese öffentlichen Diskussionen, aufgrund derer sich die Präferenzen der Individuen veränderen, aneinander anpassen oder sich dissozieren und in Lager aufteilen, sind nicht Bestandteil der Sozialwahltheorie. Will man ein richtiges und vollständiges Bild von der Natur demokratischer politischer Entscheidungsprozesse gewinnen, so ist die Sozialwahltheorie allein dafür unzureichend und sollte unbedingt durch andere Theorien, z.B. solche, die deliberative Prozesse zum Gegenstand haben, ergänzt werden. (Arnold 2009, S. 84)

Notation

Mengen vs. Tupel: Werden unterscheidbare Objekte zu einer Gesamtheit zusammengefasst, so spricht man von einer Menge. Die Menge I der Personen A, B und C wird in mathematischer Notation als <math>\!\ I=\{A,B,C\}</math> ausgedrückt. Werden nicht immer unterscheidbare Objekte in einer bestimmten Reihenfolge zu einer Gesamtheit zusammengefasst, so spricht man von einem Tupel. Das Tupel P der Zahlen 1, 2, 3 wird in mathematischer Notation als <math>\!\ P=(1,2,3,)</math> ausgedrückt.

Für die soziale Auswahl gelten nun folgende Begriffe:

  • <math>\!\ X=\{x_1,x_2,x_3,...\}</math> ist die Menge der Alternativen (d.h. die Menge der zur Auswahl stehenden möglichen Entscheidungen).
  • <math>\!\ I=\{A,B,C,...\}</math> oder <math>\!\ I=\{1,2,3,...\}</math> ist die Menge der wahlberechtigten Individuen. Die Individuen kann man sich durchnummeriert denken, so dass man statt von A, B oder C auch vom ersten, zweiten oder dritten Individuum oder ganz allgemein vom i-ten Individuum sprechen kann.
  • <math>\!\ R_i=x \succ_i y</math> ist die Präferenz des Individuum i von Alternative x über Alternative y. Individuum i bevorzugt also Alternative x über Alternative y.
  • <math>\!\ P=(R_1,R_2,R_3,...)</math> ist das geordnete Präferenzprofil der nicht immer unterscheidbaren Präferenzen aller Individuuen.
  • <math>\!\ R_K=x \succ_K y</math> ist die kollektive Präferenz. In der durch die soziale Entscheidungsfunktion ermittelten kollektiven Präferenz wird also Alternative x über Alternative y bevorzugt.
  • <math>\!\ \mathcal R=\{R_1,R_2,R_3,...\}</math> ist die Menge aller möglicher Präferenzrelationen.
  • <math>\!\ \mathcal P=\{P_1,P_2,P_3,...\}</math> ist die Menge aller möglicher Präferenzprofile.
  • <math>\!\ f\colon \mathcal P \to \mathcal R</math> ist eine soziale Entscheidungsfunktion f, welche jedem möglichem Präferenzprofil <math>P \in \mathcal P</math> eine kollektive Präferenzrelation <math>R_K \in \mathcal R</math> zuordnet. Man kann auch schreiben: <math>\!\ f(P_1, . . . , P_n) =

R_K</math>

Mit Hilfe dieser Definitionen kann die Frage untersucht werden, welche Entscheidungs- bzw. Abstimmungsfunktionen zum Treffen von Kollektiventscheidungen geeignet sind.

Condorcet-Paradoxon

Angenommen, drei Wähler A, B und C stimmen über die Alternativen x, y und z ab. Die Präferenzen seien wie folgt verteilt:

A <math>\!\ y \succ_A z \succ_A x</math>
B <math>\!\ x \succ_B y \succ_B z</math>
C <math>\!\ z \succ_C x \succ_C y</math>

d.h. A bevorzugt y vor z und z vor x; B bevorzugt x vor y und y vor x und C bevorzugt z vor x und x vor y. Welche der Alternativen ist die gewählte Alternative, d.h. die kollektive Präferenz?

Jede Alternative steht einmal an erster, einmal an zweiter und einmal an dritter Stelle. Man kann also keine Alternative ohne Weiteres als die kollektiv beste auszeichnen. Und wenn man paarweise Stichwahlen machen würde? D.h., wenn man x gegen y, y gegen z und z gegen x abstimmen liesse (Condorcet-Kriterium)? Dann käme heraus:

<math>\!\ x \succ_K y: 2</math>
<math>\!\ y \succ_K x: 1</math>
<math>\!\ y \succ_K z: 2</math>
<math>\!\ z \succ_K y: 1</math>
<math>\!\ z \succ_K x: 2</math>
<math>\!\ x \succ_K z: 1</math>
<math>\!\ \Rightarrow x \succ_K y \succ_K z \succ_K x</math>

D. h. x gewinnt gegen y, y gegen z und z gegen x. Damit liegt eine zyklische Präferenz vor (Condorcet-Paradoxon).

Welche Alternative soll man im Fall zyklischer Präferenzen wählen? Eine der naheliegendsten Lösungen um mit Pattsituationen dieser Art umzugehen, besteht darin das Los entscheiden zu lassen. Beim Losverfahren bleibt die demokratische Gleichheit dadurch gewahrt, dass jeder die gleichen Chancen hat. Es ist daher auch nicht verwunderlich, dass wir dieses Mittel seit der Antike in zahlreichen Satzungen und Verfassungen für u.a. diejenigen Fälle vorgesehen finden, in denen eine Abstimmung nicht zu einem eindeutigen Ergebnis führt. Ein anderer wichtiger Grund für den Einsatz des Losverfahren ist, dass es sich nicht wie Abstimmungen durch Stimmenkauf oder Erpessung manipulieren lässt. (Arnold 2009, S. 85)

Die Entstehung zyklischer Präferenzen ist nur eines der Probleme, an denen Abstimmungsverfahren leiden können.

Pfadabhängigkeit

Nun könnte man, um das Problem des Condorcet-Paradoxons zu vermeiden, folgendes Verfahren anwenden: Ein paar von Alternativen wird zufällig ausgewählt und eine Stichwahl zwischen diesen Alternativen durchgeführt. Der Sieger aus dieser Stichwahl wird gegen die übriggebliebene Alternative abgestimmt. Im Beipiel könnte man etwa erst zwischen x und z abstimmen, wobei z gewinnt. Anschließend wird zwischen z und y abgestimmt, wobei y gewinnt. Damit wäre ein Abstimmungsergebnis gefunden, und zwar y.

Das Problem bei diesem Verfahren: Beginnt man die Abstimmung nicht mit x und z, sondern etwa mit x und y, so gewinnt in der ersten Abstimmung x und in der zweiten Abstimmung z.

Das Abstimmungsergebnis hängt also bei diesem Verfahren von der Reihenfolge der Abstimmungen (dem gewählten "Pfad" in der Menge der möglichen paarweisen Abstimmungen) ab. Das heisst aber, das Abstimmungsergebnis kann dadurch manipuliert werden, indem die Abstimmungsreihenfolge manipuliert wird. Pfadabhängigkeit ist daher zu vermieden. (Arnold 2009, S. 85)

Paradox des Liberalismus

(= Paradox der Demokratie) Um faire Kollektiventscheidungen über eine Menge von Alternativen zu treffen, soll ein Verfahren gefunden werden, welches folgenden Bedingungen genügt:

Pareto-Eigenschaft, Pareto-Effizienz

Dieses Kriterium ist erfüllt, wenn gilt: Wenn alle Individuen eine bestimmte Alternative einer anderen vorziehen (Einstimmige Wahl), dann sollte auch das Kollektiventscheidungsverfahren diese Alternative vor den anderen Alternativen bevorzugen.

Unbeschränkter Bereich

Dieses Kriterium ist erfüllt, wenn das Kollektiventscheidungsverfahren keine logisch mögliche individuelle Präferenz von der Teilnahme ausschließt. Das Kollektiventscheidungsverfahren muss also der Möglichkeit beliebig verteilter individueller Präferenzen Rechnung tragen.

Minimale Fairness, Minimaler Liberalismus, Prärogative

Es gibt bestimmte Bereiche menschlichen Lebens, über die alleine das Individuum entscheiden soll. Also soll das Individuum die Möglichkeit haben, über mindestens ein paar von Alternativen alleine (also auch gegen das Kollektiv) zu entscheiden. Jeder somit soll das Recht haben, die Kollektiventscheidung für mindestens ein Paar von Alternativen festzulegen. Aus dieser Überlegung heraus entsteht die Definition des minimalen Liberalismus:

Es gibt mindestens zwei Individuen, so dass es für jedes der beiden mindestens ein Paar von Alternativen (x, y) gibt, über die das jeweilige Individuum für die Gesellschaft entscheidet.

Es ist unmöglich, alle drei Bedingungen auf einmal zu erfüllen.

Die drei erwähnten Kriterien wirken intuitiv vernünftig: Das erste erklärt ein eindeutiges Votum für verbindlich, das zweite verbietet es, Stimmen aufgrund der darin ausgedrückten Präferenz zu unterschlagen und das Dritte garantiert eine Form der Privatsphäre, in der jeder Einzelne in seinen persönlichen Entscheidungen frei ist. Man ist leicht geneigt zu verlangen, dass jede einigermaßen faire und sinnvolle Entscheidungsprozedur mindestens diese drei Bedingungen erfüllt. Es lässt sich nun jedoch zeigen, dass es unmöglich ist, alle drei Bedingungen auf einmal zu erfüllen.

Beweis: Wir gehen von zwei Individuen A und B sowie von drei Alternativen x, y und z aus. Wir nehmen ferner an, dass A prärogativ über die Alternativen x und z entscheiden darf, während B prärogativ über y und z entscheiden darf.

Gibt es nun Präferenzen für A und B, mit denen keine eindeutige kollektive Entscheidung getroffen werden kann? Solche Präferenzen gibt es, und zwar

<math>\!\ A: y \succ x \succ z</math>
<math>\!\ B: z \succ y \succ x</math>
  1. A hat die Prärogative über x und z, d.h. z kann nicht gewählt werden weil A x bevorzugt.
  2. B hat die Prärogative über y und z, d.h. y kann nicht gewählt werden weil B z bevorzugt.
  3. Beide Individuen bevorzugen einstimmig y vor x, d.h. x kann nicht gewählt werden (dies wäre Verstoß gegen die Pareto-Eigenschaft).

Somit können weder x noch y noch z gewählt werden, wenn man nicht einer der beiden Stimmen den Vorrang geben will (was ein Verstoß gegen die Unbeschränktheitsbedingung wäre).

Damit ist gezeigt, dass es unmöglich ist, ein Entscheidungsverfahren zu finden, das die Präferenzen von A und B unter Berücksichtigung der Fairness-, Unbeschränktheits. und Einstimmigkeitsbedingung auf kollektive präferenzen abbildet.

In der Demokratie können also die Interessen jedes Bürgers nicht unter allen Umständen berücksichtigt werden. (Arnold 2009, S. 87 ff.)

Unmöglichkeitssatz von Arrow

Diktaturfreiheit

Diktaturfreiheit besteht, wenn es kein Individuum gibt, dessen individuelle Präferenzen stets die kollektiven Präferenzen festlegt. Es ist allerdings zulässig, Individuen zu übergehen, solange nicht stets alle Individuen bis auf ein bestimmtes Individuum übergangen werden. (Diese Bedingung ist bedeutend schwächer als die Bedingung des minimalen Liberalismus, da hier einzelne Individuen völlg übergangen werden dürfen)

Unbeschränkter Bereich

Dieses Kriterium ist erfüllt, wenn das Kollektiventscheidungsverfahren keine logisch mögliche individuelle Präferenz von der Teilnahme ausschließt. Das Kollektiventscheidungsverfahren muss also der Möglichkeit beliebig verteilter individueller Präferenzen Rechnung tragen.

Pareto-Effizienz

Dieses Kriterium ist erfüllt, wenn gilt: Wenn alle Individuen eine bestimmte Alternative einer anderen vorziehen (Einstimmige Wahl), dann sollte auch das Kollektiventscheidungsverfahren diese Alternative vor den anderen Alternativen bevorzugen.

Paarweise Unabhängigkeit

Die kollektive Präferenz einer Alternative x über eine Alternative y hängt allein von der Ordnung dieser beiden Alternativen x und y in den Präferenzen der Individuen ab. Die Einordnung einer anderen Alternative z relativ zu diesen beiden Alternativen x und y in den Präferenzen hat auf die Präferenz von x über y keinen Einfluss.

Beispiel (Quelle S. 3 ff.) - Das Präferenzprofil der Wähler 1 bis 5 sehe so aus (Profil #1):

<math>\!\ 1: w \succ v \succ x \succ y \succ z</math>
<math>\!\ 2: x \succ v \succ y \succ w \succ z</math>
<math>\!\ 3: z \succ v \succ w \succ x \succ y</math>
<math>\!\ 4: y \succ v \succ z \succ x \succ w</math>
<math>\!\ 5: y \succ z \succ v \succ w \succ x</math>

Wähler 1, 3, und 5 bevorzugen Alternative w vor Alternative x. Ob das Wahlverfahren auch kollektiv w vor x bevorzugt, hängt vom verwendeten Verfahren ab. Mal angenommen, als Wahlverfahren käme eine Borda-Wahl zum Einsatz - die Reihenfolge der Kandidaten wird anhand einer Rangliste ermittelt, wobei der erste Platz die meisten Punkte erhält. Bei einer Borda-Wahl sähen die ausgefüllten Stimmzettel etwa so aus:

Alternativen   v  w  x  y  z
1:             4  5  3  2  1
2:             4  2  5  3  1
3:             4  3  2  1  5
4:             4  1  2  5  3
5:             3  2  1  5  4
Summe          19 13 13 17 14

Das heisst, die Alternativen w und x sind bei Anwendung des Borda-Verfahrens auf Profil #1 gleichrangig.

Nun verändern wir das Präferenzprofil geringfügig (Profil #2):

<math>\!\ 1: w \succ x \succ v \succ y \succ z</math>
<math>\!\ 2: x \succ v \succ y \succ w \succ z</math>
<math>\!\ 3: z \succ w \succ x \succ v \succ y</math>
<math>\!\ 4: y \succ v \succ z \succ x \succ w</math>
<math>\!\ 5: y \succ v \succ z \succ w \succ x</math>

Auch hier bevorzugen Wähler 1, 3, und 5 Alternative w vor Alternative x. In Bezug auf die Präferenz von w vor x hat sich nichts geändert. Bei einer Borda-Wahl sähen die ausgefüllten Stimmzettel nun etwa so aus:

Alternativen   v  w  x  y  z
1:             3  5  4  2  1
2:             4  2  5  3  1
3:             2  4  3  1  5
4:             4  1  2  5  3
5:             4  2  1  5  3
Summe          17 14 15 17 13

Das heisst, die Alternativen w und x sind bei Anwendung des Borda-Verfahrens auf Profil #2 nicht mehr gleichrangig, sondern x erhält einen Punkt mehr als w - obwohl die Mehrzahl der Wähler w vor x bevorzugt. Damit erfüllt die Borda-Wahl nicht das Kriterium der paarweisen Unabhängigkeit.

Satz von Arrow

Es gibt kein Kollektiventscheidungsverfahren, das bei mindestens zwei Individuen und drei oder mehr zur Wahl stehenden Alternativen die individuellen Präferenzordnungen so auf eine kollektive Präferenzordnung abbildet, dass die Bedingungen der Diktaturfreiheit, der Einstimmigkeit und der paarweisen Unabhängigkeit für alle denkbaren indvididuellen Präferenzordnungen erfüllt sind.

Beispiel: Mehrheitswahl

Bei einer Mehrheitswahl wählt jeder Teilnehmer aus mehreren Alternativen genau eine aus. Durch die Anzahl Stimmen, die jede Alternative erhält, wird die Reihung ermittelt. Es gewinnt die Alternative, welche am meisten Stimmen auf sich vereint (relative Mehrheit) oder jene Alternative, welche mehr als die Hälfte aller Stimmen auf sich vereint (absolute Mehrheit).

Wie sieht es bei einer Mehrheitswahl mit der Erfüllung der Kriterien der Diktaturfreiheit, des unbeschränkten Bereichs, der Pareto-Effizienz und der paarweisen Unabhängigkeit aus?

  • Das Kriterium des unbeschränkten Bereichs ist erfüllt, denn das Verfahren schließt keine logisch möglichen Stimmen aus.
  • Das Kriterium der Diktaturfreiheit ist erfüllt, denn es gibt keinen bestimmten Wähler, der das Ergebnis alleine festlegt. Wenn etwa eine einzelne Person Alternative w wählt und alle anderen Teilnehmer etwas anderes, dann ist w nicht das Ergebnis.
  • Das Kriterium der Pareto-Effizienz ist erfüllt, denn wenn alle Teilnehmer Alternative w wählen, dann erhält keine andere Alternative eine Stimme, und w gewinnt die Wahl einstimmig.
  • Zum Kriterium der paarweisen Unabhängigkeit: Wenn der Satz von Arrow stimmt, dann müsste jetzt ja das Kriterium der paarweisen Unabhängigkeit verletzt sein.

Beleg: Profil #1

<math>\!\ 1: w \succ x \succ y \succ z</math>        
<math>\!\ 2: w \succ x \succ y \succ z</math> 
<math>\!\ 3: y \succ z \succ x \succ w</math>

Stimmzettel:

       w x y z
    1: 1 0 0 0
    2: 1 0 0 0
    3: 0 0 1 0
Summe: 2 0 1 0

In Profil 1 erhält Alternative w zwei Stimmen, y erhält eine Stimme. Alle anderen Stimmen erhalten, weil jeder Wähler nur eine Alternative wählen kann, keine Stimmen. w wird von Wähler 1 und Wähler 2 gegenüber y bevorzugt, x und z sind von untergeordneter Bedeutung.

Profil #2:

<math>\!\ 1: x \succ w \succ y \succ z</math>        
<math>\!\ 2: x \succ w \succ y \succ z</math> 
<math>\!\ 3: y \succ z \succ x \succ w</math>

Stimmzettel:

       w x y z
    1: 0 1 0 0
    2: 0 1 0 0
    3: 0 0 1 0
Summe: 0 2 1 0

In Profil 2 wird w immer noch von Wähler 1 und Wähler 2 gegenüber y bevorzugt. Allerdings wird nun von diesen Wählern x gegenüber w bevorzugt. Entsprechend erhält jetzt x zwei Stimmen, y erhält eine Stimme, w erhält null Stimmen. Das bedeutet aber: y erhält im Endergebnis eine höhere Stimmzahl als w, obwohl in den individuellen Präferenzen w vor y liegt. Damit liegt im genannten Beispiel der Mehrheitswahl eine Verletzung der paarweisen Unabhängigkeit vor.

Dieses Beispiel ist streng genommen kein Beweis für die generelle Richtigkeit des Satzes von Arrow. Es könnte ja sein, dass es ein Wahlverfahren gibt, welches alle vier Kriterien erfüllt und damit den Satz von Arrow verletzt. Oder?

Beweis

Auswahlverfahren

Diktatur

Mehrheitsentscheidung

Präferenzwahl

Condorcet-Methode

Schulze-Methode

Die Überprüfung von Thema 109 im Liquid Feedback-System des Landesverbandes Mecklenburg-Vorpommern

Eigentlicher Anlass, eine Liquid Feedback-Abstimmung überprüfen zu wollen, war ein Tweet von Niels Lohmann:

"Bis ins Datenbank-Schema abgestiegen und immer noch nicht verstanden, wie die Mehrheit bei https://lqpp.de/mv/issue/show/109.html … zustande kam #schulze #lqfb".

Ich wählte also willkürlich diese Abstimmung mit drei abzustimmenden Initiativen für meinen Versuch aus.

[Rumpf eines neuen Blogposts]

Grundlage: http://lqfb.nlohmann.me/mv/109.html

Ich habe heute versucht, anhand des oben genannten Beispiels nachzuvollziehen, wie in Liquid Feedback bei einer Themenabstimmung über drei Initiativen hinweg das Ergebnis berechnet wird. Ich habe verstanden, dass es nicht um Ja/Nein-Stimmen geht. Auch die Berechnung expliziter und impliziter Präferenzen gelang:

Explizite Präferenzen							
Stimmzettel	Ini 147	Ini 148	Ini 158	Stimmgewicht	147>148		147>158		148>147		148>158		158>147		158>148	
1	-1	1	-1	4	0	0	0	0	1	4	1	4	0	0	0	0
2	2	-1	1	3	1	3	1	3	0	0	0	0	0	0	1	3
3	-1	1	-1	3	0	0	0	0	1	3	1	3	0	0	0	0
4	0	-1	1	2	1	2	0	0	0	0	0	0	1	2	1	2
5	1	2	-1	2	0	0	1	2	1	2	1	2	0	0	0	0
6	1	-1	2	2	1	2	0	0	0	0	0	0	1	2	1	2
7	-1	1	0	1	0	0	0	0	1	1	1	1	1	1	0	0
8	1	-1	1	1	1	1	0	0	0	0	0	0	0	0	1	1
9	2	3	1	1	0	0	1	1	1	1	1	1	0	0	0	0
10	0	1	-1	1	0	0	1	1	1	1	1	1	0	0	0	0
11	1	-1	0	1	1	1	1	1	0	0	0	0	0	0	1	1
12	1	0	2	1	1	1	0	0	0	0	0	0	1	1	1	1
13	1	-1	-2	1	1	1	1	1	0	0	1	1	0	0	0	0
14	2	0	1	1	1	1	1	1	0	0	0	0	0	0	1	1
						12		10		12		13		6		11	64
Implizite Präferenzen							
Stimmzettel	Ini 147	Ini 148	Ini 158	Stimmgewicht	147>0		148>0		158>0		0>147		0>148		0>158		
1	-1	1	-1	4	0	0	1	4	0	0	1	4	0	0	1	4	
2	2	-1	1	3	1	3	0	0	1	3	0	0	1	3	0	0	
3	-1	1	-1	3	0	0	1	3	0	0	1	3	0	0	1	3	
4	0	-1	1	2	0	0	0	0	1	2	0	0	1	2	0	0	
5	1	2	-1	2	1	2	1	2	0	0	0	0	0	0	1	2	
6	1	-1	2	2	1	2	0	0	1	2	0	0	1	2	0	0	
7	-1	1	0	1	0	0	1	1	0	0	1	1	0	0	0	0	
8	1	-1	1	1	1	1	0	0	1	1	0	0	1	1	0	0	
9	2	3	1	1	1	1	1	1	1	1	0	0	0	0	0	0	
10	0	1	-1	1	0	0	1	1	0	0	0	0	0	0	1	1	
11	1	-1	0	1	1	1	0	0	0	0	0	0	1	1	0	0	
12	1	0	2	1	1	1	0	0	1	1	0	0	0	0	0	0	
13	1	-1	-2	1	1	1	0	0	0	0	0	0	1	1	1	1	
14	2	0	1	1	1	1	0	0	1	1	0	0	0	0	0	0	
						13		12		11	0	8	0	10	0	11	65

Allerdings gelang es anhand der vorliegenden Doku nicht, die Frage zu beantworten, welche Bedeutung die Skalenwerte auf den Stimmzetteln haben.

Bedeutung laut Abstimmungsfenster (Erstwunsch, Zweitwunsch...)				
3	?
2	?
1	?	
0	?
-1	?
-2	?

Ist die 3 der Erstwunsch oder die 2? Und ist die 0 die Enthaltung und der Status Quo oder nur der Status Quo?

Fazit: Ich war über diesen Punkt hinaus nicht in der Lage, die weitere Berechnung vollständig nachzuvollziehen.

Dies ist kein Beweis, dass das Verfahren falsch ist. Damit ist auch nicht bewiesen, dass es gar nicht nachvollzogen werden kann. Es ist nur zu kompliziert, um es "mal eben so" ohne großes Vorwissen nachvollziehen zu können. Offensichtlich erfordert es Spezialwissen um die LQFB-internen Vorgänge. Genau davon sollte ein Wahl- oder Abstimmverfahren aber meiner Ansicht nach nicht abhängig sein.