Benutzer:Kater81SI/Wie Karl zum "Nazi" wurde

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Eine fiktive Anekdote zum Nachdenken über Sorgen in der Bevölkerung - und wie man damit umgeht

Von Michael Siebel (parteilos)

Karl Schmidt ist ein bodenständiger dröscher "Kölsche Jong", entfernt wohl verschwägert mit Otto Normalverbraucher. Karl sieht seit einiger Zeit beunruhigt die Entwicklung; aus seinem Stadtteil sind viele Deutsche weggezogen, weil die Straßenzüge nach und nach immer mehr homogen ausländisch dominiert wurden. Mit seinen neuen Nachbarn kommt er aus; viele sprechen gutes Deutsch - mit den anderen (auch nicht wenige) ist Kontakt ja schlecht möglich. Jetzt wollen sie eine Moschee bauen. Nein, keine kleine zum Beten, sondern eine richtig große soll es sein - ein Zeremoniell, das die Seele des Islam streichelt. Aus objektiven Medienberichten weiß er, dass der Großteil der Moscheevereine sich der staatlichen Kontrolle entzieht und dies systematisch als Abschottung betreibt.

Karl weiß auch, dass der türkische Staat die Vereine trägt. Erdoğans Zitat mit dem Vorwand Demokratie, den Minaretten, die Bajonette seien, und den Gläubigen als "Soldaten", ist ihm genauso bekannt, wie die demographische Entwicklung in unserem Land - Muslime bekommen überdurchschnittlich viele Kinder; Deutsche haben Familie "nicht mehr nötig". Auch Karls zwei Söhne haben keine Kinder. Lediglich seine Tochter ist Mama. Chantal ist 16 Jahre alt.

Karl möchte keine Riesenmoschee in seiner Nachbarschaft haben. In der Türkei, so sagt er, stelle man als deutscher Staat ja auch keine Kathedralen auf. Er tut sich mit Bekannten zusammen, die seine Ansichten teilen. Sie gründen eine Bewegung, sagen: "Wir wollen im eigenen Land über unsere Geschicke selbst bestimmen, das ist doch unser gutes Recht!" Was auch soll daran verwerflich sein? Die Schweizer haben es schließlich auch getan. Gegen Moslems hat Karl nichts, er kennt schließlich viele persönlich. Karl ist überzeugter Vertreter der Devise: "Jedem Tierchen sein Plaisierchen".

Dann machen sie professionellen Wahlkampf. Neugierige Bürger erkundigen sich über die Ziele von "Pro Köln", nicken, stimmen zu. Bis plötzlich ein junger Mann, vielleicht einmal 20 Jahre jung, die Bühne des Geschehens betritt. Er wirft den Infostand um, Karl wirft er zu Boden. Die Flugblätter und Stehplakate werden in die Luft geworfen bzw. umgetreten. Und dann dieses eine Wort, das Karl hart trifft: "Nazi!" Das sitzt. War doch Karls Onkel im Krieg gefallen, sein Vater als SPD-Mitglied von den Nazis gezielter Schikane ausgesetzt gewesen. Das war ein echter Mann. Demokrat und politisch helles Köpfchen, erinnert sich Karl.

Aus einiger Entfernung hört man einen ganzen Pulk junger Männer, wie Punks und Autonome gekleidet, jetzt rufen: "Nazis raus! Nazis raus!"

Sowas hatte Karl bis dahin nur im Fernsehen gesehen. Was hatte er schließlich gemacht, außer für seine neue Bürgerbewegung zu werben? Im Fernsehen hatte er solche Leute schon erlebt: eine Masse Menschen, bewaffnet mit Trillerpfeifen und roten Fahnen von Linkspartei, DKP, SPD, Antifa, Gewerkschaft und Autonomen. Würden die jetzt so auch gegen ihn schreien und eifern? Sein Vater, da ist sich Karl sicher, der überzeugte Sozi, der ein Leben lang für seine Partei gearbeitet und gekämpft hat, Freiheit und Demokratie als das Anliegen der Arbeiter und kleinen Leute verstand, dieser Vater würde sich für seine Partei schämen und sich im Grabe 'rumdrehen!

Im Sozialnetzwerk Wer kent wen wurde die von mir gewollte, offene und tabulose Diskussion angetreten, vor der viele Menschen zurückscheuen, meine Antwort (in der bedeutungsbetreffenden Wortwahl etwas verbessert) darauf:

Zum Thema haben die Wellen in einigen Gruppen ziemlich hochgeschlagen, das war zu erwarten. Insbesondere, dass ich linken politischen Kräften vorgeworfen habe, mit geschichtslosen und bisweilen äußerst dämlichen Nazi-Vergleichen sorglos um sich zu werfen, hat die Diskussion sehr angeregt. Das war und ist gewollt.

Da ich mein Anekdötchen in verschiedenen Gruppen eingestellt habe, seht mir bitte nach, dass ich nicht in jeder Gruppe einzeln und inividuell antworten kann. Dennoch möchte ich die Auflösung des Rätsels niemandem vorenthalten: die beiden angesprochenen Gruppen, Zuwanderer und Ureingeborene ;-), haben sich kontrovers an der Meinungsfindung beteiligt. Ein Zeichen dafür, dass Menschen in der Lage sind, nicht nur über-, sondern auch miteinander zu sprechen; ein hoffnungsvolles Signal und gutes Zeichen für unsere Zivilgesellschaft und das Miteinander in unserem Land. Nur so können gegenseitige Vorurteile abgebaut werden.

Am Anfang waren die typischen Reflexreaktionen zu sehen, die ich als Polemisierungsversuche bezeichne. Sei es, um zu schauen, wes Geistes Kind der Autor des provokativen Textes ist, oder schlicht, weil man sich persönlich angegriffen oder zumindest per Wink mit dem Zaunpfahl angesprochen gefühlt hat. In einer Gruppe trat mir umgehend ein Herr mit türkischem Namen entgegen, die Deutschen hätten die Juden ja auch bereits als Gefahr wahrgenommen. Der Versuch, meine sachliche Argumentation (ich habe nicht „die“ Moslems, Türken oder sonst eine ganze Gruppe angesprochen, sondern Missstände, die in unserer Gesellschaft weitestgehend tabuisiert werden, erst recht habe ich keine Beleidigungen, schon einmal gar nicht Hass oder dergleichen geäußert/befördert/verlangt/angestachelt) in die Nähe des Antisemitismus, der zum Holocaust geführt hat, zu stellen, entbehrt jeglicher Grundlage. Deswegen lasse ich mich also auf den Provokationsversuch gar nicht ein.

Was beispielsweise bei der rechten Wochenzeitung „Junge Freiheit“ zu beobachgten ist, ist ähnlich: Kommentare auf Zeitungsartikel im Internet beginnen zunächst recht platt und populistisch, bisweilen ausländerfeindlich. Dadurch, dass viele intellektuelle Personen mitlesen, wird dies wieder in eine sachliche Linie gerückt. Am Schluss solcher Debatten stehen dann Argumente da, nicht mehr Polemik. So etwas nenne ich Streitkultur im besten Wortsinne.

Ich wünsche Euch allen weiterhin einen schönen Abend und danke Euch fürs Mitdiskutieren!