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Was sich in den vergangenen Monaten in Sachsen und im Besonderen in Dresden abspielte, wurde in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung mit den Verhältnissen in Weißrussland verglichen. Bespitzelungen, massenhafte Überwachung von Mobilfunkteilnehmern und Ermittlungen gegen einige NazigegnerInnen mithilfe des umstrittenen Ermittlungsparagraphen 129 Strafgesetzbuch. Als der Freistaat vor knapp drei Wochen seine Kompetenzen auf das Nachbarland Thüringen ausweitete, erreichten die Ermittlungen ihren vorläufigen Höhepunkt. Dazu wollen wir einen Blick zurück in die letzten Wochen der “sächsischen Demokratie” werfen.
Nachdem die Wohn- und Arbeitsräume des Jenaer Theologen Lothar König am 10. August durch sächsische Beamte durchsucht worden waren, hatten zahlreiche politisch Verantwortliche und Geistliche dieses Vorgehen zum Teil scharf verurteilt. König selbst verwies in einem Grußwort auf die Hintergründe des § 129 als reinen Ermittlungsparagraphen, der es den Ermittlungsbehörden ermöglicht, “alle technisch möglichen Maßnahmen gegen verdächtige Personen durchzuführen”. Dazu gehört das Abhören von Telefonaten ebenso wie das Observieren von vermeintlich Tatverdächtigen. Tatsächlich wurde gegen König seit mindestens 7. Februar als Mitglied einer “kriminellen Vereinigung” ermittelt. Das wurde während einer Sondersitzung des Rechtsausschusses des Sächsischen Landtags am 23. August bekannt. Danach sei das Verfahren gegen König wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung zwar inzwischen vorläufig eingestellt worden, der Grund liegt nach Angaben des Grünen Politikers Johannes Lichdi jedoch vor allem darin, dass bei einer Verurteilung wegen “aufwieglerischen Landfriedensbruchs” mit einer schärferen Bestrafung zu rechnen sei.
Während der Sitzung hatte sich der Obmann der CDU-Fraktion hinter die Aussagen seines ParteikollegenSteffen Flath gestellt. Dieser hatte am Samstag in einem Interview mit der Sächsischen Zeitung Kritikerinnen und Kritikern an den Ermittlungsmethoden der Sächsischen Polizei vorgeworfen, damit “Gewaltausbrüche gegenüber Vertretern des staatlichen Gewaltmonopols” zu unterstützen, gleichzeitig aber auch Defizite bei der Erklärung von juristischen Abläufen und Handlungen eingeräumt. Auch der CDU Landtagsabgeordnete Marko Schiemann betonte nach der Sitzung, dass es seiner Ansicht nachkeine Gründe für “Zweifel an der Verhältnismäßigkeit oder gar Rechtmäßigkeit der Ermittlungsarbeit” gebe.
In seinem offenen Brief an Sachsens CDU-Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich hatte der Jenaer Oberbürgermeister Albrecht Schröter (SPD) zuvor das Vorgehen der Dresdner Staatsanwaltschaft heftig kritisiert und von einem “erheblichen Vertrauensverlust” bei den Menschen gesprochen, die sich den Nazis am 19. Februar “mutig und friedlich” in den Weg gestellt haben. Darüber hinaus zeigte er sich verwundert, dass weder das Thüringer Innen- noch das Justizministerium im Vorfeld von der Razzia in Kenntnis gesetzt worden waren. Sein Brief an den Sächsischen Ministerpräsidenten endete mit einer Einladung zu einem Gespräch nach Jena.
Die Reaktion auf das Schreiben ist bezeichnend für den Umgang der politisch Verantwortlichen in Sachsen mit dem Thema. So antwortete nicht etwa Tillich auf den Brief, sondern Sachsens Generalstaatsanwalt Klaus Fleischmann. In seinem Schreiben an den Jenaer Oberbürgermeister verwies Fleischmann einmal mehr auf die bestehenden rechtlichen Grundlagen bei der Bekämpfung “jede[r] Form von Extremismus”. Er verteidigte die Funkzellenabfrage zehntausender Bürgerinnen und Bürger und erneuerte den Vorwurf des Dresdner Staatsanwalts Jan Hille, der gegenüber der taz die mediale und politische Kritik an den sächsischen Ermittlungsmethoden mit Vorwürfen aus der “rechtsextremen Ecke oder von Querulanten” verglichen hatte. Obwohl das Innenministerium in Erfurt gegenüber dem MDR erklärte, nicht über die Razzia informiert gewesen zu sein, hatten die Thüringer Behörden nach Angaben Fleischmanns “sowohl auf polizeilicher als auch auf staatsanwaltschaftlicher Ebene” Kenntnisse von der bevorstehenden Razzia in der Wohnung des Jenaer Jugendpfarrers.
Als vor fast genau einem Jahr in Dresden das alternative Wohnprojekt “Praxis” auf der ColumbusstraßeZiel eines rechten Brandanschlags geworden war und es dabei nur einem Zufall zu verdanken gewesen ist, dass niemand verletzt oder sogar getötet wurde, konnte niemand ahnen, dass das Haus ein halbes Jahr später erneut zum Ziel rechter Attacken werden sollte. Am 19. Februar randalierten fast 200 Nazis unter den Augen der untätigen Polizei vor dem Haus, warfen mit Steinen, Flaschen und Zaunslatten zahlreiche Fensterscheiben ein und beschädigten zwei vor dem Haus geparkte Fahrzeuge. Das bis heute nicht einer der zumindest zum Teil namentlich bekannten Täter verhaftet worden ist zeigt, dass das eigentliche Ziel der Sächsischen Ermittlungsbehörden die notwendige Verhinderung antifaschistischen und zivilgesellschaftlichen Widerstandes gegen Naziaufmärsche wie denen am 19. Februar ist.
Gestern protestierten im Dresdner Stadtteil Plauen mehr als 50 Menschen lautstark gegen die Beschlagnahmung des Lautsprecherwagens der “JG Stadtmitte” und die Ermittlungen gegen den Jenaer Stadtjugendpfarrer Lothar König. Auf Transparenten und Schildern kritisierten sie die seit Monaten andauernde Praxis der Sächsischen Behörden, die erfolgreichen Protestetausender Menschen gegen einen Naziaufmarsch in Dresden im Februar zu kriminalisieren.
Ein Beispiel für diesen konsequenten sächsischen Weg der Gleichsetzung von faschistischer Ideologie mit linker Gesellschaftskritik war das vergangene Woche, als mehr als 2.000 Polizistinnen und Polizisten eine Entscheidung des Bautzner Oberverwaltungsgerichtes durchsetzten und in der Leipziger Innenstadt defacto den Ausnahmezustand verhängten. Mit der Entscheidung jeglichen politischen Protest aus polizeitaktischen Gründen zu unterbinden wird deutlich, welchen Weg Sachsen in Zukunft einschlagen wird. Wenige Stunden vor einer geplanten Kundgebung der NPD am Leipziger Hauptbahnhof hatte das Oberverwaltungsgericht nicht nur die Kundgebung, sondern auch jeden Protest dagegen verboten. Im Vorfeld hatte Leipzigs Polizeipräsident Horst Wawrzynski in seiner “Gefahrenprognose” für die Stadt eine “erhebliche Gefahr für die Ordnung und Sicherheit” gesehen und aus diesem Grund den “polizeilichen Notstand” ausgerufen. Letztendlich kamen jedoch nicht einmal 200 Nazis nach Leipzig, welche nach dem nicht mehr anfechtbaren Demonstrationsverbot in Leipzig nach Roda bei Grimma auswichen und auf dem Gelände des NPD-Landtagsabgeordneten Winfried Petzold ein Konzert durchführten. Da mutet es nur konsequent an wenn, ganz im Sinne der Trennungsprinzips, der oberste Dienstherr der sächsischen Polizei Bernd Merbitz vorhat, bei den kommenden Bürgermeisterwahlen in Leipzig als Spitzenkandidat der CDU zu kandidieren.
Ein von den Protestierenden mitgebrachtes “Care-Paket” mit Musik, Kuchen und einer Autozeitschrift für den beschlagnahmten Lautsprecherwagen lehnte Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU) ebenso ab, wie eine Stellungnahme zu dem Polizeieinsatz und den Ermittlungsmethoden der Sächsischen Behörden. Erst gestern hatte die Dresdner Staatsanwaltschaft auf Nachfrage Vorermittlungen gegen die Thüringer Landtagsabgeordneten der Linken, Katharina König, dementieren müssen.
Dem Jenaer Theologen wirft die Staatsanwaltschaft “schweren aufwieglerischen Landfriedensbruch” vor. Am 19. Februar soll aus dem von Sächsischen Beamten am Mittwoch beschlagnahmten Fahrzeug zu Gewalt gegen Polizisten aufgerufen worden sein. Die Durchsuchung der besonders geschützten Amtsräume des Pfarrers hatte nicht nur in Thüringen für Aufsehen gesorgt. Etliche Politikerinnen und Politiker hatten den Einsatz Sächsischer Beamter im benachbarten Bundesland und die Durchsuchung der Diensträume und Wohnung des Seelsorgers scharf verurteilt.
Der Initiativkreis “Sachsens Demokratie” kritisierte in einer Pressemitteilung das in Sachsen vorherrschende “autoritäre Staatsverständnis” und forderte den Innenminister zum Rücktritt auf. Die “JG Stadtmitte” forderte die Herausgabe des Kleinbusses und verwies auf die Parallelen zwischen den aktuellen Vorgängen und der Verfolgung der oppositionellen JG-Stadtmitte Jena in der DDR durch die Staatssicherheit.
Vor der Dresdner Staatsanwaltschaft versammelten sich am Donnerstag nachmittag ungefähr 80 Menschen um ihren Unmut und ihr Unverständnis zu äußern. Sie forderten eine Einstellung der Verfahren wegen der angeblichen Bildung einer kriminellen Vereinigung nach § 129 StGB und protestierten gegen die Kriminalisierung antifaschistischen Engagements in Sachsen. Vom Landgericht zogen einige Kundgebungsteilnehmer_innen später spontan über die Albertbrücke zum Alaunplatz. Grund war eine Razzia am Mittwoch im thüringischem Jena beim dortigen Stadtjugendpfarrer Lothar König. Diesem wird neben der Mitgliedschaft in einer kriminiellen Vereinigung, die in Sachsen Jagd auf Nazis gemacht haben soll, “aufwieglerischer Landfriedensbruch” vorgeworfen. So soll aus einer spontan angemeldeten Demonstration am 19. Febraur in Dresden zu Steinwürfen aufgerufen worden sein. Am Abend nach der Razzia versammelten sich in Jena bereits 500 Personen und demonstrierten ihre Solidarität mit Stadtjugendpfarrer König. Der Jenaer Oberbürgermeister sagte auf der Kundgebung vor dem Jugendpfarramt: “Ich stehe heute hier neben Lothar König und neben allen anderen, gegen die sich dieser Versuch der Einschüchterung richtet.”
Die kritischen Stimmen kommen jedoch nicht mehr nur aus den Reihen der Opposition und zivilgesellschaftlicher Initiativen. Auch der thüringische Innenminister Holger Poppenhäger (SPD) beklagteein “großes Informationsdefizit”. So lag weder ein Amthilfeersuchen der Sächsischen Beamten vor, noch wurden die thüringischem Behörden im Vorfeld informiert. Die Sächsische Polizei hat ihre Kompetenzen mit dieser Hausdurchsuchung scheinbar weit überschritten.
Der Skandal um die Funkzellenabfrage tausender Menschen um die Demonstration vom 13. und 19. Februar in Dresden ist nur noch ein Teil der fraglichen Ermittlungsarbeit der Sächsischen Behörden. Nach den Äußerungen Schröters und Poppenhäger zu der aktuellen Durchsuchung in Jena äußerte sich nun auch ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Dresden, Jan Hille und verteidigte das Vorgehen. Der taz sagte er: “Das was sich im Moment einige Politiker und interessierte Medien an Vorwürfen gegen die Staatsanwaltschaft Dresden erlauben, kannte ich bisher nur aus der rechtsextremen Ecke oder von Querulanten”. Die Reaktion erfolgte prompt von Jenas OB Schröter: “Der Vergleich der Dresdner Staatsanwaltschaft ist völlig unangebracht”, sagte Schröter der taz. “Mit solchen Feindbildern kommen wir nicht weiter. Als Demokrat bin ich aber gerne bereit, Herrn Hille zu einem Gespräch nach Jena einzuladen, um mal deutlich zu machen, welches Demokratieverständnis wir hier haben.”
Auch die Bundesarbeitsgemeinschaft Kirche & Rechtsextremismus (BAGK&R) fand scharfe Worte für das Vorgehen der sächsischen Behörden. In einer Pressemitteilung nannte man die Unterstellungen der Dresdner Staatsanwaltschaft gegen Lothar König “ungeheuerlich und ehrenrührig”. Das Vorgehen der Sächsischen Polizei “erinnert an das Vorgehen der DDR-Staatsmacht gegen oppositionelle kirchliche Gruppen in der DDR und sind durch nichts zu rechtfertigen” so ein Sprecher der BAGK&R weiter.
Die Ermittlungen rund um den 13. und 19. Februar nehmen immer größere Ausmaße an. In einem aktuellen Hintergrundbericht hat die Initiative “Sachsens Demokratie” das bisherige Ausmaß der Ermittlungen gegen mutaßliche linke Straftäter zusammengefasst. Dabei geht hervor, das die Staatsanwaltschaft seit mindestens zwei Jahren ermittelt.
Am Wochenende hat sich der ehemalige Chef des LKA Sachsen Paul Scholz in einem Artikel zur so genannten Handyaffäre in Sachsen und der EmpörungWolfgang Thierses (SPD) gegenüber einer Anzeige des Vizechefs der Polizeidirektion Oberes Elbtal/Osterzgebirge Andreas Arnold im Februar geäußert. Grund für die Anzeige des Beamten war eine Aussage Thierses, der den Polizeieinsatz zum Schutz der Nazis gegenüber dem MDR als “sächsische Demokratie” bezeichnet hatte. Daraufhin hatte neben dem sächsischen CDU-Generalsekretär Michael Kretschmer auch der Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft Rainer Wendt in der rechten Wochenzeitung “Junge Freiheit” den Rücktritt von Thierse als Bundestagsvizepräsident gefordert. Das Verfahren hatte die Staatsanwaltschaft Wochen später mit dem Verweis auf das Grundrecht der freien Meinungsäußerung eingestellt.
In seinem Brief kritisiert Scholz die Vorwürfe Thierses als “unerträglich” und wies die Vorwürfe an Polizei und Justiz als “Pauschalkritik” zurück. In Anbetracht der aktuellen Debatte zur Funkzellenabfragezehntausender Bürgerinnen und Bürger sprach sich Scholz für eine Untersuchung “mutmaßlicher Fehler beim Umgang mit rechtmäßig erhobenen Mobilfunkdaten” und vor allem für eine “Versachlichung” der Diskussion aus. Er verwies auf eine Entschließung der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder vom 27. Juli. Darin setzen sich die Datenschutzbeauftragten nach den Erfahrungen von Dresden beim Gesetzgeber für eine Einschränkung des Anwendungsbereichs des §100g unter dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und für eine nichtindividualisierte Funkzellenabfrage ein. Das Ziel soll nach Ansicht von Scholz “die Schaffung einer klaren und praxistauglichen Regelung” sein, um auch in Zukunft “schwere Straftaten” aufklären zu können.
Scholz war im Frühjahr nach mehr als 40 Jahren Arbeit bei der Polizei und davon sechs Jahren beim LKA Sachsen mit 59 Jahren in den Ruhestand getreten und durch Jörg Michaelis (CDU) ersetzt worden. Eine seiner ersten Amtshandlungen waren Hausdurchsuchungen gegen Teile der linken Szene in Sachsen und Brandenburg. Dabei wurden von der Polizei insgesamt 21 Wohnungen und Geschäftsräume durchsucht. Den Verdächtigen werden zahlreiche Übergriffe auf Nazis und die Bildung einer kriminellen Vereinigung vorgeworfen.
Ende Juli hatte sich Thierse mit einem offenen Brief in der Sächsischen Zeitung an Sachsens CDU-Innenminister Markus Ulbig gewandt. Darin warf er den an den massenhaften Datenerhebungen beteiligten Beamten und Staatsanwälten eine “Geisteshaltung” vor, die “zu einer Bedrohung für die Demonstrationsfreiheit, für den Rechtsstaat und die Demokratie werden” können und kritisierte die Ermittlungsmethoden der sächsischen Polizei als “befremdlich” und “besorgniserregend”. Den sächsischen Innenminister forderte er auf, die Bevölkerung über das “Ausmaß der polizeilichen Eingriffe in die Grundrechte der Bürger” aufzuklären.