Benutzer:Etz/Kommunikation und Rauschen

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Vorlage:Diskussion

Über die Schwierigkeiten inhaltlicher Kommunikation

In Zeiten permanenter Geräuschbelästigung

Meine Erfahrungen mit den Kommunikationsformen der Piratenpartei haben mich einen Moment innehalten lassen und jetzt zu diesen Bemerkungen geführt. Geholfen haben mir die Beiträge aus dem Redaktionsteil »Wissen« der Zeit vom 30.12.2009: »Die Wiederentdeckung der Muße«, S. 33, und die nachfolgenden.

Die Halbwertzeit der Aufmerksamkeit

Was mir zunächst auffiel, ist die geringe Halbwertzeit bei Aufmerksamkeit und Zielstrebigkeit piratigen Denkens und Handelns. Das ist nun kein Spezifikum unserer Partei, es ist vielmehr offensichtlich ein »Zeichen der Zeit«, eine - mindestens - Modeerscheinung, aber womöglich leider doch mehr. Es ist leicht und schnell möglich, Aufmerksamkeit zu erreichen, aber wenn das dann nicht sofort in eine Aktion umgesetzt wird, dann ist die Aufmerksamkeit genauso schnell wieder entglitten.

Als nur ein Beispiel dafür sei hier auf die Ringvorlesung der FU-Juristen im WS 2009/10 verwiesen: Der Hörsaal beim Vortrag Schäubles (dem ersten der Reihe) war proppenvoll, es waren auch viele Piraten da, es hatte im Vorfeld eine rege Diskussion über mögliche Aktionen gegeben, doch die Umsetzung war vergleichsweise mäßig. Die Idee, eigens T-Shirts für die Veranstaltung herzustellen und damit zu erscheinen: blieb eine schöne Idee. Immerhin waren ein paar Piraten-Standard-T-Shirts zu sehen. Was die Piraten bei dieser chaotischen Veranstaltung doch immerhin sichtbar machte, waren Aktivitäten von drei Leuten aus einer einzigen Berliner Crew: Auf DIN A2-Postern waren die Texte von Gundgesetz-Artikeln zu lesen, mit Schuhabdrücken verziert. Die Poster wurden im Foyer auf den Boden gelegt, aber leider viel zu schnell von den Kerberoi (dienstbaren Geistern) der Fakultät eingesammelt und vernichtet. Im Hörsaal selbst waren Piraten-Flyer und -Karten verteilt worden und immerhin einer hatte ein T-Shirt mit themenspezifischem Motiv an und stand für alle sichtbar in der Mitte des Hörsaals. Beim zweiten Vortrag hatte sich die Zahl der sichtbaren Piraten deutlich reduziert, aber immerhin gab es zwei papierene Transparente die zu Beginn der Veranstaltung an der Seite des Hörsaals hochgehalten wurden - Aufmerksamkeit war gesichert. Die beiden nächsten Vorträge schienen von geringerer Brisanz, dennoch war beim dritten Vortrag immerhin (mindestens) ein Pirat anwesend und berichtete anschließend auf der Wiki-Seite zur Aktion von den inhaltlichen Entgleisungen des vortragenden Jura-Profs. Zwei weitere Vorträge waren dann erneut von Mitgliedern der besonders aktiven Crew besucht worden. Doch zum letzten Vortrag, der eigentlich erneut eine deutliche Präsenz der Piratenpartei erfordert hätte, war dann am 14. Dezember wahrscheinlich niemand mehr erschienen.

Das Zerfasern der Gesprächsfäden

Was mir des weiteren auffiel, ist das Zerfasern der Diskussionsthreads in den Mailinglists und Webforen. Dabei scheinen mir die Webforen noch schlimmer als die Mailinglists zu sein, da hier zwar auch die Threads sortiert sind, aber die Zeitachse nur schwer nachzuvollziehen ist, zumal häufig sich überschneidende Themen in verschiedenen Threads Thema sind und inzwischen aufgrund der Serverprobleme auch verschiedene Themen in einem Thread »zwangsvereinigt« sind; Querverweise gibt es nicht. Dazu kommt, dass die Unzufriedenheit mit den Webforen dazu beigetragen hat, neben dem offiziellen Piraten-Forum parallele Foren unter anderen Domains aufzuziehen (z.B. AG Wirtschaft). Diese »Diskussionskultur« verhindert, dass engagierte Mitglieder und Interessenten den Gesprächsfäden folgen können und an einer Stelle ihre »2 Cents« (oder häufig auch wesentlich mehr) beitragen können, wo sie von den anderen Disputanten auch wahrgenommen werden können.

Das Zuviel an Kommunikationswegen

Kommunikatives »Multitasking« ist ja ganz schön, zum gemeinsamen Lernen (und genau das ist, was wir brauchen!) trägt es nicht bei. Für das Breittreten (oops, für die Verbreitung) von Informationen z.B. über Aktionen - vulgo: Werbung - kann es nicht genug verschiedene und auch von einander unabhängige Kommunikationswege geben, für eine inhaltliche Diskussion sollten Wege gefunden werden, die es möglich machen, zwischenzeitliche Zusammenfassungen und Resumés einzubringen. Dafür sind definierte, einheitliche Kommunikationwege nötig. Und für die programmatische Arbeit sind Instrumente wie Piratenpad, Wiki und LiquidFeedback in dieser zeitlichen Abfolge Instrumente der Wahl.

Das richtige Instrument für den richtigen Zweck

Webforen und Mailinglisten sind schöne Instrumente für zielfreie Diskussionen, für das eigene Ego und für Streitereien, die man immer schon mal austragen wollte.

Wenn ein profilbewusster und an Selbstdarstellung interessierter Pirat für seinen Blog wirbt, ist das nett und mag auch den einen oder anderen Leser dahin locken. Bloß Diskussionen der Piratenpartei finden dort nicht statt und sollten dort auch nicht erwartet werden. Und schon gar nicht darf für die Debatte in der Piratenpartei erwartet werden, dass dortiges Rauschen hier bekannt ist.

Für vorbereitende Diskussionen zu programmatischen Themen oder organisatorischen Fragen eignet sich das klassische Usenet: Ausufernde Nebendiskussionen kann man umleiten, in regelmäßigen Abständen kann man Zusammenfassungen als Antwort auf das Startposting oder die vorangegangene Zusammenfassung schreiben und damit auch denen wieder zugänglich machen, die irgendwann in einem Seitenarm des Threads die Folge-Postings ausgeblendet haben. Diese strukturierenden Eigenschaften des Usenets machen die Newsgroups jeder Mailingliste überlegen. Die inzwischen zumindest teilweise eingeführte Synchronisation von Mailinglisten, Newsgroups und einem eigenen Forum erlauben es Piraten, die aus Gewohnheit eine dieser Verbreitungsformen für Infos und Meinungen bevorzugen, in einen unmittelbaren Austausch mit jenen zu treten, die einen anderen Kommunikationsweg bevorzugen.

Für Themen- und Link-Sammlungen, auch für die Dokumentation von Zwischenergebnissen eignet sich das Wiki, vorausgesetzt, man findet auch eine disziplinierte Redaktion für die Übersichtsseiten (Bundesstartseite, Landesverbandsseiten, Startseiten für die inhaltliche Arbeit auf Bundes- und Landesebene etc.).

Und für die programatische Detailarbeit gibt es Piratenpad, das ich bei der Erarbeitung zweier Programmpapiere sehr schätzen gelernt habe: In den alten Zeiten "analoger" Kommunikation war es immer sehr schwer, in einem Kreis von vielleicht sechs Beteiligten gemeinsam zu formulieren. Schlimmstenfalls musste dann einer rausgehen und im stillen Kämmerlein das Gedankengewirr der Debatte zu einem strukturierten Text formen, über den dann hinterher die Beteiligten wieder herfallen konnten, bis ein brauchbares Ergebnis entstanden war. Piratepad schafft das schneller und direkter »digital«: Am gleichen Text kann einer in dem einen Absatz weiterformulieren, der andere in einem anderen. Irgendjemand liest, was da bislang entstanden ist, korrigiert Fipptehler und verbessert vielleicht hier oder da einzelne Formulierungen oder schlägt vor, wie Struktur und Reihenfolge sich noch verbessern lassen. Der begleitende, schriftliche Chat organisiert die Kommunikation zwischen den Beteiligten und gibt Erläuterungen zu der einen oder anderen Änderung. Solange das wirklich nur schreibend geschieht, bleibt die Konzentration auf die jeweils bearbeitete Passage erhalten, gleichzeitige Mumble-Diskussionen können Konzentration und Erfolg schmälern.

Piratenpads sind optimal für die kurzzeitige und kleinteilige Arbeit. Ein Pad, das älter als drei Tage ist, hat Schimmel angesetzt und ist für eine produktive Diskussion nicht mehr zu gebrauchen. Notwendig ist es indes, Ergebnisse aus den Pads regelmäßig und zuverlässig in dauerhaftere Medien zu übertragen: ins Wiki oder ins LiquidFeedback, wenn dort gerade eine Initiative eingestellt ist.

Mumble und Telefonkonferenzen machen die spontane Diskussion über Zwischenergebnisse möglich und können so über sich abzeichnende Alternativen und Varianten entscheiden helfen. In der Kombination mit einem Pad lassen sich solche Ergebnisse auch schnell und einfach festhalten und anschließend etwa ins Wiki übertragen.

Liquid Feedback strukturiert die Feinarbeit an einem Programm, vor allem die Gewichtung und Bewertung von Entscheidungsalternativen und die Entscheidungsvorbereitung.

Für komplexe programmatische Arbeit fehlt zur Zeit ein Tool, das die Phase vom Brain storming bis zur Erarbeitung der programmatischen Details organisieren hilft. Dieses Tool sollte, wenn man es denn für sinnvoll hält, ab einer bestimmten »Reifungsstufe« mit Liquid Feedback verknüpft sein. Ein paar Gedanken dazu, wie so etwas strukturiert sein könnte, habe ich im Dezember 2009 mal aufgeschrieben.

Disziplin ist nötig

»Don't feed the trolls!« ist ein wichtiger Appell an die Selbstdisziplin; wir können nicht verhindern, dass selbstgefällige Egomanen irgendwo auftauchen, aber unsere Reaktion darauf bestimmt, wie lange sie sich da tummeln. Es ist nichts dagegen einzuwenden, auf ein Trollposting eine Antwort zu senden, wer dann weitermachen will, darf das gern per PM tun, sollte aber den Tinnitus der Gesamtkommunikation nicht verstärken. »Don't be a troll!« ist nicht minder wichtig: Worauf sollte ich sinnvollerweise so antworten, dass alle das mitbekommen, was sollte ich besser per PM klären. Dabei können einem vereinzelt Fehler unterlaufen, das ist dann auch nicht so schlimm. Aber das einfache »reply«-Drücken ist nicht sorgfältig genug. Wenn jemandem an einem Thread liegt, dann darf der auch ruhig mal die bisherige Diskussion zusammenfassen und damit die anschließende Diskussion wieder besser strukturieren helfen. Und man sollte sich auch genau überlegen, welcher Kommunikationsweg für einen bestimmten Anlass der richtige ist.

Und jetzt dürft Ihr mich zerreißen!

Die Jagd ist eröffnet. (Aber bitte nur auf der Diskussionsseite!) aktualisiert etz 09:08, 29. Sep. 2010 (CEST)