BGE vom Kopf auf die Beine stellen!

Das BGE vom Kopf auf die Beine stellen!

– Wirtschaftliches, Soziales & Politisches –


Position von Ivo Dubiel (Jan 2016); keine Position der Piratenpartei

„Niemand suche das Seine, sondern das, was dem anderen dient.“ 1. Korinther 10, 24

Zusammengefasst:

Als Antwort auf Hartz 4 und den Wildwuchs sozialer Leistungen und Vergünstigungen ist das bedingungslose Grundeinkommen (BGE) ein logischer Vorschlag. Für die sozial vorrangige Frage, wie kehren wir die heutige Entwicklung zu weniger Demokratie um, ist es kein Beitrag. So wie bisher angedacht, hat es Klassencharakter. Es begünstigt diejenigen, die es vorschlagen.

Es bestehen keine gesellschaftlichen Erfahrungen über seine Wirkung. Die hier angedachte Alternative – Ersatz verstreuter Sozialleistungen und Vergünstigungen sowie Erstattung der Verbrauchssteuern für niedrige Einkommen durch einen Pauschbetrag plus einem Bürgergeld für Bürgerdienste (Patenschaften) – greift zurück auf gesellschaftliche Erfahrungen und Vorstellungen. Dies ist sozialer und ein Beitrag zur Demokratie.

Damit würden – wie bei allen sozialen Paradigmawechseln – in Teilbereichen bereits gewachsene, aber nicht dominante Strukturen zu tragenden Säule der Gesellschaft.

Allgemein:

Neben der Frage: „Wie soll das finanziert werden“, scheint es zum BGE keine Fragen zu geben und die Liste der Vorteile ist unendlich. Man ist entweder dagegen oder dafür, man ist Ungläubiger oder Gläubiger. Eine Diskussion ist so fruchtbar wie die mit Zeugen Jehovas. Und da das BGE entschiedene Befürworter hat, die gut organisiert ihr Anliegen pushen, ist es nicht ratsam, Bedenken zu formulieren. Daher sei dies hier versucht. Nicht im Twitter-Format.

Ein Grundeinkommen kann nicht bedingungsfrei sein. Auch das Paradies war an 2 Bedingungen gebunden. Es gibt immer Verträge mit Rechten und Pflichten. Das BGE muss beweisen, dass es notwendig ist für gesellschaftlichen Fortschritt. Die ewige Frage: „Wie soll das finanziert werden?“ ist die unwichtigste. Ist das BGE für die demokratische Entwicklung unserer Gesellschaft notwendig, muss es finanzierbar sein – unbedingt. Aber wann entwickelt sich eine Gesellschaft? Die VWL als die älteste und strukturierteste Sozialwissenschaft gibt dazu gegenläufige Antworten:

Mikro-ökonomische Nutzenmaximierung: Das bedingungslose Einkommen kann jeder verwenden wie er will, um persönlichen Nutzen zu maximieren. Dazu zählen auch selbstlosen Handlungen, denn „Geben ist seliger als nehmen“. Die Summe maximierter Einzelnutzen ergibt den maximierten Gesamtnutzen der Gesellschaft. Nicht nur Adam Smiths Lehrer Francis Hutcheson (1694-1746), Jeremy Bentham (1748-1832) und die Volkswirtschaftstheorie seit 1870 vertreten dies als Ziel. Als nach 1945 die USA (Samuelson) die Interpretationshoheit von den Briten (Marshall) übernahm und das Konzept des Allgemeinen Gleichgewichts verbindlich wurde, wurde Nutzenmaximierung die Messlatte. In einer Wirtschaft unter Wettbewerb ergibt sie sich von allein. Daher ist jeder Eingriff in die durch Wettbewerb geschaffene Situation unwirtschaftlich und unverantwortlich. Auch die Mehrheit der Piraten sieht als Ziel ein maximiertes persönliches Wohlbefinden. Historisch überleben konnten solche Systeme wohl nicht.

Makro-ökonomische Kreislaufbetrachtung: Nur eine Gesellschaft, die jedem eine politische, soziale und wirtschaftliche Teilhabe bietet, dafür aber erwartet, dass jeder an seiner Stelle zur Stärkung der Gesellschaft beiträgt, überlebt langfristig. Nur wenn ein BGE diese Wirkung hat, brauchen wir es. Um das feudale Frankreich vor der Revolution zu retten, forderten die Économistes (Quesnay, Turgot) einen Beitrag des Adels zur wirtschaftlichen Reproduktion des Landes. Ihre Sicht, Wirtschaft (und Gesellschaft) als Kreislauf zu sehen, wurde über Adam Smith, damals in Frankreich, zur Grundlage der klassische Volkswirtschaftstheorie: Wird der wirtschaftliche und soziale Output einer Periode Input der nächsten, ist er produktiv. Erhöht er nur das individuelle Nutzenmaximum, ist er unproduktiv. In diesem Sinne unterscheidet Sraffa (1960) „basics“ und „non-basics“. Die verbesserte Produktion eines „basics“ senkt seinen Preis und – da es wieder Input wird – den aller übrigen Güter; die Verbesserung eines „non-basics“ senkt nur den eigenen Preis, ist also für Wachstum unwesentlich. Das BGE kann „bedingungslos“ sein, wenn der größte Teil seiner Zahlungen „produktiv“ wirkt, „basics“ schafft, die in den Kreislauf zurückfließen. Sonst brauchen wir Bedingungen, dies abzusichern.

Wie bei Paradigmawechseln üblich: Die „klassische“ Theorie erklärte das Ziel der „neo-klassischen“ Nachfolge-Theorie - persönliche Nutzenmaximierung - als schädlich für einen wachsenden Kreislauf, denn sie kritisierte die Konsumstruktur des damals herrschenden Adels. Da dies nach 1870 auch die Konsumstruktur der neuen industriellen Machthaber kritisiert hätte, die an einem Nachweis interessiert waren, dass marktwirtschaftliche Verteilung gerecht ist, änderte sich die Theorie. Und da Nachfolger den Vorgänger im Lichte der eigenen Theorie interpretieren und damit verfälschen (Kuhn 1962), ist die neoklassische Sicht der Klassik (Lehrbücher, Wikipedia) meist Schrott. Klassisch gedacht sollte ein Grundeinkommen gesellschaftliche Arbeit leisten und öffentliche Güter schaffen, neoklassisch optimiert es persönlichen Nutzen. Perikles (490 – 429 BC), einer der Schmiede der attischen Demokratie, sagte dazu: „Wir vereinigen in uns die Sorge um unser Haus zugleich und unsre Stadt, und den verschiedenen Tätigkeiten zugewandt, ist doch auch in staatlichen Dingen keiner ohne Urteil. Denn einzig bei uns heißt einer, der daran keinen Anteil nimmt, nicht ein stiller Bürger, sondern ein schlechter ...“.

Die wirtschaftliche Seite:

Technologischer Fortschritt setzt Arbeitskräfte frei. Der 2. Ausgabe der „Principles of Political Economy & Taxation“, 1821, fügt David Ricardo das Kapitel „On Machinery“ ein mit der Aussage, technischer Fortschritt verringere die Zahl der Beschäftigen und damit die für den Kreislauf notwendige Nachfrage. Marx, die Stabilität des Kapitalismus bezweifelnd, war begeistert. Da bessere Technologie niedrigere Stückkosten und damit Export ermöglicht, können „National“ökonomen beweisen, dass technologischer Fortschritt Arbeit schafft, denn die Arbeitsplätze gehen im Ausland verloren.

Die klassische Theorie beleuchtet Wachstum, die neoklassische „gerechte“ Verteilung. Da Ricardo und Marx nur der produktive Kreislauf interessierte, entging ihnen Adam Smiths „unsichtbare Hand“ der „unproduktiven“ Arbeit. Nicht die der „Wealth“, die Ökonomen mantrahaft zitieren, als wäre sie Vorläufer ihres „Allgemeinen Gleichgewichts“, sondern die der „Sentiments“, den Ökonomen unbekannt, auch weil ihnen der Begriff „unproduktive Arbeit“ unverständlich ist: „Die Reichen … werden durch eine unsichtbare Hand geleitet, fast die gleiche Aufteilung der lebensnotwendigen Güter zu erreichen, als wären sie unter allen zu gleichen Teilen aufgeteilt. Und ohne dass sie es wollen und wissen, fördern sie den Fortschritt der Gesellschaft.“ Smiths Lob von Verschwendung und Proll-Konsum sicherte ihm im feudalen Frankreich einen freundlichen Empfang. Bei Frankreichs damaliger Einkommensverteilung und damit Konsumnachfrage arbeiteten Manufakturen und Handwerker fast ausschließlich für Adel und Kirche, also unproduktiv. Die Économistes nannten sie daher „classe stérile“, beschimpften politisch korrekt die Produzenten und nicht die nachfragende Klasse, den eigenen parasitären Adel, der reformiert gerettet werden sollte. Damals meist Dienstpersonal der Reichen, sind heute die „Unproduktiven“ in prekäre Arbeitsplätze ausgelagert. Der größte unproduktive Arbeitgeber ist heute der Tourismus. Aber die reichsten 10 % könnten heute 50 % der Bevölkerung als Personal einstellen, ohne ihr Vermögen erheblich zu mindern.

Als die Dampfmaschine „produktive“ Pferde überflüssig machten, gab es bald keine Pferde mehr. Heute haben wohlhabende Ländern mehr Pferde als jemals, aber unproduktiv als Freizeitvergnügen. Jeder Reiter legt Wert auf ein wohlgenährtes Pferd, seine Freizeitaktivitäten aber sollen Menschen billig ermöglichen. Aber sowohl „unproduktive“ Pferde wie Menschen stehen in der nächsten Krise auf der Streichliste, denn für den Kreislauf sind sie überflüssig.

In der Weltwirtschaftskrise empfahl Keynes (1936) staatliche Arbeitsprogramme, um Nachfrage zu schaffen für brach liegendes Kapital. Wenn einige Löcher buddeln, die andere bezahlt zuschütten (unproduktive Arbeit), erhöht sich die Konsum-Nachfrage und der Anreiz für Kapitalisten, ihre produktiven Anlagen wieder anzuwerfen. Da Roosevelts „New Deal“ (Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen) erst vom Obersten Gerichtshof und später von Konservativen beider Parteien blockiert wurde, brauchte er den Krieg mit Japan und Deutschland, um 1941 Vollbeschäftigung zu erreichen – Geschichtsbücher sehen das anders. Was Keynes als Maßnahme für Krisen erdachte, ist in Zeiten, in denen Technologie immer weniger Arbeit nachfrägt, eine Dauermaßnahme. Das BGE ist daher überlebenswichtig, für die Ausgegrenzten und für die Wirtschaft.

Die Funktion, zusätzliche Nachfrage zu schaffen, erfüllt das BGE nur, wenn es nicht durch Konsumsteuern finanziert wird. Ein über die Mehrwertsteuer finanziertes BGE erhöht das BGE. Es schont die Vermögenden, deren Konsumquote unter 20% liegt. Es verarmt die noch gut Verdienenden, die schlecht Bezahlten und Einkommenslosen, um sie über ein BGE zu entschädigen.

Nach GG Art. 14,2 soll Eigentum der Allgemeinheit dienen. Wie andere Teile des GG ist dies nur Papier. Deutschland ist Europas Paradies der Reichen und hat – mit der höchsten Vermögenspolarität – die Vermögenssteuer ausgesetzt. Die Vermögenssteuer ist eine Doppelbesteuerung und besteuert nochmals, damit Vermögen wieder Teil des Wirtschaftskreislaufs wird und eine Rendite über der Vermögenssteuer erzielt. Unproduktive Vermögen werden bestraft. Das BGE sollte über eine Vermögenssteuer finanziert werden oder aus Einkommen aus Vermögen. Dies mindert die laufende Vermögenspolarisation und entlastet den wirtschaftlichen Druck auf die Demokratie.

Polarisiertes Einkommen bestimmt über die Nachfrage – wie im feudalen Frankreich –, welche Güter produziert und welchen Märkten technologische Forschung gewidmet wird. Letztlich werden sich die 1 % der Reichen nicht von den 99 % der Anderen politische und wirtschaftliche Entwicklungen vorschreiben lassen. Ihre Lobby schreibt heute, was morgen Parlamente als Gesetz absegnen. Nur eine direkte und kostspielige Demokratie – ohne Repräsentanten – trennt wirtschaftliche und politische Macht und schafft ein Gegengewicht. Es erlaubt der Gesellschaft, ihre Zukunft selbst zu bestimmen – Fehlentscheidungen nicht ausgeschlossen. Für diese demokratische Zukunft ist das BGE, wie bisher angedacht, kein Beitrag.

Zur Erinnerung: Vor dem 1. Weltkrieg bestand eine 2 Klassengesellschaft. Daher begann Walter Rathenaus „Die neue Gesellschaft“ (1919) mit der Feststellung: „Gibt es ein Merkmal für die vollendete Sozialisierung einer menschlichen Gesellschaft ? Ja, es gibt eines, ein einziges: das Aufhören des arbeitslosen Einkommens.“ Die „Euthanasie der europäischen Kapitalisten“ (Piketty 2013) mit der Zerstörung ihrer Vermögen durch 2 Weltkriege, den Kalten Krieg und die Weltwirtschaftskrise erfüllte Rathenaus Wunsch. Das Verhältnis Vermögen/Sozialprodukt fiel vom 7-fachen auf das 2 bis 3-fache. Diese egalitärere Gesellschaft ermöglichte etwas Demokratie. Es bestand Vollbeschäftigung, denn Kriege sind gigantische (unproduktive) Konjunkturmaßnahmen.

Der Weg zurück in die wirtschaftliche und gesellschaftliche Polarisierung vor 1914 begann 1980 mit dem Zerfall der UdSSR. Seitdem wird schrittweise stakeholder value durch shareholder value ersetzt. Die „Friedensrendite“ landete in den Taschen der Reichen. Die Folgen für die „Demokratie“ sind in den USA vorgezeichnet. In dieser formalem Demokratie bestimmt Wirtschaft und nicht Volk. Regierungs- und Wirtschaftsvertreter entstammen der gleichen Elite und sind auswechselbar. Begrenzung von Wahlspenden erklärt der Supreme Court als nicht verfassungsgemäß. Wahlen werden zum Zirkus. Presse berichtet über einen toten Hund, aber nicht über politische Kontroversen. „Demokratie“ wird ein Rechtsstaat ohne informierende Presse, ohne informiertes Volk, aber mit vollen Gefängnissen mit denjenigen, die mit diesem Staat nichts gemein haben.

Das Soziale:

Das BGE ermöglicht zu überleben: ohne Not und mit begrenzter sozialer Teilhabe. Schauspieler sind begeistert: Seit Beginn ihres Studiums wissen sie, dass sie zu 90 % arbeitslos sein werden. Aber ihr Beruf ist Berufung und mit BGE können sie auch umsonst schauspielern. Bildungsbürgern geht es ähnlich: Auch sie wissen, was zu tun ist, sollten sie arbeitslos werden. Das BGE schaufelt diesen Bürgern Freiheit frei, denn das Regulativ einer gesellschaftlichen Nachfrage fällt weg.

Anders geht es „Arbeitern“. Ihr Selbstbewusstsein ist nicht Ergebnis ihrer (Ein-)Bildung, sondern der Mitwirkung im wirtschaftlichen Kreislauf. „Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will“ (1863). Und nun sind sie überflüssig oder in prekären Beschäftigungen. Das BGE lässt sie leben, gibt ohne Arbeit ihrem Leben aber keinen Sinn. Angestellte stellen sich nur an und haben eigentlich Wichtigeres zu tun. Arbeiter verstehen sich über eine Arbeit mit angemessenem Verdienst. Dass sie angemessen verdienen, zeigen sie durch bessere PKWs, Kleidung und anderem – ähnlich dem französischen Adel; sie bezahlen es mit einer geringen Konsumbreite. Nach dem Krieg aßen viele Bildungsbürger „Butter“ auf subventioniertem Kommissbrot, bei Arbeitern gab es oft „gute Butter“ und Weißbrot.

Selbst wenn ein BGE prekäre Löhne aufstockt zu einem auskömmlichen Betrag, eine soziale Anerkennung ist dieser Lohn nicht. Für Unternehmer ist es eine Lohnsubvention und für das Ausland Lohndumping, dass mit europäischem Recht kollidiert. Entwicklungs-ländern raubt es den einzigen Standortvorteil: niedrige Löhne. Aber so ist Entwicklungshilfe: Exporte als Nahrungsmittelhilfe, um die einheimischen Bauern zu ruinieren.

Die Rücksicht auf die „stake holder“ – Beschäftige, Kunden, Lieferanten, Staat – ist mit dem Kalten Krieg leider vorbei und nur „shareholder“ zählen. Seit 1980 verschlechtern sich Löhne und Arbeitsbedingungen. Prekär Beschäftigte und Arbeitslose werden gesellschaft-lich ausgegrenzt. Ein BGE erleichtert ihr Leben und vertieft seine Sinnlosigkeit. Selbstbewusstsein durch Konsum ist nur gebremst möglich. Daher wählen diese Gruppen auch nicht mehr. Staat und Stadt wurde das Ding der anderen.

Wie lebt man ohne Lebensplan? Wenn man sich überflüssig fühlt? Wer immer kommt und dich in seine Kameradschaft aufnimmt, er hilft. Ganz gleich, ob das religiöse oder politische Extremisten sind – ihre Kameradschaft gibt Leben wieder Sinn. Neo-Nazis und Islamisten waren vorher meist nur perspektivlose Menschen. Die hervorragende Jugend- und Sozialarbeit dieser Gruppen formte sie um. Aber sie sind nur die Spitze eines wachsenden Eisbergs. Mit „weiter so“ im politischen System werden Teile der Ausgeschlossenen häufiger mit Randale an ihre Existenz erinnern. Das System antwortet mit Repression und Kontrolle aller Bürger. Die USA haben damit begonnen. Kameras überall wie in England werden die Regel. Piraten kümmern sich um die Inklusion von Blinden und Rollstuhlfahrern (ohne zu fragen, wie oft die Rampe benutzt wird). Die wirtschaftliche und soziale Inklusion der sich politisch und sozial ausgeschlossen Fühlenden scheint kein Thema. Und sie wird durch das BGE nicht erreicht. Im Gegenteil, es ermöglicht die Mitarbeit in anti-demokratischen Gruppen.

Das Politische:

„Volksherrschaft“ klingt zu radikal. Daher sei von „Demokratie“ gesprochen als der befristeten Delegation der Volkssouveränität [superanus = über allem stehend] an Politiker. Gemäß „Bundesanstalt für politische Bildung“ haben wir eine „gemäßigte Demokratie“, denn wenn das Volk unmäßig mitregieren würde …? Theodor Heuss und die konservativ-christlichen Parteien stimmten für Hitlers Aussetzung der Demokratie, um der „Straße“ den Mund zu verbinden. (Heuss moserte auch gegen „schlechte Juden“.) Im GG gibt es keine Volksentscheide, denn „das Volk ist ein bissiger Hund“ (Heuss in den Beratungen zum GG). „Führer befiehl, wir folgen!“, hieß es früher; „Auf den Kanzler kommt es an!“ später. Das Volk war nie gefragt.

Nach einer Hoffnungsphase mit hoher Wahlbeteiligung sinkt die Wahlbeteiligung stetig. Politiker machen ihren Job, das Volk findet sich da nicht wieder. Es will politisch sein, aber nicht durch Parteien kanalisiert. Die Gesellschaft spaltet sich in „wir“ und die „anderen“. Nicht-Wähler haben häufig eine prekäre oder keine Arbeit, einen Job, aber keinen Beruf(ung), einen niedrigeren Schulabschluss und – aufgrund von mehr Frustration und Süßigkeiten – oft ein höheres Gewicht. Die Korrelation ist nicht perfekt, aber signifikant. Ob BGE oder Maastricht-Verträge: wendet man gleiche Maßnahmen und Regeln auf unterschiedliche Strukturen an, hat das unterschiedliche Folgen. Das BGE lässt Bildungsbürger ihrer Berufung frönen, die „anderen“ nur überleben.

Solon (638-558 BC), im Krieg zwischen Adel und Bauern zum Mediator gewählt, enteignete nicht wie gefordert den Großgrundbesitz, sondern trennte wirtschaftliche und politische Macht durch eine direkte Demokratie mit Gleichheit aller Stimmberechtigten – allen, die im Krieg ihren Nacken riskierten. Öffentliche Ämter – mit Ausnahmen – werden durch das Los besetzt, damit jeder nicht nur regiert wird, sondern, wenn ausgelost, mitregiert. Diese Demokratie war stabil, aber teuer. 20 % der Athener hatten ein öffentliches Amt inne und erhielt dafür die Hälfte eines gut bezahlten Tageslohns. Die Ärmeren, da sie die Mehrheit waren, bestimmten in der Volksversammlung und stellten auch für die Auslosung der Ämter die meisten Kandidaten. Ihre Bedeutung für diese Demokratie ist kein Zufall: Es waren Athens Kriegs-Triremen mit den Armen als Ruderer, die militärischen Erfolg brachten. Ob sich Arme ohne technologische Machtbasis demokratisch durchsetzen können, ist offen.

Eine direkte Demokratie heute sollte wie in Athen beides sein: Ein System der Willensbildung – die Ärmeren sind die Mehrheit – und ein Mechanismus, die Ärmeren als Teil der Gesellschaft abzusichern. Das Problem ist nicht, den „Gebildeten“ durch ein BGE Freiräume zu schaffen, sondern die sich von der Gesellschaft ausgeschlossen Fühlenden für die Gesellschaft zurück zu gewinnen. Dies kann ein umfassendes System von Patenschaften – ein Bürgerdienst – erreichen, in das sich jeder Bürger einschreiben kann. Er verpflichtet sich, gemäß seinen Fähigkeiten und Anlagen der Gesellschaft Dienste anzubieten und erhält dafür ein Grundeinkommen. Kinder, Jugendliche, Eltern, Greise und Benachteiligte können eine Freistellung von Verpflichtungen beantragen.

Unabhängig von diesem Bürgergeld für Bürgerdienste sollte allen bedingungslos ein Betrag ausgezahlt werden, der nicht zum Leben reicht und nur dazu dient, das Steuersystem zu vereinfachen, die zahllosen Freibeträge für niedrige Einkommen zu streichen und soziale Subventionen überflüssig zu machen. Diese Zahlung ist auch eine flat-Rückerstattung von Verbrauchssteuern für Einkommen unter der Armutsgrenze. Niedrige Einkommen werden nicht besteuert, warum sollen diese Bürger dann Verbrauchssteuern zahlen? Diese Erstattung ist zu versteuerndes Einkommen. Die Mindestlöhne könnten dann etwas sinken, damit mehr unqualifizierte Arbeit nachgefragt wird. Die geniale Idee, durch ein BGE den Wildwuchs an Besteuerung und Subventionierung zu ersetzen und gleichzeitig eine soziale Frage zu lösen, sollte entkoppelt werden.

Patenschaften und soziales Handeln prägen seit langem unsere Gesellschaft und lösen Probleme, die gewerblich nicht lösbar scheinen. Mit dem Bürgerdienst wird daraus eine tragende Säule der Gesellschaft. Man kann und soll die Einzelheiten dieses Elements ausspinnen und verfeinern. Eingeführt werden sollte es aber nicht als komplexes System, sondern auf Sicht erweitert, vertieft und verändert werden. Zu Beginn sollten bestehende Systeme sozialen Handeln zusammengefasst und dann neue Bereiche eingeführt werden. Schrittweise können Teile des öffentlichen Dienstes zu Bürgerdiensten werden. Lehren aus dem früheren Zivildienst müssen mitgedacht werden.

Das bedingungslose Grundeinkommen als steuerliche Erstattung zusammen mit der Zahlung für die Mitarbeit im Bürgerdienst muss ein Einkommen ergeben, dass gesellschaftliche Teilhabe ermöglicht. Kostengünstige Angebote des Bürgerdienstes erleichtern dies. Damit nicht nur gemeinsam gearbeitet, sondern auch gemeinsam gefeiert wird, erhielten in Athen Theater-Besucher ein Tagegeld. Wollen wir, dass jeder sich in seinem Vorgarten vertrödelt, oder wollen wir einen gigantischen Flashmob?


Persönliches PS:

Dieser Text entspringt meinen Bauchschmerzen mit üblichen Darstellungen. Verschiedene Feststellungen des Textes bedürfen eines Apparates von Literaturhinweisen und Fußnoten, der leicht 500 Seiten ausmacht. Unter dubiel@t-online.de gebe ich gerne Erläuterungen.

Eine Powerpoint-Präsentation – ohne Kommentar –, ähnlich aber anders, unter: https://www.dropbox.com/s/derrw94g4ay73vf/Theoretische%20Begr%C3%BCndung%20des%20BGE.pptx?dl=0

Als Volkswirt Jahrzehnte in Entwicklungsländern tätig, musste ich über Wachstum und Kreisläufe nachdenken. Da nur die klassische Theorie wachstums-orientierte Begriffe liefert, war meine Konfrontation mit der konventionellen Theorie zwangsläufig.

Konventionell heißt Wachstum: „Gleichgewichtiges Wachstums“, d.h. alle Proportionen bleiben gleich und niemand gewinnt auf Kosten anderer. Denn gewinnt jemand durch den Verlust anderer, ist dies „unwissenschaftliches“ Wachstum, da Gewinn und Verlust nicht verglichen werden können. Daher sind Volkswirten „Win-Win“-Angebote wichtig. Europa entwickelte sich „unwissenschaftlich“, denn Adel, zeitweilig die Arbeiter und vor allem die „Entwicklungsländer“ verloren.