EU-Konsultationen
Wozu braucht man Konsultationen?
Entgegen anders lautender Gerüchte ist es in der Politik tatsächlich üblich, vor wichtigen Entscheidungen, die "Betroffenen" um Rat zu fragen. Normalerweise geschieht dies, indem Verbände und Institutionen, die eben diese repräsentieren (vulgo: "Lobbyisten"), um eine Stellungnahme gebeten werden.
Daran ist so weit noch nichts verwerfliches. Z. B. bei Änderungen im Verkehrsrecht ist der ADAC sicher ein kompetenter Ansprechpartner, bei Fragen zu Tarifverträgen sollte man sicher die Gewerkschaften fragen, usw.
Das Problem ist jedoch, dass es viele Interessengruppen gibt, die keine schlagkräftige "Lobby" haben. So besteht die Gefahr, dass diese Betroffenen nicht angehört werden.
Außerdem genügt die bisher übliche Vorgehensweise, Vertreter der Lobbyisten einzuladen, und Alles im sprichwörtlichen "Hinterzimmer" zu besprechen, nicht den heutigen Anforderungen an Transparenz und Nachvollziehbarkeit. Deswegen musste ein neues Verfahren her: die öffentliche Konsultation.
Hierbei werden die Betroffenen (neusprech: "Stakeholders") aufgefordert, zu einem Thema ihre Meinung einzureichen, bzw. einen Fragenkatalog zu beantworten. Die Eingaben werden am Ende veröffentlicht, es sei denn, der Einreicher kann darlegen, dass die Veröffentlichung in irgendeiner Weise gegen seine "berechtigten Interessen" verstößt.
Man muss sagen, dass der Ansatz, den die EU hier geht, aus vielerlei Hinsicht lobenswert ist. Es wäre wünschenswert, wenn andere Behörden Ähnliches tun würden (vielleicht eine Idee für unsere Stadträte – und hoffentlich bald auch Landtagsabgeordneten - etwas Ähnliches auf der jeweiligen Ebene einzuführen!)
Leider kann man das nicht immer über die Durchführung sagen. Hier wird viel geschludert oder gemauschelt. Mehr dazu weiter unten.
Wie funktionieren EU-Konsultationen?
Wenn ein Kommissions-Referat eine Konsultation durchführt, wird diese an verschiedenen Stellen auf den Servern der EU-Kommission veröffentlicht. Die wichtigste Seite ist die Konsultationsseite auf "Ihre Stimme in Europa", wo (zumindest theoretisch) alle Konsultationen erscheinen sollten. Außerdem versuchen wir, für Piraten interessante Konsultationen auf der Seite Lobbying aufzulisten.
Bei der Veröffentlichung wird ein Schlussdatum angegeben, bis zu dem die Eingaben angekommen sein müssen. Üblich ist ein Zeitraum von ca. 6–8 Wochen. Eingaben, die nach dem Schlusstermin ankommen, müssen nicht mehr berücksichtigt werden (man kann aber eine Ausnahme erhalten, falls z. B. gerade mal der Computer abgestürzt war …)
Die Eingaben werden am Ende veröffentlicht (meist auf dem "Circa"-Server, der leider recht chaotisch organisiert ist). Es sollte ein Link auf das richtige Verzeichnis auf der Konsultationsseite erscheinen. Das kann ein paar Wochen dauern, aber wenn ca. 2 Wochen nach Konsultationsende noch nichts erscheint, kann man ja mal nachfragen…
Noch später (kann einen Monat oder mehr dauern) sollte dann eine Auswertung der Eingaben erscheinen, in der die vorgebrachten Argumente und Bedenken zusammengefasst wurden. Dies ist sozusagen das Ergebnis der Konsultation. Wenn da nach spätestens 3 Monaten noch Nichts erschienen ist, sollte man auch hier einmal nachfragen.
Gewöhnlich dienen diese Konsultationen dazu, direkt oder indirekt irgendeinen Gesetzes-Vorschlag vorzubereiten. Es lohnt sich also, danach ein Auge auf die Veröffentlichungen in diesem Bereich zu behalten, und gegebenenfalls nachzuhaken, wenn man findet, dass die vorgebrachten Argumente nicht hinreichend berücksichtigt wurden.
Wer kann teilnehmen?
Offiziell richten sich die meisten Konsultationen an "Interessenvertreter". Dieser Ausdruck suggeriert manchem vielleicht, es könnten wieder nur die o. g. "Lobbyisten" teilnehmen, tatsächlich kann Jeder – Privatperson oder Organisation – der auf irgend eine Weise ein Interesse an der Sache hat, teilnehmen.
Einige wenige Konsultationen sind explizit nur an eine relativ spezielle Zielgruppe gerichtet (z. B. "Regierungsbehörden" oder "Mittelständische Unternehmen"). Obwohl es prinzipiell möglich ist, die Zielgruppe so einzuschränken, sollte das niemanden davon abhalten, trotzdem seinen Kommentar abzugeben – zusammen mit einem Statement, das klar macht, dass man von diesem Thema betroffen ist, und einer Beschwerde über die Wahl der Zielgruppe. Schaden kann es nicht.
Grundsätzlich gilt: Wer sich angesprochen fühlt, sollte nicht zögern, seine Meinung kund zu tun. Selbst wenn es aus irgendeinem Grund nicht akzeptiert wird (nachhaken, beschweren!), so bekommt es i. A. zumindest ein zuständiger EU-Beamter zu Gesicht, und hat Gelegenheit, sich mit einer anderen Ansicht des Themas auseinanderzusetzen. Besser als noch ein Blog- oder Forumsbeitrag ist das allemal.
Warum sollte ich teilnehmen?
Manch einem genügt es ja, seine Meinung im Blog, Forum oder auch im IRC abzugeben. Manch einer pflegt auch gerne seine Vorurteile und möchte erst gar nicht mit der schnöden Realpolitik konfrontiert werden.
Wer aber Politik als "sich einmischen" versteht, der findet hier eine gute Gelegenheit mit vergleichsweise geringem Aufwand etwas zu bewirken.
In einfachsten Fall kann ein Beitrag nicht mehr sein als eine e-Mail, und nicht länger als ein üblicher Forumsbeitrag. Mit anderen Worten: wenn Du schon einmal einen guten Blog-Eintrag zum Thema verfasst hast, kannst Du ihn auch direkt an die Entscheider schicken. Falls nicht, wäre jetzt eine gute Gelegenheit, ihn zu schreiben.
Falls du nicht weißt, wie du deine Bedenken ausformulieren sollst, kannst du auch auf unserer Seite zu aktuellen Konsultationen vorbeischauen und dich inspirieren lassen. Zu aktuellen Konsultationen finden sich dort Beispielantworten für die wichtigsten Fragen.
Wie schreibt man eine Eingabe?
Im Prinzip gibt es keine Vorgabe, wie so eine Eingabe aussehen muss. Wenn Du möchtest, kannst Du sie also auch auf eine Toilettenpapierrolle schreiben und diese persönlich abgeben. Meistens dürfte eine e-Mail aber einfacher sein.
Grundsätzlich hilft es aber, die folgenden Dinge zu berücksichtigen:
- Das ist nicht der Rahmen, um Grundsätzliches zu Europa, zu einem wie-auch-immer gearteten Demokratiedefizit, oder zur allgemeinen politischen Situation zu schreiben. Beschimpfungen sind der beste Weg, um im Papierkorb zu landen, und Drohungen (auch das gibt es immer mal wieder) führen je nach Formulierung und Laune des Empfängers entweder wieder in den Papierkorb, oder sogar zu einem Besuch beim Staatsanwalt.
- In einer Konsultation geht es prinzipiell nur um eine, sehr spezielle, Sache. Eingaben, die thematisch nicht genau passen, wandern höchstwahrscheinlich direkt in den Papierkorb.
- Auf gut Englisch: get your facts right! – Bevor Du dich hinsetzt und die Eingabe schreibst, solltest Du die Fakten überprüfen. Leider werden in Foren und in der Blogosphäre oft obstruse "Wahrheiten" weitergereicht, die oft wenig mit der Realität zu tun haben. Zumindest die passenden Seiten auf dem Web-Server der Kommission sollte man vorher schon gelesen haben (bei der Suche nach relevanten Seiten hilft übrigens Europe Direct gerne weiter).
- Grundsätzlich dürfen Eingaben in allen offiziellen EU-Sprachen gemacht werden. Meist ist es aber sinnvoller, eine der drei Arbeitssprachen der EU zu benutzen, also Englisch, Französisch oder Deutsch (in dieser Reihenfolge!). Ich würde Englisch benutzen, aber gutes Deutsch ist wahrscheinlich besser als schlechtes Englisch!
- Eine Konsultation ist keine Volksabstimmung. Weder hilft es, wenn Du viele Unterschriften bekommst, noch wenn deine Freunde dutzende oder gar hunderte gleich lautende Eingaben abschickt. Diese kommen wahrscheinlich auf einen eigenen Stapel, und werden dann wieder als eine Eingabe betrachtet.
- Umgekehrt kann es aber nützlich sein, wenn man sieht, dass dieses Problem vielen Bürgern wichtig ist. Wenn nun aber dutzende ähnliche Eingaben aus Castrop-Rauxel (oder sonstwo her) kommen, dann ist es natürlich jedem klar, dass da eine Piraten-Crew dahinter steckt. Anders ist es, wenn zahlreiche E-Mails aus allen möglichen EU-Ländern eingehen... schreibt also auch euren Piraten-Freunden in Schweden, Spanien, Bulgarien, etc., was zu tun ist. Seht nur bitte zu, dass jeder einen eigenen Text formuliert, sodass es nicht zu sehr nach einem organisierten Event aussieht.
- Der Beamte, der deine Eingabe lesen wird, ist Dein Freund! Ehrlich! Er weiß es nur noch nicht :-) Überzeuge ihn! Erkläre ihm die Sachlage klar, deutlich und vor allem in einem freundlichen Ton. Gib ihm die richtigen Argumente, mit denen er zu seinem Chef gehen kann, um zu sagen: "Schau Dir das mal an, ich glaube, der hat recht!"
- Versuche, möglichst einen Aspekt (oder auch mehrere) einzubringen, der von Anderen bisher nicht oder nur beiläufig erwähnt wurde. Erkläre ihm, warum Argumente der Gegenseite in diesem speziellen Fall nicht greifen. Vermeide Gemeinplätze und Verallgemeinerungen. Anders gesagt: versuche, vollständig und logisch zu argumentieren.
- Es kann helfen, das Thema vorher mit deinen Freunden zu diskutieren, um eine gute Argumentationslinie zu finden. Rede auch manchmal mit jemandem, der eine andere Meinung hat, und versuche seine Denkweise zu verstehen. Das wird Dir helfen, auf diese Argumente besser einzugehen.
- Wenn Du Jurist bist, kannst Du auch gerne mit den entsprechenden Paragraphen um dich werfen; als Laie blamiert man sich da eher recht schnell. Lass es einfach, argumentiere lieber mit dem gesunden Menschenverstand!
- Die Eingaben sollen elektronisch veröffentlicht werden. Briefe muss man dazu erst einscannen – das kostet Zeit und Mühe, und steigert die Wahrscheinlichkeit, dass der zuständige Beamte meint, das Dokument sei ohnehin nicht wirklich relevant...
- E-Mails werden in das PDF-Format konvertiert (manchmal sogar erst ausgedruckt und dann gefaxt!) und sehen dann meist einfach Sch..e aus. Besser Du schickst gleich ein PDF mit hübschem Briefkopf und allem.
- Schau dir andere Eingaben an, um zu sehen, wie andere das machen. Hier z. B. eine Übersicht über verschiedene Konsultationen zum Thema: Copyright – insbesondere lesenswert: die Eingaben der Pirate Party International und Ung Pirat (beide PDF).
Sonderfall: Web-Forumular
Einige Konsultationen – meist gerade solche, die sich an die Allgemeinheit richten - scheinen keine freien Eingaben zu erlauben, sondern verweisen auf ein Web-Formular, das klare Vorgaben macht, was einzugeben ist (sog. IPM-Formular).
Prinzipiell gilt auch hier das Gleiche wie schon oben: Nur Eingaben zur Sache machen, etc. mit den folgenden Besonderheiten:
- IPM hat ein eingebautes Statistik-Modul, mit dem es leicht geht, statistische Auswertungen der Ergebnisse zu erhalten. Das kann manche Beamte dazu verführen, vor allem graduelle ("Auf einer Skala von 1 bis 5 …") oder "Ja/Nein"-Fragen zu stellen, und dann nur eine quantitative Auswertung durchzuführen. Wenn es also vor allem solche Fragen gibt, kann es sich lohnen, wenn möglichst viele deiner Freunde an der Umfrage teilnehmen ;-)
- Die Ergebnisse werden dann im IPM-Modul veröffentlicht. Auch hier muss die URL auf der Konsultationsseite bekannt gegeben werden.
Bei längeren Formularen, mit vielen Freitext-Seiten, kann es sich lohnen, die Fragen erst einmal heraus zu kopieren oder auszudrucken, und dann in einem Text-Editor deiner Wahl vorweg zu beantworten. Ansonsten kann es schon mal passieren, dass es ein Session-Timeout gibt, und die ganze Arbeit umsonst war…
Am Ende erhält man die Möglichkeit, die Daten, die man gerade abgeschickt hat, auszudrucken. Das kann sinnvoll sein, falls man sich nachher beschweren möchte. Zumindest die "Case-Number" (eine eindeutige ID für die Eingabe) sollte man aufheben.
Übrigens gibt es keinen Grund, warum man nicht zusätzlich zu der Formulareingabe noch eine "Klarstellung" per E-Mail schicken kann. Gerade wenn man der Meinung ist, dass der Fragebogen der Sache nicht gerecht wird, oder um der eigenen Sache noch etwas mehr Gewicht zu geben, kann das sogar sehr hilfreich sein.
Registrierung als "Interessenvertreter"
Die EU versucht einigen Auswüchsen des Lobbyismus entgegenzutreten, indem sie Lobbyisten mit sanftem Druck dazu bringen möchte, sich im Register der Interessenvertreter einzuschreiben.
Eines der Druckmittel ist, dass Eingaben von Organisationen, die hier nicht registriert sind, prinzipiell als "private" Eingaben betrachtet werden. Was das bedeutet ist allerdings nicht bekannt.
Wenn Du also ohnehin als Privatperson schreibst, hast Du nichts davon, dich zu registrieren. Im Prinzip spräche ja nichts dagegen, die eigene Crew zu registrieren, aber vermutlich spricht auch nichts dafür.
Was passiert danach?
Wenn Du deinen Beitrag per E-Mail abgeschickt hast, solltest Du eine Empfangsbestätigung erhalten. Falls nicht, nachfragen und gegebenenfalls nochmal abschicken.
Nach dem Ende der Konsultationsfrist werden die Eingaben veröffentlicht. Dies sollte theoretisch "zeitnah" passieren, aber häufig wird das erst einmal verschlampt. Um zu sehen, was die anderen eingegeben haben, muss man also erst ein bisschen warten (und notfalls noch einmal nachfragen: "Wann werden die Eingaben veröffentlicht?").
A-propos nachfragen: Fragen kostet Nichts und hilft dabei, noch einmal explizit auf den eigenen Beitrag aufmerksam zu machen. Das sollte natürlich nicht dazu ausarten, dass die Beamten genervt werden. Das hätte dann nämlich den gegenteiligen Effekt.
Nach nochmal ein paar Wochen (spätestens) sollte auch eine Auswertung der Ergebnisse angefertigt werden. Diese ist nicht immer öffentlich, aber sie sollte es sein, und wenn sie nicht veröffentlicht wird, kann man auch hier einmal nachfragen, warum das nicht so ist.
Jetzt kommt der Clou: in dieser Auswertung müssen alle relevanten Argumente, die im Laufe der Konsultation eingebracht wurden, beachtet werden. Solltest Du das Gefühl haben, Du wurdest vergessen, oder deine Argumente wurden nicht richtig beachtet, wird es Zeit, noch eine E-Mail zu schicken.
Mehr noch: Normalerweise werden diese Konsultationen ja nicht nur zum Spaß und zur Freude durchgeführt, sondern, um in naher Zukunft einen Gesetzesvorschlag auf die Bühne zu bringen. Beobachte also, was die EU-Kommission in dem Bereich tut, und falls Du den Eindruck hast, deine Argumente wurden in dem Vorschlag nicht oder nicht hinreichend beachtet, hast Du nun gute Munition, um dich nochmals zu beschweren.
Dies könnte übrigens auch der Zeitpunkt sein, einen oder mehrere Abgeordnete des Europaparlamentes einzubeziehen. Die Erfahrung zeigt, dass es da einige gibt, die der Kommission gerne mal auf die Füße treten, falls sich eine gute Gelegenheit ergibt.
Probleme mit Konsultationen
Wie schon oben erwähnt läuft natürlich nicht immer Alles wie es sein sollte. Das ist meist keine böse Absicht, sondern man versucht eben, den Weg des geringsten Widerstandes zu gehen, oder es liegt auch häufig daran, dass die Durchführung gerne "Neulingen" überlassen wird, welche die Prozeduren noch nicht so gut kennen.
Unter anderem:
- Während die meisten Einreichungen problemlos veröffentlicht werden, nutzen einige Lobbyisten gerne (und anscheinend auch aus Prinzip) die Möglichkeit, ihre Eingabe vertraulich behandelt zu haben. D. h. sie verweigern die Veröffentlichung.
Dabei sehen die Regeln ganz klar vor, dass dies gut begründet werden muss. Eine solche Begründung fehlt leider meist.
Leider bekommt man als Bürger davon meist wenig mit. Der einzige Hinweis, dass eine Eingabe fehlt, ist oft, dass die Zahl der Eingaben (auf der Konsultationsseite) von der Zahl der Veröffentlichungen abweicht. Im Zweifelsfall kann man ja mal nachfragen, wieviele nicht-öffentliche Eingaben es gab, wer diese eingesandt hat (diese Information ist durchaus öffentlich!) und mit welcher Begründung der Veröffentlichung widersprochen wurde.
Auch wenn in den meisten Fällen keine Mauschelei dahinter stecken dürfte, sondern einfach, dass der zuständige Beamte keinen Rechts- oder sonstigen Streit vom Zaun brechen wollte, indem er die Begründung ablehnt, sollte man das nicht so einfach durchgehen lassen.Im Zweifelsfall kann man ja mal hinschreiben und fordern, dass nicht-öffentliche Eingaben, bei denen dies nicht hinreichend begründet wurde, nicht berücksichtigt werden.
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