Benutzer:Rainer Klute/Interview ERF 2009-09-12

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Version vom 12. September 2009, 09:28 Uhr von imported>Rainer Klute
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Vom CDU-Wähler zum Piraten

Rainer Klute ist Mitglied der Piratenpartei Deutschland und Landespressesprecher für Nordrhein-Westfalen. Der Diplom-Informatiker gehört zur Freien evangelischen Gemeinde Dortmund. ERF.de hat mit ihm über die Motive für sein Engagement und die Ziele der Partei gesprochen.

ERF.de: Herr Klute, wie kommt ein langjähriger CDU-Wähler dazu, sich in der Piratenpartei zu engagieren?

Rainer Klute: Früher habe ich CDU gewählt, weil mir der Schutz ungeborenen Lebens am Herzen liegt und dort die Stimmen derer am lautesten waren, die das genauso sehen. Nur leider hat sich seit Einführung der Indikationslösung vor 33 Jahren nicht wirklich viel bewegt. Nach wie vor ist es de facto erlaubt, zwischen Zumutbarkeit und Menschenleben abzuwägen, und nur zu oft bleibt dabei ein kleiner Mensch auf der Strecke. Für mich ist das ein klarer Verstoß gegen Artikel 2 des Grundgesetzes, der jedem das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit zuspricht. Derzeit erkenne ich weder bei der CDU noch bei irgendeiner anderen der etablierten Parteien Initiativen mit Aussichten auf Erfolg, die eine Verbesserung des Lebensschutzes wollen.

Die Piratenpartei setzt sich besonders für die Stärkung des Grundgesetzes ein. Sie will es vor weiteren Einschnitten schützen und bereits erfolgte Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte rückgängig machen. Beispiel Vorratsdatenspeicherung: Die trifft nicht nur Menschen, die im Netz unterwegs sind, sondern auch jeden, der telefoniert. Der Staat protokolliert, wer wann wen wie oft und wo von aus anruft. Geht es den Staat denn etwas an, wenn ich meinen Pastor anrufe oder er mich? Wir wollen, dass sich der Staat aus dem Privatleben heraushält.

Mein zweiter Grund pro Piraten ist handwerklicher Natur. Politikern sei zugestanden, dass sie mit eher laienhaften Vorstellungen an das Internet herangehen. Aber spätestens, wenn sie Gesetze entwerfen, ist Fachkompetenz gefordert. Da muss man Experten ins Boot holen, die sich mit der Materie auskennen. Als Informatiker frage ich mich, wo die Experten zum Beispiel beim sogenannten Zugangserschwerungsgesetz waren, das das Sperren von Webseiten ermöglichen soll. Das war zwar gut gemeint, aber technisch völlig untauglich. Googlen Sie mal nach »Websperren umgehen«, und Sie können unmittelbar nachlesen, wie Sie in weniger als einer Minute die staatlichen Zugriffsbeschränkungen ein für allemal aushebeln. Derart dilettantische Gesetze sind vermutlich auch in anderen Fachgebieten anzutreffen, wie etwa Wirtschaft oder Bildung. Gemacht wird nicht das, was fachlich sinnvoll ist, sondern das, was am besten ins eigene politische Weltbild passt. Die Piratenpartei ist da anders: Nicht die Frage nach rechts oder links bestimmt Entscheidungen, sondern man denkt nach, befragt Fachleute und urteilt ideologiefrei.

Warum fühlen Sie sich als Christ in der Piratenpartei gut aufgehoben?

Ach, ich würde nicht sagen, dass mein Christsein für meine Piratenzugehörigkeit besonders wichtig ist. Ich halte damit natürlich nicht hinter dem Berg, und es gibt immer wieder mal gute Gespräche oder heiße Diskussion dazu – online wie offline. Aber auch wenn andere Piraten meinen Glauben nicht teilen, so lehnen sie doch nicht mich als Person ab. Diese Toleranz schätze ich sehr! Sie zeigt auch, dass die Piratenpartei es wirklich ernst meint mit der Betonung des Grundgesetzes. Denn das garantiert ja in Artikel 4 die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses. Diese Freiheit billige ich als Christ natürlich auch meinem Gegenüber zu. Und wer weiß, vielleicht merken Anders- oder Garnichtsglaubende an mir, dass Christen nicht zwangsläufig diese engstirnigen Betonköpfe sind, als die sie häufig verschrien werden. Vielleicht merken sie, dass Christen keine weltabgewandten Spinner sind, sondern Leute, die sich mit Jesus im Herzen und mit der Ewigkeit im Blick dafür einsetzen, das Hier und Jetzt ein Stück lebenswerter zu machen – zum Nutzen von Christen wie Nichtchristen.

Bei der Piratenpartei fühle ich mich als Christ besonders gut aufgehoben, weil wir mit dem Grundgesetz eine gemeinsame Wertebasis haben, die auch gelebt wird. Bei den Grundrechten fällt das besonders auf: Wenn Christen die Artikel 1 bis 19 lesen, spüren sie an vielen Punkten, dass diese sich aus den Ideen ableiten, die Gott für das Zusammenleben der Menschen hat. Als Christ investiere ich Zeit, Geld, Energie und Begeisterung für beides: zum einen dafür, dass Menschen die Liebe Gottes kennenlernen, und zum anderen für Menschenwürde, Persönlichkeitsrechte und Freiheitsrechte – übrigens auch für das Recht auf Religionsausübung.

Die meisten verbinden mit der Piratenpartei wahrscheinlich den Protest gegen das Gesetz zum Schutz vor Kinderpornographie im Internet. Wie wollt ihr vor solchen Gefahren schützen?

Um es ganz klar und deutlich zu sagen: Die Piratenpartei ist selbstverständlich gegen Kinderpornographie. Wir wollen einen wirksamen Schutz für Kinder. Das ist das von Familienministerin Ursula von der Leyen durchgesetzte Zugangserschwerungsgesetz nicht. Erstens, weil, wie oben erwähnt, dieses Stoppschild kinderleicht zu umgehen ist. Zweitens ist das Gesetz verfassungsrechtlich bedenklich, weil es für eine Seitensperrung keinen richterlichen Beschluss vorsieht, sondern diese Aufgabe dem Bundeskriminalamt (BKA) überträgt. Drittens verleitet das Gesetz zu einem Einstieg in die Zensur, denn es zwingt die Internet-Zugangsanbieter zum Aufbau einer technischen Infrastruktur, mit der sich auch völlig andere Inhalte sperren lassen, die überhaupt nichts mit Kinderpornographie zu tun haben – beispielsweise missliebige politische Aussagen. Viertens kann das Gesetz für Einzelpersonen, Unternehmen oder Institutionen existenzbedrohend sein, wenn deren Web-Auftritt »versehentlich« auf die Sperrliste des BKA gelangt. Und fünftens kann das Gesetz sogar genau das Gegenteil von dem bewirken, was es soll: Gerät die Sperrliste in falsche Hände, wird sie zum Inhaltsverzeichnis für Kinderpornographie. Pädophile haben dann einen umfassenden Überblick, was es wo zu holen gibt, und können sich dank der simplen Umgehung der Websperren nach Belieben bedienen. Dieses Szenario ist gar nicht so unwahrscheinlich, weil das BKA die Sperrliste regelmäßig an die verschiedenen Zugangsanbieter verschickt.

Für die Piratenpartei gilt das Motto »Löschen statt Sperren«: Was von der Leyen nur tarnen will, das wollen wir beseitigen. Dass das funktioniert, hat Alvar Freude vom Arbeitskreis gegen Internet-Sperren und Zensur (AK Zensur) nachgewiesen: Er analysierte mit automatischen Verfahren europäische Sperrlisten und schrieb die Provider an, auf deren Servern sich laut Listen kinderpornographisches Material befinden soll. Mit Erfolg: Innerhalb der ersten 12 Stunden wurden bereits 60 Webauftritte gelöscht.

Was sind darüber hinaus Ziele der Piratenpartei?

Wir wollen einen transparenten Staat, bei dem die Bürger sehen, wie Entscheidungen zustande kommen und wohin die Steuermittel fließen. Während staatliche Informationen möglichst offen sein sollen, wollen wir bei den persönlichen Daten genau das Gegenteil. Die Skandale der letzten Monate zeigen, dass diese Daten viel besser geschützt werden müssen. Letztlich soll jeder selbst bestimmen, welche seiner persönlichen Daten er weitergibt und welche nicht.

Die Piratenpartei befürwortet Open Access. Das bedeutet folgendes: Wenn aus Steuermitteln urheberrechtlich geschützte Werke entstehen, dann sollen diese Werke der Allgemeinheit kostenlos zur Verfügung stehen. Darüber hinaus wollen wir eine Reform des Urheberrechts, die Künstlern und Konsumenten gleichermaßen zugute kommt.

Mir persönlich liegt das Thema Bildung am Herzen, für das sich die Piratenpartei ebenfalls stark macht. In der Wirtschaftskrise müssen Staat, Unternehmen und Bürger an allen möglichen Stellen Kosten reduzieren – mit einer Ausnahme: Bildung. Hier hätte der Staat investieren sollen, statt Milliarden in eine Abwrackprämie zu stecken, die das Problem nicht löst, sondern nur in die Zukunft verschiebt. Geld für Bildung ist niemals hinausgeworfen, sondern immer sinnvoll investiert. Denn Bildung sichert langfristig unsere gesellschaftliche und wirtschaftliche Zukunft.

Welche Chancen räumen Sie der Piratenpartei bei der Bundestagswahl ein?

Wenn man auf den Anstieg der Mitgliederzahlen schaut – eine Verfünffachung in den letzten drei Monaten –, wenn man sich die internetbasierten Wahlumfragen ansieht, die den Piraten jedes Mal eine satte Mehrheit bringen, wenn man die Aufbruchsstimmung und die Begeisterung in der Partei erlebt, dann sind die Stimmung im Netz und die gefühlte Euphorie für mindestens 30 Prozent gut.

Das liegt bei der Bundestagswahl natürlich jenseits der Realität. Wäre die Wahl nicht jetzt, sondern erst in einem halben Jahr, wären 7 Prozent drin. Im Moment sind wir leider noch längst nicht überall bekannt. Und wer den Namen »Piratenpartei« gehört hat, weiß nicht unbedingt, wofür wir stehen und was wir wollen. Die großen Wahlumfragen geben den Befragten gar nicht die Möglichkeit, mit »Piratenpartei« zu antworten. Immerhin sah das Handelsblatt die Piraten in einer Umfrage Ende Juli bei 2 Prozent. Natürlich hoffen wir darauf, die 5-Prozent-Hürde zu knacken. Aber auch wenn am Wahltag um die 3 Prozent herauskämen, wäre das ein tolles Ergebnis – und eine gute Grundlage für die Bundestagswahl 2013. Dann sind wir definitiv drin.

Vielen Dank für das Gespräch!

Die Fragen stellte Laura Schäfer.


Eine gekürzte Fassung dieses Interviews erschien am 2009-09-12 beim ERF. Der ERF ist das christliche Medienunternehmen in Deutschland.