Identifikationsmerkmal

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Irgendwann 2003 wurde - weitgehend unbemerkt - die Abgabenordnung geändert, um eine bundeseinheitliche Steuernummer legal einführen zu können. Bereits in den 70er Jahren war die Einführung einer solchen Nummer an verfassungsrechtlichen Bedenken gescheitert. Diesmal wurden die Ermächtigungen aus der AO aber erst Jahre später, als es für eine Verfassungsbeschwerde längst zu spät war, tatsächlich genutzt.

Die Steueridentifikationsnummer

Worum geht es überhaupt?

Ich zitiere mal Dr. Karl-Heinz Däke vom Bund der Steuerzahler:

„Die Einführung der Steuerzahler-Identifikationsnummer wird vom Gesetzgeber mit dem „Zinsurteil“ des Bundesverfassungsgerichts begründet. Mit einer zentralen Steuernummer würde die Finanzverwaltung in die Lage versetzt, Angaben der Steuerzahler effizient zu überprüfen. Dies ist allerdings wenig überzeugend. Denn die Einführung einer zentralen Steuerzahlernummer ist aus dem „Zinsurteil“ des Bundesverfassungsgerichts nicht zwingend herzuleiten. Die vom Bundesverfassungsgericht herausgestellten Kontrolldefizite bei der Besteuerung von Kapitalerträgen können nämlich auch durch Einführung einer Zinsabgeltungssteuer beseitigt werden. Diese fordern wir seit Jahren. Die Vergabe der einheitlichen Steuerzahler-Identifikationsnummer und das automatisierte Kontoabrufverfahren verstoßen gegen den Grundsatz der Erforderlichkeit. Nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts ist die Erschließung von Datenverbunden durch ein einheitliches Personenkennzeichen oder sonstiges Ordnungsmerkmal nicht zulässig. Jedem Bürger steht darüber hinaus das Recht zu, über die Weitergabe und Speicherung persönlicher Daten selbst zu entscheiden. Mit der Steuerzahler-Identifikationsnummer werden Zusammenführungen und umfassende Auswertungen von Daten möglich. Mit dem geheimen Datenabruf besteht zudem die Gefahr, dass Daten unkontrolliert in die Hände Dritter gelangen. Die Ansammlung eines gigantischen Datenpools beim Bundesamt für Finanzen und die enorme Ausweitung des Datenaustausches zwischen verschiedenen Behörden lassen eine staatliche Kontrolle ungeahnten Ausmaßes befürchten. Das ist ein weiterer Schritt zum Gläsernen Steuerzahler.“
Karl-Heinz Däke, Präsident des Bund der Steuerzahler [1]

Hier die Bedenken von Sven Lüders von der Humanistischen Union:

„Bereits in den 70er Jahren planten deutsche Sicherheitspolitiker, durch die Einführung einer Personenkennziffer die gesamte Bevölkerung in den zunehmenden elektronischen Datenmengen besser identifizieren zu können. Diesen Bestrebungen schob das Bundesverfassungsgericht mit seiner Entscheidung zur Volkszählung 1983 (BVerfGE 65, 1) einen Riegel vor. In dem Urteil fand sich nicht nur die Begründung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung, wonach der Einzelne „grundsätzlich selbst zu entscheiden [hat], wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden". (Rdnr. 152) Darüber hinaus erlegten die Verfassungsrichter dem Staat das Verbot auf, über seine Bürgerinnen und Bürger Persönlichkeitsprofile zu erstellen. Die Gefahr einer solchen Profilbildung sahen sie insbesondere in den informationstechnischen Möglichkeiten der Datenverarbeitung: Sie mache es leicht, verschiedene Datenbestände unterschiedlicher staatlicher Stellen miteinander zu verknüpfen. Insbesondere diese Verknüpfungsmöglichkeiten könnten dazu führen, dass „ein für sich gesehen belangloses Datum einen neuen Stellenwert [bekommt]". (Rdnr. 158) Die freie Entfaltung der Persönlichkeit werde durch derartige Verknüpfungen beeinträchtigt, weil der Einzelne kaum noch überschauen kann, welche Konsequenzen sich daraus für das staatliche Handeln ergeben.“
Sven Lüders, Humanistische Union

Management Summary

Big Brother Award 2007

Was kann man tun?

Das Mittel der Wahl ist die Feststellungsklage. Die Humanistische Union unterstützt eine Musterklage (Az. 2 K 2822/08 FG Köln). Ein Pirat hat Klage erhoben. Ein RA aus Düsseldorf hat Klage erhoben. Der Landesverband Niedersachsen der Piratenpartei erwägt zur Zeit eine Sammelklage. (Siehe jeweils deren Webseiten) Der Bund der Steuerzahler beabsichtigt bisher keine eigene Musterklage.

Update: es scheint, dass eine Leistungsklage in Form der "normalen" Unterlassungsklage eine alternative, wenn nicht sogar die richtige Form der Klage vor dem Finanzgericht Köln ist. Dies kann evtl. noch im Zuge der Einreichung geändert werden ("Umdeutung").

Vorsicht: Die HU hat sich bei der Formulierung einige Mühe gegeben, die Feststellungsklage zu argumentieren. Ich glaube nicht, dass das ganz ohne Absicht passiert ist. Ich verstehe nur noch nicht warum. Abwarten!

Die Humanistische Union hat auch einen Musterwiderspruch (Protestbrief) vorbereitet. Dieser Widerspruch ist wichtig und sollte von jedem eingelegt werden, der mit der Vergabe der Steuernummer nicht einverstanden ist. Letztlich könnten mit dem formlosen Widerspruchsschreiben so alle Bürger von dem Musterverfahren profitieren, ohne selbst sofort Klage erheben zu müssen.

Es gibt inzwischen ein erweitertes Widerspruchsformular, das zur Löschung und Sperrung der Nummer auffordert. Das Formular gibt es auch als OpenOffice- bzw. Word-Vorlage.

Denkbar ist auch der Antrag auf Löschung der Daten beim Einwohnermeldeamt. (hier [2])

Wer tut schon etwas?

Folgende Klagen sind bisher bekannt geworden:

  • Klage des Düsseldorfer RA Georg Groth [3]
  • Klage des Güstrowers Werner Oetken [4]


Es sollen jetzt schon 50 Klagen in Köln vorliegen. [5]

Es sollen jetzt schon 100 Klagen in Köln vorliegen. [6]

Finanzgerichte

Die Klage kann bei dem zuständigen Finanzgericht erhoben werden. Meines Wissens besteht nur beim Bundesfinanzhof zwingend Vertretungszwang. An den übrigen Finanzgerichten kann man die Klage bei der Rechtsantragsstelle erheben oder per Post etc. einreichen.

Anscheinend ist ausschliesslich das Finanzgericht Köln zuständig. Das ist jedenfalls die Meinung des Finanzgerichts Stuttgart.

Die Frist für eine Feststellungsklage beträgt 4 Wochen ab Erhalt des Schreibens, wobei möglicherweise ein fiktiver Termin (3 Werktage seit Datum des Schreibens??) angenommen wird.

Die Finanzgerichtsordnung (FGO) ist vom Bundesjustizministerium ins Internet gestellt worden, damit jeder hier nachsehen kann... sie unterscheidet sich selbst von der relativ ähnlichen Verwaltungsgerichtsordnung in einigen Punkten.

Lustiges, informatives und allgemeines Medienecho

Grobe Fehler in Stade (12.08.2008)

Weitere Fehlerberichte (16.08.2008)

Probleme in Mannheim (18.08.2008)

Begründung des Finanzausschusses des Bundestages (2003)

Updates wie im Mittelalter (27.08.2008)

Noch ein Gedicht (28.08.2008)

In Stuttgart erhalten Tote ihre Nummer (29.08.2008)

Keine Steuernummer bekommen? Was tun? (29.08.2008)

Digitaler Sondermüll? (01.09.2008)

Falsche Daten sollen nicht gemeldet werden! (02.09.2008)

Ortsteil fehlt! (04.09.2008)

Die 20 Jahre nach dem Tod sind Ernst gemeint (05.09.2008)

Darf man Geburtsland speichern? (11.09.2008)

Auch Updates aus Viersen nicht bearbeitet (14.09.2008)

Beunruhigende Statistik bei der Nummernvergabe (21.09.2008)

MdB Binninger zur Nummernvergabe (19.09.2008)

In Werne wurde der Name des Vermieters übermittelt (23.09.2008)

Updates aus Bielefeld wurden nicht bearbeitet (07.10.2008)

Altkanzler Helmut Schmidt zu Steuernummer und Telefonüberwachung (08.10.2008)

Phantom-Mitbewohner in vielen Haushalten in Georgsmarienhütte (15.10.2008)

Datenchaos bedeutet Einsatz erst ab 2010? (27.10.2008)

Münster hat ID auf der Lohnsteuerkarte (30.10.2008)

Arbeitsagentur will ID (03.11.2008)

Kein Geburtsland (04.11.2008)

Zumutung (BZ, 05.11.2008)

Der Steuerzahler hat's ja? (sz, 27.11.2008)

Die Daten fliessen in beide Richtungen? (WN, 06.01.2009)

Hochtechnologie in Bonn führt zu Mehrarbeit in Jemgum (15.01.2009)

Prozesskostenhilfe wurde gewährt! (11.02.2009)

Spekulationen

Es scheint sich herauszustellen, dass für die Versandaktion ab 01.08.2008 Daten verwendet wurden, die die Meldebehörden am 01.07.2007 an das Bundeszentralamt für Steuern geschickt haben. Die Frage ist natürlich, warum die das machen. Ein Versehen wird das sicher nicht sein. Meine Spekulation ist, dass einige Meldeämter - wie geplant - die Updates an das BZSt geschickt haben, aber nicht alle. Wenn man die Updates nun verwenden würde, entstünden bei umgezogenen Personen möglicherweise Dubletten. Deshalb hat man sich wahrscheinlich auf die alten Daten zurückgezogen und hofft nun, die Probleme durch erzwungene Updates zu erledigen. Es werden so keine (neuen) Dubletten erzeugt, aber es dürften Leute durch das Netz fallen, die sich erst nach dem Stichtag angemeldet haben. Die erwischt man dann, wenn die Updates bei allen Meldeämtern implementiert sind.

Anschreiben zur Zuteilung des Identifikationsmerkmals

Die ersten Anschreiben zur Zuteilung des Identifikationsmerkmals (im Volksmund: einheitliche Steuernummer, Personenkennziffer, Steuer-ID) sind gesehen worden.

Damit man sich schon einmal informieren kann, was auf einen zukommt, hier ein paar anonymisierte Scans:

Sorry, für die schlechte Qualität.

Nutzung der Nummer

Der Abendblatt-Artikel stimmt nicht. Die Nummer wird in Niedersachsen bereits verwendet. In RP wurde die Nummer bereits an die Finanzämter ohne Zutun der Steuerpflichtigen übermittelt. Die Rechtswidrigkeit der Übermittlung trotz Widerspruchs wurde seitens der Behörden bestritten.