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Benutzer:Dr Yes/zur quote

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Gedankensplitter zur Begründung der Quote

Im Folgenden beschäftige ich mich der Begründung der Satzungsänderungsanträge „Geschlechtergerechtigkeit in Gremien und Listen auf Landes- und Bundesebene“ (SÄA035) und „Geschlechtergerechtigkeit in Gremien und Listen der Piratenpartei“ (SÄA036). In meinem Text nehme ich keine Wertung vor, ob eine Quote wünschenswert ist oder nicht. Es geht lediglich darum, ob die gegebene Begründung plausibel und konsistent ist. Der erste Absatz der Antragsbegründungen ist bei beiden Anträgen identisch und enthält die wesentlichen Argumente, dieser wir untersucht. Die weitere Absätze der beiden Begründungstexte habe erläuternden Charakter und werden hier ebenso ignoriert wie die Differenzen des Antragstexts. Ebenfalls ohne Berücksichtigung bleibt die Frage, ob die Antragsbegründungen jeweils geeignet sind, die Antragstexte zu begründen.

Die Kritik erfolgt in weitgehender Unkenntnis aktueller geschlechter- und frauenpolitischen Debatten. Sollte hieraus Missverständnis resultieren, bitte ich um Verzeihung und um Hinweise. Grundlegend ist hier zudem ein konventionelles Verständnis von Dialektik und Politik. Dies wird sicher nicht von jedem geteilt und stellt nur eine mögliche Sicht der Dinge dar. Eigentlich ist der Text für eine Veröffentlichung nicht angemessen ausgearbeitet. Er ist in kurzer Zeit geschrieben und hinsichtlich Verständlichkeit und Ausführlichkeit sicherlich verbesserungsfähig. Da ich aber auf sachliche Readktionen hoffe, die mich weiterbringen könnten, stelle ich ihn schon mal zur Diskussion.

Geschlechtergerechtigkeit?

Der Ausdruck Geschlechtergerechtigkeit wird zwar seit ein paar Jahren in Fachtexten verwendet. Eine klare Definition war für mich auf die Schnelle nicht auffindbar. (Für Hinweise auf eine solche wäre ich sehr dankbar.) Geschlechtergerechtigkeit könnte hier verstanden werden als Gerechtigkeit bei Verteilung des Merkmals Geschlecht bei einer Auswahl x und y. Dies ist aber reine Spekulation, der Text gibt keinerlei Hinweis, wie sie zu verstehen ist. Da im Begründungsteil der Ausdruck „Geschlechtergerechtigkeit“ nicht mehr vor kommt, wird er bei der Analyse nicht weiter berücksichtigt.

Argumentation der Antragsbegründung

Es wird festgestellt, Frauen seien in allen zentralen gesellschaftlichen Bereichen, in Relation zu ihrem numerischen Anteil an der Gesellschaft, stark unterrepräsentiert. Was dabei die zentralen gesellschaftlichen Bereiche sind, bleibt unbestimmt; Listen und Gremien der Piratenpartei werden dazu gezählt. Die verminderte Repräsentation von Frauen in diesen zentralen gesellschaftlichen Bereichen wird als Folge einer Tradition der Herabsetzung von Frauen in der Gesellschaft bezeichnet, die Frauen nicht als vollwertige Mitglieder akzeptiere. Daher soll die Quote notwendig sein. Denn durch die Quote sollen mehr Frauen in die Positionen gebracht werden, in denen sie als vollwertige Mitglieder der Gesellschaft wahrgenommen werden könnten. Dies soll dann einen „Wandel des zugrundeliegenden Wertesystems“ auslösen. Keine andere bekannter Mechanismus sei hierzu in der Lage,

Kritik

Der Ansatz zur Begründung ist interessant, denn er versucht das (Begründungs-)Problem aus einer Perspektive zu fokussieren, auf der die angebotene Lösung eine gewissen Plausibilität entwickelt. Die Frage, welche Personen von einer kleinen Partei zur Wahrnehmung ihrer verwaltenden Vorstandsposten und als Kandidatinnen und Kandidaten für die Wahllisten ausgewählte werden, wird mit einer großen Erzählung von der Änderung gesellschaftlicher Wertesysteme verbunden. Wer will da schon so kleinlich sein und die Nachteile veranschlagen, die die vorgeschlagene Regel für manche mit sich bringt? Kann man aber machen:

Es ist unbestritten, dass der numerische Anteil von Frauen in den Gremien und auf den Wahllisten weitaus geringer ist, als ihr numerischer Anteil an der Gesamtbevölkerung. Und eine Steigerung des Frauenanteils wird tatsächlich von sehr vielen als wünschenswert betrachtet (auch von mir). Nun ist aber eine angemessene politische Repräsentation von Gruppen nicht an die Anzahl ihrer Repräsentanten gebunden, sondern an ihre Durchsetzungsfähigkeit. (Stichwort: Konfliktfähigkeit (Claus Offe)) Fraglich ist auch, ob gut 50% der Gesamtbevölkerung als ein Interessengruppe betrachtet werden können. Diesem Problem wird elegant ausgewichen indem die Quote laut Begründung nicht der Gewährleistung angemessener politischer Repräsentation (Interessenvertretung) dienen soll, sondern der Beförderung eines grundlegenden Wandels des gesellschaftlichen Wertesystems. Dass die Quote hierzu in der Lage ist, wird postuliert, Quote als „notwendige Brückentechnologie“, aber nicht mal im Ansatz belegt. Die wünschenswerte Entwicklung soll mit ihr scheinbar zwangsläufig erfolgen, wenn, wie durch die vorgeschlagenen Regel befördert, öfter als bisher Frauen „als vollwertige Mitglieder der Gesellschaft wahrgenommen werden können“. Weiter wird festgestellt, dass kein anderer bekannter Mechanismus zur Beförderung des gewünschten Wandels der Wertesysteme in der Lage sei.

Nun kann man aber durchaus berechtigt die Position vertreten, für die Auswahl von Vorständen einer politischen Partei und die Kandidatinnen und Kandidaten von Wahllisten andere Ziele zu setzten sind, als den Wandel des der Gesellschaft zugrundeliegenden Wertesystems. Der Standpunkt, für die genannten Positionen ohne Beschränkungen die Personen auszuwählen, die am bestem geeignet erscheinen, die Aufgaben der Verwaltung und Organisation der Parteiarbeit oder der Volksvertretung zu übernehmen, ist sachlich angemessen. Geht es doch um Positionen, die die Partei vergibt, die sie in ihrem Sinne ausgeübt sehen will. Man kann die Position vertreten, hier wird eine Wirkung der Partei, die erstmal nur angenommen wird und allenfalls akzidentiellen ist, den unmittelbaren Aufgaben einer Partei, wie Artikulations-, Legitimations- oder Rekrutierungsfunktion, übergeordnet wird. So wird einer Partei eine bestimmte Wirkung, sondern auch ein Allvertretungsanspruch zugeschrieben, der dem gängigen Verständnis von Parteien als Vereinigung eines Teils der Gesellschaft (lat. pars = Teil) zuwider läuft.

Bemerkenswert auch, was nicht thematisiert wird: Die vorgeschlagenen Regel, gleich ob als 1/3 oder 1/2-Quote, kann in Einzelfällen Menschen, die keine Frauen sind, Nachteile bei der Bewerbung um diese Positionen in der Piratenpartei bringen. Nimmt man dies in den Blick, stellt sich die Frage nach einer Rechtfertigung. Schließt man sich der in der Antragsbegründung gegebenen Intention der Quote nicht an, ist als Rechtfertigung einer Quote der Nachweis einzufordern, dass es in der Piratenpartei bei der Auswahl der genannten Positionen eine tatsächliche Benachteiligung von Frauen gibt, die eine Kompensation rechtfertigen. Um dies festzustellen ist der Hinweis auf die Differenz zwischen dem Anteil von Frauen in den Gremien und auf den Wahllisten und dem Anteil von Frauen an der Gesamtbevölkerung nicht aussagekräftig und eine (nicht darstellbare) Differenz zwischen dem Anteil von Frauen in den Gremien und auf den Wahllisten und dem Anteil von Frauen an den Parteimitgliedern ebenso wenig. Es müsste der Nachweis geführt werden, dass bei den Wahlen eine relevante Anzahl von Bevorzugung nicht-weiblicher Kandidaten bei gleicher oder höherer Qualifikation der unterlegenen Frauen aufgetreten sind.

Aber ohne Belege hierfür wird mit der Einführung einer Quote eine wahrscheinliche Diskriminierung de facto durch ein tatsächliche Diskriminierung de jure beantwortet. (Diskriminierung wird hier entsprechend der lateinischen Wortbedeutung als „Unterscheidung“ verstanden.) Eine Kollision der Quotenregelung und des Gleichheitsgebots ist nicht von der Hand zu weisen. Das Problem dabei ist, dass der numerischen Unterrepräsentation einer Gruppe mittels einer Regel entgegengewirkt werden soll, die einzelnen Mitglieder anderer Gruppen benachteiligen kann. Der Zustand der Partei und der Gesellschaft, dessen Änderung gewünscht wird, kann aber nicht ursächlich einem Einzelnen zugerechnet werden. Deshalb kann man auch von keinem Einzelnen einfordern, dass er zur Änderung des Zustands ein Einschränkung seiner Möglichkeiten billigt. Dies ist unbefriedigend und eine Auflösung dieses Dilemmas wünschenswert. Doch einen Ansatz hierfür sehe ich gerade nicht, schon gar nicht für die Piratenpartei, die bislang keinerlei Vorkehrungen getroffen hat, um im Sinne eines Minderheitenschutzes zu gewährleisten, dass die Positionen kleiner oder leiser Gruppen angemessen Gehör finden.

Alternativen?

Für eine Begründung einer Quote habe ich z.Z. keine Alternative anzubieten. Begrüßen würde ich es aber, wenn auch politische Positionen erarbeitet und diskutiert werden, die eine bessere Repräsentation von Frauen und anderen gesellschaftlichen Gruppen in zentralen gesellschaftlichen Bereichen, z.B. in Konzernvorständen und Aufsichtsräten oder in den Regierungskabinetten zum Gegenstand haben. Also in Gremien, die nicht in unmittelbaren demokratischen Wahlen gebildet werden. Damit können die Schwierigkeiten der der Begründung einer Quote für Gremien und Listen der Piratenpartei nicht vermindert werden. Aber wenn sich Mehrheiten bilden für Maßnahmen zur besseren Repräsentation z.B. von Frauen in zentralen gesellschaftlichen Bereichen könnte damit auch die Akzeptanz von vergleichbaren Maßnahmen innerhalb der Partei steigen.