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Reguliert das Netz!

Das Desinteresse vieler Politiker am Internet wird zum Risiko für die Demokratie. Kommentar

Nur sechs Jahre lag die Parteigründung der Grünen zurück, da berief Helmut Kohl 1986 den ersten Bundesumweltminister. Die etablierte Politik erkannte die Umweltfrage als zentrales Zukunftsthema an.

Heute hat das Internet in der Lebenswirklichkeit der Deutschen eine ähnliche Bedeutung erlangt. Mehr als 52 Millionen Bürger organisieren mit seiner Hilfe ihren Alltag. Doch im Bundestag gibt es nicht einmal einen eigenen gewichtigen Ausschuss, der sich damit befasst, wie diese kritische Infrastruktur geschützt werden kann.

Stattdessen verdunkelt eine Wolke angstbesetzter Begriffe die politische Landschaft. Sie heißen Diebstahl geistigen Eigentums, Killerspiele, Kinderpornografie oder Cyberterrorismus. Die Überbetonung des Kriminellen verdrängt die eigentliche Aufgabe, der sich die Politik heute stellen muss: das Netz so zu regulieren, dass dort Rechte und bürgerliche Freiheit seiner Nutzer gewahrt werden. Denn es geht um nichts weniger als die Zukunft unserer Demokratie.

Wer glaubt, das Internet sei ein bloßes Massenmedium wie Radio oder Fernsehen, der irrt. Die Übertragung klassischer Medieninhalte ist nur eine sehr kleine Teilfunktion des Netzes. Wir mailen, telefonieren, arbeiten, spielen über das Netz, geben unsere Steuererklärung digital ab, buchen dort Reisen und pflegen darüber unsere Freundschaften. Vor allem aber bezieht inzwischen ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung seine politische Bildung aus dem Netz.

Doch kaum jemand in Berlin denkt darüber nach, welche gesellschaftlichen Konsequenzen dies hat. Deshalb bestimmen Kräfte die Regeln unseres digitalen Miteinanders, auf die gegenwärtig weder Bürger noch Staat direkt Einfluss nehmen.

Da wird das Recht auf informationelle Selbstbestimmung infrage gestellt, weil persönliche Daten, abgelegt auf Servern ausländischer Anbieter, nicht mehr dem deutschen, sondern dem amerikanischen, russischen oder irgendeinem anderen Recht unterliegen.

Oder die Datenmenge, die ein Nutzer aus dem Netz herunterladen kann, wird eingeschränkt, weil es den Geschäftsinteressen einzelner Unternehmen dient – und mit solchen Eingriffen in die sogenannte Netzneutralität de facto das Recht auf freie Meinungsbildung limitiert.

Auch bleibt es Netzbetreibern wie der Deutschen Telekom überlassen, welche Daten sie wie schnell über ihre Leitungen transportieren oder ob sie den Transport gleich ganz blockieren. Billige Internettelefonie via Datenflatrate schließen die Mobilfunkanbieter, auch T-Mobile, aus. Die Datenflut verstopfe ihre Leitungen, argumentieren sie. Aber natürlich wollen die Mobilfunker auch selbst an den Gesprächen verdienen.

Die Selbstregulierung des Marktes stößt hier an ihre Grenzen. Denn wenn sich alle Mobilfunkbetreiber einig sind, entsteht auch im mobilen Internet ein Kartell.

Schlimmer noch: Eingriffe in die Netzneutralität können bürgerliche Freiheiten beschränken. In Kanada stand der Netzanbieter Telus mit der Gewerkschaft im Arbeitskampf. Die Streikenden organisierten sich über eine private Website. Das passte Telus nicht – der Anbieter bremste die Seite aus. Während des Streiks der Lokführer gegen die Bahn vor zwei Jahren ließ der Konzern heimlich eine E-Mail löschen, in der zum Streik aufgerufen wurde. Tausende Mitarbeiter wurden nicht erreicht.

Nur staatliche Regulierung kann solche Probleme lösen. Längst wird in Amerika heftig um Gesetze gerungen, die die Netzneutralität sichern sollen.

Wer jedoch durch die Wahlprogramme der großen Parteien blättert und nach Internetthemen sucht, stellt fest, dass dort lediglich der Streit um das Urheberrecht Eingang gefunden hat. Einzig die Grünen widmen dem Thema Netzpolitik ein ganzes Kapitel, das »das Recht auf einen freien Zugang zum Internet« zu einer »entscheidenden Teilhabefrage des 21. Jahrhunderts« erklärt. Ein prominentes Gesicht, das diese Meinung offensiv vertreten würde, haben aber auch die Grünen nicht.

Dieses Desinteresse und die fehlende Netzkompetenz vieler Politiker werden zu einem gesellschaftlichen Risikofaktor. Denn schon dominieren private Unternehmen die gesamte Infrastruktur des öffentlichen digitalen Raums, vom Leitungsnetz und Internetzugang über Suchmaschinen bis zu den Betriebssystemen der Computer und den sozialen Netzwerken.

Es gilt also, Wettbewerbsregeln zu finden, kartellrechtliche Schranken zu ziehen, klare Haftungsrahmen zu setzen. Handelt der Staat nicht, sagt Viktor Mayer-Schönberger, renommierter Fachmann für Netzpolitik an der Universität von Singapur, schaffen sich die Anbieter ihre Regeln selbst. Diese wieder zurückzunehmen wird viel schwerer, als rechtzeitig welche zu setzen.