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Aktuelle Motivation zu einem allgemeinen Bürgereinkommen

Ein Grundrecht auf Einkommen lässt sich aus der Erklärung der Menschenrechte und insbesondere aus dem deutschen Grundgesetz herleiten, wie das aktuelle Urteil des BVG verdeutlicht. Allein seine Ausgestaltung und politische Umsetzung ist weiterhin umstritten und berührt grundlegende Fragen zur Zukunft der Gesellschaftsordnung, in der wir leben.

Nicht von Ungefähr melden sich in dieser Zeit mit Vehemenz Stimmen zu Wort, die in einem bedingungslosen Grundeinkommen den Untergang des Abendlandes zu erkennen glauben. Ihnen seien folgende Zeilen gewidmet, die Erich Fromm vor mehr als 50 Jahren schrieb:

„Der Übergang von einer Psychologie des Mangels zu einer des Überflusses bedeutet einen der wichtigsten Schritte in der menschlichen Entwicklung. Eine Psychologie des Mangels erzeugt Angst, Neid und Egoismus (was man auf der ganzen Welt am intensivsten in Bauernkulturen beobachten kann). Eine Psychologie des Überflusses erzeugt Initiative, Glauben an das Leben und Solidarität. Tatsache ist jedoch, daß die meisten Menschen psychologisch immer noch in den ökonomischen Bedingungen des Mangels befangen sind, während die industrialisierte Welt im Begriff ist, in ein neues Zeitalter des ökonomischen Überflusses einzutreten. Aber wegen dieser psychologischen „Phasenverschiebung“ sind viele Menschen nicht einmal imstande, neue Ideen wie die eines garantierten Einkommens zu begreifen, denn traditionelle Ideen werden gewöhnlich von Gefühlen bestimmt, die ihren Ursprung in früheren Gesellschaftsformen haben.“

Tatsächlich befindet sich die globale Ökonomie in einer Krisensituation, die dem Überfluss geschuldet ist. Arbeitsplätze geraten nicht deshalb in Gefahr, weil es einen Mangel an Produktion gibt, sondern weil im Überfluss Güter produziert wurden, die auf dem Markt nicht abgesetzt werden können. Es ist eine einzigartige Situation, dass Menschen zur Untätigkeit verurteilt werden, während gleichzeitig Produkte ihrer Arbeit ungenutzt verkommen.

Ohne auf die volkswirtschaftlichen Hintergründe näher einzugehen, ist zu konstatieren, dass auf der materiellen Ebene mehr als genug für alle da ist, das verteilt werden kann, wenn dazu der politische Wille vorhanden ist. Es geht bei der Verwirklichung des Grundrechts auf Einkommen nicht um eine Umverteilung knapper Güter, sondern um die Verteilung des Überflusses!

Ein allgemeinenes Bürgereinkommen hat nur wenig mit Verteilungsgerechtigkeit zu tun. Es ist von seiner Natur her blind für die individuellen Bedürfnisse des Einzelnen. Dies ist gerade auch eine Voraussetzung für die Aktivierung der Eigeninitiative. Es bleibt dem Bürger überlassen, was er aus den Möglichkeiten macht, die ein garantiertes Einkommen bietet.

Das BVG sagt zu Recht nichts über die Höhe des Existenzminimums. Bei der Bemessung eines allgemeinen Bürgereinkommens ist selbstverständlich Augenmaß erforderlich. Jede Volkswirtschaft bietet dazu einen Spielraum, der genutzt werden kann. Es ist allerdings eine Illusion zu glauben, dass damit klassische Sozialleistungen hinfällig werden. Auch hierzu sagt das BVG klar, dass besondere Lebenslagen zu berücksichtigen sind. Bei einem allgemeinen Bürgereinkommen sollten Einzelfallprüfungen auf zusätzliche Leistungen aber die Ausnahme sein. Langfristig könnte auch soziales Engagement der Bürger staatliche Bürokratie ersetzten.

Wie stünde es insgesamt um das Engagement der Bürger, die ein garantiertes Einkommen erhalten? Hier wird sehr gerne das Zerrbild des faulen Drückebergers an die Wand gemalt, der auf Kosten der Allgemeinheit Alkohol und andere Drogen konsumiert und in Massen weitere Taugenichtse in die Welt setzt. Interessant ist dabei, dass derartige Charaktere gerade auch in der momentanen Situation hervorgebracht werden.

Derartige Befürchtungen lenken von den eigentlichen Problemen ab. Wie bereits erwähnt, ein allgemeinenes Bürgereinkommen löst nicht jedes soziale Problem, insbesondere wenn es um Alkohol- und Drogenmißbrauch geht, und es wird auch Kriminalität kaum abschaffen. Zudem gilt: Ebenso wenig, wie jeder Unternehmer ein Steuerbetrüger ist, sind Empfänger von Arbeitslosengeld alle Sozialbetrüger.

Wie steht es aber mit den Erwerbstätigen? Wird es noch genügend Menschen geben, die weiter zur Arbeit gehen, wenn es für den Broterwerb nicht mehr unabdingbar ist? Ein Teufelskreis: Ohne Arbeit keine Produktion und damit kein allgemeinenes Bürgereinkommen, da nichts zu verteilen.

So, wie die Frage gestellt ist, kann sie tatsächlich nicht beantwortet werden. Es gibt zwar gute Hinweise dafür, dass eine Berufstätigkeit mehr ist, als reine Erwerbstätigkeit und es ist nicht ausgeschlossen, dass das Streben nach einem höheren Einkommen auch weiterhin eine ausreichende Motivation bietet. Man kann die Frage aber auch etwas anders stellen.

Bereits heute gibt es Menschen, die aus Kapitalvermögen ein Einkommen beziehen, für das sie nicht arbeiten müssen. Tatsächlich arbeitet die Mehrheit dieser Menschen aber, viele davon sogar mehr als der Durchschnitt der Bevölkerung. Vermögen befähigt Menschen regelrecht dazu, etwas zu unternehmen, mehr oder weniger selbst bestimmt zu gestalten. Dies ist ein Hinweis darauf, dass ein gesichertes Einkommen die Arbeitstätigkeit durchaus stimulieren kann.

Mit einem allgemeinen Bürgereinkommen stellt sich die Frage der Arbeitsvermittlung auf völlig neue Weise: Unternehmen sind gefordert, aktiv Arbeitskräfte zu gewinnen. Dazu müssen Strategien her, wie Menschen für die jeweiligen Aufgaben motiviert und als Mitarbeiter verpflichtet werden können. Ohne hier alle möglichen Szenarien durch zu spielen, ist es doch mehr als wahrscheinlich, dass diese Aufgabe zu bewältigen ist.

Es ist zudem davon auszugehen, dass ein Bürgereinkommen die weitere Automation der Produktion befördert. An dieser Stelle weckt die Vorstellung eines gesicherten Einkommens jedoch andere Befürchtungen: Wird es für jeden, der arbeiten will, denn eine Arbeit geben? Oder wird die Masse der Menschen, insbesondere jene mit einer geringen Berufsqualifikation, nicht dazu verurteilt, am Existenzminimum dahin zu vegetieren?

Auch diese Frage kann nicht einfach beantwortet werden, weil schwer zu erkennen ist, wie sich das Bewusstsein der Menschen durch ein allgemeines Bürgereinkommen verändert. Erich Fromm schrieb dazu:

„Der heutige Mensch hat einen grenzenlosen Hunger nach immer mehr Konsum. Das hat folgende Konsequenzen: Da die Gier nach Konsum keine Grenzen mehr kennt, und da in absehbarer Zukunft keine Wirtschaft genug produzieren kann, um einem jeden einen unbegrenzten Konsum zu ermöglichen, kann es (psychologisch gesehen) niemals einen echten Überfluß geben, solange die Charakterstruktur des „homo consumens“ vorherrschend ist. Der Gierige wird immer Mangel leiden, da er nie genug bekommt, ganz gleich, wieviel er hat. Außerdem möchte er alles, was die andern haben, auch besitzen und sieht in ihnen seine Konkurrenten. Daher ist er im Grunde isoliert und voller Angst. Er kann Kunst und andere kulturelle Anregungen nie wirklich genießen, weil er immer mehr haben möchte. Das bedeutet aber, daß die, welche auf dem Niveau des garantierten Einkommens leben würden, sich frustriert und minderwertig fühlten und daß die, welche mehr verdienen, Gefangene der Umstände bleiben würden, weil sie Angst hätten, die Möglichkeit zu einem maximalen Konsum einzubüßen. Aus diesen Gründen glaube ich, daß das garantierte Einkommen nur gewisse (wirtschaftliche und soziale) Probleme lösen würde, daß es aber nicht die erwünschte radikale Wirkung hätte, wenn wir nicht gleichzeitig das Prinzip des maximalen Konsums aufgeben.“

Wie bereits erwähnt, ist das allgemeine Bürgereinkommen kein reines Sozialtransfermodell. Es hat nur einen Sinn, wenn sich die Bürger auch für die damit verbundenen Veränderungen der gesellschaftlichen Wirklichkeit entscheiden. Veränderungen in dieser Richtung sind allerdings bereits heute absehbar.

Hierin liegt tatsächlich eine Erklärung dafür, mit welcher Erbitterung die Diskussion geführt wird. Während die Entwicklungen an den Finanzmärkten, Absatzkrisen und zunehmende Arbeitslosigkeit die Gesellschaft erodieren lässt, agieren die politisch Verantwortlichen verhalten. Notwendige Reformen werden entweder negiert oder zögerlich in Angriff genommen. Man vernebelt und fährt dann auf Sicht, ohne neue gesellschaftliche Perspektiven ernsthaft zu entwickeln. Dabei haben die Bürger die Zeichen der Zeit längst erkannt.

Das Märchen von immer währendem Wachstum, Vollbeschäftigung und anstrengungslosem Wohlstand für alle ist längst ausgeträumt. Die Bürger sind dabei, sich zähneknirschend mit sinkenden Nettolöhnen, fallenden Renten und höheren Gesundheitskosten einzurichten. Insgesamt steigt zwar die Wut, wie jüngst in Griechenland, Frankreich oder Island zu sehen. Es ist ein Aufbegehren ohne wirkliche Perspektive und so fügen die Menschen sich vorerst in das scheinbar Unvermeidliche.

Vielleicht eröffnet sich dabei die Chance, das Prinzip des maximalen Konsums für eine Gesellschaft freier Bürger aufzuheben, die ihre Arbeitskraft in eine nachhaltige Entwicklung des Gemeinwesens investieren. Für eine solche Perspektive spricht das allgemeine Bürgereinkommen.

--Aspirat

Quelle der Zitate zum nachlesen: Erich Fromm, Psychologische Aspekte zur Frage eines garantierten Einkommens für alle