Benutzer:Musikdieb/Interviewanfrage Bild der Wissenschaft

- Welche konkreten Vorschläge/Forderungen der Musikindustrie kritisieren Sie und warum?

Wir kritisieren vor allem die Politik, die sich von den Funktionären und Lobbyisten der Musikindustrie um den Finger wickeln lässt und die Beschneidung von wichtigen Grundrechten vorantreibt - was eben auch im Sinne der Musikindustrie ist, zum Beispiel um Tauschbörsennutzer zu überführen. Außerdem wird die "Public Domain", also das "geistige Allgemeingut" immer kleiner, die öffentlichen Grundlagen unserer Kultur werden immer stärker eingeschränkt. Konkret kritisieren wir die prinzipielle Haltung der Musikindustrie zu Urheberrechtsfragen, speziell den Lobbyismus bezüglich Gesetzen wie der Vorratsdatenspeicherung oder dem Telecom-Paket der Europäischen Komission sowie z.B. zu DRM.

Mit "Musikindustrie" sind hier die global Player bzw. großen Interessensverbände der klassischen Schallplattenindustrie gemeint. Im Grunde muss man natürlich differenzieren - das lokale Tonstudio oder ein kleiner Konzertveranstalter oder Musikclub sowie die Musiker selber sind ja auch "Musikindustrie", und die möchten wir natürlich fördern, wo immer es geht. Aber da Verwertungsrechte automatisch ein Monopol darstellen (ein Monopol auf alleinige Verwertung eines geistigen Wertes bzw. einer Information), neigt der Markt für Tonträger und digital vertriebene Musik stark zur Bildung von Monopolen oder Oligopolen. So kontrollieren aktuell 4 große Konzerne über 80% des Marktes an kommerzieller Musik.

Diese Musikindustrie kritisiert ihre Kunden, also auch uns, indem sie nicht müde wird, Privatkopien als "Raubkopien" zu bezeichnen. Dieses Wort ist noch eher als das Wort "Pirat" geeignet, ein falsches Licht auf den Vorgang des Kopierens zu werfen, der unabdinglich zu der menschlichen Kultur gehört. "Raub" ist laut Strafgesetzbuch Diebstahl in Verbindung mit Gewalt oder Nötigung. Ein Kopiervorgang ist aber noch nicht einmal wirklich mit Diebstahl zu vergleichen, da beim Kopieren das Original nicht entwendet wird - es ist an seiner ursprünlichen Stelle ja noch vorhanden. Auch rechtlich gesehen ist eine Kopie niemals ein Diebstahl sondern schlimmstenfalls eine Urheberrechtsverletzung. Was das nun auch noch mit Gewalt oder Nötigung zu tun haben soll, ist völlig unverständlich. Ohne Kopieren von Ideen wäre weder Sprache noch Mathematik oder sonst irgendeine kulturelle Errungenschaft möglich gewesen. Selbst die Musik hat sich bis zu einer großartigen Blüte entwickelt, ohne dass jemals der Anspruch bestanden hätte, dass einzelne Menschen einen Anspruch auf alleinige Verwertung gehabt hätten. Ein erstes Urheberrecht wurde in Deutschland 1837 eingeführt, also nachdem große Künstler wie Bach, Beethooven oder Goethe gewirkt hatten. Diese Herren haben also kein Urheberrecht gebraucht, um kulturelle Werte zu schaffen, die bis heute Bestand haben. Wir kritisieren die Verwendung solcher Begriffe wie "Raubkopie" oder "Piraterie", die mit Vorliebe von der Musikindustrie verwendet werden, um in ihrem Sinne Stimmung zu machen.

Privatkopien waren bis vor ein paar Jahren noch in uneingeschränktem Umfang legal. Als Ausgleich wurden Pauschalgebühren eingeführt, die z.B. auf Leermedien oder Vervielfältigungsgeräte erhoben und über Verwertungsgesellschaften wie die GEMA den Urhebern zugeführt werden (wieviel davon wirklich bei den Urhebern ankommt, ist ein anderes Thema). Nun hat sich die Technik weiterentwickelt. Sie ermöglicht, digitale Aufnahmen verlustfrei zu kopieren, aber sie ermöglicht auch eine wesentlich bessere Produktion mit viel weniger finanziellem Aufwand und eine viel bessere Vermarktung, vor allem auch eine bessere Selbstvermarktung der Künstler. Nur weil die Musikindustrie nun über Umsatzrückgänge jammert, wurde das Recht auf Privatkopie bereits stark beschnitten. Diese Rückgänge beziehen sich aber lediglich auf den Tonträgermarkt und nicht allgemein auf den Musikmarkt. Der Markt für digital vertriebene Musik, Konzerte, Klingeltöne oder Musik-Marketingagenturen zieht hingegen an. Wir müssen uns grundsätzlich klarmachen, dass PRIVAT-Kopien nur verhindert bzw. kontrolliert werden können, wenn man in das PRIVAT-Leben der Menschen eingreift. Das heisst konkret, es muss auf private Datenträger (Rechner, Festplatte, USB-Stick, Mp3-Player etc.) zugegriffen werden oder es müssen private Verbindungsdaten (Telefon, Internet) kontrolliert werden, um zu verhindern, dass in privatem Rahmen Daten getauscht werden. Und wir sind ganz klar der Meinung, dass hier das Grundgesetz und die Menschenrechte die Interessen der Musikindustrie überwiegen. Denn dort wird die die Unverletzlichkeit des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses zugesichert, wie auch der Schutz vor willkürlichen Eingriffen in das Privatleben.

Das bedeutet, wir kritisieren konkret die Kriminalisierungsstrategie der Musikindustrie bezüglich Tauschbörsennutzung und anderen Privatkopien. Gerade hat z.B. die britische Politikwissenschaftlerin Monica Horten nachgewiesen, dass in bestimmten Änderungsanträgen zum sogenannten "Telecom-Paket" (einer aktuellen EU-Gesetzesvorgabe), wortwörtliche Übereinstimmungen mit Vorgaben von Musikindustrie-Verbänden vorliegen. Und diese Gesetzesänderungen betreffen Gesetze, die eigentlich nicht zur Regelung von Urheberrechtsfragen gedacht sind. Weiterhin kritisieren wir DRM ("Digital Rights Management", gerne auch "Digital Restrictions Management" genannt). Im Grunde kritisieren wir hier weniger die Verwendung von DRM durch die Musikindustrie, sondern auch in diesem Fall natürlich die Politik, die sich von der Musikindustrie hat breitschlagen lassen, die Umgehung technischer Schutzmaßnahmen (also DRM) unter Strafe zu stellen. Es ist wirklich absurd, dass die Musikindustrie sich eine Technik aufschwatzen lässt (und viel Geld darin investiert), die gar nicht wirklich funktionieren kann - und dann von der Politik erwartet, dass sie die "Umgehung" dieser Technologie verbietet. Und das, obwohl man sowieso jederzeit über den analogen Ausgang (mit entsprechender Hardware) Aufnahmen fast verlustfrei analog wieder aufnehmen kann - trotz DRM, welches ja nur die digitale Kopie verhindert. Das wird auch "analoge Lücke" genannt, denn es ist nach Meinung der meisten Experten völlig legal.

- Über ein neues Verwertungsmodell (Kulturflatrate etc...) lässt sich streiten. Gibt es EINEN Standpunkt, den die Piratenpartei vertritt? Also konkrete Vorschläge, wie man P2P und Musikverbreitung neu regeln könnte? Anderes gefragt: Nennen Sie bitte die konkreten Basis-Forderungen der Piratenpartei hinsichtlich P2P und Tauschbörsen.

Die konkrete Basis-Forderung ist die uneingeschränkte Legalisierung jeglicher Tauschbörsennutzung, was also auch den Tausch von urheberrechtlich geschützen Werken einschließt. Über neue Verwertungsmodelle haben wir uns schon viele Gedanken gemacht und zu diesem Thema gibt es einige Experten bei uns. Die Thematik ist aber wesentlich komplexer als es die Wortneuschöpfung "Kulturflatrate" nahelegt. Es gibt bereits die verschiedensten Vorstellungen einer "Kulturflatrate". Im Grunde genommen existiert aber bereits ein Art Kulturflatrate, da wie ich ja schon erwähnte, die Pauschalabgaben auf Leermedien, CD-Brenner u.s.w. einen Ausgleich für privat kopierte Werke darstellen. Es hat sich bei unserer inhaltlichen Arbeit schnell gezeigt, dass eine "Kulturflatrate" im Zusammenhang mit den bereits existierenden Pauschalabgaben gesehen werden muss. Des weiteren muss man den internationalen Zusammenhang berücksichtigen. Schließlich müssen die unterschiedlichen Interessen von z.B. Autoren, Illustratoren, Filmschaffenden oder Musikern berücksichtigt werden. Der Bereich Musik splittet sich dann weiter auf in die Komponisten und Textdichter sowie die ausübenden Künstler (Interpreten) undsoweiter. Hier sind wir diskussionsbereit und arbeiten gerne an konkreten Gesetzesänderungen mit, aber erst einmal ist wichtig, dass die Privatkopie erhalten bleibt bzw. wieder eingeführt wird. Und unser aktuelles Programm sieht dafür keine zusätzliche Belastung in Form einer Abgabe auf Internetanschlüsse vor.

Es gibt eine Fraktion in der Partei, die Pauschalabgaben grundsätzlich in Frage stellt. Es gibt eine Fraktion, die eine Art Kulturflatrate für den richtigen Weg hält. Wir haben einige Ansätze und "konkrete Vorschläge, wie man P2P und Musikverbreitung neu regeln könnte". Die Ideen sind zu finden im Wiki der Piratenpartei (http://wiki.piratenpartei.de) unter dem Stichwort Kulturflatrate. Wir sehen aber nicht die Politik in der Verantwortung, der Musikindustrie ein Konzept für eine garantierte Einnahmequelle bereitzustellen. Wir sehen unsere Partei auch nicht als "Filesharerpartei", auch wenn sie aus diesem Thema heraus entstanden ist. Viel wichtiger sind erstens die Grundrechte, die teilweise unter Berufung auf "geistiges Eigentum" beschnitten werden und zweitens der allgemeine Umgang mit "geistigem Eigentum", der sich im Bereich Patentrecht zum Beispiel auf ganz wichtige grundsätzliche Lebensbereiche wie die Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln, Medikamenten oder lebenswichtigen Technologien auswirkt. Wir wollen zuerst einmal zum Umdenken und Umlenken im Bereich "geistiges Eigentum" anregen. Auf dem Bundesparteitag im Oktober wollen wir ein Wahlprogramm für die anstehenden Wahlen im nächsten Jahr aufstellen. Es könnte sein, dass wir unsere Forderungen dann konkretisieren.


- Wie kommentieren Sie den Begriff "Geistiges Eigentum"?

Den Begriff habe ich ja schon erwähnt, da bin ich Ihnen wohl zuvor gekommen, aber das ist ja auch das Thema, aus dem heraus unsere Partei entstanden ist. Dieser Begriff ist ähnlich wie die ebenfalls schon genannten Begriffe "Piraterie" oder noch schlimmer "Raubkopie" eine Vorspiegelung falscher Tatsachen, zumindest in seiner aktuellen Definition. Einen geistigen Wert kann ich gar nicht wie einen materiellen Wert besitzen - es sei denn, ich veröffentliche ihn erst gar nicht. Ist ein geistiger Wert (Klang, Text, Bild...) erst einmal veröffentlicht, so können sich Kopien dieses Wertes theoretisch überall befinden (in Bibliotheken, bei Privatmenschen zu Hause, in Gehirnen, auf Internetservern, wo auch immer). Wenn dieser Wert nun mein Eigentum sein soll, dann kann ich als "Besitzer" dieses Eigentum nicht wie echtes Eigentum in einen Tresor schließen und bewachen. Nein, ich muss in die Privatsphäre anderer Menschen eindringen, wenn ich die Verwendung meines "Eigentums" dort kontrollieren möchte.

Es stellt sich weiterhin die Frage nach der sog. "Schöpfungshöhe" beim Urheberrecht bzw. "Erfindungshöhe" beim Patentrecht. Zu recht können keine "trivialen" Erfindungen oder Werke geschützt werden. Aber man muss sich klarmachen, dass eigentlich nur solche "Trivialpatente" bzw. Urheberrechte auf entsprechend allgemeine Schöpfungen einen wirklichen Vorteil für den Erfinder bzw. Urheber bedeuten würden. Denn eine komplizierte Konstruktion oder ein komplexes musikalisches Werk kann ich jederzeit kopieren, indem ich ein paar Ingenieure oder Komponisten dafür bezahle, dass die mir etwas ähnliches produzieren sollen - aber eben soweit abgewandelt, dass man das Original nicht mehr erkennt. Die eigentliche IDEE hinter dem Werk lässt sich nicht schützen, da diese Idee ein Trivialpatent darstellen würde bzw. nicht die erforderliche Schöpfungshöhe hätte.

Was bringt also "geistiges Eigentum"? Dass im Fall Patentrecht die Firmen dann doch immer wieder versuchen, so triviale Dinge wie möglich schützen zu lassen, was dann ja hin und wieder auch zur Erteilung von Trivialpatenten führt, wenn ein Patentanwalt mal nicht richtig aufgepasst hat. Außerdem führt es dazu, dass Patente heutzutage vorwiegend als juristisches Werkzeug dienen, um lästige Konkurrenz vom Markt fernzuhalten. Damit behindern sie dann oft wirklich sinnvolle Neuentwicklungen anstelle sie zu fördern, was ja angeblich das Ziel ist. Schwellenländer können sich dringend benötigte Medikamente oder Technologien nicht leisten. Es werden Patente auf menschliche Gene oder Saatgut erteilt. Im Musikbereich führt es dazu, dass sich immer mehr Verwertungsrechte in immer weniger Händen zusammenfinden und auch hier die Schaffung neuer Werke behindert wird. Denn Covern, Remixen und Sampeln sind Kulturtechniken. Ohne auf bestehende musikalische "Versatzstücke" zurückzugreifen kann man gar keine Musik machen, die für andere Menschen angenehm klingt. Heutzutage muss man aber im Grunde schon Juristen beauftragen, und ein professionelles Sample-Clearing durchführen, bevor man überhaupt etwas veröffentlicht. Sample-Clearing heisst: Recherchieren und Erwerben eventueller Musikrechte an Versatzstücken aus dem Musikstück. Das verhindert Kreativität anstelle sie zu fördern.

"Geistiges Eigentum" ist meiner Ansicht nach in seiner aktuellen Auslegung ein falsches Konzept, welches aber leider schon so sehr in unserer Kultur verankert ist, so dass man es sich kaum noch anders vorstellen kann. Als selber kreativ schaffender Mensch habe auch ich, seit ich mich damit befasse, mehrere Jahre gebraucht, bis ich die Thematik für mich persönlich zufriedenstellend aufgearbeitet hatte. Daher kann ich jeden verstehen, der zuerst mal mit Verwunderung auf solche Überlegungen reagiert. Ich möchte aber dazu auffordern, sich wenigstens einmal ein Stück weit in die Thematik hineinzudenken.

- Nennen Sie bitte kurz die wichtigsten Fehler, die die Musikindustrie Ihrer Meinung nach in den verganenen Jahren gemacht hat. Sind die der wahre Grund für die Umsatzrückgänge?

Umsatzrückgänge gab und gibt es wie schon gesagt hauptsächlich im Tonträgerbereich. Der Musikmarkt als Ganzes ist ein anderes Thema. Dass die Umsätze im Tonträgerbereich zurückgehen, ist völlig normal und auch nicht durch irgendwelche Gesetzesverschärfungen aufzuhalten.

Die wichtigsten Fehler meiner Meinung nach wären: - Die Musikindustrie hat damals schon die CD zu teuer verkauft und hätte, als die Musik digital wurde, schon erkennen müssen, dass die Musik unabhängiger vom Datenträger wird. So hat sie sich z.B. in den 70ern gegen die Einführung einer LP-großen CD entschieden. Auf diese hätten mehr Daten gepasst, aber das hätte das Konzept des klassischen Album-Formats gestört (welches ja aus den technischen Möglichkeiten der Vinyl-Schallplatte heraus entstanden ist). Damals haben sie sich für die uns bekannte CD von ungefährer LP-Laufzeit entschieden und jahrelang so weitergemacht, als wäre dieses Format naturgegeben. - Die Musikindustrie hat nicht rechtzeitig erkannt oder erkennen wollen, dass digitale Musik nun einmal verlustfrei zu kopieren ist - nicht nur über Tauschbörsen - sowie dass Technologien für jedermann erschwinglich werden, die früher nur wenigen, vorwiegend dem professionellen Bereich, vorbehalten waren - und damit ein grundsätzlicher Wandel im Musikmarkt eintreten wird. - Die Musikindustrie hat ihre Kunden kriminalisiert anstelle ihre Produkte und Dienstleistungen anzupassen. - Die Musikindustrie hat auf DRM gesetzt.