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WIKIMEDIA DEUTSCHLAND Gesellschaft zur Förderung Freien Wissens e.V. Wikimedia Deutschland e.V. – Postfach 30 32 43 – 10729 Berlin

Berlin, den 21. August 2009 Sehr geehrter Herr Seipenbusch,

als Geschäftsführer von Wikimedia Deutschland e. V. möchte ich Ihnen heute unsere „Wahlprüfsteine“ zur Bundestagswahl 2009 mit der Bitte um Beantwortung zukommen lassen. Die gleichen Fragen gehen zeitgleich auch an alle anderen derzeit im Bundestag vertretenen Parteien.

Wikimedia Deutschland e.V. ist ein gemeinnütziger Verein, der sich für die Förderung Freien Wissens einsetzt. Seit der Gründung im Jahr 2004 unterstützt der Verein verschiedene Wikimedia-Projekte – allen voran Wikipedia – durch Öffentlichkeitsarbeit, Spendengewinnung und den Ausbau von IT-Infrastruktur. Wikipedia setzt sich für den kostenlosen Zugang zu freiem Wissen ein und engagiert sich damit für ein grundlegendes Recht des Menschen auf Bildung.

Insgesamt sind mehr als 10 Millionen Artikel in über 260 Sprachen abrufbar. Wikipedia ist, wie auch andere Schwesterprojekte, unabhängig und werbefrei und nur durch freie Mitarbeit und Spenden möglich. Wikimedia Deutschland unterstützt durch intensive Presse- und Öffentlichkeitsarbeit das rasante Wachstum der Wikimedia-Projekte. Image und Bekanntheit der Wikimedia-Projekte in der Öffentlichkeit weiter zu fördern ist eines unserer Kernziele. Wir organisieren Schreibwettbewerbe, veranstalten Workshops, realisieren Kooperationen, organisieren Messeauftritte und planen Veranstaltungen, Vorträge und Symposien. Darüber hinaus setzen wir uns für umfangreiche technische und administrative Aufgaben ein.

Für unsere Mitglieder, Freunde und Förderer sind Fragen des freien Zugangs zu Informationen von zentraler Bedeutung. Daran richten sich auch die „Wahlprüfsteine“ von Wikimedia Deutschland aus. Selbstverständlich werden wir die Antworten Ihrer Partei auf unsere „Wahlprüfsteine“, zusammen mit den Antworten der anderen Parteien, auf unserer Webseite veröffentlichen, um so unseren Mitgliedern und Förderern eine weitere Entscheidungsgrundlage für die Wahl 2009 zur Verfügung stellen.

Für Rückfragen stehe ich Ihnen selbstverständlich gerne zur Verfügung. Bis dahin bedanke ich mich schon heute für die Beantwortung und verbleibe

Mit freundlichen Grüßen Pavel Richter Geschäftsführer


WIKIMEDIA DEUTSCHLAND Gesellschaft zur Förderung Freien Wissens e.V.


Informationsvermittlung über das Internet ist nicht nur einfach schneller und günstiger, sie ermöglicht gänzlich neue Formen der Zusammenarbeit zwischen Menschen. Projekte wie Wikipedia demonstrieren, wie Freiwillige über den gesamten Globus verteilt die technischen Grundlagen für die Erstellung einer Enzyklopädie in allen Sprachen dieser Erde schaffen können und dann gemeinsam diese Inhalte pflegen, verbessern und für alle Menschen nutzbar machen. Dies ist nur ein Beispiel von vielen: Mit GPS-Geräten und Netbooks ausgestattet erstellen die Nutzer von OpenStreetMap Geodaten und erlauben jedermann die Nutzung dieser Daten für Landkarten, Routenplaner und alle denkbaren Geo-Informationssysteme. Archive werden komplett online gestellt und ihre Nutzer unterstützen die Beitreiber bei der systematischen Erfassung der Inhalte, weisen auf Fehler hin oder korrigieren falsche Ergebnisse einer maschinellen Zeichenerkennung. Gemein ist all diesen Projekten und ihren Protagonisten, in der Tradition von privater Eigeninitiative, zivilgesellschaftlichem Engagement sowie der Wertschätzung von Originalität, Kreativität und Leistung zu stehen. Mit neuen Methoden arbeiten sie an der Verbesserung von Bildungschancengerechtigkeit im eigenen Land und weltweit, sie ermöglichen es, Entscheidungen auf eine sichere Faktenlage zu stellen. Gleichzeitig sind all diese Projekte vor die Aufgabe gestellt, ihre Technologie mit den gewachsenen nationalen Rechtsvorschriften vereinbar zu machen und Kollisionen oder gar Widersprüche zwischen unterschiedlichen Rechtsnormen zu bewältigen. Die Abgeordneten des 17. Deutschen Bundestages werden die Gestaltungsmacht haben, die Parameter für das Gedeihen einer digitalen Gesellschaft zu setzen, die Spielregeln, Anreize und Schranken für die Teilhabe und die Verfügbarkeit unseres kulturellen Erbes und die Chancen, zu diesem Erbe beizutragen. Die dahinter stehenden Fragen sind klar abgegrenzt: Wie füllen wir auf eine sinnvolle und nachhaltige Weise die uns zur Verfügung stehenden Kapazitäten aus? Wie stellen wir sicher, dass alle Menschen an diesem Reichtum an Information und am netzvermittelten Dialog teilhaben können? Welche Rahmenbedingungen helfen, damit sich das Tempo dieser Entwicklung beibehalten oder noch steigern lässt? Die nachfolgenden Fragen brechen dies herunter auf Themenfelder, in denen der Bund Entscheidungen treffen kann oder getroffene Entscheidungen auf ihre Zukunftsfähigkeit überprüfen und ggf. überarbeiten muss.

Nachhaltigkeit bei intellektuellen Investments des Bundes Direkt und indirekt ist der Bund an der Erstellung von Werken beteiligt. Wie andere Staaten auch berücksichtigt das deutsche Urheberrecht die Besonderheiten von bestimmten Inhalten, die aus Steuermitteln und in Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben erstellt wurden, beispielsweise bei Gesetzestexten oder Urteilen. Unterschiedliche Reichweiten dieser Bestimmungen führen beispielsweise dazu, dass unabhängig von der Qualität der Werke NASA-Bildmaterial häufiger genutzt, verbreitet und rezipiert wird als Aufnahmen der Europäischen Raumfahrtagentur).

 Befürworten Sie eine Ausweitung des Geltungsbereiches des §5 UrhG auf alle Werke, die von Personen im Dienst oder im Auftrage des Bundes im Rahmen ihrer Arbeit erstellt wurden? (Analog zu United States Code, Title 17, Chapter 1, §105 - Government Works)

 Befürworten Sie eine generelle Regelung, nach der urheberrechtlich geschützte Werke, die bzw. deren Erstellung aus öffentlichen Mitteln (co-)finanziert werden, nach den Grundsätzen von Open Access (etwa im Verständnis der Berlin Declaration) der Allgemeinheit frei zugänglich gemacht werden sollen?

 Sollen Datenbanken, die von öffentlichen Einrichtungen erstellt wurden, aneinem zentralen Repositorium zur Verfügung gestellt werden, wie dies bei data.gov durch die Vereinigten Staaten gerade umgesetzt wird?

 Wie beurteilen Sie die derzeitige Situation bei IT-Ausschreibungen des Bundes hinsichtlich der Chancengleichheit zwischen Anbietern proprietärer Lösung und Open Source-Anwendungen?

Die digitale Allmende Die Digitalisierung ermöglicht es kulturellen Einrichtungen, ihre Bestände einem riesigen Publikum, losgelöst von räumlichen Beschränkungen, zu präsentieren. Bibliotheken als Hüter des verschriftlichten kulturellen Erbes leisten hier bereits einen aufwändigen wie notwendigen Dienst bei der Digitalisierung. Diese Arbeit ist geprägt von Unsicherheiten über den rechtlichen Status einzelner Werke, für die sich auch nach zeitraubender und akribischer Suche kein Rechteinhaber feststellen lässt. Diese Werke sind heute der Öffentlichkeit nahezu entzogen, wenn sich nicht eine Institution findet, die die Risiken dieser Unsicherheit auf sich nimmt.

 Sehen Sie Bedarf für eine Klarstellung des §72 UrhG, dass Reproduktionen von urheberrechtlich nicht (mehr) geschützten zweidimensionalen Werken (Gemälden, Fotos u.ä.) ebenfalls keinen urheberrechtlichen Schutz genießen?

 Welche Möglichkeiten sehen Sie für eine Bundesregierung unter Ihrer Mitwirkung, die von der Europäischen Kommission behandelten Fragen von Urheberrechtswaisen - also noch urheberechtlich geschützten Werken, deren Nutzungsrechteinhaber nicht mehr auffindbar sind - zu adressieren? Zukunft des Internets Das Internet erlaubt es Verlagen, zu vergleichsweise geringen Kosten ein riesiges Publikum zu erreichen und in den globalen Austausch an Informationen, Meinungen und das Angebot innovativer Dienstleistungen einzusteigen. Es entstehen neue Angebote, die dem einzelnen Nutzer helfen, sich in dieser Fülle von Seiten zurechtzufinden, Suche selbst ist ein erfolgreiches Geschäftsmodell, an dem die Anbieter hochwertiger Inhalte und die Nutzer profitieren. Auch die deutsche höchstrichterliche Rechtsprechung hat die Möglichkeiten und Grenzen für vermittelnde Dienstleistungen zu Inhalten nachgezeichnet.

 Sehen Sie Bedarf für ein Leistungsschutzrecht für Verlage? Wenn ja, welche konkreten Handlungen sollen von diesem Leistungsschutzrecht erfasst werden? Sollte Ihrer Meinung nach ein solches Leistungsschutzrecht für Verleger die Aussagen der BGH-Entscheidung zu Paperboy (Urteil vom 17.07.2003 Az: I ZR 259/00) erhalten oder negieren?

 Sehen Sie Bedarf für die Festschreibung der Netzneutralität für Internetserviceprovider?

 Artikel 3 des Gesetzes zur Bekämpfung der Kinderpornographie in Kommunikationsnetzen hat es der Bundesregierung aufgegeben, binnen zwei Jahren nach seinem Inkrafttreten Bericht über die Anwendung dieses Gesetzes zu erstatten. Befürworten Sie dazu die Aufnahme von Fragestellungen in diese Evaluierung, die die Auswirkungen dieses Gesetzes auf Netzpublikationen und kollaborativ erstellte Werke wie Wikipedia erfassen? Welche Auswirkungen dieses Gesetzes auf die Diskussion um den Umgang mit islamistischen, rechtsradikalen oder jugendgefährdenden Inhalten erwarten Sie?

Allgemeines  Ganz allgemein gefragt: Welche Rolle spielen in der Bildungs- und Forschungspolitik Ihrer Partei offene Projekte wie die Wikipedia? Wie bewerten Sie die Qualität der Inhalte im Licht Ihrer bildungs- und forschungspolitischen Schwerpunkte?