Benutzer:Michael Ebner/durchgerechnete modelle2

< Benutzer:Michael Ebner
Version vom 23. November 2011, 20:10 Uhr von imported>Michael Ebner (Schützte „Benutzer:Michael Ebner/durchgerechnete modelle2“: Wunsch des Erstellers: Diskussion auf der Diskussionsseite ([edit=sysop] (unbeschränkt) [move=sysop] (unbeschränkt)))
(Unterschied) ← Nächstältere Version | Aktuelle Version (Unterschied) | Nächstjüngere Version → (Unterschied)

Durchgerechnete Modelle

In der Diskussion um ein bedingungsloses Grundeinkommen werden einem immer mal wieder sogenannte "durchgerechnete Modelle" präsentiert. So beantragt der Antrag PA084, folgenden Satz in das Grundsatzprogramm aufzunehmen: "Ein mögliches, durchgerechnetes Modell zur Umsetzung von ReSET ist beispielsweise das mittels Positionspapier verabschiedete Solidarische Grundeinkommen ( SGE )plus Bürgerversicherung ( BV )".

Zunächst ist hier erst mal dem Eindruck entgegenzutreten, dass es ein besonderes Qualitätsmerkmal sei, wenn ein Modell durchgerechnet ist. Das Ergebnis der Berechnung könnte ja auch sein, dass das betreffende Modell eine sozialutopistische Träumerei ist, fernab jeglicher Finanzierungschance.

Das Problem mit dem Annahmen

In der Regel liegt das Problem jedoch nicht bei dem, was "unter'm Strich" rauskommt, sondern in den zugrundegelegten Annahmen. Mathematisch ist die Rechnung völlig in Ordnung, aber sie hat halt nichts mit der Realität zu tun.

Ein kleines Beispiel dazu: Ein Arbeiter hebt eine Baugrube in zehn Stunden aus, zwei Arbeiter brauchen für dieselbe Baugrube jeweils 5 Stunden. Mathematisch richtig gerechnet wäre nun auch die Aussage, dass 10.000 Arbeiter das in 3,6 Sekunden schaffen. Die dieser Rechnung implizit zugrundeliegende Annahme, dass dieser Vorgang linear skaliert, stimmt allenfalls innerhalb enger Grenzen, und je mehr man diese Grenzen verlässt, desto unsinniger wird das berechnete Ergebnis.

Beispiel Biersteuer

Solche nichtlinearen Skalierungseffekte gibt es auch bei den Steuern. Idee für das folgende Rechenbeispiel liefert der Antrag PA250, der eine Erhöung des Bildungsetats auf 15% des Bruttoinlandsproduktes fordern. Wenn man den Zahlen der OECD [[1]] glauben darf, dann liegt der Bildungsetat in Deutschland (siehe Seite 18) derzeit bei 4,3% BIP (die AG Bildung spricht von 2,9%, wo diese Zahl herkommt, bleibt aber unklar), eine Steigerung auf 15% wäre ein Zuwachs von 10,7% BIP.

Das Bruttoinlandsprodukt lag laut statistischem Bundesamt 2010 [[2]] bei 2 497,6 Mrd Euro, 10,7% davon wäre ein Zuwachs von 267,2 Mrd Euro - da muss eine alte Oma lange dafür stricken...

Wo das Geld herkommen soll, wird nicht erwähnt (angesichts dessen, was Nicht-Finanzpolitiker so rechnen, mag das vielleicht auch besser sein), jedenfalls würden Steuern gebraucht, die den Ländern zufließen - denn der Bildungsetat ist Ländersache. Eine reine Ländersteuer wäre z.B. die Biersteuer.

Zur Klarstellung: Es wird nirgends gefordert, dass die Erhöhung des Bildungsetats über die Biersteuer [[3]] erfolgen soll, wir wollen einfach nur mal spaßeshalber ausrechnen, was dabei rauskommen würde (unter der Annahme, es würde linear skalieren). 2009 wurde die Liter Bier durchschnittlich mit 9,4 Cent besteuert, was Einnahmen von 730 Mio Euro den Ländern gebracht hat. Würde man nun zusätzliche 267,2 Mrd Euro über die Biersteuer finanzieren wollen, so müsste der Liter Bier (unter Annahme gleichbleibenden Bierkonsums) zusätzlich mit 34,4 Euro besteuert werden.

Theoretisch also eine prima Sache: Nach "Rauchen gegen den Terror" kommt nun "Saufen für die Bildung". Praktisch bricht der Konsum deutschen Bieres komplett ein: Die Konsumenten steigen auf andere Getränke um, fahren zum Saufen in's Ausland, bringen von dort Bier mit (gemeinsamer europäischer Binnenmarkt...) - kurz, die Finanzminister der Länder werden nicht mal mehr ihre 730 Mio Euro erlösen.

Solidarische Grundeinkommen (SGE)

Wenden wir uns nun mal einem solchen "durchgerechnetem Modell" zu, dem Solidarische Grundeinkommen (SGE). Dazu zunächst zwei Vorbemerkungen: Erstens: Auch dieses Modell enthält eine ganze Reihe sehr vernünftiger Gedanken, z.B. (rein willkürlich herausgegriffen), dass das deutsche Steuersystem viel zu kompliziert sei.

Zweitens: Das SGE komplett gegenzurechnen ist nicht ganz einfach, da hier viele Tabellen ineinandergreifen, die Erläuterungen auf der Webseite nicht ganz zu den Zahlen in den Tabellen passen (augenscheinlich unterschiedliche Bearbeitungsstände), die Herkunft einiger Zahlen unklar ist, etc. Von daher sollen hier nur beispielhaft einige Ansätze hinterfragt werden.

Steuern auf Unternehmensgewinne und Kapitalvermögen

Vorab: Ich habe nicht per se etwas dagegen, dass Unternehmen stärker besteuert werden: Derzeit ballen sich die wirtschaftlichen Aktivitäten Europas in Deutschland, eine höhere Besteuerung der Unternehmen hier würde dazu führen, dass sich das etwas gleichmäßiger auf Europa verteilt. Darüber kann man offen reden.

Allerdings führt diese gleichmäßigere Verteilung der wirtschaftlichen Aktivität dazu, dass die in Deutschland gezahlten Steuern zurückgehen. Dass Steuereinnamen nicht linear mit dem Steuersatz skalieren, ist den Autoren des SGE grundsätzlich bekannt - beim Thema Alkoholsteuern haben sie es nämlich mit berücksichtigt. Umso unklarer ist daher, warum sie das weder bei der Einkommens- noch bei der Unternehmens- noch bei der Kapitalertragsbesteuerung angesetzt haben.

z.B. Unternehmensbesteuerung: Ausweislich der schönen Grafik auf Seite 3 des PDFs sollen Unternehmen weiterhin Körperschafts- und Gewerbesteuer bezahlen. Und von dem, was davon übrig bleibt, gehen davon noch mal 50% Einkommenssteuer runter - Halbeinkünfteverfahren [[4]] gibt es augenscheinlich dann nicht mehr.

Kurz: Es wird nicht nur unterstellt, dass bei einer erheblichen Anhebung des Steuersatzes das Steueraufkommen sich ebenso erhöht, sondern auch noch, dass in diesem Moment sämtlicher "Steuerschwund" (Steuerhinterziehung, nicht vollstreckbare Steuern bei insolventen Steuerschuldnern...) wegfällt - denn Abschläge dafür sind auch nirgends zu finden.


Subventionen

Von 140 Mrd Euro Subventionen (diese Zahl ist nicht weiter belegt) sollen 36%, also 50 Mrd Euro gekürzt werden. Nicht berücksichtigt sind dabei die folgenden Aspekte:

  • Viele Subventionen sind in Form von Steuersubventionen gestaltet - diese sind ohnehin schon in diesem Konzept realisiert, einfach deswegen, weil man 50% der Einkommen (Löhne, Unternehmensgewinne, Kapitalerträge) als Steuereinnahmen ansetzt. Diese Subventionen sind ohnehin schon weg, sie lassen sich für eine Gegenfinanzierung nicht mehr nutzen.
  • Mit Subventionen werden durchaus auch sinnvolle Dinge unterstützt, von Denkmalschutz über die energetische Gebäudesanierung bis hin zur Förderung kultureller, sozialer und karikativer Zwecke. Es muss klar sein, dass so etwas dann deutlich weniger stattfinden wird.
  • Im Bereich der Unternehmen haben wir Subventionen z.B. in Form von Bürgschaften bei Exportgeschäften, Förderung von Forschung und Entwicklung oder Förderung von Unternehmensgründungen. Wenn das alles wegfällt, hat dies auch Auswirkungen auf die wirtschaftliche Tätigkeit und damit auf das Steueraufkommen.
  • Weniger Subventionen reduzieren auch direkt das Volkseinkommen und damit die Besteuerungsgrundlage - man dürfte ohnehin nur 50% der Subventionskürzung für die Finanzierung ansetzen.

Alkoholsteuern, höher Kaufkraft

Wenn man die Alkoholsteuern wie im Konzept vorgeschlagen erhöht und dabei der Konsum auf 85% zurückgeht, dann kann man mit etwa 10 Mrd Euro Mehreinnahmen rechnen. Die Sätze für das SGE muss man dan auch vor dem Hintergrund der daraus resultierenden höheren Preise betrachten. Insgesamt soll das aber nicht kritisiert werden.

Woher die zusätzlichen 27 Mrd Euro durch höhere Kaufkraft herkommen sollen, ist nicht weiter belegt.

Einsparung im Sozialbudget

Auf Seite 16 im PDF ist zu sehen, wie 150,4 Mrd Euro im Sozialbudget eingespart werden sollen. Dass Posten wie ALG2 oder Kindergeld zu 100% entfallen, ist richtig und nachvollziehbar, dieses Systeme sollen ja durch das SGE ersetzt werden.

Dass man in der Sozialhilfe 67% = 15,57 Mrd Euro sparen will, scheint mir dagegen eine unzulässige Pauschalisierung. Sicher kann mit SGE Hilfe zum Lebensunterhalt vollständig entfallen. Der große Posten in der Sozialhilfe sind jedoch die Eingliederungshilfen für Behinderte (durcschnittlich 1500,- Euro pro Person und Monat), da wird man quasi gar nicht sparen können, ebensowenig bei den Hilfen zur Gesundheit (durchschnittlich 2000,- Euro pro Person und Monat). Wenn man großzügig rechnet, dass so mancher Betroffene dank SGE einen etwas größeren Teil selbst bezahlen kann, so kommen vielleicht 7 Mrd Euro zusammen.

Des weiteren möchte man großzügig in die Alterssicherung der Landwirte und in die Versorgungswerke greifen, in wieweit sich solche Einsparungen verfassungskonform tatsächlich realisieren lassen, bleibt abzuwarten - aber hier geht es ja nicht um die ganz großen Summen.

Wenig nachvollziehbar ist, warum Arbeitgeberleistungen wie die Entgeltfortzahlungen im Krankheitsfall oder die Betriebliche Altersversorgung für die SGE-Finanzierung herangezogen werden sollen. Die Anmerkung "AG-Leistungen nicht berücksichtigen" macht es ebensowenig klar wie das Nichtansetzen in der Spalte "Sozialbudget neu". Klar ist zumindest, dass so etwas wie die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall in der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung in der Einkommensverteilung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer umschichten - wenn das wegfallen sollte, dann versteuern die Arbeitnehmer weniger Lohn und die Unternehmen mehr Gewinne - für den Staat nur dann ein Gewinn, wenn das Unternehmen Körperschaftssteuer bezahlt, und auch dann wären es keine 50%.

Einsparung in des Bundes- und Landeshaushalten

In den Bundes- und Landeshaushalten sollen 82,6 Mrd Euro eingespart werden, was sich zu rund 62 Mrd Euro aus den bisherigen Zuschüssen zur gesetzlichen Rentenversicherung zusammensetzt. Diese Zuschüsse sind derzeit ein Ausgleich für sogenannte versicherungsfremde Leistungen, z.B. Kindererziehungszeiten. In wieweit man die ersatzlos wegfallen lassen kann, sei mal dahingestellt. Zusätzlich sollen ja auch noch mal 40% = 76 Mrd Euro der Rentenbeiträge als Steuern vereinnahmt werden (zum Thema "verfassungsgemäße Rentenbesteuerung" siehe [[5]]).

Die restlichen Einsparungen sind mittels einer pauschalen 3%-Kürzung (Verteidigungsetat 10%) vorgesehen. Wie realistisch das ist, sei mal dahingestellt.

Fazit

Auch wenn das SGE-Konzept mathematisch nicht zu kritisieren ist: Die zugrundeliegenden Annahmen sind teilweise nicht nachvollziehbar, teils fraglich, zu einem erheblichen Teil auch eindeutig realitätsfern.