NRW:Arbeitskreis/Bildungspolitik/Programmentwürfe/Schulbildung Annette
Frühkindliche Bildung / Schulbildung
„Die Welt hat sich auf die Begriffe LINKS und RECHTS versteift und dabei vergessen, dass es auch ein OBEN und UNTEN gibt.“ Franz Werfel
Erklärtes Ziel und Voraussetzung demokratischer Gesellschaften ist der „mündige Bürger“. In Wahrheit allerdings werden einige weniger immer klüger, bedrückend viele aber anscheinend immer dümmer. Unter dem Deckmantel der Eigenverantwortung der Eltern sieht die jetzige Landesregierung der zunehmend geistigen und sozialen Verwahrlosung mit geheucheltem Entsetzen tatenlos zu. Die Folge sind schulunfähige Sechsjährige. Im Schulsystem setzt sich dies fort: Frühzeitig wird über die Bildung und damit über die spätere Schichtenzugehörigkeit entschieden, und auch dies weniger nach Leistung als nach sozialer Herkunft.
„Man kann einen Teil des Volkes die ganze Zeit täuschen, und das ganze Volk einen Teil der Zeit. Aber man kann nicht das ganze Volk die ganze Zeit täuschen.“ Abraham Lincoln
Frühkindliche Bildung
Die Landesregierung NRW sagt: Verbindliche Sprachtests bei allen Kindern bereits zwei Jahre vor der Einschulung. Getestet wird, ob das Sprachvermögen altersgemäß entwickelt ist und ob die deutsche Sprache hinreichend beherrscht wird. Der Anteil der Kinder mit zusätzlichem Sprachförderbedarf liegt 2009 bei 24%. Die Landesregierung stellt 340 Euro pro förderbedürftiges Kind und Jahr bereit.
Die PIRATEN fordern: Ausbau der Sprachtests: zusätzliche motorische Tests im Alter von vier Jahren. Grund: Motorische Fähigkeiten werden mit der Entwicklung der logischen Fähigkeiten ausgebildet. Sprachtests allein sind nicht ausreichend. Bei förderbedürftigen Kindern müssen verpflichtende, staatlich finanzierte Aufbaukurse angeboten werden. Die Zusammenarbeit von Eltern und Bildungseinrichtung muss aktiv gefördert werden.
Nichtlehrendes Personal
Die Landesregierung sagt: Bis 2010 gibt es 25 neue Stellen für Schulpsychologen, insgesamt sind das in NRW 295 Stellen.
Die PIRATEN fordern: Jede Schule egal welcher Schulform benötigt nichtlehrendes, qualifiziertes Personal wie Assistenten, Psychologen, Sozialpädagogen, zur Unterstützung von Problemen und in Krisensituationen. Lehrer sind dafür nicht ausreichend ausgebildet. Die Umsetzung darf nicht aus finanziellen Gründen scheitern. Es sollte an jeder Schule ein Stab aus 3-4 nichtlehrenden Mitarbeitern vorhanden sein. Dafür müssen entsprechende Mittel bereitgestellt werden.
Durchlässigkeit des Schulsystems
Die Landesregierung sagt: Es besteht eine hohe Durchlässigkeit des Schulsystems in der Sek I: Ein Wechsel soll stets dann in Betracht gezogen werden, wenn in den Fächern mit Klassenarbeiten ein Notendurchschnitt von mindestens 2,0 erreicht ist. Es schaffen etwa 600 RS-Schüler pro Jahr den Sprung in Richtung Abitur.
Die PIRATEN fordern: Schüler dürfen erst später nach Leistung klassifiziert werden. Im Alter von zehn Jahren können keine validen Aussagen über die Schullaufbahn getätigt werden. Das Problem der Durchlässigkeit erledigt sich, wenn Schüler länger gemeinsam lernen. Die Individualität des Schülers in seinen Fähigkeiten und Möglichkeiten muss stärker gefördert werden.
Klassengröße
Die Landesregiergung sagt: Die Schüler-Stellen-Relation soll bis 2010 auf 16,59 reduziert werden.
Die PIRATEN fordern: Die maximale Klassen-/Kursgröße soll 15 Schülerinnen und Schüler nicht überschreiten. Dort wo es pädagogisch notwendig ist, wie in speziellen Fördergruppen, muss diese Zahl entsprechend niedriger sein. Die dafür notwendigen finanziellen Mittel müssen im Haushalt bereitgestellt werden.
Individuelle Förderung
Die Landesregierung sagt: Jeder Schüler hat das Recht auf individuelle Förderung (Schulgesetz)
Die PIRATEN fordern: Lehrer müssen zur Erstellung von Konzepten zur individuellen Förderung abgeordnet werden. Stärkere Zusammenarbeit innerhalb der Fachkonferenzen. Gleichzeitige Anrechnung der Konzeptentwicklung beim Stundensoll. Mehr Personal in den Klassen unterstützt die Umsetzung von individueller Förderung.
Chancengleichheit / soziale Selektion
Die Landesregierung muss sich der internationalen Kritik stellen: Die TIMSS-Studie, DESI-Studie und die PISA-Studien stellten für die Sekundarstufe I in Deutschland fest, dass sich die mathematischen und die literarischen Kompetenzen zwischen Hauptschülern, Realschülern und Gymnasiasten zu einem großen Prozentsatz überschneiden. Dies bedeutet, dass es in allen Schulformen sehr gute, mittlere und schwache Schüler gibt - nur eben in den Prozentanteilen unterschiedlich. Hieraus schloss die UNICEF-Studie "Disadvantages In Rich Nations", dass die Kinder in Deutschland zu früh und falsch sortiert würden. Die Studie fasste die Situation in Deutschland unter dem Titel: "Germany: Children Sorted For A Life" (Deutschland: Kinder für ihr ganzes Leben einsortiert) zusammen, um zu verdeutlichen, dass diese frühe Einsortierung kaum rückgängig zu machen sei. Die PISA-Sonderstudie zu Erfolgschancen von Migrantenkindern kritisiert ebenfalls das deutsche Bildungssystem. Migrantenkinder der zweiten Generation, also Schüler und Schülerinnen, die in Deutschland geboren sind, aber ausländische Eltern haben, erbringen noch schlechtere Leistungen als Migrantenkinder der ersten Generation; 40% von ihnen erreichen nicht die Kompetenzstufe 2.
Die PIRATEN fordern: Jeder Schüler hat das Recht auf Bildung! Unabhängig von seiner Herkunft muss jedem Schüler eine umfassende Bildung ermöglicht werden. Um gleiche Bildungschancen zu gewährleisten, muss die frühe Selektion abgeschafft werden. Kinder müssen zudem ganzheitlich gefördert werden, ohne die Beschränkung auf rein kognitive Fähigkeiten. Interkulturelle Sichtweisen müssen in die Erziehung und Bildung miteingebunden werden. Gerade bei nicht-deutschen Eltern ist eine verstärkte Einbeziehung in die Erziehungs- und Bildungsarbeit erforderlich. Modell "liquid school": Kinder lernen gemeinsam in einem Schultyp aber mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten in einem individuellen Kurssystem. Die Vermittlung von Kernkompetenzen erfolgt so lange als möglich gemeinsam. Neigungsfächer können frühzeitig gewählt werden. Die Abschlüsse werden dann gemacht, wenn die individuellen Voraussetzungen da sind.
Berechtigung von Bewertungen / Transparente Schule vs. transparenter Schüler
Die Landesregierung muss sich der Kritik stellen: Die Bewertung, Kategorisierung und Benotung von Schülern in einem Zeugnis widerspricht dem Schutz der Privatheit. Durch Zeugnisnoten sollen Schüler transparent werden: für eine Auswahl auf dem Arbeitsmarkt oder für eine Auswahl durch Hochschulen. Die Kriterien, die dieser Bewertung zugrunde liegen bleiben dagegen völlig intransparent. Durch die aktuelle Praxis der Intransparenz auf Seiten der Bewertungskategorien wird momentan eine gewisse Privatheit gewährleistet, da vielen Personen bewusst ist, dass die Aussagekraft von Noten sehr begrenzt ist. Je detaillierter eine Bewertung jedoch wird, um so mehr verletzt sie die Privatheit des Lernenden.
Die PIRATEN fordern: Abschaffung von Noten auf Abschlusszeugnissen. Bewertungs- und Einschätzungsdaten von Leistungsständen gehören ausschließlich in den Zusammenhang, in dem sie erhoben wurden: die Schule. Sie können dazu dienen, eine Schullaufbahn zu kontrollieren und Maßnahmen zur Verbesserung der Bildungslaufbahn zu steuern. Sie sollten jedoch nicht nach draußen gelangen. Auf Zeugnissen sollte daher nur die bestandene Abschlussprüfung vermerkt sein. Noten als Feedback, nicht als Urteil!
Klassenwiederholungen, das sogenannte „Sitzenbleiben“
Die Landesregierung sagt: „Sitzenbleiben führt nur selten zum Erfolg“ Schüler werden durch das sog. Sitzenbleiben nicht besser. Seit Regierungsantritt im Jahr 2005 arbeitet die Landesregierung daran, die Zahl der Klassenwiederholungen zu verringern. Die Sitzenbleiberquote in der Sek I hat im vergangenen Schuljahr mit 2,7 Prozent den niedrigsten Wert seit Jahren erreicht.
Die PIRATEN fordern: Die Ablösung der starren Curricula durch ein flexibles Kurssystem, bei dem die Schüler individuell und ihren Fähigkeiten entsprechend lernen können. Festlegung von verbindlichen Mindeststandards. Ein Abschluss wird erreicht, wenn eine bestimmte Anzahl an Kursen erfolgreich abgeschlossen wurde.
Fazit
Aus diesen Forderungen der Piratenpartei ergibt sich langfristig der Umbau des deutschen Schulsystems. Unser weltweit fast einmaliges dreigliedriges Schulsystem ist ein wohlbehütetes Erbe der Ständegesellschaft früherer Jahrhunderte. Noch immer verewigt das Schulsystem die bestehende Ungleichheit der Gesellschaft. De facto werden die Menschenrechte der Kinder zurückgestellt gegenüber dem Privateigentum der Eltern.
„Manches ist so falsch, dass nicht einmal das Gegenteil davon wahr ist.“ Karl Kraus
Fragt man einen Politker nach der Chancengleichheit bei der Bildung, so sieht er einen an, als habe man ihn aufgefordert, seinen gesamten Besitz zu verschenken. Tatsächlich ist es mit der Forderung „Bildung für alle“ wie mit einer ständige geplatzten Verabredung: Nach dem dritten Mal befürchtet man, nach dem fünften Mal weiß man, dass es nie etwas wird. Die Piratenpartei fordert daher neben der Umsetzung der bereits genannten Ziele einen langfristigen Umbau des deutschen Schulsystems. Im Mittelpunkt müssen die individuelle Förderung und die Bedürfnisse der Kinder stehen. Die Betrichterung der Kinder im 45-Minuten-Takt lehnen wir ab. Ein Schulmodell, bei dem alle Kinder die für sie speziell notwendige Förderung erhalten ist das erklärte Ziel der Piratenpartei. Die geforderten Verbesserungsaspekte werden durch ein flexibles Kurssystems, das das starre - die persönliche Entwicklung behindernde - Klassensystem ablöst, gewährleistet.