LiquidFeedback/Themendiskussion/804

Der Bundesparteitag möge als Positionspapier und zur Aufnahme in künftige Wahlprogramme beschließen:

Unabhängige Beschwerdestelle für Polizei-Übergriffe

Die Piratenpartei Deutschland strebt die Einrichtung einer unabhängigen Beschwerdestelle zur Entgegennahme von Beschwerden gegen Polizei-Übergriffe an, von der aus auch exklusiv Ermittlungen gegen beschuldigte Polizeibeamte geführt werden. Diese Stelle ist der jeweiligen Generalstaatsanwaltschaft anzugliedern, die zu diesem Zweck eine unabhängige Abteilung einrichtet. Ihr wird für diese Aufgabe eine Task-Force von polizeilichen Ermittlungsbeamten zur Seite gestellt, die dienstrechtlich ebenfalls der Generalstaatsanwaltschaft zugeordnet sind und nicht aus dem Polizeidienst des jeweiligen Bundeslandes rekrutiert werden dürfen, also stattdessen etwa aus der Bundespolizei oder der Polizei eines Nachbarlandes gewonnen werden. Die Beschwerdestelle soll auch für interne Verfahren zuständig sein, wie Mobbing- oder Diskriminierungsvorwürfe. Ihr Aufgabenbereich und die rechtlichen Rahmenbedingungen ihres Tätigwerdens müssen den von Amnesty International vorgeschlagenen "unabhängigen Untersuchungskommissionen" entsprechen.

Begründung (nicht Bestandteil des Antrags)

Die Ermittlungen nach Berichten über Polizeigewalt bleiben derzeit unbefriedigend. Interne Ermittlungen der Polizei selbst begegnen dem Vorwurf, die ermittelnden Beamten könnten befangen oder einem Corpsgeist unterworfen sein. Amnesty International hatte über 15 Fälle von Polizeigewalt berichtet und kritisiert, dass oftmals nicht unabhängig und objektiv bei Vorwürfen gegen Polizeigewalt ermittelt würde.

Die Aufgaben der Polizei sind vielfältig und schwierig. Polizeiliches Handeln ist situationsbezogen und kann teilweise im Nachhinein nur schwer rekonstruiert werden. Das gilt umso mehr, wenn in der Bürgerschaft der Eindruck entsteht, die Polizei sei damit überfordert, Fällen von Polizeigewalt wirksam entgegenzutreten.

Eine unabhängige Beschwerdestelle zu schaffen, ist kein Generalverdacht gegen die Polizei, sie dient vor allem dazu, eine wirksame Aufklärung zu leisten, in Fällen, in denen vom Staat Fehler gemacht werden. Sie kann das Vertrauen in die staatlichen Institutionen, die von Gesetzes wegen unmittelbaren Zwang ausüben dürfen, weiter erhöhen.

Die Initiative greift die Initiative von Amnesty International auf und entwickelt sie weiter. So siedelt sie die Ermittlungs-Aufgaben in der Exekutive an, legt aber Wert darauf, dass ein anderes Ministerium (Justiz) die Hoheit über die Stelle hat. Sie entspricht damit besser den Grundvoraussetzungen der Gewaltenteilung.

Die Position von Amnesty International sagt leider nicht, aufgrund welcher demokratischer Legitimation die Untersuchungskommission innerhalb der durch die Gewaltenteilung gegliederten Institutionen tätig werden soll. Es hat sich erwiesen, dass eine interne Untersuchung innerhalb der Polizei die Aufgabe nicht erfüllen kann. Deshalb ist die Zuordnung zu einem anderen Ministerium erforderlich. Die Beschwerdestelle hat exekutive Funktionen wie strafrechtliche Ermittlungen durchzuführen, deshalb ist ihre Zuordnung zur Staatsanwaltschaft sinnvoll. Um die Aufgaben erfüllen zu können muss die Beschwerdestelle um eine Task Force ergänzt werden, die ohne Anbindung an die Polizei die polizeilichen Ermittlungen übernehmen kann. Es ist Aufgabe des Justizministeriums durch organisatorische Maßnahmen die Unabhängigkeit innerhalb der Staatsanwaltschaft zu sichern. Die Ahndung erwiesener Straftaten obliegt den Gerichten. Die Staatsanwaltschaft ist kraft ihrer Aufgabe die sinnvolle Institution, um die Aufgabe zu übernehmen. Ihre Arbeit unterliegt dann natürlich auch der parlamentarischen Kontrolle.

Die Initiative beruht auf einer Initiative, die im Berliner Landesverband erfolgreich war und Eingang in das Berliner Wahlprogramm für die Wahlen zum Abgeordnetenhaus gefunden hat. Sie ist hier erweitert worden und in der Begründung ergänzt worden. Damit greift sie die Anregungen von Amnesty International auf. Sie ist imstande die "sieben guten Gründe" Amnestys innerhalb des Systems gewaltenteiliger Strukturen zu realisieren.

Aus dem Positionspapier von Amnesty International:

Sieben gute Gründe ...

1. Unabhängige Untersuchungskommissionen können über den Einzelfall hinaus strukturelle Vorschläge zur Verbesserung der Polizeiarbeit machen, die gegebenenfalls bei den politisch Verantwortlichen einen höheren Stellenwert erhalten würden, als gleich lautende Vorschläge aus der Polizeiorganisation oder von den Berufsvertretungen. So bereitet die Kommission in England in regelmäßigen Abständen „lessons learned“ zu bestimmten Fragen der Polizei auf.
2. Durch die Möglichkeit, auch auf eigene Initiative hin Ermittlungen über sich abzeichnende Muster von Rechtsverletzungen durchführen zu können, entfalten unabhängige Untersuchungskommissionen eine präventive und "befriedende" Wirkung.
3. Unabhängige Untersuchungskommissionen bieten der Polizei die Möglichkeit, Vorwürfen oder dem Argwohn entgegenzuwirken, bei Auseinandersetzungen um polizeiliches Fehlverhalten würden intern Ermittlungen behindert oder Übergriffe vertuscht und gedeckt werden.
4. Eine allgemein anerkannte neutrale Kontrollinstanz kann die Position solcher Beamtinnen und Beamten stärken, die zu Unrecht polizeilichen Fehlverhaltens beschuldigt werden.
5. Unabhängige Untersuchungskommissionen fördern die Transparenz polizeilichen Handelns, verstärken mittelbar den Dialog zwischen Polizei und (polizeikritischen) Bürgerinnen und Bürger und erhöhen damit die "Bürgernähe".
6. Unabhängige Untersuchungskommissionen bieten PolizistInnen die Chance, außerhalb ihrer eigenen Dienststelle mögliches Fehlverhalten von KollegInnen anzuzeigen, ohne dabei unter Druck zu geraten.
7. Unabhängige Untersuchungskommissionen können präventiv gegen Übergriffe schützen, da sie Transparenz fördern und Straflosigkeit für rechtswidrige Gewalt entgegenwirken. So werden insbesondere die Rechte der Opfer von rechtswidriger Polizeigewalt geschützt.

Die Umformulierung dient dazu, den politischen Forderungscharakter besser herauszuarbeiten und verändert die Zuständigkeit hin zur Generalstaatsanwaltschaft, um eine noch etwas größere Unabhängigkeit sicherzustellen.

Warum erneut als Initiative in LiquidFeedback?

Diese Initiative wurde in ihrer Ursprungsfassung bereits zum BPT 2010.2 eingereicht, aber dort nicht behandelt. Politische Diskussionen entwickeln sich weiter. Anträge sind zeitgebunden und erreichen daher immer nur einen Grad der Beschlussreife, der durch neue Erkenntnisse und Alternativen überholt werden kann. Daher scheint eine erneute Diskussion in LiquidFeedback sinnvoll.

Diese Initiative erhielt im LiquidFeedback-System des Bundes eine mehrheitliche Zustimmung:

Ja: 394 (89%) • Enthaltung: 123 • Nein: 47 (11%)

https://lqfb.piratenpartei.de/pp/initiative/show/111.html

Anregungen

  • zur Anregung 3642:
    • Legalitätsprinzip – Ich sehe kein Problem. Es geht mit der Initiative ja gerade darum, eine neue gesetzliche Grundlage zu schaffen. Damit ist auch im Erfolgsfall das Legalitätsprinzip gewahrt.
    • Leider hat sich herausgestellt, dass die Polizei selbst trotz Verpflichtung kaum imstande ist, solche Ermittlungen unvoreingenommen durchzuführen.
    • Ob es ausreicht, für die Ermittlungen gegen Polizeibeamte eine andere Landespolizei einzusetzen, scheint mir noch zweifelhaft. Das könnte man aber natürlich im Rahmen eines Modellversuchs herausbekommen. Für die politische Positionierung scheint mir der eingebrachte Antragstext die klarere Variante zu sein.
    • Begriff »Polizei-Übergriffe« – Ich kann die Bedenken verstehen, sehe aber leider auch, dass es gelegentlich zu Übergriffen kommt, an denen nicht nur einzelne Polizisten beteiligt sind – vor allem auch in geschlossenen Einheiten. Für eine geeignetere Formulierung bin ich aufgeschlossen. --etz 10:54, 19. Okt. 2011 (CEST)
  • zur Anregung 3616:
    • Die Initiative versucht gerade, so wenig neue Strukturen zu schaffen, wie möglich. Damit sind auch die zusätzlichen Kosten gering.
    • Die Initiative erweist sich auch deshalb als notwendig, weil die bisherige Praxis sich als unzureichend herausgestellt hat. --etz 10:54, 19. Okt. 2011 (CEST)
  • zur Anregung 3678:
    • Leider habe ich nicht verstanden, was die Anregung mitteilen will und anstrebt. Ich würde mich freuen, wenn der Anregende seine Anregung auf der Wiki-Diskussionsseite genauer darlegt oder mich über den Mail-Service des Piratenwikis anschreibt. --etz 10:54, 19. Okt. 2011 (CEST)
      • Hintergund meiner Anregung ist, diese "Beschwerdestelle" in das bereits bestehende System der disziplinarischen Ahndung von Dienstvergehen zu integrieren und das ganze dann möglichst transparent zu gestalten. Die Bindung an die Generalbundesstaatsanwaltschaft sowie die Schaffung einer neuen Dienststelle/Taskforce ist meiner Meinung nach nicht zweckmäßig, weil hier dann eine weitere parallel zum Beamtenrecht stehende Struktur geschaffen würde. Für den Fall daß auch eine Straftat begangen wurde, muss sowieso eine Abgabe an die Staatsanwaltschaft erfolgen, die dann per Gesetz oder Dienstvorschrift dazu angehalten werden sollte, auf andere Behörden außerhalb der Polizei zurückzugreifen. --tforkel 12:04, 19.Oktober 2011 (CEST)
        • Die Ermittlungen sollen nicht der Bundesanwaltschaft, sondern der Generalstaatsanwaltschaft zugeordnet werden. Dabei handelt es sich um die Staatsanwälte beim Oberlandesgericht (in Berlin: Kammergericht). Damit sind die Generalstaatsanwaltschaften Behörden der Länder und es ist keine neue Behörde erforderlich. Das akute Problem ist doch, dass das bestehende System der Disziplinar-Ermittlungen sich eben gerade nicht als tauglich erwiesen hat. Deshalb möchte ich die Ermittlungen komplett aus der Zuständigkeit der betroffenen Landespolizei lösen. Wie die Task Force im Einzelnen organisiert wird, ist hier noch nicht detailliert ausgearbeitet. Ob es also einen festen Stamm von Ermittlern geben muss oder ob (Task Force) jeweils nach Bedarf Beamte hierher abgeordnet werden, bliebe einer weiteren Ausarbeitung vorbehalten. Auch die in einer anderen Anregung vorgetragene Idee, dafür eine andere Landespolizei zuständig zu machen, könnte man in einem Modellversuch erproben. Klar erscheint mir nur, dass die bisherige Konstellation versagt hat und es auf jeden Fall einer tiefgreifenden Korrektur bedarf. --etz 15:08, 19. Okt. 2011 (CEST)
  • zur Anregung 3866:
    • Die Zuordnung zu den Generalstaatsanwaltschaften (also zur Ebene der Oberlandesgerichte) scheint – jedenfalls im Moment – genügend weit weg von der täglichen Polizei- und Staatsanwaltsarbeit, dass hier eine Unabhängigkeit möglich ist. Zumindest sollte man das erproben. Die Zuordnung zur Generalstaatsanwaltschaft führt mit den Zielen der Initiative 1903 zu einer vergleichsweise unabhängigen Arbeitsstruktur, da auch Einzelweisungen des Ministeriums untersagt sind. Die in der Initiative vorgeschlagene Task Force ist eine eigene Ermittlungseinrichtung, die unmittelbar der Generalstaatsanwaltschaft untersteht. Daher kann ich nicht erkennen, welcher zusätzliche Unabhängigkeitsgewinn erreicht würde, wenn die Stelle statt der Generalstaatsanwaltschaft direkt dem Justizminister zugeordnet würde. --etz 05:37, 24. Okt. 2011 (CEST)
    • Ergänzend möchte ich zu Übertretungen der Bundespolizei und der BKA noch anmerken: Um eine Kumpanei zwischen Bundesanwaltschaft und BKA zu vermeiden, sollte hier die Zuständigkeit bei der Generalstaatsanwaltschaft jenes Landes liegen, in dem der Übergriff stattgefunden hat. --etz 05:46, 24. Okt. 2011 (CEST)
    • Der genannte Beispielfall ist ebenfalls eher eine Bestätigung der hier vorgeschlagenen Organisationsform. Dem zu Unrecht beschuldigten und mehrfach Verurteilten wurde just auf der Ebene des Oberlandesgerichts Gerechtigkeit zuteil. Also auf der Ebene, an die wir die Beschwerdestelle angliedern wollen. --etz 05:53, 24. Okt. 2011 (CEST)

Bei Betrachtung der verschiedenen Anregungen zu dieser Initiative scheint mir deutlich zu werden, dass die Initiative die angemessene Unabhängigkeit gegenüber den bisherigen zu Corpsgeist neigenden Strukturen gefunden hat. --etz 05:46, 24. Okt. 2011 (CEST)

Weitere Module zu diesem Themenbereich

Es ist geplant, diese Initiative als ein Modul in einem etwas größeren Zusammenhang zu positionieren. Die weiteren Module, die auf der Forderung nach Polizistenkennzeichnung und nach einer Weisungsunabhängigkeit der Staatsanwaltschaften beruhen, werden zur Zeit gerade erarbeitet. --etz 17:05, 25. Sep. 2011 (CEST)