Benutzer:Reverend T
Jetzt haben sie es in Berlin also tatsächlich geschafft. Ich, der Sohn eines alten Sozis*, der nun wirklich so einiges miterlebt hat - RAF, Radikalenerlass, NATO-Doppelbeschluss, Friedensbewegung, den kalten Krieg & Glasnost, Gorleben, Startbahn West, Gründung / Aufstieg / Korruption der Grünen, vier Legislaturperioden (!) Kohl, eine wahrscheinlich gut gemeinte, aber wirtschaftlich völlig versaubeutelte Wiedervereinigung, die "Agenda 2010",Kriegseinsätze der Bundeswehr, Barschel, Schmiergeldaffären und und und - bin tatsächlich auf meine alten Tage noch einer Partei beigetreten.
Wie kommt es dazu, dass jemand, der so viel politischen Schindluder gesehen hat, aber nie wirklich politisch aktiv geworden ist, auf einmal diesen Schritt macht? Ganz einfach: ich kann nicht mehr zusehen, und ich WILL nicht mehr zusehen, wie dieser Staat ausgehöhlt und pervertiert wird. Wir werden von offensichtlichen Verfassungsfeinden regiert. Da gibt es einen Innenminister (zu dessen Berufsbeschreibung übrigens eigentlich Wahrung und Schutz des Grundgesetzes gehören), der sich erdreistet, sich in öffentlichen Aussagen eine Einmischung des Bundesverfassungsgerichts in die politische Entscheidungsfindung zu verbitten. Der aus einem pathologischen Sicherheitsbedürfnis nach einem traumatischen Erlebnis (das er nie therapeutisch verarbeitet hat) heraus links und rechts die Bürgerrechte in diesem Land beschneidet. Da gibt es eine Bundeskanzlerin, die in einer Diktatur, in einem Unrechtsstaat, unter Bespitzelung und Zensur aufgewachsen ist und trotzdem (oder gerade deswegen) die Augen davor verschließt, dass die BRD Schritt um Schritt in eine "DDR Reloaded" umgewandelt wird. Da gibt es eine Familienministerin, die entweder so unendlich dumm und beratungsresistent ist, dass sie nicht einmal merkt, wie sie mit ihrem besessenen Kreuzzug gegen Kinderpornographie** einer Wiedereinführung der Zensur Tür und Tor öffnet, oder aber - was noch schlimmer wäre - zynisch genug ist, das Leiden missbrauchter Kinder als Aufhänger für diese verfassungsfeindlichen Umtriebe zu instrumentalisieren. Die sich erdreistet, Kritiker mal eben in einem Nebensatz in die pädophile (oder wie sie so gerne sagt, "pädokriminelle") Ecke zu rücken, um sie mit dieser Diffamierung mundtot zu machen. Da gibt es einen Wirtschaftsminister, der ihr gleich nacheifert und 134.000 Menschen in "betroffener" Weise unterstellt, sie wären allesamt Sympathisanten der Kinderpornoszene. Da gibt es eine Justizministerin, die öffentlich fordert, das rechtsstaatliche Prinzip der Unschuldsvermutung abzuschaffen und gleichzeitig eine Beweislastumkehr einzuführen, und die dann auch noch die Chuzpe hat, es als großen Erfolg ihrer Partei verkaufen zu wollen, dass diese unhaltbaren Forderungen - die sie selber in einen Gesetzesentwurf eingebracht hat - aus eben jenem Entwurf gestrichen worden sind. Da gibt es einen innenpolitischen Fraktionssprecher, der in bester Monarchenmanier zum Thema "Petitionen" erklärt, dass es zwar das gute Recht jedes Bundesbürgers sei, seine Meinung zu äußern, dass dies aber den politischen Entscheidungsvorgang in keiner Weise beeinflussen würde.
Wir haben uns viel gefallen lassen. Viel zu viel. Kamen manche der Bürgerrechtseinschränkungen noch unter dem "shell shock" nach dem 11. September 2001 durch, kann diese Ausrede heute nicht mehr gelten. Biometrische Daten in Ausweispapieren, Videoüberwachung in den Städten, "Antiterrordatei", Vorratsdatenspeicherung, Onlinedurchsuchung, BKA-Gesetz, BSI-Gesetz...
Ein ums andere mal werden Gesetzesvorhaben dieser Regierung vom BVerfG kassiert und ein ums andere mal schalten die Verantwortlichen auf Durchzug. Aber jetzt haben die "Volksparteien" einen Tabubruch begangen, der alles in dieser Republik bisher dagewesene in den Schatten stellt. Es wird eine Infrastruktur errichtet, um den Zugang zu Informationen gezielt zu sperren. Die Liste der gesperrten Informationen soll unter Aushebelung der Gewaltenteilung ohne Richtervorbehalt durch eine Polizeibehörde erfolgen. Und sie soll geheim sein. Nachdem Schäuble die Grenzen zwischen BKA und Nachrichtendiensten bereits immer weiter aufzuweichen versucht, soll die Bundespolizei jetzt also auch noch die Befugnisse einer geheimen Zensur erhalten. Einer Zensur, die bereits im Vorfeld Begehrlichkeiten aller möglichen Interessenverbände geweckt hat. Und diese Begehrlichkeiten beschränken sich nicht auf das Blockieren illegaler Angebote, wie es uns manche mit ihrem Mantra vom Internet als "rechtsfreiem Raum" (das durch ständige Wiederholung auch nicht wahr wird) vorzugaukeln versuchen. Politiker sprechen bereits offen davon, "islamistische" oder verfassungsfeindliche Inhalte sperren zu lassen. Das Zensurinstrument, von dem die Verantwortlichen bis zuletzt geschworen haben, es werde nur und ausschließlich gegen Kinderpornographie eingesetzt, soll also nicht nur nebenher diverse andere Rechtsverstöße unterbinden, es soll auch unwillkommene politische Äußerungen unsichtbar machen. Und die blasierten Internetausdrucker in Berlin sprechen diese Dinge auch noch mehr oder weniger offen aus, aber das B##D-Zeitung lesende Stimmvieh frisst ihnen trotzdem weiter aus der Hand.
Für mich ist die Schmerzgrenze jetzt erreicht. Ein kleiner Schwank aus meiner Jugend: Ich habe in meiner Dienstzeit bei der Bundeswehr ein Gelöbnis abgelegt, "der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen." Und natürlich hat damals keiner von uns Wehrpflichtigen diesen Spruch sonderlich ernst genommen. Aber heute - knapp 20 Jahre später - sehe ich diese Bundesrepublik tatsächlich in Gefahr. Die freiheitlich-demokratische Grundordnung, die uns in der Schule und später im politischen Unterricht bei der BW immer und immer wieder vorgekaut wurde, wird von der herrschenden Kaste ausgehebelt und das Grundgesetz Stück um Stück außer Kraft gesetzt. Unverletzlichkeit der Wohnung? Briefgeheimnis? Fernmeldegeheimnis? Alle bereits gefallen. Und jetzt ist die Meinungsfreiheit dran? Ohne mich. Vielleicht ist es wirklich an der Zeit, sich auf das Gelöbnis von damals zurückzubesinnen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes zu verteidigen.
Mein Name ist Tobias, und ich bin ein Pirat.
Fußnote 1 * - Mein Vater würde sich übrigens im Grabe rumdrehen, wenn er sehen könnte, was aus der Partei unseres Lieblingsaltkanzlers Schmidt-Schnauze geworden ist.
Fußnote 2 ** - Natürlich - und es ist ein beschämendes Zeichen der Stimmungslage in diesem Land, dass man überhaupt gezwungen ist, einen solchen Disclaimer zu schreiben - ist Kinderpornographie, ist Missbrauch von Kindern ein abscheuliches Verbrechen, das bekämpft werden muss. Aber das muss geschehen, indem die Täter ausfindig gemacht und zur Rechenschaft gezogen werden und nicht, indem man dem Volk Scheuklappen aufsetzt, um diese Greuel einfach zu verstecken.