Benutzer:Kotzian/LPTNRWNov2009

Meine Eindrücke vom LPT NRW im November 2009

09. 11. 2009

Euer Direktpirat hat sich gestern um 4.30 Uhr aus dem Bett gequält um Parteiarbeit zu machen. Ziel meiner gestrigen Direktreise was Gelsenkirchen, wo der Landesparteitag der NRW-Piraten vorgestern und gestern stattfand. Wohl eines der wichtigsten Piratenevents, da hier die Weichen gestellt wurden für die nächste Landtagswahl, die als erstes Stimmungsbild nach der Bundestagswahl gilt.

Natürlich für uns der nächste Meilenstein auf dem Weg zur 5%-Hürde und Einzug ins Parlament. Dabei ist die Ausgangslage alles andere als optimal. Zwar gibt es in NRW eine absolute Piratenhochburgen wie in Münster und Aachen, jedoch erreichten wir auf ganz NRW bezogen bei der Bundestagswahl nicht mehr als 1,7% der Zweitstimmen und damit wahrnehmbar weniger als im Gesamtbundesdurchschnitt. Das obwohl der Ruhrpott für einen extrem hohen Urbanisierungsgrad sorgt und Städte wie Düsseldorf und insbesondere Köln normalerweise eine Vorreiterrolle in Sachen gesellschaftspolitischer Entwicklung übernehmen (Gleich nach Hamburg & Berlin). Zudem erschwert technisch betrachtet die riesige Fläche einen effektiven, sichtbaren Wahlkampf, da unser Organisierungsgrad einfach noch zu niedrig ist um alle Ecken des Landes abzudecken (Trotz unseres regionalen sehr hohen Organisationsgrades haben wir ja auch die Weitläufigkeit von Mittelfranken im Wahlkampf kennengelernt).

Ok, nun aber zum Parteitag, wobei ich absichtlich um ausgewogen zu bleiben drei negative und drei positive Eindrücke wiedergeben möchte:

Negative Eindrücke:(

- Das Treffen fand „out of area“ statt, in der Aula einer Gesamtschule am Schalker Stadion. Die Örtlichkeit war für einen Parteitag durchaus geeignet, jedoch war kaum Presse da und ich hatte den Eindruck, dass Mensch versäumt hatte das Treffen medial richtig zu spotten. Das ist natürlich fatal, da ja die Aufstellung der Kandidaten eigentlich der Auftakt zur Wahlkampagne ist. Zudem und das ist für Piraten schon echt mega out of area: es gab kein Netz!!! – daher entfiel natürlich auch ein großer Teil der Möglichkeiten sich selbst zu vermarkten.

- Vor dem Parteitag hatte es einen, aus meiner Sicht einen negativen Artikel über angebliche „Klüngeleien“ bei der Listenausstellung in der WAZ gegeben,  die der Pressesprecher der NRW-Piraten auch prompt zugab (ohne aus meiner Sicht richtig nachgedacht zu haben was eigentlich Klüngeln ist und das Mensch das prüft bevor Mensch es einem Journalisten gegenüber bestätigt) mit dem interessanten Querverweis, dass es ja andere Parteien einem vormachen (ist nur meine persönliche Meinung aber das ist keine gute Begründung…).

- Es gibt noch keine Logik in dem Ablauf eines solchen Events (ich glaube da ist nicht nur NRW betroffen). Statt zuerst über Inhalte zu reden, damit sich die Kandidaten auch natürlich einbringen können und sich somit aktiv vorstellen, fand die Listenaufstellung gleich im ersten Gewaltakt statt. Das Ganze im Hauruckverfahren (weil tun müssen wir es ja; dann aber bitte schnell) so dass jeder Kandidat 2 Minuten Zeit hatte sich vorzustellen. Wir wissen ja alle wie viel Mensch sich in zwei Minuten vorstellen kann. Kein Mensch kam auf die Idee, dass z.B. diejenigen die auf vorderen Plätzen kandidieren wollen auch eventuell für das Publikum interessanter sind und es ja tatsächlich hier um realistische Landtagsabgeordnete handeln könnte, denen man auch basisdemokratisch 5 Minuten gewähren könnte, während aller Wahrscheinlichkeit nach Platz 20 lockerer besetzt werden kann, weil es relativ unrealistisch ist 10% der Stimmen gleich einzufahren.

Nach der Listenaufstellung, die dennoch wegen der vielen Auszählungen (das muss noch absolut geübt werden und geht woanders wegen optimierter Regie sehr schnell) den ganzen Samstag dauerte folgte beinahe den ganzen Sonntag ausschließlich Formalkram um dann um ca. 17 Uhr am Sonntag im SUPERTURBOSUDDENDEATH-Verfahren eine Art programmatische Breitbandaussage zu treffen: Das ging ungefähr so – Zuerst wurde abgestimmt ohne das die folgende Prozedur und Inhalt erläutert wurden ob sich die Versammlung zu entweder NULL, oder ZWEI oder 15 Themen äußern wolle!!?? Klar das die meisten nachdem sie den ganzen Tag nur über Formalitäten geredet hatten schon Lust hatten sich 15 mal inhaltlich zu äußern.  (Einige der vorbereiteten Themen fielen allerdings durch: zur Frauenpolitik wollte wirklich niemand eine inhaltliche Aussage – ich schwöre NULL!, was ich schon befremdlich fand).  Dann ging es in der Powerpointpräsentation durch ein Sammelsurium verschiedenster Thesen nach dem WAHLOMATPRINZIP: z.B. Mindestlohn finden wir gut! Ja oder Nein?   Das wurde dann ohne inhaltliche Diskussion per Meinungsbild fix abgestimmt. So geschah es dass die NRW-Piraten innerhalb von 45 Minuten so ungefähr das gesamte politische Spektrum besetzt haben, allerdings niemand auch nur ein einziges Argument vorher genannt hatte weshalb man eigentlich dafür oder dagegen ist… Sorry aber das wird glaube ich negativ nachwirken und so entwickelt man keine fortschrittliche Politik…

Es gab auch sehr Positives:)

-Die aufgestellte Liste könnte von einem Politmarketingexperten nicht besser geplant werden können. Auf den aussichtsreichen Plätzen sind Junge und Alte, Männer und Frauen, Nerds und Nichtnerds, Behinderte und Nichtbehinderte, Rechtsanwälte und Erwerbslose; liberale und eher konservative, ganz NRW ist vertreten. Und das ganze vollkommen ohne irgendeine Quote!!! Das ist wirklich Spitzenklasse – ohne wenn und aber. Auch wenn ich nicht jeden Kandidaten inhaltlich einordnen kann; es kommt viel Expertenwissen aus verschiedensten Bereichen zusammen und ist einfach eine optimale Bunte Truppe die sich vermarkten lässt und in der sich gut Arbeitsteilung durchführen lässt!  Diese Liste und ihre Vermarktungsfähigkeit ist natürlich eine Voraussetzung um in den Landtag zu kommen.

-Die Stimmung ist TOP! Beinahe alle die ich gestern gesprochen habe sind der festen Überzeugung das die 5%-Hürde in NRW zu schaffen ist! Jeder ist mit Leib und Seele dabei und ist zur beinahe jeder Tat bereit um den Landtag zu knacken. Jeder dort anwesende NRW-Pirat war sich der Verantwortung gegenüber allen anderen Piraten und der jetzigen Rolle Nordrheinwestfallens absolut im klaren! Keiner den ich gesprochen habe hat herum gemosert oder war gar deprimiert; alle haben Spaß und wollen gleich loslegen mit Flyer verteilen und Infostände aufbauen… (Ich hoffe die machen das nicht und heben sich die Kraft fürs Frühjahr auf) Die Stimmung ist ein ganz wesentlicher Faktor  um tatsächlich im Wahlkampf auch präsent zu sein und dem Wähler einen positiven Spinn zu geben. Eine Depressive und von sich nicht überzeugte Partei wählt KEINER! Darüber hinaus und das ist für einen effizienten Wahlerfolg auch entscheidend haben sich Teams (ich benutzte an dieser Stelle absichtlich weder den Begriff Crew noch Arbeitsgruppe, da ein Team beides sein kann oder aber auch keines vom Namen her) herausgebildet haben, die eigenständig in der Lage sind komplexe Aufgaben dezentral abzuarbeiten. Da die Piratenpartei noch über keinerlei Parteiapparat verfügt sind diese Teams natürlich absolut lebenswichtig.

- Es entsteht eine „logica piratica“: Sorry aber ich kann es nicht besser ausdrücken und auch noch nicht zum aktuellen Zeitpunkt im exakten Wesen beschreiben, aber trotz der wirklich riesigen strukturellen Unterschiede zwischen den einzelnen Gliederungen der Piratenpartei, die es ohne Zweifel gibt und die auch relativ schwer vereinbar sind. Ich schriebe nur Crewkonzept, Arbeitskreise, Projektgruppen, Vorstandsaufgaben, Definition von Basisdemokratie – ja tatsächliche wenn man die regionalen/landestypischen Strukturen miteinander vergleicht und auch die Inhalte und Funktionen der Struktur hinterfragt, dann stellt man fest das die einzige durchgängig vorhandene Struktur unsere Stammtische sind! Kein Witz! Ich meine aber umso mehr diesen Umstand bei meinen positiven Eindrücken notieren zu müssen. Warum? Weil trotz dieser starken Unterschiede eben eine eigene Logik erfassbar wird und sich herausbildet. Auch das ist absolut notwendig für eine funktionierende Partei dass sich ein Art eigener „Stallgeruch“ entwickelt – eine unverkennbare Marke des individuellen Rangehens an Problemlösungen. Wie schon oben erwähnt kann ich zum aktuellen Zeitpunkt das Wesen noch nicht exakt beschreiben; ich verorte es irgendwo zwischen formalistischer Selbstaufopferung und serieller Neudefinition – so ein bisschen wie Schrödingers Katze: mal schaut man in Kasten und die Katze ist da und mal nicht, oder wie war das? Auf jeden Fall steckt System dahinter. Ein System das bisher in der Parteienlandschaft nicht vorhanden ist! Ein System das aber durchaus zu der Komplexität des digitalen Zeitalters passt und viele Paradoxa des alltäglichen Lebens löst! Und das gibt der Piratenpartei jenseits der 5%-Frage eine nachhaltige Existenzberechtigung als gesellschaftspolitische Kraft. Lasst und weiter nach der Stammfunktion suchen; wenn wir die haben, dann können wir noch viel mehr erreichen… (ich meine diesen Punkt wirklich sehr positiv!