Benutzer:HolgerL/HOWTO Aenderungsantrag
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Vorbemerkungen
Dieses Konzept basiert auf den Erfahrungen, die ich auf dem niedersächsischen Landesparteitag 2009 gemacht habe. Für Uneingeweihte: Es erwies sich als ausnehmend schwierig, Änderungsanträge in überschaubarer Zeit (bzw. überhaupt) zur Abstimmung zu bringen. Da auch der Bundesparteitag 2009 dieses Problem bereits offenbarte, wenn auch in abgeschwächter Form, besteht offensichtlich Bedarf, ein Verfahren zu erarbeiten, das den Parteitag selbst von umfangreichen Diskussionen zu Änderungsanträgen so weit wie möglich freihält. Satzung und Geschäftsordnung sind ein notwendiges Instrument, aber letztlich nur Mittel zum Zweck. Wenn wir es jemals schaffen wollen, einen nennenswerten Anteil des Parteitags tatsächlich politischen Themen zu widmen, müssen wir den Zeitanteil, den wir für unsere Selbstorganisation verwenden, erheblich reduzieren.
Problembeschreibung
Die auf einem Parteitag zur Verfügung stehende Zeit ist beschränkt. In Niedersachsen waren den Wahlen zum Vorstand lediglich die wahlrelevanten Änderungsanträge vorangestellt. Trotzdem gelang es nur mit Müh und Not, wenigstens Vorstand und Beisitzer zu wählen - zu den Wahlen der Kassenprüfer und des Schiedsgerichts sind wir am Ende gar nicht mehr gekommen.
Zieldefinition
Die für die Selbstorganisation erforderliche Zeit ist zu begrenzen.
Gesucht ist ein Weg, dieses Limit einführen zu können, ohne unsere basisdemokratischen Prinzipien zu verletzen.
Dabei zu berücksichtigen ist, dass die zur Verfügung stehende Zeit auf einem Landesparteitag ein sehr beschränktes Gut ist. Abzuwägen sind das Recht des Antragstellers, seinen Antrag vorzutragen, sowie das Recht aller anderen Versammlungsteilnehmer, sich dazu vor einer Abstimmung zu äussern, gegen das gemeinsame Interesse aller, die Tagesordnung möglichst komplett zu behandeln. Es darf nicht dazu kommen, dass einzelne Anträge die knappe Ressource Zeit überproportional strapazieren und damit andere Tagesordnungspunkte überhaupt nicht mehr zum Tragen kommen. Sonst werden Anträge, die in der Tagesordnung "vorne" stehen, unangemessen bevorzugt - ggf. sogar auf die Gefahr hin, die wirklich wichtigen Dinge (Wahlen) nicht mal fertig zu bekommen.
Folgerungen
Die durch die Tagesordnung vorgegebene Reihenfolge stellt nur dann keine Prioritätenvergabe dar, wenn gewährleistet ist, dass alle Tagesordnungspunkte behandelt werden können. Das bisherige Verfahren leistet das nicht.
Die beschränkte Zeit auf einem Landesparteitag ist zu kostbar, um sie der inhaltlichen Diskussion von Anträgen zur Selbstorganisation zu widmen.
Strategie
Es ist ein Verfahren zu entwickeln, welches so gut wie möglich sicherstellt, dass die Diskussion zu einem Antrag bereits im Vorfeld stattgefunden hat.
Dieses Verfahren wird dennoch keinem Piraten vorgeschrieben werden können, da die Prozesse im Vorfeld der Antragstellung weder durch Satzung oder Geschäftsordnung geregelt werden können, noch die Einhaltung dieser Regeln sinnvoll überprüfbar erscheint.
Das Verfahren sollte daher geeignet sein, den Antragsteller für seine Anwendung in irgendeiner Form zu belohnen. Denkbar sind dabei interne wie externe Anreize.
Interne Anreize können eine bessere Kanalisierung der Diskussion oder eine bessere Dokumentation der Entstehung eines Antrags sein.
Externe Anreize könnten (verfahrensunabhängig) durch die Geschäftsordnung hergestellt werden.
Problemanalyse
Wenn ein Änderungsantrag zur Selbstorganisation (ob zur Satzung oder zur Geschäftsordnung) nicht binnen kürzester Zeit zur erfolgreichen Abstimmung gebracht werden kann, sondern sich noch Diskussionsbedarf ergibt, ist bei der Vorbereitung offensichtlich etwas schiefgelaufen.
Eine Debatte zu einem durch den Antragsteller als "ausdiskutiert" wahrgenommenen Vorschlag wird dabei wohl nur in wenigen Fällen an mangelnder Vorbereitung der Diskussionsteilnehmer liegen. Wahrscheinlicher ist, dass entweder der zum Antrag führende Entstehungsprozess nicht ausreichend transparent geführt und dokumentiert wurde, oder der Antragsteller es dabei versäumt hat, auf fundierte Kritik angemessen einzugehen. Es ist das gute Recht jedes Versammlungsteilnehmers, an der Debatte zu einem Antrag teilzunehmen. Allerdings darf diese dadurch nicht ausufern, sonst raubt sie sie folgenden Tagesordnungspunkten wertvolle Zeit.
Die Diskussionsbeiträge gliedern sich dabei im wesentlichen in drei Gruppen:
- reine Verständnisfragen
- Selbst bei diesen macht man es sich vermutlich zu einfach, wenn man sie generell mit "mangelnder Vorbereitung" erklären will. Das wahrgenommene Problem, das der Antrag beheben soll, eventuelle Begriffsdefinitionen ebenso wie die beabsichtigte Auswirkung des Antrags sollten im Kommentar zum Antrag erläutert werden. Kann auf diesen verwiesen werden, ist der Fragesteller schnell zufriedengestellt (und wird sich Nachfragen ohne vorheriges Nachlesen in Zukunft hoffentlich verkneifen). Ist das jedoch nicht möglich, spricht es nicht wirklich für den Antrag.
- inhaltliche Zustimmung, doch wahrgenommene Probleme im Detail
- Jeder Bedenkenträger ist zunächst einmal ernstzunehmen. Möglicherweise ist tatsächlich etwas in der Vorbereitung übersehen worden. Eine umfassende Dokumentation der bereits bedachten Probleme und ihrer Bewertung sowie ggf. Berücksichtigung dürfte hilfreich sein. Ist im Vorfeld tatsächlich kein Konsens zu einem Detail zu erzielen, sollte dieser Aspekt des Antrags nach Möglichkeit ausgegliedert werden und in Alternativen einem Meinungsbild unterworfen werden, bevor die Alternative(n) mit der meisten Zustimmung abgestimmt wird/werden. Mehrere Varianten _eines_ Antrags sind mehreren Alternativanträgen im Zweifel vorzuziehen.
- Generell ist Detailkritik trotz inhaltlicher Zustimmung ein Indiz dafür, dass hier vielleicht zuviele Änderungen in einem Antrag zusammengefasst wurden. Soweit nicht direkte Abhängigkeiten bestehen, ist es sicher sinnvoll, diese getrennt zu beantragen.
- inhaltliche Ablehnung
- Wird sich nie ganz vermeiden lassen. Soweit das Einzelmeinungen bleiben, werden sie die erfolgreiche Abstimmung nicht gefährden. Treffen sie jedoch auf Zustimmung bei anderen, ist auch hier im Vorfeld etwas übersehen oder nicht angemessen berücksichtigt worden.
- Zu vermeiden ist insbesondere, in der Begründung eines Antrags nachweisbar falsche Argumente zu verwenden oder entsprechende Schlussfolgerungen zu ziehen. Es bedarf schon einigen Wohlwollens, das unter unzureichende Vorbereitung zu verbuchen.
Vorschlag zur Verbesserung
Ein Phasenmodell
Die Ausarbeitung eines Änderungsantrag sollte in mehreren Phasen erfolgen, die entsprechend dokumentiert werden, um auch Aussenstehenden die Herangehensweise wie den aktuellen Stand der Dinge transparent zu machen.
Phase 1: Problemkomplex, Zieldefinition, Lösungsstrategie
Keep it simple: Einer Änderung unserer internen Organisation sollte ein konkretes Problem mit dem Status Quo zugrunde liegen.
Grundanforderung an jeden Änderungsantrag sollte daher sein, die aktuelle Situation und das darin wahrgenommene Problem zunächst in eigenen Worten wiederzugeben.
Diesem sollte eine Zieldefinition folgen, aus der ersichtlich wird, welches Ziel verfolgt wird und wie das Erreichen dieses Zieles die wahrgenommenen Probleme behebt. Auch weitere Randbedingungen, die zu genau dieser Zielsetzung geführt haben, bzw. im folgenden berücksichtigt werden müssen, können hier erläutert werden.
Abschliessend sollte eine Lösungsstrategie vorgestellt werden, um das Ziel zu erreichen. Ggf. ergibt sich bereits an dieser Stelle eine Unterteilung in mehrere Einzelaspekte des Problemkomplexes. Diese sollten dann auch in der Folge getrennt behandelt werden.
Es kann ein Ausblick folgen, der die Situation nach Erreichen des Ziels und dadurch neu geschaffene Möglichkeiten schildert.
Zusammen stellt dies die Basis des Änderungsantrags dar, auf der auch Aussenstehende den bisherigen Verlauf des Prozesses sowie die ggf. am Ende gefundene Lösung einordnen können.
Phase 2: Sammlung der denkbaren Möglichkeiten
Die wenigsten Ziele lassen sich nur auf einem einzigen Weg erreichen. Nicht alle diese Wege müssen einer einzelnen Person einfallen - an dieser Stelle kommen andere Piraten ins Spiel. Bevor ein einziger Weg bis zum Ende gegangen wird, sollten andere Möglichkeiten gesammelt und diskutiert werden.
Das kann natürlich auch auf einem Stammtisch erfolgen. Ideensammlung wie eingebrachte Argumente sollten aber für andere nachvollziehbar dokumentiert werden. Sonst ist der Stand der Diskussion für Aussenstehende nicht ersichtlich.
Es ist zulässig, einzelne Herangehensweisen im folgenden nicht mehr zu berücksichtigen, sofern diese sich als nachteilig herausgestellt haben. Die Gründe, die zu ihrer Nichtberücksichtigung führten, sollten allerdings nachvollziehbar sein. Andere Piraten mögen das anders sehen - Alternativanträge sind zulässig, besser wäre es jedoch, diesen zu ermöglichen, sich in den Entstehungsprozess dieses Antrags einzubringen und dazu ggf. andere Herangehensweisen alternativ näher zu untersuchen.
Phase 3a: Aufteilung des Lösungswegs in Teilschritte
Falls Phase 2 gezeigt haben sollte, dass das Ziel als ganzes oder auch nur Teile des Wegs dorthin noch nicht konsensfähig sind, bietet es sich an, den Weg dorthin in Teilschritte zu zergliedern. Ein nur teilweise erreichtes Ziel ist immer noch besser als komplette Ablehnung.
Phase 3b: Aufteilung in minimale Änderungen, Abhängigkeitsgraph
Ein Änderungsantrag, der mehrere Änderungen zusammenfasst, reduziert nur vordergründig den administrativen Overhead, der zu seiner Annahme erforderlich ist. Mehrere unabhängige Änderungen in einem Antrag, die nicht notwendigerweise zusammen beschlossen werden müssen, erhöhen im Zweifel sowohl den Diskussionsbedarf als auch das Ablehnungspotential. Sind einzelne Änderungen von anderen abhängig, empfiehlt es sich trotzdem, getrennte Anträge zu formulieren. Ein Abhängigkeitsgraph kann helfen, schnellen Überblick darüber zu schaffen, welche Anträge angenommen werden müssen, damit andere überhaupt zur Abstimmung kommen können.
Phase 4: Wohin mit der Änderung?
An dieser Stelle sollte das Thema fast formulierungsreif ausgearbeitet sein. Zu überlegen ist noch, wo der bearbeitete Komplex am besten aufgehoben ist: In der Satzung oder in der Geschäftsordnung. (Je nach Verbandsstruktur kann es weitere Orte geben).
In die Satzung gehört, was uns gesetzlich vorgeschrieben ist. Darüberhinaus gibt sie den Handlungsrahmen für nachgeordnete Untergliederungen vor und geniesst den besonderen Schutz, dass zu ihrer Änderung eine qualifizierte Mehrheit erforderlich ist. Sie wird durch die Geschäftsordnung genauer erläutert.
Die Geschäftsordnung gilt nur für die betroffene Gliederung. Zu ihrer Änderung ist lediglich eine einfache Mehrheit erforderlich. Sie gibt nähere Erläuterungen und Ausführungsanweisungen, ist aber an den durch die Satzung vorgegebenen Rahmen gebunden, darf dieser also nicht widersprechen.
Bei der Auswahl des geeigneten Orts für eine Änderung sollte ergebnisoffen diskutiert werden. Es kann sinnvoll sein, ein derzeit in der Satzung behandeltes Thema in die Geschäftsordnung zu verschieben. Umgekehrt kann es sinnvoll sein, eine derzeit nur in der Geschäftsordnung vorgenommene Erläuterung in die Satzung aufzunehmen, wenn diese Änderungsschutz geniessen oder automatisch für nachgeordnete Gliederungen verbindlich werden soll.
Soll ein Abschnitt zwischen den beiden Dokumenten verschoben werden, sollte vermieden werden, dass er bei ungünstigem Abstimmungsverlauf komplett verschwindet. Es kann dazu entweder zunächst eine ungeänderte Verschiebung des kompletten Wortlauts vom einen in das andere Dokument zur kombinierten Abstimmung gebracht werden (Löschen hier, Einfügen dort), oder zunächst das Einfügen aller Änderungen, gefolgt vom Löschen dessen, was durch sie ersetzt wird. Für den allgemeinen Fall erscheint die erste Variante sinnvoller.
Phase 5: Ausarbeitung des Wortlauts
Es ist endlich soweit. Der Wortlaut der einzelnen Änderungen kann formuliert werden. Die einzelnen Änderungen sollten dabei so minimal wie möglich sein (siehe Phase 3). Gibt es mehrere aufeinander basierende Änderungen, sollte der ersten Änderung ein Abhängigkeitsgraph der weiteren vorangehen. Sie sollten der besseren Übersichtlichkeit halber Indizes der Hauptnummer erhalten (S##.1, S##.2, S##.3 ...) Nicht voneinander abhängige Änderungen sollten aufsteigend folgen. Alternativen sollten durch Buchstaben gekennzeichnet werden (S##.#a vs. S##.#b).
(der zu erwartenden Kritik an einer derart filigranen Aufteilung sei entgegengehalten, dass die Diskussion gesammelt zu Anfang eines Themenkomplexes durchgeführt werden kann. Eine Abstimmung dauert deutlich unter einer Minute, wenn sie so eindeutig ist, dass sie nicht ausgezaehlt werden muss.)
Umsetzung
Zentrale Dokumentationsstelle sollte das Wiki sein. Es bietet jedem Piraten die Möglichkeit zur Mitarbeit und erlaubt eine zeitliche Rückverfolgung des Verlaufs. Das schliesst Diskussionen in anderen Medien oder im Real-Life (Stammtisch, AG-Treffen) nicht aus, beinhaltet aber die Verpflichtung, dort erreichte Ergebnisse auch für andere zu dokumentieren. Das ist Arbeit, und sie mag als redundant empfunden werden. Die Erfahrung zeigt aber, dass ein "fertig" herabrieselnder Vorschlag zu mehr Kritik führt, als wenn dieser transparent in einer offenen, nachvollziehbaren Diskussion erarbeitet wurde. Zumindest ist dann für alle ersichtlich, welche Probleme bereits erkannt und berücksichtigt wurden und welche evtl. noch nicht. So können auch andere Einzelpersonen oder Gruppen die Diskussion bereichern und voranbringen.
Die Phasen sollten mit ausreichendem zeitlichen Abstand nacheinander angegangen werden, da sie alle aufeinander aufbauen. Auch in fortgeschrittenen Phasen sind neue Argumente, die (evtl. verspätet) zu vorangehenden Phasen begründet eingebracht wurden und nicht widerlegt werden können, zu berücksichtigen. Sie zeigen mindestens auf, das im bisherigen Verlauf Aspekte übersehen wurden, und können den weiteren Verlauf durchaus so stark beeinflussen, das schon vorhandene Ergebnisse stark modifiziert oder komplett verworfen werden müssen.
Um die Hauptseite, auf der ein Änderungskomplex diskutiert wird, nicht zu unübersichtlich werden zu lassen, sollte diese nur konkrete Ergänzungen erfahren, die namentlich gezeichnet werden sollten. Kommentare (zustimmend oder ablehnend - quasi ein permanentes Meinungsbild) und unausgereifte Ideen sollte die Diskussionsseite aufnehmen. Sie sollte aber zumindest die Struktur der Hauptseite übernehmen, um die dortigen Ergänzungen den einzelnen Phasen bzw. Unterpunkten zuordnen zu können.
Anreize
Das Konzept ist hoffentlich offen genug angelegt, um allen interessierten Piraten die Mitarbeit zu ermöglichen bzw. zumindest einen schnellen Überblick über den aktuellen Stand der Debatte erlauben. Das sollte Anreiz genug sein, das Konzept überhaupt zu verwenden.
Kommt es durch seine Verwendung tatsächlich zu Vorschlägen, die geeignet scheinen, einen breiten Konsens zu erfahren, könnte über einen "Fast Track" nachgedacht werden. In diesem würden Vorschläge bevorzugt behandelt, die nach Meinung des Antragstellers keine grosse Diskussion mehr erfordern. Die Vorstellung könnte auf fünf, die Diskussion auf 10 Minuten begrenzt werden. Danach gelangen alle Einzelanträge des Komplexes ohne weitere Diskussion nacheinander zur Abstimmung, wenn der Antragsteller nicht vorher zurückzieht oder Vertagung beantragt (um einen Missbrauch zu verhindern, sollten vertagte Anträge nicht in den "normalen" Block aufgenommen, sondern ans Ende der Tagesordnung verschoben werden).