Benutzer:Cochi/Ungeschriebenes
Mein Versuch, einige der ungeschriebenen Regeln und Dynamiken bei den Piraten zu erfassen und (endlich) festzuhalten. Und ja, das Paradoxon ist mir bewusst ;)
Vorstände und ihre Aufgaben
Die Piraten haben Basisdemokratie geistig verinnerlicht. Entsprechend ist die Vorstellung der "Bevormundung" der Basis durch Vorstände ein heißdiskutiertes Thema.
Grundsätzlich gilt: Vorstände bei den Piraten haben ausschließlich repräsentative und verwaltende Funktion. Sofern es zu einem Thema keine expliziten Programmpunkte gibt oder eine Position implizit aus den Grundwerten quasi zweifelsfrei abgeleitet werden kann, werden sie keine Privatmeinung in den Medien äussern. Jedes Vorkommnis dieser Art hat bisher (berechtigte) Entrüstung ausgelöst.
Mit zunehmenden Anzahl der "Piraten-Promis" ohne Vorstandsamt (zB Anke Domscheid-Berg, Angelika Beer, Marina Weisband) findet diese goldene Regel auch für diese Anwendung.
Horizontale/Vertikale Programmentwicklung
Neue Programmideen kommen in der Regel aus Arbeitsgruppen, die sich mit dem Thema beschäftigen und eine mögliche Position dazu erarbeitet haben. Oft werden diese Anträge zuerst sozialem Feedback ausgesetzt, sei es auf physischen Treffen, auf einer Mailingliste oder formaleren Formen wie Liquid Feedback/LimeSurvey. Dieser Mechanismus macht das Thema und den Ansatz einer breiteren Menge bekannt (typische Multiplikatoren sind Mailinglisten und Twitter). Dabei werden kritische Punkte angesprochen und damit eine Rückkopplung zu den Autoren erreicht.
Insbesondere wenn eine breite Mehrheit auf Abstimmungsplattformen gegeben ist, werden die programmatischen Anträge danach auf Landesparteitagen vorgestellt. Spätestens dort werden kritische Bedenken durch das Plenum geäußert, Randfälle und Ausnahmesituationen betrachtet oder die Form/der Stil kritisiert. Dabei werden definitive KO-Kriterien betrachtet.
Sofern sich eine breite Mehrheit für den Antrag findet, wird er als Landesprogrammpunkt aufgenommen oder als Positionspapier ("Daran wollen wir weiterarbeiten, es ist mehrheitsfähig") erfasst.
Neue Programmpunkte bewirken in den meisten Fällen zuerst einen horizontalen Druck in andere Landesprogramme. Dabei ist die Zuständigkeit des Landes nicht Hauptargument sondern auch Bundes- oder Europathemen können aufgenommen werden. Dies bewirkt bei zunehmender Übernahme in Bundesländern einen vertikalen Druck auf einen Bundesparteitag durch Bekanntheit und generelle (Landes-)Akzeptanz.
Durch ausreichenden Druck von unten finden Programmpunkte vollständig oder auch teilweise ihre Mehrheiten im Bund, worauf sie dort aufgenommen werden. Idealerweise werden dann die gleichlautenden Texte in den Landesprogrammen bei einem der folgenden Landesparteitage entweder entfernt (eher selten) oder weiter präzisiert.
Dies ist ein Muster was sich herausgebildet hat, da die offizielle Programmentwicklung auf Bundesebene mit einem Programmparteitag/Jahr zu langsam vorangeht. Als Ersatz werden neue Punkte auf den wesentlich häufigeren Landesprogrammparteitagen eingebracht um dann langsam ihre Verbreitung zu finden. Bei den meisten dieser neuen Landesprogrammpunkte kann der Inhalt perspektivisch auch auf Bundesebene gesehen werden. Darum sind z.B. Aussagen zum ESM in NRW durchaus (mit Vorsicht) als Bundesmeinung kommunizierbar.
Arbeitsgruppen / Gegen-AGs
Arbeitsgruppen (AGs) sind ein rein informelles Konstrukt und nicht in irgendeiner Satzung festgelegt. Bestrebungen, Arbeitsgruppen zu einem formalen Organ (mit Budget etc) zu machen wurden immer mit großer Mehrheit abgelehnt. Grund: Jeder kann eine AG eröffnen und hätte damit Satzungsstatus bzw. es müsste verschiedene Arten von AGs geben (inoffizielle/offizielle)
Entsprechend gibt es kein Gremium das AGs beauftragt, genehmigt oder stilllegt - alle Versuche, einen AG-Rat o.ä,. einzuführen sind wegen der dadurch bedingten Hierarchisierung und Bevormundung abgeschmettert worden. Ein Überbleibsel dieser Initiativen ist die Koordinatorenkonferenz, die jedoch einem rein informellen Austausch der AG-Koordinatoren dient und ein reines Vernetzungsgebilde darstellt. Das einzige halb-offizielle Konstrukt in diesem Zusammenhang sind die Servicegruppen (SGs), die vom Vorstand konkret beauftragt wurden und der diesen gegenüber weisungsbefugt sein sollte (ob das noch so ist, ist mir nicht bekannt).
Die informelle Natur der AGs bedingt auch, dass es durchaus mehrere AGs zu einem Themenfeld geben kann (Gegen-AGs). Dies ist bisher vor allem dann aufgetreten, wenn Personengruppen innerhalb einer AG nicht zusammenarbeiten konnten oder es mehrere entgegengesetzte Lösungsansätze (programmatisch) gibt. Gegen-AGs sind nicht unbedingt gerne gesehen, sind aber ein Teil der innerparteilichen Pluralität. Sie stehen miteinander in Konkurrenz und erhalten ihre Bedeutung nur durch bessere Anträge/grössere Akzeptanz (Lösung, "Geist der Partei" usw sind entscheidend). Dieser Grundsatz führt gelegentlich in der Presse zu Konfusion weil AG A etwas kontroverses fordert ("Die Piraten sind für ...") obwohl ihr innerparteilich keinerlei Bedeutung zuzumessen ist.
AGs können auch kurzlebig und kreativ sein. So ist "AG Schnittchen" ein Sammelbegriff für Verpflegungsteams bei Parteitagen, die AG Flausch sorgt sich um innerparteiliche Anerkennung/Entspannung usw...
Informelle Gruppen
Obwohl AGs an sich schon informell sind, gibt es auch Zusammenschlüsse die sich nicht als AG begreifen/bezeichnen. Beispiele sind: der Kegelklub, die Anti-Atompiraten, die Nuklearia (Gegenentwurf zu den Anti-Atompiraten), die datenschutzkritische Spackeria, die Aluhüte (Gegenentwurf zur Spackeria), die Gruppe 42 usw.
Diese Gruppen müssen nicht einmal die wenigen Kriterien erfüllen die eine AG haben sollte: keine Protokolle, keine Koordinatoren usw. Sie bestehen vorallem, weil einigen Gruppierungen selbst das informelle AG-Konstrukt zu "offiziell" anmutet (oder sie es ablehnen).
"Die Ersten werden die Letzten sein" (lokale Regel?)
Seit 2009 hat sich in Hannover etabliert, dass die Piraten bei Veranstaltungen/Festivals als erste Partei auf- und als letzte Partei abbauen. Entsprechendes Wettstarren wurde immer gewonnen und Wetter war ebenfalls kein Grund zum Abbau.
Es gab in den seitdem 30 Ständen erst einmal den Fall, dass dies nicht umgesetzt wurde (wegen eines starken Unwetters und Abbruchs durch den Festveranstalter).