Benutzer:Bzapf/politisches Portfolio/frei lernen

Nachdem jetzt einige Zeit vergangen ist, in der ich keinen Einfluß auf die Bildungspolitik der Piratenpartei nehmen sollte, möchte ich einige Anmerkungen bezüglich meiner Auffassung von Bildungspolitik machen, geradezu eine Art Bildungsvision äußern. Dazu wird es, wie immer, nötig sein, Begriffe zu definieren, statt sie durch ständige Wiederholung zu verbrennen. Ein wichtiger Teil meiner Ansichten stammt aus dem Aufsatz "Unschooling Society", andere Teile aus der Waldorf & Montessori-Ecke der formalen Pädagogik, wieder andere aus ganz anderen Gegenden.

Ein wichtiger Begriff, der hier immer wieder fällt, ist "lernen". Lernen ist: nachher etwas können, was man vorher nicht gekonnt hat. Lernen geschieht fast immer unbemerkt, nur selten ist es uns vergönnt, den Vorgang des Lernens zu bemerken. Wie bei allen Dingen, die uns nicht restlich klar sind, neigen wir beim Lernen zum Aberglauben. Wir halten Zusammenhang für Ursächlichkeit, wir glauben anderen Leuten bezüglich der Frage der Ursächlichkeit.

Etwas soll gelernt werden. Zentral ist dabei der Begriff der "Bildung". Dieser bezeichnet gesellschaftlich erzeugte Zustände, die dazu dienen sollen, Lernvorgänge zu bewirken. Wichtig ist ferner "Schule", die institutionalisierte "Bildung". Es gibt einen Zusammenhang zwischen Schule und Bildung. Dieser besteht darin, dass Bildung ("eigentliche" Bildung, der Begriff ist da etwas unklar) nur in und wegen Schulen stattfindet.

Das heißt, man darf ausserhalb von Schulen lernen, was man will, es ist nur keine Bildung. Die etwas vage Definition des Begriffs hilft hier den Befürwortern des Schulsystems. Aus Angst vor der Leere nimmt man lieber etwas, was vielleicht nicht "der wahre Jakob" ist, aber immerhin schon irgendwie so etwas ähnliches.

Wichtig ist jetzt, dass die genauen Abhängigkeiten nicht überprüft werden und auch nicht überprüft werden "dürfen". Es muss für immer "ungeklärt bleiben" (dh. im pädagogischen Kontext für "pfui" erklärt), wie Lernen funktioniert, welche Dinge dabei helfen und welche Schaden, welche Methoden in welcher Situation nützlich sind und so weiter.

So wird zum Beispiel weithin über das Lernen geglaubt:

  1. Die Anwesenheit von Lehrern sei wichtig
  2. Das Medium "Unterricht" sei das beste dazu
  3. Es sei sinnlos, andere Formen als eben diese eine auszuprobieren
  4. Trotzdem würde es den einzelnen Lehrern adeln, wenn er "rebelliert", und mal z.B. eine 5-Minütige Abwesenheit nicht protokolliert.

usw. - also alles mögliche, was zeitlich zusammenhängt oder aus sonst irgendwelchen Kontexten nur als verursacht gedacht wird:

  1. Kinder lernen am meisten, daher muss die Ursache für das Lernen ihr Lebenswandel sein - Schule eben.
  2. Unterricht ist der Modus von Schule - mithin die Ursache für Lernvorgänge
  3. Jede Änderung könnte bewirken, dass der magische Saft der Bildung ausläuft, dass die Schulen kaputt gehen
  4. Auch gehört irgendwie der nonkonformismus dazu, und wir sollten uns freuen, dass uns gewährt wird, so nonkoformistisch zu sein

Es sieht mir aber derzeit eher so aus:

  1. Lernen ist unabhängig von der Anwesenheit von Lehrern
  2. Unterricht ist weder die Ursache von Lernvorgängen noch besonders nützlich dafür
  3. Experimente sind (ohne Grund) schlicht verboten und diese Anordnung ist immun
  4. Der oft deutlich erkennbar vorgeführte Nonkonformismus der Pädagogen ist keiner

Das sind nur einige Beispiele für die Lebenslügen dieses Systems. Lebenslügen, die Dicht an Dicht gereiht das offen brachliegende "Insiderwissen" der Pädagogenszene ausmachen. Das Glaubenssystem, das zentral ist für Mitgliedschaft in dieser Gruppe. Die Mantras, die man singen muss, um nicht schief angeguckt zu werden in der Kirche der Bildung. Die Abwehrzauber gegen die Angst vor der Unbildung, gegen den namenlosen Schrecken, dass da auch nur irgend etwas anderes kommen könnte.

Die Abwehrzauber helfen nicht. Auch die Pädagogen werden mit Angst regiert: Angst, dass sie keine guten Pädagogen sind. Dass sie ab ins Körbchen müssen. Dass sie jemanden "verbilden". Dass sie sich falsch repräsentieren. Angst, dass jemand ihre Lügen entlarven könnte. Wer ihnen Angst einjagen kann, hat gewonnen. Dann bleibt ihnen nicht mehr viel, als zu heulen, dass sie ja so viel Angst haben. Und gegen die zu kämpfen, die derlei erkennen und das auch preisgeben.

Die Zeiten sind vorbei. Die Begriffe müssen voneinander abgegrenzt werden. Was wird in Schulen tatsächlich gelehrt? Was ist "Lehre" überhaupt? Was ist der Unterschied zwischen Lehre und Dressur? Welches Menschenbild haben Schulen, welcher Diskursraum wird dort zugelassen? Werden die Grund- und Menschenrechte gewahrt?

Tatsächlich sind diese Fragen teilweise rhetorisch. Die Antworten dürften auf der Hand liegen. Die Rechtfertigung ist es, die mich interessiert. Warum machen Menschen so etwas?

Ich denke tatsächlich, dass es möglich ist, ohne Instruktion zu lernen, vor allem: ohne Instruktion, wie sie an diesen Schulen praktiziert wird. Ich würde es für wesentlich halten, dass Menschen die Möglichkeit eröffnet wird, sich diesen Verhältnissen zu entziehen. Die Variante der "Minimal-invasiven Bildung" gibt auch eine Antwort auf die Frage nach der Schulverweigerung bzw. deren Zusammenhang zu Armut. Es ist einzig Pädagogen nicht erlaubt, diese zu ventilieren.

In einer Karikatur der Kirchen wird versucht, Menschen zu Missionieren. Das Problem stellt sich so dar, dass nicht mehr alle Menschen in der Lage sind, der Mission zu folgen. Der Sand ist schon längst im Getriebe. Noch läuft es. Doch es knirscht schon ganz gewaltig. Nicht ganz zufällig werden Aufrufe zur Sabotage laut.

Dass diese meine Bildungsvision die Form annimmt, Brüche sichtbar zu machen, zu skandalisieren, geradezu zu polarisieren, tut mir nicht im geringsten Leid. Im Gegenteil: sie ist notwendig. Mein Weg ist der einzige, der die Möglichkeit eröffnet, die Brüche zu heilen, Brücken zu bauen. Man muss Wunden erkennen, um sie zu behandeln. Noch sind die Wunden nicht zu tief, noch sind sie behandelbar. Gerade noch. Die Ängste sind unbegründet.

Wir haben Zeit.