Benutzer:LordSnow/Anarchie

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Warum ich mich als Anarchist bezeichne?

kurze Antwort

Weil ich die Freiheit aller maximieren will. :-)

lange Antwort

Anarchisten sind an sich eine sehr heterogene Masse, welche teilweise völlig verschiedene Dinge wollen. Da ist von kommunistischem Anarchismus bis Anarchokapitalismus alles dabei:
Grundformen - Anarchie (Wikipedia)
weitere Strömungen (Wikipedia)

Die grundlegende Definition ist im Allgemeinen jedoch einfach nur „Herrschaftslosigkeit“, nicht "Strukturlosigkeit" (Chaos). Das impliziert für viele (sicherlich auch die meisten), dass es keinen Staat geben darf. Das liegt meiner Meinung nach jedoch daran, wie man die Aufgaben des Staates definiert. Wenn der Staat nicht (wie jetzt) aus einer (kleinen) Gruppe von Personen besteht, die alle Entscheidungen trifft, sondern der Staat schlicht das tut was seine Mitglieder selbst entscheiden, dann kann man aus meiner Sicht auch nicht von einer Herrschaft sprechen.

Ich bin für eine (direkte) Demokratie, weil ich diese für die einzige praktische Umsetzung von Herrschaftslosigkeit (Anarchie) halte. Denn in jeder anderen Form Entscheidungen zu treffen, wird irgendjemand zwangsläufig von einem Anderen beherrscht.

Oft wird behauptet, dass es in einer anarchistischen Gesellschaft keine Regeln geben darf. Das ist für mich an der Realität vorbei. Denn es wird immer so sein, dass sobald jemand seine Freiheiten ohne Grenzen auslebt, er die Freiheiten eines Anderen dabei einschränkt. Somit wird ein anderer letztendlich von diesem beherrscht. Genau deshalb braucht es für eine "echte" Anarchie, praktisch sogar gewisse Regeln. Denn nur unter Einhaltung dieser kann jeder seine Freiheiten ausleben, ohne einen Anderen dabei unverhältnismäßig in dessen Freiheiten einzuschränken.

Aus diesem Grunde braucht es für mich zwingend auch eine (direkte) Demokratie und einen Staat. Dieser ist jedoch ausschließlich dafür da die Entscheidungen der Menschen umzusetzen und nicht selbst autonom und bürgerfern zu herrschen. Für die Umsetzung braucht es also aus meiner Sicht auch Behörden, Polizei und Gerichte.

Spätestens an dieser Stelle gibt es wieder genügend „Anarchisten“, die das völlig anders sehen und man kann da ewig diskutieren, gerade mit verschiedenen (Punker-) Gruppierungen, welche oft einfach ohne Rücksicht auf Verluste alles machen wollen.

Eine (direkt-) demokratische Anarchie ist schlicht meine Vorstellung der für mich idealen und auch praktisch umsetzbaren Form von Anarchie. Ich möchte eine echte Demokratie als ein mögliches Mittel/Tool, um Freiheit (Herrschaftslosigkeit/Anarchie) zu erhalten.


Ist Demokatie nicht eine Herrschaft der Mehrheit?

Diese Frage begegnet einem doch sehr häufig. In diesem Fall muss man sich im Klaren darüber werden, dass es die Mehrheit so nicht gibt. Dafür ist es jedoch wichtig Demokratie nicht statisch auf einzelne Momente sondern dynamisch im Gesamtablauf zu betrachten.

In der Praxis (Nicht-Theorie ;-)) ist es ja letztendlich so, dass in vielen Bereichen Entscheidungen getroffen werden müssen. Die entscheidende Frage ist jedoch: von wem? Meine Antwort darauf ist: von allen!

Demokratie bedeutet für mich nicht eine Mehrheit beherrscht eine Minderheit, sondern alle dürfen (mit)entscheiden, keiner wird ausgeschlossen.

Das ist natürlich eine Frage der Betrachtungsweise, aber es ist nicht so, dass es eine feste Gruppe von Personen gibt, welche die Mehrheit sind und alles bestimmen. Im Gegenteil, es gibt unzählige Entscheidungen die getroffen werden müssen und dort bilden sich immer wieder neue Mehrheiten.

Für bestimmte Situationen braucht es natürlich trotzdem einen Minderheitenschutz, um spezielle Einschränkungen in Grundrechten zu verhindern. Die Ausgestaltung dieses Schutzes ist jedoch eine Frage für sich... :-)

Für mich fällt unter dem Schutz der Freiheiten von Minderheiten neben der bisher häufig angeführten Religionsfreiheit auch die Berücksichtigung von Bedürfnissen und der Schutz der Rechte von denjenigen, die nicht einmal selbst für sich eintreten können, wie z.B. bei Kindern und Jugendlichen, die kein Wahlrecht besitzen bzw. dieses nicht selbstständig ausüben könnten oder auch Behinderten und anderen Mitlebewesen (Tieren). Hier müssen Regelungen gefunden werden, so dass sich auch von politischer Seite mit deren Bedürfnissen beschäftigt wird und Rechte definiert werden, die z.B. auch in Vertretung durch Verbände (Verbandsklagerecht) eingefordert werden können.


ist das nicht reine Beliebigkeit in der Begriffsverwendung

Demokratie (gr.δῆμος [dēmos], „Volk“ und κρατία [kratía], „Herrschaft“)
Anarchie (gr. ἀναρχία [anarchía] ‚ „Herrschaftslosigkeit“)

Entsteht so nicht ein Widerspruch: also herrschaftslose Herrschaft?

Jain :-)

Man kann sich ja durchaus auch ein eigenes Verständnis von Begriffen erarbeiten, welches sich aus bestimmten Gründen vom Ursprung seiner Wortherkunft entfernt und nicht unbedingt jeder so teilt.

Sprache entwickelt sich weiter, jeder Begriff, jedes Wort kann eine neue Semantik erhalten, völlig unabhängig davon, wie der Ursprung ist. Nimmt man z.B. das Wort "cool", niemand versteht darunter noch "kühl" oder überhaupt irgendeine Art der räumlichen Temperatur. Das Verständnis ist übergegangen auf die Bezeichnung von etwas besonders Positivem, "xyz ist cool", bedeutet also "xyz ist besonders toll". Sicherlich kennt man noch den Ursprung der Wortherkunft, aber außer für Historiker spielt der Ursprung für die jetzt gebräuchliche Verwendung keine Rolle. Es kann auch keine Aussage getroffen werden, wo sich die Begriffsverwendung in Zukunft hinbewegt.


Ich sehe dies jedoch nicht als Beliebigkeit in der Begriffsverwendung, sondern als Freiheit Begriffe weiterzuentwickeln, um ihnen eine sinnvolle Bedeutung zu geben. In diesem Fall also Anarchie als Gesellschaftsform mit maximaler Freiheit. Demokratie, als die Möglichkeit, dass jeder partizipieren kann. So schließen sich diese beiden Dinge nicht mehr aus und bedingen sich sogar gegenseitig, wodurch Anarchie, also die maximale Freiheit überhaupt eben erst durch Demokratie möglich wird. Denn in jeder nicht demokratischen Gesellschaftsform herrschen Einzelne, denn die Meinung aller zu Thema x ist nicht bekannt bzw. interessiert sie auch niemanden.

In der Definition von Herrschaftlosigkeit beziehe ich nicht mit ein, wenn ich Herr(scher) meiner selbst bin und sehe darunter nur die Abwesenheit einer Fremdherrschaft, was in einer (echten) Demokratie in der jeder partizipieren kann auch gegeben ist.

Wenn niemand beherrscht wird, sondern jeder selbst mitwirkt und entscheidet, dann sind alle herrscherlos/ herrschaftslos und die maximale Freiheit aller ist erreicht.

Ein Beispiel für die Verwendung von Begriffen, weg von ihrem Ursprung

Man stelle sich Folgendes vor, ganz oben befindet sich Demokratie und ganz unten befindet sich Diktatur, dazwischen eine breite Grauzone:
Demokratie
-
-
-
-
-
-
Diktatur

Jetzt versucht man eine Gesellschaft dort einzuordnen. Nach welchen Kriterien würde man das rein rational tun?

Ich z.B. würde rein rational betrachten, wie hoch der Anteil der Entscheidungen, die von allen (Ea) getroffen werden ist im Vergleich zu allen Entscheidungen (Eg), die überhaupt getroffen werden, also <math> \frac{E_a}{E_g} </math>

Entsprechend dieses Quotienten würde ich beurteilen, wie demokratisch eine Gesellschaft ist und demnach würden ziemlich viele Länder sehr weit unten stehen, auch Deutschland. Aber das wäre jetzt die Einordnung rein der Logik nach.

Jetzt hat man bei Deutschland und den meisten anderen westlichen Demokratien jedoch einen Kniff gemacht, um das Wort Demokratie einfach auch für unsere derzeitige Gesellschaft anwenden zu können. Man hat einfach ein Wort davor gesetzt, nämlich "parlamentarische" oder auch "repräsentative" Demokratie und schon war man von der eigtl. Wortbedeutung weg und man war auf einmal eine Demokratie, obwohl nicht das Volk herrscht, sondern es sich nur auf bestimmte Herrscher einigen muss. Man hätte es natürlich auch parlamentarische Diktatur nennen können, aber das Glas ist eben halb voll und nicht halb leer ;-)

Genau das Gleiche mache ich auch, ich möchte eine (direkt)demokratische Anarchie, was für mich in dieser Einordnung von oben Demokratie und unten Diktatur der ganz obere Punkt ist, wobei die parlamentarische Demokratie ja irgendwo dazwischen liegt. Es ist also einfach eine Art der Definition, die ich auch selber kreieren kann, denn ich kann auch Teil der Sprachentwicklung sein, wobei der Begriff (direkt-)demokratische Anarchie auch nicht von mir stammt, wie man an Treffern bei einer Googlesuche sehen kann.

man kann sich auch die von uns Piraten verwendeten Schemata anschauen:

Fasst überall steht libertär als eigene Strömung und an der Spitze davon steht immer Anarchie. Anarchie bedeutet nach dieser Definition maximale Freiheit.

Das Einzige was ich jetzt mache, ist zu sagen, damit wirklich *jeder* die maximale Freiheit hat, muss es demokratisch zugehen, denn sonst hört die Freiheit des Einen eben nicht dort auf, wo die Freiheit des Anderen unverhältnismäßig beeinträchtigt wird.

Die weiteren Einordnungen in diese Schemata finde ich nicht wirklich gut, da ich zum Beispiel unter "links" und "rechts" völlig verschiedene Dinge subsumiere. Also links nicht nur als Kommunismus und rechts freie Marktwirtschaft, sondern auch links als ausländerfreundlich und rechts als ausländerfeindlich (nazistisch) etc., von daher habe ich für mein Piratenprofil nur die vertikale Achse genutzt, weil es in dieser 2-dimensionalen Einordnung nicht möglich ist "soziale Marktwirtschaft" und "ausländerfreundlich" gleichzeitig auszuwählen.

Denn ich will nicht mein Kreuz weiter links in Richtung Kommunismus setzen, nur um eine globale antinazistische Welt anzustreben.

Anarchistisch vs. Ultraliberal

Meiner Ansicht nach gibt es da keinen Unterschied, denn je liberaler, freiheitlicher eine Gesellschaft ist desto anarchistischer ist sie automatisch, weil Anarchismus ja das Maximum an Freiheit für alle bedeutet.

Das Problem ist, dass die FDP den Begriff liberal sehr verändert hat, leider zum Negativen, sie haben ihn einfach von der Gesellschaft auf die Wirtschaft übertragen. Sie versuchen also nicht die Freiheit der Mitglieder unserer Gesellschaft zu maximieren, sondern die einzelner Wirtschaftssubjekte.

Leider widersprechen sich diese beiden Maximierungen genau da, wo man die Freiheit von Wirtschaftssubjekten beschneiden muss, um die Freiheit der Gesellschaft zu maximieren. Genau deshalb bin ich auch Pirat, weil wir den Begriff "liberal" wieder in eine bessere Richtung lenken können. Wir können versuchen die Freiheit aller zu maximieren und nicht nur die einzelner Wirtschaftssubjekte.

ist Anarchie denn überhaupt eine Gesellschaftsform

"Anarchie ist doch keine Gesellschaftsform, sondern die Abwesenheit von Gesellschaft, ergo unsozial."

Dem kann ich mich nicht anschließen, denn nur weil keiner beherrscht wird, heißt das nicht, dass man in keiner Gesellschaft lebt. Eine Gesellschaft zeichnet sich nicht nur durch ihre Herrscher aus. Man kann genauso in einer Gesellschaft existieren in der nicht irgendeine Person oder Personengruppe alle Mitglieder der Gesellschaft beherrscht. Dem wird sicherlich jeder zustimmen, wenn er es auf kleinere Gruppen/Gesellschaften bezieht. Diese können problemlos ihre Dinge demokratisch regeln ohne dass es einen Herrscher gibt, der den anderen Mitgliedern alles diktiert.