Diskussion:Netzpolitische Thesen

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Version vom 8. Juli 2010, 20:43 Uhr von imported>Pavel (→‎Das Netz ist privater und öffentlicher Lebensraum von Menschen)
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Im Netz entscheidet sich die Zukunft

Das Industriezeitalter ist vor dreissig Jahren zu Ende gegangen. Derzeit erleben wir das Ende der Dienstleistungsgesellschaft. Das Informations- und Wissenszeitalter hat längst begonnen, und das Netz ist der Boden der Informationsgesellschaft. Auf diesem Boden werden Freundschaften geschlossen, Ehen angebahnt, Streitigkeiten ausgefochten, Verbrechen begangen und Informationskriege geführt. Aus der Welt des Netzes heraus werden globale Geld- und Warenströme gesteuert, automatisiert Kredite vergeben und Geschäfte getätigt. Im Netz entscheiden sich die Geschicke der materiellen Welt.

  • Die Forderung daraus: Das Netz braucht oberste politische Priorität.

Deutschland verschläft den Wandel zur Informationsgesellschaft

Weder die Politik noch breite Teile der Bevölkerung wollen es wahrhaben: Deutschland spielt im weltweiten Vergleich nur eine untergeordnete Rolle, was die Entwicklung, die Herstellung und den Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologie betrifft. Die Deutsche IKT-Wirtschaft ist nirgendwo führend, weder wirtschaftlich noch technologisch, und auch der Einsatz von IKT in privaten Haushalten, Politik, Verwaltung, Wissenschaft, Bildung und Wirtschaft hinkt anderen Industrienationen weit hinterher und liegen in den meisten Indikatoren zwischen Platz 20 und 30. Dies hat wirtschaftliche Folgen. Deutschland fällt zurück. Gemessen am Bruttoinlandsprodukt werden uns, nach China im letzen Jahr, in den nächsten Jahrzehnten noch Indien, Brasilien, Mexiko, Russland und Indonesien überholen, und wir werden uns wirtschaftlich in einer Liga mit Nigeria, Süd-Korea, der Türkei, Vietnam und den Philippinen befinden, wenn man den Erwartungen des internationalen Kapitals Glauben schenken will.

  • Die Forderung daraus: Wir müssen zehnmal mehr in eine Zukunft im Netz investieren, als wir es derzeit tun.

Das Netz verlangt nach Wahrhaftigkeit, Offenheit und Transparenz

In der Informationsgesellschaft helfen keine frommen Sprüche. Mißt man die Grundsatzprogramme der politischen Parteien an der politischen Realität, so scheinen Werte wie Freiheit, Solidarität, Brüderlichkeit, Respekt und gegenseitige Rücksichtnahme zu hohlen Phrasen verkommen. Nehmen die etablierten Parteien diese Begriffe im Zusammenhang mit dem Netz in den Mund, so gibt das Anlass zu schlimmsten Befürchtungen. Das Netz reagiert allergisch auf Neusprech und Phrasen, denn es ist ein globales und in weiten Teilen automatisiertes informationsverarbeitendes System, dass am besten funktioniert, wenn Informationen so präzise und zutreffend wie möglich sind. Lügen, Propaganda und Vertuschungsversuche sind aus Sicht des Netzes primär Störquellen, die es auszuschalten gilt. Dabei kennt das Netz keine Gnade.

Das Netz belohnt diejenigen Gruppen, Organisationen und Individuen, die es offen und transparent mit zutreffenden Informationen füttern.

  • Die Forderung daraus: Politik in Zeiten in der globalen Informationsgesellschaft muss maximal offen und transparent sein.

Das Netz ist privater und öffentlicher Lebensraum von Menschen

Die jüngeren Menschen sowie jene, die mit der Zeit gegangen sind, begreifen das globale Netz als selbstverständlichen Teil ihres persönlichen Lebensraums. Dieser Lebensraum ist für sie so real und so bedeutend wie die Häuser, in denen sie wohnen, die Strassen, auf denen sie sich bewegen, und die Städte, in denen sie leben. Das Netz ist nicht einfach eine Infrastruktur, es ist eine Welt, in der Menschen leben und oft tiefer verwurzelt sind als in ihrer realen Umgebung.

  • Die Forderung daraus: Netzpolitik braucht Feingefühl.

Das Netz spiegelt die reale Welt, doch es ist von anderer Natur

Im Netz finden wir alles vor, was wir aus der realen Welt kennen. Wir treffen dort auf Kranke und Verrückte, Unternehmen, eine Zivilgesellschaft, Wissenschaft, Sex, Politik, Propaganda, Journalismus, Verbrechen, Kampf, Gesetze, Polizei, Terroristen und Geheimdienste. Vor allem aber treffen wir dort auf freundliche und hilfsbereite Menschen und eine ungeheure Menge an gesammeltem Wissen, dass jeden von uns befähigt, weit über sich selbst hinauszuwachsen.

Doch nur weil wir auf viel Vertrautes treffen, dürfen wir nicht glauben, dass die Regeln der alten materiellen Welt ein geeignetes Vorbild sind, um die Welt des Netzes zu regulieren, denn das Netz ist von einer anderen Natur. Wir bedienen uns vieler Metaphern, um Phänomene im Netz zu beschreiben, doch Metaphern verhalten sich zur wahren Natur des Netzes wie Landkarten zum Gebiet. Sie bieten Orientierung, sind aber keinen Ersatz für die Erfahrung, im Netz zu leben. Im Netz haben unsere Vorstellungen über elementare Merkmale unserer realen Welt keine Gültigkeit. Begriffe wie Raum, Zeit, Nähe, Territorium, Identität, Gewalt, Ressourcen, Freiheit, Arbeit und Eigentum haben im Netz gänzlich andere Bedeutung. Das Netz wird von anderen Gesetzmässigkeiten bestimmt.

  • Die Forderung daraus: Das Netz braucht eigene Gesetze.

Das Netz ist eine globale Einraumwohnung

Im globalen Netz ist jeder Mensch vom anderen nur eine Zehntelsekunde entfernt, so als säßen wir alle im selben Raum. Wir sind keine Nachbarn in einem globalen Dorf, wir sind Mitbewohner einer Einraumwohnung. Daran zeigt sich auch die Begrenztheit von Metaphern aus der realen Welt. Das Netz ist ein Raum, wie es ihn in der realen Welt nicht gibt. Es ist unermesslich gross, doch alles kann beliebig nah sein. Eine solche Welt braucht andere Regeln, und sie können nur von den Mitbewohnern dieser Welt gestaltet werden. Wer nicht im Netz lebt, kann für das Netz keine passenden Regeln machen.

  • Die Forderung daraus: Netzpolitik braucht andere Politiker.

Das Netz ist eine unerschöpfliche Almende

Die Güter der materiellen Welt sind begrenzt und erschöpflich. Was der eine Mensch besitzt oder verbraucht, darauf muss der andere verzichten. Immaterielle Güter hingegen können beliebig oft vervielfältigt werden. In der Informationsgesellschaft gibt es keine natürliche Knappheit. Die Tragödie unserer Zeit besteht jedoch darin, dass mit Gesetzen eine künstliche Verknappung an immateriellen Gütern erzeugt wird. Staaten garantieren umfassende Monopolrechte auf Immaterialgüter, ohne dass es hierfür eine überzeugende Rechtfertigung gibt. Zwar erfordert auch die Herstellung immaterieller Güter zum Teil erheblichen materiellen Aufwand, doch dies rechtfertigt es nicht, die Gesellschaft von der beliebigen Nutzung und Vervielfältigung dieser Güter auszuschliessen, wenn die Herstellungskosten mehrfach vergütet wurden.

Die Monopolrechte auf Immaterialgüter wirken wie Handelszölle, doch während Handelszölle nur den Austausch von Waren und Dienstleistungen über Landesgrenzen hinweg beschränken, unterbinden Monopolrechte auf Immaterialgüter die Verbreitung von Wissen und Information innerhalb des Landes.

Die Zukunft wird aber denen gehören, die freien Zugang zum Wissen der Welt haben und die besten Bedingungen schaffen können, dieses Wissen zu vermehren.

  • Die Forderung daraus: Alle Monopolrechte auf Immaterialgüter müssen auf den Prüfstand.

“Kostenloskultur” im Netz ist Ziel und Ergebnis wirtschaftlicher Optimierung

Das Netz ist Brutstätte moderner Geschäftsmodelle, die es möglich machen, wertvolle Dienstleistungen für den Kunden kostenlos zu erbringen, und das ist auch gut und richtig so. Der Trend geht sogar hin zu “Less-Than-Zero-Cost”-Geschäftsmodellen, bei denen die Inanspruchnahme einer Leistung gleichzeitig mit einer Leistungserbringung einhergeht, die Erlöse für den Nutzer eröffnet. Google ist mit seinem Betriebssystem “Android” das derzeit beste Beispiel. Mobilfunkgerätehersteller müssen für das offene Betriebssystem nicht bezahlen, sie erhalten indirekt dafür Geld von Google. Auf ähnliche Weise finanziert sich die Entwicklung des kostenlosen Webbrowsers “Mozilla Firefox”. Andere Beispiele für wertvolle, kostenlose Dienste sind Wikipedia und OpenStreetMap, bei denen die Leistungen überwiegend ehrenamtlich von den Nutzern erbracht werden. Wikipedia hat kommerzielle Enzyklopädien praktisch vom Markt verdrängt.


Das Netz ist sicherer als die reale Welt

Das Netz ermöglicht es, vielfältige Dinge zu tun, ohne sich Gefahren für Leib und Leben auszusetzen. Man kann Reisen ohne Gefahr von Unfällen, man kann Menschen treffen, ohne sich der Gefahr von Übergriffen auszusetzen, man kann global publizieren, ohne unterdrückt werden zu können, und man kann mit Gleichgesinnten kommunizieren, die tabuisierte Probleme haben, ohne Stigmatisierung befürchten zu müssen.

Für viele Formen der Sicherheit ist jedoch die Möglichkeit der anonymen Teilnahme eine wichtige Voraussetzung. Anonymität erschwert zwar in Einzelfällen eine Verfolgung von Straftaten, doch das Abschaffen von Anonymität zerstört mehr Sicherheit, als sie schafft.

Im Netz geschehen keine Schwerverbrechen. Diese werden in der realen Welt begangen.

  • Die Forderung daraus: Das Netz braucht keine neuen Straf- und Sicherheitsgesetze.

Freier Zugang zum Netz ist ein Menschenrecht

Ohne Zugang zum Netz ist eine vollwertige gesellschaftliche Teilhabe nicht mehr möglich. Einem Menschen den Zugang zum Netz zu verbieten kommt heutzutage einem Arrest gleich. Wer sich aus finanziellen Gründen keinen Netzzugang leisten kann, ist in der Informationsgesellschaft ein Obdachloser. Wem die Fähigkeiten fehlen, sich im Netz zu bewegen, ist in der neuen Welt ein Behinderter, dem Hilfe zuteil werden muss.

  • Die Forderung daraus: Das Recht auf Netzzugang gehört in die Verfassung.

Das Netz spaltet die Gesellschaft, weil unser Bildungssystem versagt

Das Netz verändert die Gesellschaft mit zunehmender Geschwindigkeit und erzeugt Gewinner und Verlierer. Derjenige, dessen Fähigkeiten gefragt sind, oder der sich gefragte Fähigkeiten schnell genug aneignen kann, gehört vielleicht zu den Gewinnern. Für alle anderen bleiben schlecht bezahlte Arbeit und Sozialleistungen. Heute bereits kostet der Lebensunterhalt eines Menschen mehr, als der er mit schlecht bezahlter Arbeit verdienen kann. Diese Schere wird sich weiter öffnen. Die richtige Bildung ist für die meisten Menschen die einzige Chance auf gutes Einkommen, doch was ist die richtige Bildung, wenn sich alles verändert? Nur eines ist bereits gewiss: Das Netz ist das wichtigste Mittel und zugleich der wichtigste Zweck von Bildung. Unser Bildungssystem ist dem nicht gewachsen und versagt. Dass Schüler mehr Netzkompetenz haben als ihre Lehrer ist keine vorübergehende Kuriosität mehr. Es ist eine dramatische Katastrophe.

  • Die Forderung daraus: Das Netz erfordert eine radikale Veränderung unseres Bildungsystems - personell, institutionell und inhaltlich.


Das Netz ist der Schlüssel zum Abwenden der Katastrophe

Das Zeitalter von billigem Öl als Treibstoff wirtschaftlicher Entwicklung neigt sich dem Ende zu. In weiten Teilen der Welt schreitet die Zerstörung natürlicher Lebensgrundlagen voran, und das Klima verändert sich. Diese Entwicklungen treffen auf eine steigende Weltbevölkerung und eine Industrialisierung bevölkerungsreicher Teile der Welt. Gleichzeitig überaltert die Bevölkerung in den Industrieländen. Es ist absehbar, dass Wirtschaftskrisen und Konflikte um die Verteilung von Energie und Rohstoffen in der Welt das 21. Jahrhundert beherrschen werden, wenn die Politik des 20. Jahrhunderts einfach fortgeführt wird. Milliarden Menschen werden als Folge von Krieg, Hunger, Krankheit sowie Umwelt- und Naturkatastrophen elendig zu Grunde gehen, wenn keine Lösungen gefunden werden.

  • Das Netz ist die einzige Hoffnung, gemeinsam Lösungen für heute unüberwindlich erscheinende Probleme zu finden und diese Lösungen weltweit zu verbreiten.
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