Benutzer:Mehli/Antrag Bedingungslose Grundsicherung

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Bedingungslose Grundsicherung

Voraussetzungen

Das Verständnis von Arbeitslosigkeit

Ein großes Problem unseres Sozialwesens liegt in dem Verständnis von Arbeitslosigkeit: Die Annahme, Arbeitslosigkeit sei – sowohl für den Einzelnen als auch gesamtwirtschaftlich – nur ein vorübergehendes Phänomen, das mit den richtigen politischen Maßnahmen zurückgedrängt und bedeutungslos gemacht werden kann, führt in die Irre. Seit dem Ende des „Wirtschaftswunders“ gab es in Deutschland zu jeder Zeit einige Millionen Arbeitslose; selbst während des Booms der Jahre 2005 bis 2008 gab es nie weniger als drei Millionen Arbeitslose.[1] Das Vorhandensein von Arbeitslosigkeit in unserer Gesellschaft ist inzwischen Normalität, Vollbeschäftigung auf absehbare Zeit hin nicht zu erreichen.

Arbeitslosigkeit ist an sich allerdings kein Problem: Während die Anzahl der Erwerbstätigen in den letzten beiden Jahrzehnten ungefähr konstant blieb[2], wuchs die deutsche Wirtschaft – das Krisenjahr 2009 außer Acht gelassen – pro Jahr um durchschnittlich 1,5 Prozent[3]. Umgekehrt bedeutet dies: Wir wären in der Lage, mit immer weniger Erwerbstätigen den gleichen Wohlstand zu produzieren; gleichzeitig sind wir – wollen wir mehr Arbeitslose verhindern – zu Wirtschaftswachstum gezwungen.

Das Problem des Prinzips „Fördern und fordern“

Das den Hartz-IV-Reformen zugrunde liegende Prinzip lautet „Fördern und fordern“: Den Arbeitslosen soll durch Fortbildungen u. Ä. geholfen werden, schneller wieder einen Job zu finden, ihre Bemühungen werden dabei regelmäßig kontrolliert. Dabei geht das Hartz-Konzept von falschen Voraussetzungen aus: „Fördern und fordern“ würde nur funktionieren, wenn für jeden Arbeitslosen auch eine unbesetzte Stelle zur Verfügung stände; dies ist aber weder jetzt noch in absehbarer Zukunft der Fall.[4] Arbeitslose müssen also, um eine Grundsicherung zu erhalten, sich um einen Arbeitsplatz bemühen, der eigentlich gar nicht vorhanden ist.

Eine Grundsicherung, die Arbeitslosigkeit als anormal und ausschließlich vom Hilfsbedürftigen selbst verschuldet ansieht, geht an der Realität vorbei und missachtet die Würde der Betroffenen; sie kann nur funktionieren, wenn ihre Auszahlung nicht an Bedingungen geknüpft ist.

Das bessere Modell: eine Bedingungslose Grundsicherung

Aus diesen Gründen fordern die Piraten eine Grundsicherung, die jedem Deutschen[5] bedingungslos und ohne Bedürftigkeitsprüfung ausgezahlt wird.

Größerer Arbeitsanreiz

Eine Grundsicherung, die nicht bedingungslos ist, hat ein fundamentales Problem: Mit dem Erwerbseinkommen muss zuerst die Höhe der Grundsicherung erreicht werden, bevor sich die Arbeit für den Arbeitnehmer überhaupt „lohnt“. Dagegen schafft eine bedingungslose Auszahlung einen hohen Anreiz, Arbeit anzunehmen, auch wenn sie schlechter bezahlt ist: Jeder aus eigener Arbeit verdiente Euro, jede auch noch so kleine Leistung erhöht das Gesamteinkommen. Eine Verrechnung mit der Grundsicherung verringert die Motivation, einer Arbeit nachzugehen; nur bei einem nicht an Bedingungen geknüpften zugesicherten Einkommen ist ab dem ersten hinzuverdienten Euro der Anreiz gleich hoch.

Achtung der Privatsphäre

Um Arbeitslosengeld II zu erhalten, muss jeder Betroffene eine so genannte „Bedürftigkeitsprüfung“ über sich ergehen lassen. „Bedürftig“ ist nur, wer eine bestimmte Einkommenshöhe nicht überschreitet und kein größeres Vermögen hat. Kosten für Wohnung werden nur übernommen, soweit sie „angemessen“ sind. Ob man bedürftig ist, muss vor Erhalt der Leistungen sorgfältig nachgewiesen werden: Einkommens-, Vermögens- und Wohnverhältnisse müssen vor dem Staat offengelegt werden. Dieser Eingriff in die Privatsphäre des Einzelnen ist für Piraten inakzeptabel; eine Bedürftigkeitsprüfung führt zu einer Bloßstellung der Betroffenen gegenüber dem Staat und achtet in keiner Weise deren Menschenwürde.

Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit

Nach Artikel 2 des Grundgesetztes hat jeder „das Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit“. Dieses Recht wird von Staat und Gesellschaft zur Zeit aber nicht ausreichend gewährleistet. Nur mit einem ohne Bedingungen zugesicherten Einkommen ist dies der Fall. Jeder kann den Tätigkeiten nachgehen, die er für sinnvoll erachtet, wenn gewünscht, auch vollkommen unabhängig von finanziellen Gesichtspunkten. Unbezahlte Arbeit, wie sie zum Beispiel in Ehrenämtern oder in jedem Haushalt geleistet wird, würde von Gesellschaft und Staat die nötige Achtung erfahren.

Neben der freien Entfaltung der Persönlichkeit garantiert ein bedingungsloses Einkommen auch die Menschenwürde des Einzelnen, die „zu achten und zu schützen“ nach Artikel 1 des Grundgesetzes Pflicht und Aufgabe des Staates ist. Voraussetzung für ein menschenwürdiges Leben ist Nahrung und Unterkunft; ohne Geld dafür ist ein menschenwürdiges Leben nicht möglich. Eine bedingungslose Grundsicherung leistet die vom Grundgesetz geforderte bedingungslose Gewährleistung der Menschenwürde.

Verängstigte Gesellschaft

Immer mehr Menschen haben – oftmals begründet, oftmals auch ungerechtfertigt – Angst davor, ihren Arbeitsplatz zu verlieren. Kurzarbeit und Zeitverträge führen zu brüchigen Arbeitsbiographien, in denen nach kurzer Zeit der Arbeitgeber wechselt; Zwischenzeiten ohne feste Anstellung sind die Regel. Eine bedingungslos zugesicherte Grundsicherung würde verhindern, dass solche Situationen existenzgefährdende Ausmaße annehmen und würde es allen ermöglichen, ohne Angst vor solchen Situationen zu leben.

Unabhängigkeit

Neben der Unabhängigkeit von Erwerbsarbeit wird auch die Unabhängigkeit innerhalb von Partnerschaften und Familien gefördert. Gibt es einen Alleinverdiener, können sich Partner und Kinder allein auf dessen Einkommen stützen; bei Problemen, Trennung oder Scheidung haben aber auch jene, die keiner Erwerbsarbeit nachgehen, ein finanzielles Fundament, auf das sie ihre weitere Lebensplanung stützen können. Unterhaltsstreitigkeiten könnten so um ein erhebliches Maß reduziert werden.

Auch für Studenten würde eine bedingungslose Grundsicherung eine erhebliche Erleichterung bedeuten: Sie wären weder von Zuschüssen ihrer Eltern noch von eigener Arbeit abhängig, sondern könnten sich ausschließlich auf ihr Studium konzentrieren. Dies wäre auch im Zuge der Gleichberechtigung von Studenten verschieden vermögender Eltern gerecht.

Auswirkungen auf Arbeitnehmer

In Zeiten, in denen es mehr Arbeitslose als freie Stellen gibt, existiert kein wirklicher Arbeits „markt“. Ein Markt funktioniert nur so lange, wie sich beide Verhandlungspartner in einer etwa gleich starken Position befinden. Nur, wenn Arbeitnehmer dank einer bedingungslosen Grundsicherung zu einem Jobangebot auch nein sagen können, funktioniert der Arbeitsmarkt. Gehalt oder Lohn können so frei verhandelt werden, im Ergebnis steht eine für Arbeitnehmer und Arbeitgeber akzeptable Höhe.

Höhe und Finanzierung

Jegliche Finanzierung einer Grundsicherung ist hauptsächlich abhängig von ihrer Höhe. Generell ist zu berücksichtigen, dass durch die Einführung einer bedingungslosen Grundsicherung der Steuerfreibetrag wegfallen und die Renten ersetzt würden. Subventionen bestimmter Branchen oder Firmen mit dem Ziel des Arbeitsplatzerhalts können reduziert und abgeschafft werden.

Minimale Höhe

Eine bedingungslose Grundsicherung muss eine Existenzgrundlage bilden, die sowohl die materiellen Grundbedürfnisse befriedigen kann als auch Teilhabe an Kultur und Gesellschaft ermöglicht. Daraus lässt sich ableiten, dass die minimale Höhe einer solchen Grundsicherung etwa dem jetzigen Niveau des Arbeitslosengelds II entspricht. Ob diese Höhe allerdings ausreicht, alle oben genannten gewünschten Effekte zu erzielen, bleibt zu erörtern.

Koppelung an Bruttoinlandsprodukt

In einem volkswirtschaftlich vertretbaren Bereich ist die Finanzierung ausschließlich Frage des politischen Willens: Wie groß soll die Umverteilung, die der Staat vornimmt, sein? Eine Koppelung an das Bruttoinlandsprodukt könnte zudem bei schlechter volkswirtschaftlicher Lage den Anreiz zu arbeiten durch eine geringere Höhe der Grundsicherung zusätzlich verstärken und bei hohen Wachstumsraten ein „Überhitzen“ der Konjunktur verhindern; Untergrenze wäre in jedem Fall das niedrigste mit Artikel 1 des Grundgesetzes vereinbare Einkommen.

Nachweise