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keine Bearbeitungszusammenfassung
Anmerkung: Das kam über eine ML, ich bin nicht der Autor --[[Benutzer:Twix|Twix]] 22:01, 5. Jun. 2010 (CEST)


Ahoi Piraten,

ich habe mir kürzlich das Buch "Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen
den Staat" von H.D. Thoreau gekauft. Leider hat das Buch mir nur ca. 90
Minuten Freude bereitet, denn dann hatte ich das Buch bereits gelesen.
Kosten: ca. 14,00 Euro

Nun denke ich aber, dass der Inhalt dieses Buches wirklich sehr
lesenswert ist und ich diesen mit euch teilen möchte... deswegen habe
ich mir die Arbeit gemacht das Buch abzutippen (habe nur einen
Billigscanner) und stelle es hiermit jedem zur Verfügung. Natürlich
passieren beim abtippen immer Fehler... deswegen bitte ich euch mich auf
diese hinzuweisen.



PS: moralische Bedenken bezüglich Urheberrecht habe ich keine, da der
Autor bereits seit 1862 verstorben ist.



Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat
von
H.D. Thoreau



Ich habe mir den Wahlspruch zu eigen gemacht:”Die beste Regierung ist
die, welche am wenigsten regiert”; und ich sähe gerne, wenn schneller
und gründlicher nach ihm gehandelt würde. Wenn er verwirklicht wird.
Dann läuft es auf dies hinaus - und daran glaube ich auch: “Die beste
Regierung ist die, welche gar nicht regiert”; und wenn die Menschen
einmal reif dafür sein werden, wird dies die Form der Regierung sein.
Eine Regierung ist bestenfalls ein nützliches Instrument; aber die
meisten Regierungen sind immer – und alle sind manchmal – unnütz.
Die Einwände, die man gegen ein stehendes Heer vorgebracht hat – und
davon gibt es viele und gewichtige die sich durchsetzen sollten-, können
letzlich auch gegen eine ständige Regierung erhoben werden. Das stehende
Heer ist doch nur ein Arm der ständigen Regierung. Diese Regierung aber,
die nichts weiter als die Form ist, welche das Volk zur Ausführung
seines Willens gewählt hat, kann leicht missbraucht und verdorben
werden, bevor das Volk Einfluß darauf nehmen kann. Der Krieg in Mexiko
beweist es, das Werk einer vergleichsweise geringen Zahl von einzelnen,
welche die ständige Regierung als Werkzeug benutzen: Das Volk hätte
dieser Maßname von vornherein nicht zugestimmt.

Was ist die amerikanische Regierung anderes als eine Tradition – wenn
auch eine recht junge -, die dannach strebt, sich selbst ohne
Machteinbuße für die Nachwelt zu erhalten, die dabei aber in jedem
Augenblick mehr von ihrer Glaubwürdigkeit verliert? Sie hat ja nicht
einmal die Lebenskraft und Energie eines einzigen Mannes, denn ein
einzelner kann sie nach seinem Willen zurechtbiegen. Sie ist eine Art
Holzgewehr für das Volk; wenn man es tatsächlich zum Schießen
verwenden wollte – es würde ganz sicher bersten. Deshalb ist sie aber
nicht weniger notwendig; die Leute brauchen einfach irgendeine
umständliche Maschine, sie wollen ihren Lärm hören, um die Vorstellung
zu befriedigen, die sie von einer Regierung haben. Regierungen führen
uns also vor, wie leicht man die Menschen betrügen kann, ja, wie sie
sich sogar selbst betrügen – und zwar zu ihrem eigenen Vorteil. Wir
müssen zugeben: es ist eindrucksvoll. Nur, von sich aus hat die
Regierung noch nie irgendeine Unternehmung gefördert, höchtens durch
die Behendigkeit, mit der sie ihr aus dem Weg gegangen ist. Sie bewahrt
nicht die Freiheit des Landes. Sie besiedelt den Westen nicht. Sie
erzieht nicht. Alles was erreicht wurde, verdanken wir unserem ureigenen
Charakter des amerikanischen Volkes; und der würde mehr ausgerichtet
haben, wenn die Regierung nicht so oft im Wege gestanden hätte. Denn die
Regierung ist ein Istrument, mit dessen Hilfe sich die Menschen endlich
gegenseitig in Ruhe lassen könnten; und sie ist, wie gesagt, um so
nützlicher, je mehr die Regierten von ihr in Ruhe gelassen werden. Wenn
sie nicht aus Gummi wären, könnten Handel und Wirtschaft niemals die
Hindernisse überspringen, welche die Gesetzgeber ihnen unaufhörlich in
den Weg legen. Wenn man diese Leute nur nach den Auswirkungen ihres
Handelns und nicht teilweise auch nach ihren Absichten beurteilte, dann
verdienten sie, zusammen mit jenem Gesindel eingestuft und bestraft zu
werden, welches Hindernisse auf Eisenbahnschienen legt.

Ich will sachlich reden und nicht wie die Leute, die sich gegen jegliche
Regierung aussprechen. Ich sage nicht: von jetzt an keine Regierung mehr,
sondern: von jetzt an eine bessere Regierung. Jedermann soll erklären,
von welcher Art von Regierung er Achtung haben könnte, und das wird ein
Schritt auf dem Weg zu ihr sein.

Der praktische Grund, warum die Mehrheit regieren und für längere Zeit
an der Regierung bleiben darf, wenn das Volk die Macht hat, ist
schließlich nicht, dass die Mehrheit gegenüber fair ist, sondern ganz
einfach, dass sie physisch am stärksten ist. Aber eine Regierung, in der
die Mehrheit in jedem Fall den Ausschlag gibt, kann nicht auf
Gerechtigkeit gegründet sein, nicht einmal soweit Menschen die
Gerechtigkeit verstehen. Könnte es nicht eine Regierung geben, in der
nicht die Mehrheit über falsch und richtig befindet, sondern das
Gewissen? - in der die Mehrheit nur solche Fragen entscheidet, für die
das Gebot der Nützlichkeit gilt? Muss der Bürger auch nur einen
Augenblick, auch nur ein wenig, sein Gewissen dem Gesetzgeber
überlassen? Wozu hat denn jeder Mensch ein Gewissen? Ich finde, wir
sollten erst Menschen sein und danach Untertanen. Man sollte nicht den
Respekt vor dem Gesetz pflegen sondern vor der Gerechtigkeit. Nur eine
einzige Verpflichtung bin ich berechtigt einzugehen, und das ist,
jederzeit zu tun, was mir recht erscheint. Man sagt, dass vereinte Masse
kein Gewissen hat – und das ist nur zu wahr; gewissenhafte Menschen
aber verbinden sich zu einer Vereinigung mit Gewissen. Das Gesetz hat die
Menschen nicht um ein Jota gerechter gemacht, gerade durch ihren Respekt
vor ihm werden auch die Wohlgesinnten jeden Tag zu Handlangern des
Unrechts. Ein allgemeines und natürliches Ergebnis dieses
ungebührlichen Respekts vor dem Gesetz sieht man zum Beispiel in einer
Kolonne von Soldaten: Oberst, Hauptmann, Korporal, Gemeine, Pulverjungen
und alles, wie sie in bewundernswerter Ordnung über Berg und Tal in den
Krieg marschieren, wieder ihren Willen, ja wieder ihren gesunden
Menschenverstand und ihr Gewissen - weshalb es ein recht anstrengender
Marsch wird und beträchtliches Herzklopfen verursacht. Sie zweifeln
nicht daran, dass es ein verdammenswertes Geschäft ist, mit dem sie sich
da befassen; sie möchten alle friedlich sein. Aber was sind sie denn
eigentlich? Sind sie überhaupt Männer, oder kleine bewegliche
Verschanzungen und Waffenlager, und irgendeinem skrupellosen Menschen,
der gerade an der Macht ist, zu Diensten? Geht doch einmal zu einem
Kriegshafen und seht euch einen Matrosen an, eine Art Mensch, wie nur die
amerikanische Regierung sie zustande bringt. Ein Ding, dass sie mit ihren
bösen Künsten aus einem Menschen gemacht hat - es ist nur noch ein
Schatten und eine schwache Erinnerung von Menschentum, ein Mann, lebendig
aufgebahrt und aufrecht, doch sozusagen schon unter Waffen begraben und
von einem Leichenzug begleitet, obgleich es auch noch anders sein kann:

“Kein Begräbniss, kein Trommelgruß,
Als wir seinen Leichnam zu den Wällen trugen.
Kein Soldat gab einen Abschiedsschuss
Über dem Grab, in das wir unsern Helden legten.”


Die Mehrzahl der Menschen dient dem Staat mit ihren Körpern; nicht als
Menschen, sondern als Maschinen. Sie bilden das stehende Heer und die
Miliz, die Gefängniswärter, die Konstabler, Gendarmen etc. In den
meisten Fällen bleibt da kein Raum mehr für eigenes Urteil oder
moralisches Gefühl; sie stehen auf derselben Stufe wie Holz und Steine;
vielleicht könnte man Holzmänner herstellen, die ebenso zweckdienlich
wären. Solche Wesen flößen nicht mehr Achtung ein als Strohpuppen oder
ein Dreckklumpen. Sie sind nicht mehr wert als Pferde oder Hunde. Und
doch hält man solche Menschen gewöhnlich sogar für gute Bürger.
Andere, wie die meisten Gesetzgeber, Politiker, Advokaten, Pfarrer und
Würdenträger, dienen dem Staat vor allem mit Ihren Köpfen; doch weil
sie selten moralische Urteile fällen, könnten sie – ohne es zu wollen
– ebensowohl dem Teufel dienen wie Gott. Nur wenige Helden, Patrioten,
Märtyrer, wirkliche Reformer und Menschen dienem dem Staat auch mit dem
Gewissen, weshalb sie sich ihm oft widersetzen müssen; sie werden
gewöhnlich von ihm als Feinde behandelt. Ein Weiser wird immer nur als
Mensch dienlich sein wollen, er wird sich nicht dazu hergeben, “Lehm”
zu sein, um ein Loch zu stopfen, um den Wind abzuhalten, sondern er wird
diese Aufgabe dem Staub überlassen:




“Zu hoch ist jeder Mensch geboren,
um jemals Eigentum,
der zweite nur zu sein am Steuer,
nützlicher Dienstmann und Werkzeug
für irgendeine Macht auf dieser Erde.“


Wer sich ganz den Mitmenschen hingibt, erscheint ihnen nutzlos und
selbstsüchtig; wer sich aber nur zum Teil gibt, wird zum Wohltäter und
Menschenfreund erklärt. Wie also soll man sich heutzutage zu dieser
amerikanischen Regierung verhalten? Ich antworte, dass man sich nicht
ohne Schande mit ihr einlassen kann. Nicht für einen Augenblick kann ich
eine politische Einrichtung als meine Regierung anerkennen, die zugleich
auch die Regierung von Sklaven ist. Alle Menschen bekennen sich zum Recht
auf Revolution; dass heißt zu dem Recht, der Regierung die Gefolgschaft
zu verweigern und ihr zu widerstehen, wenn ihre Tyrannei oder ihre
Untüchtigkeit zu groß und unerträglich wird. Aber fast alle sagen, das
sei jetzt nicht der Fall. Wohl aber glauben sie, während der Revolution
von 1775 sei es der Fall gewesen. Wenn mir jetzt jemand damit käme,
unsere Regierung sei schlecht, weil sie gewisse ausländische Waren
besteuerte , die in Ihre Häfen gebracht worden sind, dann würde ich
kein großes Lamento darüber anstimmen, denn ich kann ohne diese Waren
auskommen. Alle Maschinen haben eine gewisse Trägheit, und diese leistet
vielleicht auch genug Gutes, um das Schlechte aufzuwiegen. Auf jeden Fall
ist es ein großer Fehler, deshalb solchen Lärm zu schlagen. Wenn aber
die Trägheit einen eigenen Apparat erhält, wenn Unterdrückung und Raub
organisiert werden, dann sag ich: Wir wollen einen solch Apparat nun
nicht länger dulden. Mit anderen Worten, wenn ein sechstel der
Bevölkerung einer Nation, die sich selbst zu einer Zuflucht der Freiheit
gemacht hat, versklavt ist und wenn ein ganzes Land widerrechtlich
überrannt, von einer fremden Armee erobert und dem Kriegsrecht
unterworfen wird, dann, meine ich, ist es nicht zu früh für ehrliche
Leute, aufzustehen und zu rebellieren. Und es wird nur noch dringender
zur Pflicht durch die Tatsache , dass es nicht unser Land ist, welches
man derart überrannt hat, sondern, dass es unsere Armee ist die dort
einfällt.

Paley, eine bekannte Autorität für Fragen der Moral, führt in seinem
Kapitel über die “Pflicht zu Unterwerfung unter die Staatsgewalt”
alle Bürgerpflicht auf die zweckmäßigkeit zurück; dann fährt er mit
den Worten fort: “Solange das Interesse des Ganzen es erfordert, das
heißt, solange wie man sich der bestehenden Regierung nicht widersetzen
oder sie ohne allgemeine Unbequemlichkeit verändern kann, ist es Gottes
Wille, dass man der bestehenden Regierung gehorcht – und nicht länger.
Folgt man diesem Prinzip, dann kann man die Berechtigung jedes einzelnen
Falles von Widerstand ermitteln: die Größe der Gefahr und des
Ärgernisses auf der einen, die Erfolgschancen und die Kosten auf der
anderen Seite der Abrechnung. Er sagt, darüber solle jedermann selbst
urteilen. Aber Paley hat anscheinend niemals über die Fälle
nachgedacht, auf die man das Gesetz der Zweckmäßigkeit nicht anwenden
kann, die Fälle, in denen ein Volk, ebenso wie der Einzelmensch,
Gerechtigkeit üben muss, koste es, was es wolle. Wenn ich einem
Ertrinkendem das Holzbrett entrissen habe, mit dem er sich über Wasser
gehalten hat, dann muss ich es ihm zurückgeben, und wenn ich dabei
selbst ertrinke!!! Paley zufolge wäre das unangemessen. Wer aber in
solcher Lage sein Leben rettet, der wird es verlieren. Dieses Volk muss
aufhören, Sklaven zu halten und in Mexiko Krieg zu führen, und wenn es
seine Existenz als Volk kosten würde. In der Praxis verfahren die
Nationen nach Paleys Rezept, glaubt aber jemand, dass Masachusetts in der
gegenwärtigen Krise das Richtige tut?

“Ein miserables Land,
eine rechte Talmi-Schlampe
Lässt sich die Schleppe tragen, und die Seele schleift im Schmutz.”


Die Gegner einer Reform in Massachusetts sind in Wirklichkeit nicht
hunderttausende Politiker im Süden, sondern hunderttausend Krämer und
Bauern bei uns, die sich mehr für Handel und Landwirtschaft
interessieren als für die Menschlichkeit und die nicht bereit sind, den
Sklaven und dem Lande Mexiko Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, koste
es, was es wolle. Ich kämpfe nicht gegen Feinde an, die weit weg sind,
sondern gegen die Feinde hier, in der Nähe, die mit denen im Süden
zusammenarbeiten, gegen ihre Fürsprecher, ohne die sie machtlos wären.
Wir sagen gewöhnlich, die Masse der Menschen sei unreif; aber dieser
Zustand bessert sich nur deshalb so langsam, weil die “wenigen” nicht
wesentlich besser oder klüger sind als die “vielen”. Es ist nicht so
wichtig, dass die große Menge ebenso gut ist wie ihr, sondern dass es
überhaupt irgendwo vollkommene Güte gibt; denn schon ein bisschen Hefe
wird den Teig aufgehen lassen. Es gibt Tausende, die im Prinzip gegen
Krieg und Sklaverei sind und die doch praktisch nichts unternehmen, um
sie zu beseitigen; die sich auf den Spuren Washingtons oder Franklins
glauben und zugleich ruhig sitzen bleiben, die Hände in den Taschen; sie
sagen, sie wüßten nicht, was zu tun sei, und tun eben auch nichts;
Menschen, für die die Frage der Freiheit hinter der des Freihandels
zurücktritt und die nach dem Essen in aller Ruhe die Tagespreise
zugleich mit den letzten Nachrichten aus Mexiko lesen und vielleicht
über dieser Lektüre einschlafen. Wie hoch steht heute wohl der
Tagespreis für einen Ehrenmann? Sie zögern, sie bedauern, und manchmal
unterschreiben sie auch Bittschriften, aber sie tun nichts ernsthaft und
wirkungsvoll. Sie warten -wohlsituiert-, dass andere den Missstand
abstellen, damit sie nicht mehr daran Anstoß nehmen müssen. Höchstens
geben sie ihre Stimme zur Wahl, das kostet nicht viel, und der
Gerechtigkeit geben sie ein schwaches Kopfnicken und die besten Wünsche
mit auf den Weg, während sie an ihnen vorübergeht. Es gibt
neunhundertneunundneunzig Tugendwächter auf einen tugendhaften Mann.
Aber es ist besser, mit dem wirklichen Besitzer einer Sache zu verhandeln
als mit ihrem zeitweiligen Hüter.

Alle Wahlen sind eine Art Spiel, wie Schach oder Backgammon, nur mit
einem winzigen moralischen Beigeschmack, ein Spiel um Recht und Unrecht,
um moralische Probleme; natürlich setzt man auch Wetten darauf. Doch
für den wähler steht nichts auf dem Spiel. Ich wähle so, wie es mir
eben recht erscheint; ich versteife mich nicht darauf, dass die
Billigkeit sich dabei durchsetzt. Das überlasse ich gerne der Mehrheit.
Die Verpflichtung geht hier nicht über die Zweckmäßigkeit hinaus. Auch
für Rechte stimmen heißt nichts dafür tun. Allenfalls gibt man den
Menschen sanft zu verstehen, man wünsche, es möge sich durchsetzen. Ein
kluger Mensch wird die Gerechtigkeit nicht der Gnade des Zufalls
überlassen, er wird auch nciht wollen, dass sie durch die Macht der
Mehrheit wirksam werde. Denn in den Handlungen von Menschenmassen ist die
Tugend selten zu Hause. Wenn die Mehrheit schließlich für die
Beseitigung der Sklaverei stimmen wird, dann ohne Anteilnahme oder
deshalb, weil es dann kaum noch Sklaverei geben wird, die durch ihre
Stimme beseitigt werden kann. Sie werden dann die einzigen Sklaven sein.
Nur wer seine Stimme als Ausdruck seiner eigenen Freiheit begreift, kann
mit dieser Stimme die Befreiung der Sklaven beschleunigen.

Ich hörte, dass man in Baltimore oder sonstwo eine Versammlung abhalten
will, um den Präsidentschaftskandidaten zu wählen; es ist eine
Versammlung vor allem von Journalisten und Berufspolitikern; aber was
bedeutet schon ihre Entscheidung für einen unabhängigen, intelligenten
und achtbaren Menschen? Sollten wir nicht wenigstens die Vorzüge der
Weisheit und Ehrlichkeit genießen? Können wir nicht auch auf einige
Unabhängige Wahlstimmen rechnen? Gibts es in diesem Land nicht viele,
die den Versammlungen gar nicht beiwohnen? Aber nein: ich sehe schon,
dass der sogenannte Ehrenmann eiligst von seiner bisherigen Haltung
abrückt und an seinem Land zweifelt, obwohl das Land mehr Grund hat, an
ihm zu verzweifeln. Und gleich erklärt er sich für den derart
gewählten Kandidaten – dieser sei nämlich der einzig verfügbare –
und beweist damit, dass er selbst für alle demagogischen Zwecke
verfügbar ist. Seine Stimme hat nicht mehr Wert als die eines Fremden,
der mit unseren Grundsätzen nicht vertraut ist, oder die eines
eingeborenen Söldners, den man gekauft hat. Denn ein Mann, der wirklich
einer ist, hat ein Rückrat, durch das man – wie mein Nachbar es sagt
– nicht seine Hand stecken kann! Es stimmt etwas nicht mit unseren
Statistiken: die Bevölkerungszahl, welche sie angeben, ist zu hoch. Wie
viele Männer gibt es wirklich in diesem Land auf tausend Meilen im
Quadrat? Kaum einen. Hat Amerika etwas zu bieten für Männer, die sich
hier niederlassen wollen? Der Amerikaner hat sich zu einem”Odd
Fellow” zurückentwickelt, den man an seinem ausgeprägten Herdentrieb,
seinen Mangel an Verstand und seiner fröhlichen Selbstgefälligkeit
erkennen wird; wenn er in diese Welt tritt, ist sein ersten
Hauptanliegen, ob die Armenhäuser auch in gutem Zustand sind, und, bevor
er alt genug ist, um Männerkleidung zu tragen, einen Fonds zur
Unterstützung von Witwen und Waisen zu sammeln. Kurz, der es nur mit
Hilfe einer Versicherungsgesellschaft zu leben riskiert, die ihm ein
anständiges Begräbnis versprochen hat. Der Mensch ist nicht unbedingt
verpflichtet, sich der Austilgung des Unrechts zu widmen, und sei es noch
so monströs. Er kann sich auch anderen Angelegenheiten mit Anstand
widmen; aber zum mindesten ist es seine Pflicht, sich nicht mit dem
Unrecht einzulassen, und wenn er schon keinen Gedanken daran wenden will,
doch wenigstens nicht praktisch zu unterstützen. Wenn ich mich mit
anderen Gegenständen und Betrachtungen befassen will, dann muss ich
mindestens darauf achten, dass auch er seinen Belangen nachgehen kann.
Aber seht nur, welche Inkonsequenz man hinnimmt. Ich hörte, wie zwei
Mitbürger miteinander sprachen: “Sie sollen nur kommen und mir
befehlen, den Sklavenaufstand zu unterdrücken oder gegen Mexiko zu
marschieren – und wir werden ja sehen, ob ich es täte!” Und diese
Leute haben doch gerade selbst für Ersatz gesorgt, unmittelbar, indem
sie damit einverstanden sind, dass es geschieht, und mittelbar durch ihr
Geld. Dem Soldaten, der sich weigert, in einen ungerechten Krieg zu
ziehen, spenden dieselben Leute Beifall, die sich nicht weigern, die
ungerechte Regierung zu stützen, die diesen Krieg führt; es sind
dieselben Leute, deren Handlungen und Auftrag der Soldat ignoriert und
für nichtig erklärt; es ist gerade, als ob der Staat so reuig sei, dass
er jemanden bestellt, der ihn geißeln soll, wenn er sündigt, doch so
reuig auch wieder nicht, dass er auch nur einen Augenblick damit
aufhörte. So bringt man uns im Namen der Ordnung und der Zivilisation
dazu, uns schließlich unserer eigenen Bösartigkeit zu beugen und sie zu
unterstützen. Aus das erste Erröten vor der Sünde folgt
Gleichgültigkeit; war sie zuerst unmoralisch, so wird sie nun
amoralisch, und das ist nicht einmal so abwegig bei dem Leben, das wir
uns eingerichtet haben.

Um einen allgemeinen und weitverbreiteten Irrtum aufrechtzuerhalten,
bedarf es der selbstlosen Tugend. Dem kleinen Fehler, welcher der Tugend
des Patriotismus anhaftet, verfallen gerade die Edlen am leichtesten.
Diejenigen, die zwar Einstellungen und Maßnahmen der Regierung
mißbilligen, ihr aber loyale Gefolgschaft gewähren, sind zweifellos
ihre gewissenhaftesten Unterstützer – und sie bilden die ernstesten
Hindernisse für Reformen. Einige verlangen in Bittschriften vom Staat,
er möge doch die Union auflösen und die Anordnungen des Präsidenten
mißachten. Warum lösen sie sie nicht selber auf? Nämlich die Union
zwischen sich selbst und dem Staat, und warum weigern sie sich nicht,
ihren Anteil in den Staatsschatz zu zahlen? Stehen sie denn zu ihrem
Staat nicht in demselben Verhältnis, in dem der Staat zur Union steht?
Und haben nicht den Staat die gleichen Gründe daran gehindert, sich der
Union zu widersetzen?

Wie kann sich jemand nur damit zufrieden geben, dass er eine Meinung hat!
Was für eine Genugtuung liegt darin, wenn es seine Meinung ist, dass er
bedrückt sei? Wenn dein Nachbar dich auch nur um einen Dollar betrügt,
dann genügt es dir nicht zu wissen, dass du betrogen worden bist, und
auch nicht ihm eine Bittschrift zuzustellen, er möge dir die Schuld
zurückzahlen; vielmehr wirst du sofort wirksame Schritte unternehmen, um
die ganze Summe zurückzubekommen und sicherstellen, dass du nicht wieder
betrogen werden wirst. Wer nach nach Grundsätzen handelt, das Recht
wahrnimmt und es in Taten umsetzt, verändert die Dinge und
Verhältnisse; dies ist das Wesen des Revolutionären, es gibt sich nicht
mit dem vergangenen Zuständen zufrieden. Es trennt nicht nur Staaten und
Kirchen, es spaltet Familien. Ja, es spaltet den Einzelmenschen, indem es
das Teuflische in ihm von dem Göttlichen scheidet.

Es gibt ungerechte Gesetze: Sollen wir uns damit bescheiden, ihnen zu
gerhorchen, oder sollen wir es auf uns nehmen, sie zu bessern, und ihnen
nur so lange gehorchen, bis wir das erreicht haben, oder sollen wir sie
vielleicht sofort übertreten? Die Leute glauben im allgemeinen, unter
einer Regierung, wie wir sie jetzt haben, sollten sie warten, bis sie die
Mehrheit zu den Änderungen überredet haben. Wenn sie Widerstand
leisteten, so glauben sie, wäre die Kur schlimmer als die Krankheit.
Aber es ist die Regierung, die allein schuld hat, dass die Kur
tatsächlich schlimmer als die Krankheit ist. Sie macht sie schlimmer.
Warum tut sie nicht mehr dafür, Reformen vorzusehenund einzuleiten?
Warum achtet sie nicht auf ihre verständige Minderheit? Warum muss sie
lärmen und sich sträuben, bevor sie noch Schaden gelitten hat? Warum
ermutigt sie die Bürger nicht, wachsam zu sein und ihre Fehler
anzuzeigen und ihr damit Besseres zu tun, als an ihnen getan wurde? Warum
wird Christus immer aufs neue gekreuzigt, werden Kopernikus und Luther
exkommuniziert und Washington und Franklin noch immer zu Rebellen
erklärt?

Es scheint, dass eine bewußte und aktive Verleugnung ihrer Staatsgewalt
der einzige Angriff ist, auf den Regierungen nicht gefaßt ist; oder
warum hat sie dafür keine angemessene Strafe eingeführt? Wenn jemand,
der nichts besitzt, sich nur einmal weigert, für den Staat neun
Schillinge zu verdienen, steckt man ihn dafür für eine Zeit ins
Gefängnis, die durch kein mir bekanntes Gesetz befristet und nur nach
dem Ermessen derer begrenzt wird, die ihn da hingebracht haben; hätte er
aber neunzig mal neun Schillinge vom Staat gestohlen, dann wäre er bald
wieder auf freien Fuß. Wenn die Ungerechtigkeit nur eine unvermeidliche
Folge der Trägheit der Regierungsmaschine ist, dann laßt es in Gottes
Namen dabei: Irgendwann wird sich das einspielen – auf jeden Fall wird
die Maschine ausleiern. Wenn die Ungerechtigkeit einen Ursprung hat, eine
Feder oder einen Übertragungsriemen oder eine Kurbel, wovon sie
ausschließlich herstammt, dann kann man vielleicht erwägen, ob die Kur
möglicherweise schlimmer als das Übel; wen aber das Gesetz so
beschaffen ist, dass es dich zwingt, einem anderen Unrecht anzutun, dann,
sage ich, brich das Gesetz. Mach dein Leben zu einem Gegengewicht, um die
Maschine aufzuhalten. Jedenfalls muss ich zusehen, dass ich mich nicht zu
dem Unrecht hergebe, das ich verdamme.

Was die Auswege angeht, welche der Staat angeblich bietet, um das Übel
zu heilen, so kenne ich keine. Sie sind zu langwierig, und ein
Menschenleben ginge darüber hin. Ich habe schließlich andere
Angelegenheiten, um die ich mich kümmern muss. Ich bin in diese Welt
gekommen, um darin zu leben, ob nun schlecht oder recht, aber nicht
unbedingt um sie zu verbessern, dass man gut darin lebt. Ein Mensch soll
nicht alles tun, sondern etwas; und weil er nicht alles tun kann, soll er
nicht ausgerechnet etwas unrechtes tun. Meine Sache ist es nicht, mehr
Bittschriften an den Gouverneur oder an den Gesetzgeber zu richten als
sie an mich; und wenn sie dann meine Bitten gar nicht anhören wollten,
was sollte ich dann tun? Für einen solchen Fall hat der Staat eben keine
Abhilfe vorgesehen; der Fehler liegt in der Verfassung selbst. Vielleicht
scheint dies schroff, stur und unnachgiebig; aber ich kann verlangen,
dass man dieser Haltung mit der größtmöglichen Achtung und dem
größtmöglichen Verständnis begegnet, sie verdient es. Jede Wende zum
besseren erschüttert den Körper in Krämpfen wie Geburt und Tod. Ohne
zu zögern, sage ich, dass die, welche sich Abolitionisten nennen,
unverzüglich und umfassend der Regierung von Massachusetts ihre
Unterstützung versagen sollen, sowohl mit ihrer Person wie mit ihrem
Eigentum, und dass sie nicht warten sollen, bis sie eine Mehrheit von
einer Stimme haben, damit das Recht durch die Oberhand gewinnt. Ich
finde, es reicht, wenn sie Gott auf ihrer Seite haben, auf den anderen
brauchen sie nicht zu warten. Im übrigen bildet jeder, der mehr im Recht
ist als seine Nachbarn, schon eine Mehrheit von einer Stimme. Ich begegne
dieser amerikanischen Regierung, oder vielmehr ihrer Vertretung, der
Regierung dieses Bundesstaates, einmal im Jahr – unmittelbar, Auge in
Auge -, und zwar in der Person des Steuereinnehmers; das ist die einzige
Art und Weise, in der jemand in meiner Lage ihr unweigerlich begegnet;
und dann sagt sie klar und deutlich: Erkenne mich an. Nun, dann ist die
einfachste, wirkungsvollste und- so wie die Dinge jetzt liegen-
unumgänglichste Methode des Verkehrs mit ihr, durch welche ich zugleich
auch meine Unzufriedenheit und meine Zuneigung ausdrücke: ihr diese
Anerkennung zu versagen. Der Mann, mit dem ich zu verhandeln habe, mein
guter Nachbar, der Steuereinnehmer- schließlich streite ich doch mit
Menschen und nicht mit Papier-, er ist freiwillig ein Organ der Regierung
geworden. Wie soll er je erfahren, was er darstellt und was er als
Beamter der Regierung tun muss, oder vielleicht auch als Mensch, solange
er nicht zu der Entscheidung gezwungen ist, ob er mich, seinen achtbaren
Nachbarn, auch als Nachbarn und ordentlichen Menschen behandeln soll oder
als einen Verrückten und Friedensstörer, und solange er sich nit
bemühen muss, mich über solche Hindernisse hinweg gutnachbarlich zu
behandeln, ohne sein Tun mit unnötig rauhen und heftigen Gedanken und
Worten zu begleiten? Ich weiß ganz genau, wenn nur tausend Menschen,
hundert, zehn, ja sogar nur ein einziger Ehrenmann im Staate
Massachusetts, weil er keine Sklaven mehr halten will, nicht mehr an
dieser Gemeinschaft teilhaben wollte und dafür ins Gefängnis gesperrt
würde: Es wäre das Ende der Sklaverei in Amerika. Denn es spielt keine
Rolle, wie gering die Anfänge zu sein scheinen: Was einmal wohlgetan
ist, ist für immer getan. Aber wir reden lieber darüber; wir sagen, das
sei unsere Aufgabe. Im Dienst der Reform stehen Dutzende von Zeitungen,
aber keine einziger Mensch. Wenn mein werter Nachbar, der Abgesante des
Staates, der, wie er sagt, seine Tage mit der Erörterung der
Menschenrechte in der beratenden Versammlung zubringen möchte, einmal in
Massachusetts gefangen säße, nicht irgendwo in Carolina bloß mit
Gefängnis bedroht wäre, dann würden die Abgeordneten diesen Winter die
Angelegenheit wohl nicht links liegenlassen. Wohlgemerkt: hier in
Massachusetts, jenem Staat, der so gerne seinem Bruderstaat die Sklaverei
vorwirft, obgleich man als Streitgrund nicht mehr entdecken kann als
einen Mangel an Gastfreundschaft.

Unter einer Regierung, die irgend jemanden unrechtmäßig einsperrt, ist
das Gefängnis der angemessene Platz für einen rechtschaffenen Menschen.
Der rechte Platz, der einzige, den Massachusetts seinen freieren und
weniger kleinmütigen Geistern anzubieten hat, ist eben das Gefängnis,
wo sie von Staates wegen ausgesetzt und ausgeschlossen werden, nachdem
die sich durch ihre Grundsätze schon selbst ausgeschlossen haben. Der
entflohene Sklave, der auf Bewährung entlassene mexikanische
Kriegsgefangene und der Indianer mit seinen Anklagen gegen das Unrecht,
das man seinem Stamm zugefügt: nur hier sollen sie ihn finden, im
Gefängnis; auf diesem abgeschiedenen, aber freieren und ehrbareren
Boden, wo der Staat jene hinbringt, die nicht mit ihm, sondern gegen ihn
sind – es ist das einzige Haus in einem Sklavenstaat, das ein freier
Mann in Ehren bewohnen kann. Vielleicht glauben manche, dass sie dort
ihren Einfluss verlieren, dass ihre Stimme das Ohr des Staates nicht mehr
erreicht, sie glauben, dass ihre Gefangenschaft innerhalb dieser Mauwern
unwirksam wäre – aber sie wissen nicht, um wieviel die Wahrheit
stärker ist als der Irrtum und wieviel überzeugender und wirkungsvoller
sie die Ungerechtigkeit bekämpfen können, wenn sie sie nur ein bisschen
an sich selbst erfahren haben. Lege in deine Stimme dein ganzes Gewicht,
wirf nicht nur einen Papierzettel, sondern deinen ganzen Einfluß in die
Waagschale. Eine Minderheit ist machtlos, wenn sie sich der Mehrheit
anpasst; sie ist dann noch nicht einmal eine Minderheit, unwiderstehlich
aber ist sie, wenn sie ihr ganzes Gewicht einsetzt. Vor der Wahl, ob er
alle anständigen Menschen im Gefängnis halten oder Krieg und Sklaverei
aufegeb soll, wird der Staat mit seiner Antwort nicht zögern. Wenn
tausend Menschen dieses Jahr keine Steuern bezahlen würden, so wäre das
kein blutiger Akt – das wäre es nur, wenn sie ihre Steuern zahlten und
damit dem Staat erlauben, Brutalitäten zu begehen und unschuldiges Blut
zu vergießen. Das erstere ist, was wir unter einer friedlichen
Revolution verstehen – soweit sie möglich ist. Wenn nun aber – wie
es geschehen ist – der Steuereinnehmer oder irgendein anderer Beamter
mich fragt: “Was soll ich aber jetzt tun?” so ist meine Antwort:
“Wenn du wirklich etwas tun willst, dann lege dein Amt nieder.” Wenn
einmal der Untertan den Gehorsam verweigert und der Beamte sein Amt
niedergelegt hat, dann hat die Revolution ihr Ziel erreicht. Doch nehmen
wir ruhig an, dass dabei auch Blut vergossen werden müsste. Wird denn
nicht gewissermasßen auch Blut vergossen wenn das Gewissen verletzt
wird? Durch diese Wunde fließt das wahre Menschentum eines Mannes und
seine Unsterblichkeit, und er verblutet zu immerwährendem Tod. Heute
sehe ich dieses Blut fließen.

Ich habe gefunden, dass man den Gesetzesbrecher lieber einsperrt, anstatt
seinen Besitz zu beschlagnahmen – obgleich sonst beides des Strafzweck
erfüllt -, weil diejenigen, welche am striktesten auf dem Recht bestehen
und daher für einen verdorbenen Staat die größte Gefahr darstellen,
sich meistens nicht viel Zeit zur Nasammlung von Besitztümern genommen
haben. Der Staat ist für solche Menschen nur von geringem Nutzen, selbst
eine bescheidene Steuer wird da schon übertrieben scheinen, besonders,
wenn sie gezwungen sind, sie eigenhändig zu verdienen. Gäbe es
jemanden, der gänzlich ohne Geld auskäme, sogar der Staat würde
zögern welches von ihm zu verlangen. Aber der Reiche hat sich – ohne
dass ich besonders neidisch wäre – immer an die Institution verkauft,
die ihn reich macht. Um es überspitzt auszudrücken: je mehr Geld, desto
weniger Anstand; denn das Geld tritt zwischen den Menschen und die
gewünschten Gegenstände, und es erwirbt sie an seine Statt; und es war
sicherlich keine große Tugend, Geld zu erwerben. Geld erstickt viele
Fragen im Keim, die sonst unangenehme Antworten gefordert hätten; die
einzige neue Frage, die es aufwirft, ist, wie man es ausgeben soll. So
wird dem Reichen der moralische Boden unter den Füßen weggezogen. Die
Möglichkeiten zu leben verringern sich in dem Maße, in dem Maße, in
dem die sogenannten „Mittel“ anwachsen. Das Beste, was ein Reicher
zur Bewahrung und Förderung seiner Menschlichkeit tun kann, ist, die
Wünsche zu verwirklichen, die er als armer Mensch gehegt hat. Christus
wies die Häscher des Herodes zurecht, wie es ihnen zukam: „Zeiget mir
einen Groschen!“ sagte er - und sog einen Penny aus seiner Tasche. Wenn
ihr das Geld des Kaisers benutzt, dem er Wert gegeben und das er in
Umlauf gesetzt hat, also,wenn ihr Menschen dieses Staates seid und gerne
die Vorteile von des Kaisers Regierung 'genießt, dann zahlt ihm auch
etwas von seinem Eigentum zurück, wenn er es verlangt: „So gebet dem
Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist“- und damit waren
sie genauso schlau wie zuvor und wußten nicht, wem was zustand;weil sie
es auch gar nicht wissen wollten.

Auch wenn ich mich mit dem freisinnigsten meiner Nachbarn unterhalte,
stelle ich fest: Was sie auch über die Bedeutung und den Ernst der
Frage, über die Bedeutung und den Ernst der Frage, über ihre Sorge um
den öffentlichen Frieden sagen mögen – die Sache läuft immer darauf
hinaus, dass sie auf den Schutz der bestehenden Regierung nicht
verzichten wollen und sich vor den Folgen des Ungehorsams für ihr
Eigentum und ihre Familie fürchten. Was mich betrifft, ich glaube nicht,
dass ich mich je auf Schutz des Staates verlassen werde. Falls ich diese
Staatsgewalt abweise, sobald sie mir den Steuerbescheid präsentiert,
dann wird mir sofort mein Eigentum genommen, und ich un meine Kinder
werden endlos gequält. Das ist hart. So wird es dem Menschen unmöglich
gemacht, ehrenvoll zu leben und zugleich angenehm, was die äußerlichen
Dinge anbetrifft. Es lohnt sich eben nicht, Eigentum zu erwerben, es
würde sehr bald wieder verloren sein. Man muß irgendwo taglöhnern oder
pachten, muss eine möglichst kleine Ernte haben und bald aufessen. Man
muss für sich leben, sich nur auf sich selbst verlassen, immer das
Bündel gepackt haben und bereit sein, fortzugehn, und sich nicht um
viele Dinge kümmern müssen. Es kann einer auch in der Türkei reich
werden, wenn er in jeder Hinsicht ein guter Untertan der türkischen
Regierung sein will. Konfuzius sagte: „In einem Staat. Der nach
Grundsätzen der Vernunft regiert wird, wird man sich für Elend und Rmut
schämen; in einem Staat, der nicht nach Grundsätzen der Vernunft
regiert wird, schämt man sich für Reichtum und Ruhm.“ Nein: solange
ich nicht den Schutz des Staates Massachusetts, in irgendeinemsüdlichen
Hafen wünsche, wo meine Freihheit gefährdet ist, oder solange solange
ich nicht ausschließlich darauf aus bin, mir hier durch friedliche
Unternehmungen ein Vermögen aufzubauen, kann ich es mir leisten, dem
Staat meine Loyalität und das Recht auf mein Eigentum und Leben zu
verweigern. Mich kostet es in jeder Hinsicht weniger, die Strafe für
Ungehorsam gegen den Staat anzunehmen, als wenn ich gehorchen würde. Im
zweiten Fall käme ich mir ärmer vor.

Vor ein paar Jahren trat der Staat im Namen der Kirche an mich heran und
befahl, ich sollte eine bestimmte Summe bezahlen, um einen Pfarrer zu
unterhalten, den zwar mein Vater gehört hätte – ich aber nie.
„Zahle“, wurde mir gesagt, „oder du wirst ins Gefängnis gesperrt.
Ich lehnte es ab zu zahlen. Unglücklicherweise hielt es jemand für
richtig, statt meiner zu zahlen. Ich konnte nicht einsehen warum ein
Lehrer besteuert werden sollte, um den Pfarrer zu unterhalten, der
Pfarrer aber nicht zugunsten des Lehrers; ich war zwar kein staatlicher
Lehrer, aber ich verdiente mein Brot durch freien Unterricht. Ich konnte
nicht einsehen, warum die Abendschule – gedeckt durch den Staat –
nicht ebenso ihre Steuerrechnung präsentiert wie die Kirche. Aus Bitten
der Stadträte ließ ich mich jedoch bewegen, eine schriftliche
Erklärung der folgenden Art abzugeben: „Hiermit gebe ich, Henry
Thoreau bekannt, dass ich nicht als Mitglied irgendeiner Vereinigung
angesehen werden will, in die ich nicht eingetreten bin“. Diese
Erklärung gab ich dem Stadtsekretär, und der hat sie jetzt. Nachdem er
erfahren hatte, dass ich mich nicht als Mitglied dieser Kirche ansah, hat
der Staat nie wieder eine ähnliche Forderung an mich gerichtet, obgleich
er erkärte, dass er sich weiterhin an die ursprüngliche Annahme halten
müßte. Wenn ich doch nur ihre Bezeichnung gekannt hätte, dann wäre
ich systematisch aus allen Gesellschaften ausgetreten, in die ich nie
eingetreten bin; aber ich wusste ja nicht, wo die vollständige Liste zu
finden war.

Ich habe sechs Jahre keine Kopfsteuer bezahlt. Einmal wurde ich deshalb
für eine Nacht ins Gefängnis gesteckt. Wie ich da stand und mir die
massiven Steinmauern betrachtete, die zwei oder drei Fuß dick waren, die
Tür aus Holz und Eisen – einen Fuß dick – und das Eisengitter,
welches das Licht siebte, kam mir die ganze Dummheit dieser Institution
zum Bewußtsein, die mich so behandelte, als wäre ich nicht mehr als
Fleisch, Blut und Knochen, etwas dass man einschließen kann. Ich frage
mich, ob sie nun zu dem Schluß gekommen war, dieses sei der beste Zweck,
dem ich zugeführt werden könnte, und ob sie nie daran gedacht hätte,
sich meiner guten Dienste zu versichern. Ich erkannte: Wenn zwischen mir
und meinen Mitbürger auch eine Mauer war, so war die Mauer, die sie
überklettern oder durchbrechen müssten, um so frei zu sein, wie ich es
war, noch schwieriger zu überwinden. Nicht einen Augenblick lang fühlte
ich mich beengt, und diese Mauern schienen mir eine große Verschwendung
von Stein und Mörtel. Mir kam es vor, als hätte ich als einziger unter
meinen Mitbürgern die Steuer bezahlt. Ganz offensichtlichwussten sie
nicht, wie sie mich behandeln sollten, sie benahmen sich wie schlecht
erzogene Leute. In jeder ihrer Drohungen und in jeder ihrer
Höflichkeiten steckte ein dummes Missverständnis; sie dachten nämlich,
mein größter Wunsch wäre auf der anderen Seite dieser Mauern zu
stehen. Ich musste lächeln, wenn ich zusah, wie emsig sie die Tür vor
meinen Betrachtungen abschlossen, welche dann ohne Mühe und Widerstand
hinter ihnen hinausgingen – und sie waren doch in Wirklichkeit die
eigentliche Gefahr! Da sie mich nicht fassen konnten, beschlossen sie,
meinen Körper zu bestrafen; wie kleine Jungen, die , weil sie eine Wut
auf jemanden haben, dessen Hund misshandeln. Ich erkannte, dass er seine
Freunde nicht von den Feinden unterscheiden kann, und ich verlor die
geringe Achtung vor ihm, die noch übrig war, und bedauerte ihn.

Mit dem inneren Wesen, sei es intellektuell oder moralisch, kann der
Staat sich also niemals auseinandersetzen, sondern nur mit dem Körper,
mit den Sinnen. Er verfügt weder über größere Vernunft noch
Ehrlichkeit sondern nur über größere physische Gewalt. Ich bin nicht
für den Zwang geboren. Ich werde nach meiner Art atmen. Wir wollen doch
sehen, wer stärker ist. Was für eine Macht hat die Masse? Nur die
können mich zwingen, die einem höheren Gesetz folgen als ich. Sie
zwingen mich dann, so wie sie zu werden. Ich habe noch nie gehört, dass
ein Mensch von einer Menschenmasse gezwungen worden wäre, so oder so zu
leben! Wenn die Regierung vor mir steht und sagt: „Geld oder Leben“,
warum sollte ich mich beeilen mein Geld herauszurücken? Vielleicht ist
sie in einer Zwangslage und weiß nicht, was tun: Ich kann da nicht
helfen. Die Regierung muss sich selbst helfen; sie soll es machen wie
ich. Es lohnt sich nicht, darüber zu greinen. Ich bin nicht dafür
verantwortlich, dass die Maschine der Gesellschaft richtig funtioniere.
Ich bin nicht der Sohn des Maschinenbauers. Ich beobachte: Wenn eine
Eichel und eine Walnuß nebeneinanderfallen, dann verhält sich die eine
nicht still, um der anderen Platz zu machen, sondern beide gehorchen
ihren eigenen Gesetzen, um zu keimen, zu wachsen und zu blühen, so gut
sie können, bis vielleicht die eine die andere überschattet und
zugrunde richtet. Wenn eine Pflanze nicht nach ihrer Art leben kann, so
stirbt sie. Dem Menschen geht es ebenso.

Die Nacht im Gefängnis war etwas Neues für mich und recht interessant.
Als ich ankam, hielten die Gefangenen , die in Hemdsärmeln am Eingang
standen, gerade ein Plauderstündchenin der Abendluft. Aber der
Gefängniswärter sagte “ Los, Jungs, es ist Zeit zum Einschließen“.
Sie zerstreuten sich, und ich hörte das Geräusch der Schritte, wie sie
in ihre kahlen Wohnungen zurückkehrten. Mein Zellengenosse wurde mir vom
Gefängniswärter als ein“prima Bursche und schlauer Kerl“
vorgestellt. Als die Tür verschlossen war, sagte er mir, wo ich meinen
Hut aufhängen könnte und wie er sonst mit den Verhältnissen dort
zurechtkam. Die Räume wurden einmal im Monat gekalkt; und dies war wohl
die weißeste, am einfachsten möblierte Wohnung der ganzen Stadt. Er
wollte natürlich wissen, wo ich herkäme und was mich dort
hineingebracht hätte; und als ich ihm das erzählt hatte, fragte ich ihn
meinerseits, wie er denn hergekommen wäre, natürlich in der Annahme,
dass er ein ehrlicher Kerl sei; und wie es so geht in der Welt, ich
glaube wirklich, dass er es war. „ Sie beschuldigen mich“, sagte er,
„ich hätte eine Scheune angezündet; dabei habe ich ich es nie getan.
„Soviel ich herausbringen konnte, hatte er sich wahrscheinlich
betrunken in der Scheune schlafen gelegt und da seine Pfeife geraucht;
und so war die Scheune verbrannt. Er hatte den Ruf, ein gewitzter Mann zu
sein, er wartete dort schon drei Monate auf seine Verhandlung und sollte
noch ebenso lange darauf warten; aber er war ganz zahm und auch
zufrieden, da er doch umsonst lebte, und er glaubte sich gut behandelt.

Er belegte das eine Fenster mit Beschlag und ich das andere; offenbar
würde es die Hauptbeschäftigung sein, aus dem Fenster zu sehen, wenn
man sich länger hier aufhielt. Ich hatte bald alles gedruckte gelesen,
das herumlag, hatte die Stellen besichtigt, wo frühere Gefangene
ausgebrochen waren und wo ein Gitter gesägt worden war, ich hatte mir
die Geschichte der verschiedenen Zelleninsassen angehört; denn ich
stelle fest, dass es sogar hier Geschichten und Gerüchte gab, die
außerhalb der Gefängnismauern nie in Umlauf kamen. Vielleicht ist dies
der einzige Ort in der ganzen Stadt, wo Lieder komponiert und dann
notiert wurden und so von Hand zu Hand gingen, aber nie veröffentlicht
wurden. Man zeigte mir eine lange Reihe von Strophen von ein paar jungen
Leuten, die man bei einem versuchten Ausbruck erwischt hatte und die sich
nun rächten, indem sie diese Lieder sangen.

Ich quetsche meinen Mitgefangenen aus, so gut ich konnte, denn ich
fürchtete, ich würde ihn nie wiedersehen; aber nach einiger Zeit zeigte
er mir mein Bett und sagte, ich solle die Lampe ausblasen.

Dort für diese eine Nacht zu liegen war wie die Reise in ein fernes
Land, das ich nie zu sehen erwartet hatte. Mir schien es, als hätte ich
die Turmuhr vorher nie schlagen gehört und auch nicht die abendlichen
Geräusche der Gemeinde; wir schliefen nämlich bei geöffneten Fenster,
das innerhalb der Gitter war. Ich sah also meinen Heimatort im Licht des
Mittelalters, unser Fluß Concord war in den Rhein verwandelt, und ich
hatte Visionen von Rittern und Burgen, die an mir vorüberzogen. Es waren
Bürger einer befestigten Stadt, deren Stimmen von der Straße zu mir
hereinschallten. Ich war der unfreiwillige Zuhörer und Zuschauer in der
Küche des benachbarten Wirtshauses – für mich ein vollkommen neues
Erlebnis. Ich war ziemlich weit in ihn eingedrungen. Niemals vorher hatte
ich seine öffentlichen Einrichtungen so recht gesehen. Das Gefängnis is
eine seiner typischen Einrichtungen, denn es ist eine seiner typischen
Einrichtungen, denn es ist eine Kreisstadt. Ich begann zu verstehen,
worum es ihren Einwohnern zu tun war.
Am Morgen schob man unser Frühstück durch ein Loch in der Tür, in
kleinen länglich-viereckigen Blechnäpfen, die gerade durchpaßten. Sie
enthielten etwa einen halben Liter Schokolade, braunes Brot und einen
eisernen Löffel. Als sie die Gefäße später wiederverlangten, wollte
ich Neuling das Brot zurückgeben, das übriggeblieben war; aber mein
Genosse beschlagnahmte es und sagte, ich solle es für den Lunch oder das
Dinner aufbewahren. Bald danach ließ man ihn hinaus, um auf einem
benachbarten Feld beim Heumachen zu helfen, wohin er jeden Tag ging und
erst gegen Mittag zurückkam; also wünschte er mir einen guten Tag ging
und erst gegen Mittag zurückkam; also wünschte er mir einen guten Tag
und sagte, dass er mich wohl nicht wiedersehen würde.

Als ich aus dem Gefängnis kam – denn jemand trat für mich ein und
bezahlte die Steuer -, konnte ich im allgemeinen keine großen
Veränderungen bemerken, nicht wie jemand sie fände, das als Jüngling
einsperrt wurde und als wankender, grauhaariger Mann herauskam; und doch
hatte sich das Bild in meinen Augen verwandelt – die Stadt, der Staat,
das Land-, und es hatte sich mehr veraändert, als es die Zeit allein
hätte bewirken können. Deutlicher als zuvor erkannte ich den Staat, in
dem ich lebte. Ich sah auch, inwieweit man meinen Mitmenschen als guten
Nachbarn und Freunden trauen konnte; daß nämlich ihre Freundschaft nur
für gutes Wetter taugte; daß sie sich nicht bsonders bemühten, recht
zu tun; daß sie ihren Vorurteilen und Aberglauben, einer anderen Rasse
als sich zugehörten, so anders wie Chinesen oder Malien, so anders wie
Einsatz für ihre Mitmenschen kein Risiko eingingen, icht einmal für ihr
Eigentum; daß sie nicht gar so edelmütig waren, den Dieb so behandelten
wie er sie und hofften, sie würden sich ihr Seelenheil mit Hilfe von
gewissen Gebräuchen und ein paar Gebeten erhalten und indem sie von Zeit
zu Zeit auf einem geraden, aber nutzlosen Pfad wandelten. Aber vielleicht
urteile ic zu schroff über meinen Nachbarn; viele von ihnen wissen
vielleicht noch nicht einmal, daß sie ein Gefägnis in ihrem Ort haben.

Früher war es Sitte in unserer Stadt, daß die Bekannten eines armen
Schuldners diesen begrüßten, wenn er aus dem Gefägnis kam, wobei sie
durch die Finger sahen, die sie gekreuzt hielten, um das Gitter des
Gefägnisses darzustellen: „Guten Tag, wie geht’s?“ Meine Nachbarn
begrüßten mich nicht in dieser Weise, sondern sie sahen erst mich an,
dann einander, so, als ob ich von einer langen Reise zurückgekehrt wäe.
Ich wurde ins Gefägnis gesteckt, als ich gerade auf dem Weg zum Schuster
war, um dort einen geflickten Schug abzuholen. Als ich am nächsten
Morgen herauskam, setzte ich diesen Gang fort, zog meinen geflickten
Schuh abzuholen. Als ich am nächsten Morgen herauskam, setzte ich diesen
Gang fort, zog meinen geflickten Schuh an und stieß zu einer Gruppe von
Heidelbeersammlern, die schon darauf warteten, von mir angeführt zu
werden. In einer halben Stunde – denn das Pferd war rasch angeschirrt
– waren wir mitten in den Heidelbeeren auf einem unserer höchsten
Hügel, zwei Meilen außerhalb, und vom Staat war nichts mehr zu sehen.

Dies ist die ganze Geschichte, soweit es „Meine Gefägnisse“ betrifft.

Ich habe mich nie geweigert, die Straßensteuer zu bezahlen, denn ich
will so gerne ein guter nachbar sein wie ein schlechter Untertan. Was die
Unterstützung der Schulen angeht, so leiste ich schon meinen Teil, um
meine Landsleute zu unterrichten. Nicht wegen eines bestimmten Postens in
der Steuerrechnung lehne ich es ab, sie zu bezahlen. Was ich will, ist:
dem Staat die Gefolgschaft verweigern, mich abseits und entschieden
außerhalb seiner Reichweite stellen. Mich interessiert nicht, wo mein
Dollar hingeht, solange er nicht einen Mann und ein Gewehr kauft, um
jemanden zu erschießen. Der Dollar ist unschuldig; mich beschäftigt
vielmehr die Folge meiner Treue als Untertan. Ja, ich erkläre dem Staat
den Krieg, ruhig, wie es meine Art ist, wenngleich ich noch immer soviel
Vorteil und Nutzen wie möglich aus ihn ziehen will, wie es in solchen
Fällen Brauch ist.

Wenn andere aus Sympathie für den Staat die Steuer bezahlen, die von mir
gefordert wird, dann tun sie nur, was sie in ihren eigenen Fall schon
getan haben, oder viel mehr, sie leisten der Ungerechtigkeit noch mehr
Vorschub, als der Staat verlangt. Wenn sie die Steuer aus einem falsch
verstandenen Interesse für das besteuerte Individuum bezahlen, um dessen
Eigentum zu schützen oder um zu verhindern, daß es ins Gefägnis muss,
so nur, weil sie nicht bedacht haben, wie weit sie mit ihren privaten
Gefühlen dem öffentlichen Wohl in die Quere kommen.

So ist also meine gegenwärtige Lage. Aber man kann in so einem Fall
nicht vorsichtig genug sein, damit das Handeln nicht einseitig von
Starsinn oder untunlicher Rücksicht auf die Meinung der Leute bestimmt
werde. Man muß zusehen, daß man nur tut, was einem selbst und der
stundeangemeßen ist.

Manchmal denke ich, die Leute wollen schon das Gute, sie sind nur
unwissend; sie würden besser handeln, wenn sie nur wüssten, wie: Warum
bringt man seine Nachbarn in diese Notlage, dass sie dich anders
behandeln müssen, als sie möchten? Aber dann wieder denke ich, das ist
kein Grund, dass du tust, was sie tun, oder andere eine ganz andersartige
Not leiden lässt. Manchmal aber sage ich wieder zu mir, wenn viele
Millionen Menschen ohne Zorn, ohne bösen Willen, ohne irgendwelche
persönlichen Gefühle nur ein paar Schillinge verlangen und wenn sie –
nach der Verfassung – ihre Forderung nicht verändern oder rückgängig
machen können und wenn du auf deiner Seite nicht andere Millionen
anrufen kannst, warum setzt du dich dann dieser übermächtigen rohen
Gewalt aus? Man widersteht doch auch der Kälte und dem Hunger nicht mit
solcher Sturheit; man unterwirft sich gelassen tausend ähnlichen
Notwendigkeiten. Man hält seinen Kopf auch nicht ins Feuer. Aber eben in
dem Maße, indem ich sie nicht nur als rohe Gewalt, sondern auch als
menschliche Macht betrachte, und da ich bedenke, dass ich ein Verhältnis
zu diesen Millionen habe wie zu eben so vielen Menschen – nicht einfach
wie zu rohen und unbelebten Sachen, sehe ich doch, dass ein Appell
möglich ist; erstens unmittelbar, von ihnen an ihren Schöpfer, zweitens
untereinander. Wenn ich aber meinen Kopf absichtlich ins Feuer halte,
dann gibt es keinen Apell an das Feuer oder an den Schöpfer des Feuers,
und ich bin nur selbst daran schuld. Könnte ich mich nur überreden,
dass ich Grund habe, mit der Verfassung der Menschen zufrieden zu sein
und entsprechend mit ihnen umzugehen, anstatt meinen Forderungen und
Erwartungen an sie und mich entsprechend, ich würde mich ja wie ein
guter Muselmane und Fatalist mit dem gegenwärtigen Zustand begnügen und
sagen, das sei Gottes Wille. Jedoch ihrer Macht kann ich mit Erfolg
entgegentreten, anders als einer rohen naturgewalt; die Natur der Steine,
Bäume und Tiere zu ändern wie Orpheus, kann ich dagegen nicht erhoffen.

Ich möchte mit keinem Menschen und keinem Land Streit anfangen. Ich will
keine Haarspalterei betreiben, nicht übergenau sein oder mich für
besser als meine Nachbarn halten. Ich suche ja gerade nach einer Ausrede,
um mich den Gesetzen des Landes anzupassen. Ich würde es nur zu gerne
tun. Ich habe sogar Grund, mir selbst deshalb zu mißtrauen. Jedes Jahr,
wenn der Steuereinnehmer herumgeht, finde ich mich sehr geneigt, die
Taten und die Haltung der Bundesregierung und des Staates zu
begutachtenund den Geist des Volkes, um seinen Vorwand für meine
Anpassung zu entdecken.

Ich glaube fest, dass der Staat mir bald alle diese Sorgen abnehmen wird,
und dann werde ich eben kein besserer Patriot als meine Landsleute sein.
Von unten betrachtet ist die Verfassung sehr gut – bei allen ihren
Fehlern , das Gesetz und die Gerichte sind achtenswert, sogar der Staat
und die amerikanische Regierung sind in vieler Hinsicht zu bewundern,
etwas Seltenes, Dankenswertes, wie viele es auch beschrieben haben. Von
einem höheren Standpunkt aus gesehen aber sind sie so, wie ich sie
beschrieben habe. Wer aber kann sagen, was sie von einem noch höheren
und vom höchsten Standpunkt aus wert sind und ob es sich überhaupt
lohnt, sie zu betrachten oder über sie nachzudenken?

Die Regierung interessiert mich aber nicht besonders, und ich werde so
wenig Nachdenken an sie wenden wie irgend möglich. Sogar in dieser Welt
gibt es nicht viele Augenblicke, in denen ich unter einer Regierung lebe.
Wenn ein Mensch frei ist in seinen Gedanken, frei in seiner Phantasie und
seiner Vorstellung, also in den Dingen, die dauerhaft sein Leben prägen,
dann können unkluge Herrscher oder Reformapostel ihm nie gefährlich in
die Quere kommen.

Ich weiß: Die meisten Menschen denken anders als ich; die aber, die ihr
Leben aus Berufung dem Studium dieser oder verwandter Gegenstände
widmen, sich mir am fernsten. Staatsmänner und Gesetzgeber, die so
völlig innerhalb ihrer Institution leben, können sie nie klar und
deutlich erkennen. Sie reden vonn einer Gesellschaft, die in Bewegung
ist, haben aber keinen Ruhepunkt außerhalb derselben. Vielleicht sind es
Männer mit Erfahrung und Urteil, sie haben zweifellos geistreiche und
sogar nützliche Einrichtungen erfunden, für die wir ihnen aufrichtig
danken; aber all ihr Witz und ihre Brauchbarkeit bleiben innerhalb
gewisser, nicht sehr ausgedehnter Grenzen. Sie vergessen gerne, dass die
Welt nicht von der Politik und der Nützlichkeit regiert wird. Webster
hinterfragt die Regierung nie grundsätzlich, und so kann er auch nicht
glaubwürdig darüber reden.Seine Worte sind Weisheiten für diejenigen
Abgeordneten, die nie eine tiefgreifende Reform der gegenwärtigen
Regierung erwägen; in den Augen denkender Menschen und derjenigen, die
Gesetze für alle Zeiten machen, berührt er seinen Gegenstand noch nicht
einmal flüchtig. Ich kenne Menschen, deren Thema sehr schnell die
Grenzen seiner geistigen Weite und Aufgeschlossenheit bloßstellen
würden. Dennoch, wenn man sie mit den billigen Kundgebungen der meisten
Reformer und der noch schäbigeren Weisheit und Zungenfertigkeit der
Politiker überhaupt vergleicht, sind seine Wort so ziemlich die einzig
vernünftigen und brauchbaren, und wir danken dem Himmel für ihn. Im
Vergleich ist er immer klug, originell und vor allem praktisch. Sein
Vorzug ist jedoch nicht Weisheit, sondern Besonnenheit. Die Wahrheit
eines Advokaten ist nicht Wahrheit, sondern Konsequenz oder eine
konsequente Zweckmäßigkeit. Wahrheit ist immer mit sich selbst im
Einklang, es ist ihr nicht hauptsächlichdarum zu tun, welche rechtliche
Konsequenz eine Übeltat hat. Webster verdient den Beinamen, den man ihm
gegeben hat: „Verteidiger der Verfassung“. Er kann in Wirklichkeit
keine Vorstöße unternehmen, er kann nur verteidigen. Er ist kein
Anführer, sondern ein Gefolgsmann. Seine Anführer sind die Männer von
87. „Nie habe ich mich bemüht“, sagt er, „und nie schlage ich vor,
dass man sich bemühe; ich habe nie Anstalten gemacht, mich zu bemühen,
und ich werde nie welche machen, umdas Übereinkommen zu schwächen,
durch welches die verschiedenen Staaten in einem Bund zusammenkamen“.
Wenn er daran denkt, dass die Verfassung die Sklaverei billigt, erklärt
er: „ Da es zu dem ursprünglichen Vertrag gehört – lasst es
dabei“. Er kann eben, trotz seiner besonderen Aufgeschlossenheit und
Befähigung, einen Tatbestand nicht aus den bloß politischen Bezügen
herauslösen und ihn vorbehaltlos und vernünftig betrachten, wie es etwa
heute in Amerika hinsichtlich der Sklaverei erforderlich ist. Wie kann
ein Mensch nur darauf verfallen, eine derart armselige Antwort wie die
folgende zu geben und dann nochzu behaupten, er spräche unabhängig und
als Privatmann! Und daraus soll sich dann ein neues Gesetzbuch der
gesellschaftlichen Pflichten entwickeln! Er sagt: „Wie die Regierung
von Staaten, in denen es Sklaverei gibt, diese ausüben, richtet sich
nach ihren Ansichten, ihrem Verantwortungsbewußtsein gegenüber ihren
Wählern, ihrem Eigentumsrecht, der Menschlichkeit und der Gerechtigkeit
und der Verantwortung gegenüber Gott. Vereinigungen, die anderswo aus
einem Gefühl für Menschlichkeit oder aus anderen Gründen entstehen,
geht das nicht das geringste an. Ich habe sie nie ermutigt und werde sie
auch nie ermutigen“.

Es ist eben so: Diejenigen, welche keine reine Quelle der Wahrheit
kennen, die ihre Spuren nicht weiter stromaufwärts verfolgt haben,
bleiben aus guten Grund bei ihrer Bibel und ihrer Verfassung und
schlürfen sie in Ehrerbietung und Demut. Die aber, welche sehen, wie die
Wahrheit als dünnes Rinnsal in diesen See oder jene Pfütze einmündet,
krempeln ihre Kleider noch einmal au und wandern weiter ihrem Ursprung
zu.

Für die Gesetzgebung ist in Amerika kein Genie erschienen. Die findet
man ohnehin selten in der Weltgeschichte. Es gibt Redner, Politiker und
mundfertige Leute zu Tausenden. Aber der Redner hat seinen Mund noch
nicht geöffnet, der fähig wäre, die heftig umstrittenen Fragen des
Tages zu klären. Wir schätzen die Beredsamkeit um ihrer selbst willen,
nicht wegen irgendwelcher Wahrheiten, die sie vielleicht äußern
könnte, oder wegen eines Heldensinns, den sie vielleicht in uns weckt.
Unsere Volksvertreter haben den Wert des freien Handels, der Freiheit,
der Gemeinschaft und der Rechtschaffenheit für eine Nation noch nicht
schätzengelernt. Sie haben nicht einmal Talent oder Befähigung für
Verhältnismäßig bescheidene Fragen der Besteuerung, des Geldwesens,
des Handels, der Industrie und Landwirtschaft. Wenn wir uns zu unserer
Führung nur auf die wortreiche Schlauheit unserer Kongreß-Abgeordneten
verlassen wollten, ohne dass diese durch die abgeklärte Erfahrung und
nachdrückliche Beschwerden des Volkes in die rechte Bahn geleitet
würde, dann würde Amerika seinen Rang unter den Nationen nicht lange
behalten. Achtzehnhundert Jahre hat man am Neuen Testament geschrieben
– obwohl ich vielleicht kein Recht habe, darauf hinzuweisen; aber wo
ist der Volksvertreter, der genug Weisheit und Talent besitzt, das Licht
zu nutzen, das es auf die Wissenschaft der Gesetzgebung wirft?

Die rechtmäßige Regierungsgewalt, auch von der Art, welcher ich mich
gerne unterwerfe – denn ich gehorche leichten Herzens denen, die mehr
wissen und besser handeln wie ich, und in vielen Angelegenheiten auch
denen, die nicht einmal mehr wissen und besser handeln-, diese
Regierungsgewalt ist immer unvollkommen: Um nämlich unbedingt gerecht zu
sein, muss die Vollmacht und Zustimmung der Regierten haben. Sie kann
kein umfassendes Recht über mich und mein Eigentum haben, sondern nur
soweit ich zustimme. Der Fortschritt von einer absoluten zu einer
eingeschränkten Monarchier zur Demokratie ist ein Fortschritt in
Richtung auf wahre Achtung vor dem Individuum. Sogar der chinesische
Philosoph war weise genug, das Individuum als die Grundlage des Reiches
anzusehen. Ist die Demokratie, wie wir sie kennen, wirklich die letzte
mögliche Verbesserung im Regieren? Ist es nicht möglich, noch einen
Schritt weiter zu gehen bei der Anerkennung und Kodifizierung der
Menschenrechte? Nie wird es einen wirklich freien und aufgekärten Staat
geben, solange sich der Staat nicht bequemt, das Individuum als größere
und unabhängige Macht anzuerkennen, von welcher sich all seine Macht und
Autorität ableiten, und solange er den Einzelmenschen nicht entsprechend
behandelt. Ich mache mir das Vergnügen, mir einen Staat wenigstens
vorzustellen, der es sich leisten kann zu allen gerecht zu sein, und der
das Individuum achtungsvoll als Nachbarn behandelt; einen Staat, der es
nicht für unvereinbar mit seiner Stellung hielte, wenn einige ihm
fernblieben, sich nicht mit ihm einließen und nicht von ihm einbezogen
würden, solange sie nur alle nachbarlichen, mitmenschlichen Pflichten
erfüllten. Ein Staat, der solche Früchte trüge und sie fallen liese,
sobald sie reif sind, würde den Weg für einen vollkommeneren und noch
ruhmreicheren Staat freigeben – einen Staat, den ich mir auch
vorstellen kann, den ich bisher aber nirgends gesehen habe.
Anonymer Benutzer