Piratenmagazin Der Patentierungswahn

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  • Verfasser: Stefan Urbat
  • Erstellt am: 30.11.2007
  • Rechte: CC-Lizenz
  • Stand: fertig, gegengelesen von Hoshpak

Teil 1: Einleitung

Schutzrechte gibt es in verschiedenen Ausprägungen: als Copyright bzw. Copyleft, als Handelsmarken (TM = Trade Mark) oder eben als Patente. Der Autor arbeitet in einer kleinen Softwarefirma und ist Anhänger der Open Source Bewegung. Daher konzentriert sich dieser Artikel auf Softwarepatente, berührt aber auch Patente auf Geschäftsmethoden und Lebewesen/Medikamente.

Vorbemerkung: was ist ein Patent?

Leider gibt es dazu keine weltweit völlig eindeutige oder gar einheitliche Definition. Daher verstehen unter Patentierbarkeit z.B. das US-Patentamt und das EPO (European Patent Organization, EPA=europäisches Patentamt) durchaus verschiedene Dinge. In den USA gibt es derzeit (noch bzw. nicht mehr) keine effektiven Grenzen der Patentierbarkeit, obwohl dort durchaus Regeln wie die Neuheit des Gegenstands der Patentanmeldung bzw. die Nicht-Trivialität des Beschriebenen bestehen. In Europa, d.h. am EPO, ist das etwas besser geregelt, z.B. darf ein Verfahren nicht vorab (d.h. vor der Patentanmeldung) veröffentlicht worden sein und es muss für Fachleute des betroffenen Gebiets nicht offensichtlich, d.h. z.B. aus üblichen Bausteinen einfach nur ohne weitere Anstrengung zusammen gesetzt ("Erfindungshöhe") und außerdem muss die Nutzung von "Naturkräften" Bestandteil des Verfahrens sein.

Was versteht man also nun darunter: ein Patent beschreibt ein Verfahren, das zu einem bestimmten Ergebnis führt. Mehr steckt eigentlich zunächst einmal nicht dahinter, und so steckt der Teufel hier im Detail. Außerdem ist es nach Anerkennung für einen gewissen Zeitraum, üblicherweise 10-20 Jahre, geschützt: nur der Patenthalter darf es verwenden, er kann aber gegen Bezahlung einer Gebühr Lizenzen an einen Patentnehmer nach Belieben abtreten, d.h. exklusiv oder auch nicht exklusiv. Er wird diese natürlich höher ansetzen, als seine Kosten für die Anmeldung sowie eigene Entwicklung des Patents waren. Das ist also auch gleich ein Geschäftsmodell.

Widerspruch zum Kartellrecht

Damit wird schon erkennbar, dass von vornherein ein Widerspruch zum Kartellrecht besteht, das freien Wettbewerb ohne Schranken anstrebt. Warum werden dann überhaupt Patente vergeben? Die so genannten "geistigen Monopole" (wie auch "geistiges Eigentum" eine äußerst problematische Bezeichnung, das klingt nach Gedankenkontrolle und kann in der Tat leicht dazu ausarten, siehe unten) sollten ursprünglich im Zeitalter der Industrialisierung ganze Produktionsverfahren schützen:

Ein typisches, klassisches Beispiel

Mit Absicht nehme ich hier die Pharmaindustrie als Beispiel, in der chemischen Industrie oder in Verfahrenstechniken, die letztlich physikalische Vorgänge verwenden, gibt es aber analoge Fälle. Dies ist eine Beschreibung, die früher einmal zutraf bzw. in dieser Form den Sinn von Patenten illustrieren soll. Zur heutigen Realität komme ich später noch.

Ein Forscher entdeckt durch Synthese verschiedener biologisch aktiver Moleküle zufällig eines, das interessante Eigenschaften zu haben scheint. Versuche an Zellkulturen (leider oft auch Tierversuche) bestätigen, dass es eine gewünschte Wirkung besitzt. Nun wird eine großtechnische Produktion angestrebt, die oft anders durchgeführt werden muss, um ausreichende Mengen und/oder zu vertretbaren Preisen zum Ziel zu führen.

Das Pharmaunternehmen experimentiert in der Folge mit verschiedenen Möglichkeiten, wie z.B. Katalysatoren und baut nach und nach eine industrielle Großfertigung auf. Das ist alles ziemlich teuer, zum großen Teil, weil es Neuland ist. Bei Erfolg tritt nun die Abgabe des Produkts in großen Mengen an die Abnehmer ein.

Und im Rahmen dieses Erfolgs wird das aufwändige Verfahren als Patent angemeldet. Damit werden auch viele wichtige Details des Verfahrens veröffentlicht. Zwar kostet das Anmeldeverfahren nochmals Geld, aber es schützt die Forschungsinvestitionen: Konkurrenten können jetzt nicht einfach viel Geld sparen, indem sie eine gleichartige Produktion aufbauen, ohne die Entwicklungskosten tragen zu müssen, sondern müssen an den Erfinder des Verfahrens in diesem Fall eine Lizenzgebühr für das Patent zahlen. Auf diese Weise wird also letztlich aufwändige Innovation geschützt, indem die Erfinder nicht als Pioniere für ihren Extra-Aufwand bezahlen müssen, lohnt sich für sie die Forschung. Andere Unternehmen werden also oft versuchen, eigene Verfahren zu entwickeln und/oder zu anderen Produkten zu kommen.

In diesem Fall ist alles in Ordnung, auch wenn dies streng genommen nicht im Sinn des Kartellrechts ist, machen Patente hier durchaus Sinn. Und deshalb wurden sie auch eingeführt.

Ein pervertiertes Gegenbeispiel

Ein beliebtes Beispiel, um den Unsinn von Patenten ohne Einschränkungen zu demonstrieren, ist der Euklidische Algorithmus: aus der griechischen Antike stammend, in der es noch keine Patente gab:

Der größte gemeinsame Teiler zweier positiver ganzer Zahlen ergibt sich durch fortgesetzte Differenzbildung beider bzw. des Restes der letzten Differenz und der verbliebenen Zahl (genauer kann man das z.B. in der Wikipedia nachlesen). Warum also nicht als Patent anmelden, das ist ja noch nicht geschehen?

Das sind die Gründe:

1. das Verfahren ist nicht neu, sondern uralt: keine Innovation

2. es ist schon seit der Antike veröffentlicht

3. es bedarf nicht der Beherrschung der Naturkräfte, sondern es genügt sogar Kopfrechnen dafür

Gerade Punkt 3. zeigt aber schon die ungeheuren Gefahren, die aus Patenten bei missbräuchlicher Erteilung erwachsen können: dies liefe geradezu auf ein Denkverbot hinaus.

Das Wichtigste nochmal zusammen gefasst

Patente stehen in einem Spannungsverhältnis zu Wettbewerb und Kartellrecht und sind für Ausnahmesituationen zur Wahrung der Vorteile von Innovation eingeführt worden. Sie können im Missbrauchsfall massive Eingriffe bis hinein ins Denken verursachen.

Teil 2: Patentämter, Patentanwälte, Patentanmelder und -halter

Patentämter

Die meisten einigermaßen entwickelten Länder besitzen ein Eigenes, es gibt jedoch auch Länder übergreifende Instanzen. Im Folgenden werden einige davon näher beleuchtet.

Die Lage in Europa

In Deutschland ist das DPMA (Deutsches Patent und Marken Amt) für Patente (und Handelsmarken) zuständig. Wie auch die übergeordnete, paneuropäische Behörde EPO (s.o., Europäisches Patentamt) sitzt dieses in München (das EPO hat allerdings zwei Sitze, der offizielle Hauptsitz befinden sich in Den Haag, Niederlande), in unmittelbarer Nachbarschaft desselben (wenige Minuten Fußweg).

Wie auch andere Patentämter im größten Teil Europas fungiert das DPMA aber auch als Ausführungsstelle des EPO: bei paneuropäischen Patenten obliegt die Prüfung dem EPO, einige technische Dinge dem nationalen Patentamt im jeweiligen Land Europas, in Deutschland also dem DPMA. Europäische Patente können für einen Satz von Ländern angemeldet werden; die Amtssprachen am EPO sind Engisch, Französisch und Deutsch. Derzeit sind alle Patente mindestens in den drei Amtssprachen zu veröffentlichen, weshalb es auch viele Übersetzer am EPO gibt und die Prüfer mehrsprachig sein müssen.

Wichtig zu wissen ist, dass das EPO eine multilaterale Einrichtung war und teilweise immer noch ist. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass vor einigen Jahren offiziell das EPO der Europäischen Kommission der EU unterstellt wurde, denn es gibt eine ganze Reihe von nicht-EU-Ländern in Europa (Beispiel: Schweiz), die aber in der EPO vertreten sind. Das hat Folgen für die rechtliche Bewertung (s.u.).

Es gibt außerdem ein Abkommen aus den 70er-Jahren, das sogenannte EPLA, European Patent License Agreement, das interessanterweise Patente auf "Software als Solche" und auf Geschäftsmethoden verbietet und immer noch Bestand hat. Tatsache ist, dass das EPO spätestens in den 90er Jahren dennoch auf breiter Front damit begonnen hat, Softwarepatente zu erteilen.

Die Zahl der Patentanmeldungen ist in den letzten Jahren rasch gewachsen. Der Rückstau von Beantragten, noch nicht abschließend geprüften Patenten ist immer mehr gestiegen, und die Arbeitsbelastung der immer zahlreicheren Patentprüfer auch. Das hat zuletzt zu internen Streitigkeiten am EPO geführt, da die Leitung des EPO weiterhin einen Kurs "so viele Patente wie möglich" fährt, der zu den genannten Problemen führt. Die nicht deutschem Recht entsprechende (das EPO ist in Deutschland und den Niederlanden exterritorial und damit nicht an die nationalen Arbeits- und anderen Rechte gebunden) Form der Leistungsmessung und -überwachung tut ein Übriges: sie begünstigt, schnellere, weniger sorgfältige Prüfungen von Patenten. Der Versuch, die Patentprüfer durch sehr hohe Gehälter (ich verzichte hier auf Details, um Neideffekte zu vermeiden) sozusagen ruhig zu stellen, hat hier jedenfalls nicht mehr funktioniert.

Beispiel USA

Im Vergleich zum EPO gelten die Patentprüfer in den USA als weniger gut ausgebildet und auch als weniger sorgfältig. Hinzu kommt, dass wie bereits in der Einleitung erwähnt, dort momentan keine effektiven Grenzen der Patentierbarkeit bestehen, nicht einmal die Vorveröffentlichung eines Verfahrens hat beim US-Patentamt wie am EPO die sichere Ablehnung des Antrags zur Folge, nur eine vage "first use" bzw. "first come" (Patentanmeldung!) Bestimmung wird dort angewendet. Außerdem werden in noch viel höherem Maße als in Europa triviale Anträge tatsächlich als patentierbar anerkannt. Als großer Wirtschaftsraum und Drahtzieher in der WIPO (World Intellectual Property Organization, Weltorganisation für das sogenannte "geistige Eigentum") haben die USA, und damit das US-Patentierungs(un)wesen natürlich wie in anderen Bereichen der Wirtschaft großen Einfluss weltweit auf die generelle Art, wie mit Patenten verfahren wird. Insbesondere auf Europa, aber auch z.B. Australien, wird seitens der USA massiver Druck ausgeübt, diese Regelungen an die in den USA anzupassen, was ganz im Sinne großer US-amerikanischer IT-Konzerne wie IBM, HP und Microsoft ist, die extrem viele Softwarepatente in den USA halten.

Japan und andere Teile der Welt

Natürlich spielt das japanische Patentamt in der vom METI (Ministerium für Wirtschaft, Handel und Industrie, bis 2001 MITI ohne ein weiteres damals angegliedertes Ministerium) staatlich stark geförderten japanischen Wirtschaft auch eine große Rolle, obwohl wegen der Sprachbarriere der Austausch mit dem Ausland weniger ausgeprägt ist (natürlich wird auch Englisch verwendet). Aktuell ist mir wenig über den konkreten Kurs des japanischen Patentamtes bekannt, aber wie erwähnt ist der US-amerikanische Einfluss wie auch in anderen Teilen der Welt nicht zu unterschätzen.

Patentrecht und -verfahren

Eine weitere Eigenart des Patent(un)wesens ist die eigene, typischerweise (Beispiel: EPO) in das Patentamt integrierte Gerichtsbarkeit. Die Patentprüfer suchen erst einmal nach Veröffentlichungen und bestehenden Patenten, bevor sie in die eigentliche Prüfungsphase eintreten, in der das Patent hauptsächlich inhaltlich beurteilt wird. Nun ist das keine so einfach vollständig erfüllbare Aufgabe und angesichts der Flut von Patentanträgen und begrenzter Zeit für jede Prüfung kann immer mal etwas übersehen werden; außerdem können Einzelfälle immer strittig sein. Es gibt Branchen mit wenigen größeren Firmen am Markt, die standardmäßig gleich bei Patentanmeldung Widerspruch gegen das ihres Konkurrenten einlegen. Und zwar an demselben Patentamt.

Wie auch bei der Anmeldung von Patentansprüchen erhebt das EPO hier Gebühren für Patentverfahren. Es verdient daher auch an strittigen Patentanmeldungen mit, was die Bereitschaft zu sorgfältigen Prüfungen wirtschaftlich gesehen auch nicht gerade erhöht: ein intern gleich abgelehntes Patent kann bzw. wird nun einmal nicht auch noch zusätzlich kostenpflichtig verhandelt. Übrigens kann auch nach bereits erfolgter Annahme eines Patents dieses noch angefochten werden.

Die Crux besteht darin, dass die eigene Patentgerichtsbarkeit z.B. am EPO exterritorial ist und damit nationale Gerichte nicht bindet: selbst wenn ein Patent trotz vergeblicher Anfechtung nominell in einer Gruppe von EU-Staaten (welche steht in dem Anmeldeantrag) in Kraft gesetzt wird, können nationale Gerichte diese für ungültig erklären. Dann besteht der Anspruch nur auf dem Papier, und die Rechtsunsicherheit ist allgemein, bis zur Entscheidung in der höchsten nationalen Gerichtsinstanz, die damit befasst wird. Dies geschah z.B. fast immer bisher in Deutschland mit vom EPO verabschiedeten Software-Patenten: aufgrund des EPLA (siehe oben) und analoger deutscher Regelungen werden solche Patente fast immer für unwirksam erklärt. Was aber nicht die Lizenzeinnahmen des EPO schmälert.

Patentanwälte

Unvermeidlich gibt es auch Anwälte, die sich auf das Patentrecht spezialisiert haben. Es handelt sich häufig um ehemalige Prüfer von Patentämtern oder wissenschaftlich/technisch wenigstens einigermaßen versierte "normale" Anwälte. Es ist offensichtlich, dass auch diese Berufsgruppe neben den Patentämtern ein gesteigertes Interesse an möglichst vielen und uneingeschränkten Patentierungsmöglichkeiten sowie Rechtsunsicherheit bei der Anmeldung und Durchsetzung von Patentanmeldungen hat, da sie letztlich mit diesen ihr Geld verdienen. Man darf das Ausmaß dieses Sektors keineswegs unterschätzen, bei Streitigkeiten sind oft große Konzerne mit eigenen Rechtsabteilungen und entsprechend gut gefüllten "Kriegskassen" für juristische Auseinandersetzungen verwickelt. Hier können Patentanwälte beachtliche Einnahmen erzielen.

Patentanmelder und -halter

Grundsätzlich kann jeder Patente anmelden. Es zeigt sich aber in der Praxis, dass um so mehr Patente angemeldet werden, je größer eine Firma ist, also v.a. von Konzernen. Und zwar erfolgt dies keineswegs proportional: kleine Firmen melden so gut wie nie Patente an, mittlere wenige, größere schon einige und die angesprochenen Konzerne zahllose. Spitzenreiter bei Software-Patenten ist IBM, ein trauriger Rekord.

Die Einstiegshürden durch praktisch unerlässliche eigene Vorabprüfung, was richtig Zeit und Geld kostet und eine gewisse Einarbeitung erfordert, und die recht hohen Patentgebühren machen klar, warum dieses System Große gegenüber Kleinen bevorzugt. Denn auch eine eigene Rechtsabteilung ist hier ein klarer Vorteil, und bei kleinen Firmen nicht vorhanden bzw. nur durch kostspielige Beauftragung externer Spezialisten ersetzbar.

Klassische Patentanmelder

Wie das in der Einführung erwähnte Beispiel aus der Pharmaindustrie gibt es auch in der chemischen Industrie und anderen Bereichen von großindustrieller Fertigung Verfahren, die kostspielig zu entwickeln sind. Dies ist sozusagen der Bereich der klassischen und dafür gedachten Patentanmeldung, in dem das Ziel der Förderung der Innovation durchaus oft erreicht wird.

Leider besteht auch in der typischen Produktionsbranche eine Tendenz zur Entwertung des Patentrechts, indem wie ein Vorgesetzter einmal bei einer solchen mittelständischen Firma zu mir meinte, "heute jeder Scheiß zum Patent angemeldet wird". Selbst erlebt habe ich, wie schnell bei etwas, was vielleicht patentierbar sein könnte, gleich ein Patentanwalt herangezogen und das Gefundene ihm vorgeführt wird. Hier handelte es sich nur um eine Beobachtung eines einzelnen Effekts, also kein komplexes, ausgearbeitetes Verfahren. Wo bleibt hier das Kriterium der Erfindungshöhe? Auf der Strecke!

Patenthalter ohne eigene Beiträge: Patente ad absurdum geführt

Einer der schlimmsten Auswüchse des Patentsystems hat inzwischen selbst in den USA (s.u.) zu Ansätzen geführt, Grenzen für die Durchsetzbarkeit von Patenten einzuführen, die derzeit dort fehlen. Die sogenannten "Patent-Trolle" gehen dabei so vor: sie sind reine juristische "Betriebe", die solche Patente von Firmen abkaufen, hinter denen sie einen Mehrwert vermuten. Dann verklagen sie alle mutmaßlichen Nutzer dieser Patente, oder doch wenigstens einige wenige mit genügend Geld, so dass sich ein Sieg vor Gericht oder via Vergleich (gar nicht selten zu sehen, kommt Konzerne zuweilen billiger als das Durchstehen des Verfahrens!) über die vermeintlichen Patentverletzer lohnt. Hier geht es also mitnichten um Innovation, es handelt sich um ein völlig skrupelloses Geschäftsmodell zwecks der eigenen Bereicherung aufgrund der Ergebnisse Dritter. Das wurde dementsprechend von Kommentatoren auch schon als "modernes Raubrittertum" gebrandmarkt.

Anmerkung: auch wenn es in diesem Fall um angeblich verletzte Copyrights ging, ähnelt das Vorgehen von SCO gegen Linux Im Allgemeinen und IBM sowie Novell im Besonderen in den letzten Jahren stark dem Vorgehen dieser Patenttrolle: nur eine juristische Auseinandersetzung, mit der man sich Geld verschaffen will, wird geführt, ohne eigene Leistung (die eigentlichen inhaltlich/technischen Beiträge, wie sich gezeigt hat, kamen von AT&T, Berkeley (BSD) sowie der Linuxgemeinschaft).

Teil 3: Übersicht über Bereiche, die heute (teilweise) patentierbar sind

Diese Aufstellung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sie soll aber das Problem und die Tragweite veranschaulichen, um die es hier geht.

Klassische (großtechnische) Verfahren

Auch in diesem Bereich bleibt die Entwicklung nicht stehen: es ist heute oft billiger, Vorabversuche und -entwicklungen im Computer via Software zu simulieren bzw. durchzuführen, als gleich mit physikalisch/technischen Objekten und Verfahren zu experimentieren, auch geht das meist schneller. Damit verringert sich aber tendenziell auch der Aufwand für Neuentwicklungen allgemein erheblich. Das wiederum schmälert das Potenzial von Patenten, Innovation zu schützen, und kann eher gegenteilige Effekte haben, auf den Gegensatz zu Wettbewerb und Kartellrecht wurde schon oben hingewiesen.

Software

Software unterliegt eher ähnlich wie ein Werk aus dem Bereich der Kunst von jeher Urheberrechten, im englischen Sprachraum nicht zufällig stattdessen Copyright genannt. Damit unterliegt die konkrete Ausprägung von Software einem von ihrem Schöpfer wählbaren Recht der Nutzung bzw. Weitergabe. Dieses bezieht sich jedoch immer auf eine konkrete Software, man kann (und das geschieht gar nicht so selten) sogar von einer Version auf die andere die Rechte umstellen, z.B. von einer freien (unter anderem, aber nicht notwendig Copyleft) auf eine proprietäre, Closed Source Variante, oder umgekehrt, vorausgesetzt man (kann auch eine juristische Person sein) hat selbst sämtliche Rechte an der Software bzw. ist sich mit allen Beteiligten an ihrer Schaffung darüber einig.

In den USA wurde nun von Patentbefürwortern schon vor vielen Jahren durchgesetzt, dass auch Software dort patentierbar ist: damit wird keine konkrete Software geschützt, sondern ein Rechenverfahren für Computer. Mit schlimmen Folgen v.a. für kleinere Softwarefirmen, die selbst Software entwickeln: sie schweben ständig in Gefahr, dass v.a. größere Firmen mehr oder weniger zurecht behaupten, sie würden eines ihrer Softwarepatente verletzen, obwohl man unabhängig nur auf dieselbe Vorgehensweise gekommen ist. Bei dem üblichen Kräfteverhältnis zwischen großer Firma, die klagt, und kleiner, die beklagt wird, kann schon ein längeres Verfahren unabhängig vom Ausgang kleine Entwickler wirtschaftlich restlos ruinieren.

Ebenso wie kleine Softwarefirmen laufen auch OpenSource-Projekte, die vielen Firmen mit proprietärer Softwareentwicklung als billige Konkurrenz ein Dorn im Auge sind, Gefahr, Zielscheibe von Patentauseinandersetzungen zu werden.

Das betrifft meist weniger wirklich große Projekte wie den Linux-Kernel, Samba oder OpenOffice, bei denen Microsoft aus offensichtlich wettbewerbswidrigen Gründen das schon versucht hat bzw. noch versucht, denn diese haben zumeist auch einige Firmen auf ihrer Seite, die sie indirekt aus eigenem wirtschaftlichen Interesse vor solchen Übergriffen schützen (IBM, Novell, RedHat, teils auch HP und Sun z.B., bei Sun via fast identischem StarOffice allerdings nur indirekt, aber m.E. durchaus wirksam), sondern eher Mittelklasseprojekte mit einer gewissen Verbreitung, die man gerne niederhalten möchte, bevor sie zu einer lästigen Konkurrenz werden, sowie kleinere, die hoffnungsvoll sind und nur hoffen können, nicht zu früh aufzufallen.

Geschäftsmodelle und -verfahren

Einer der schlimmsten Auswüchse von Patentierbarkeit, selbst jetzt nur in den USA möglich, ist die Patentierung von Geschäftsmethoden: hier können ganze Abläufe bzw. sozusagen Blaupausen solcher patentiert werden. D.h. effektiv, patentiert jemand bestimmte formale Abläufe in Betrieben (Prozessmodelle o.ä.), dann kann er der Konkurrenz einfach verbieten bzw. dafür abkassieren, solche zu verwenden, die wie die patentierten verlaufen. Das ist eine völlig absurde Situation, denn es stellt einen externen Eingriff in interne Unternehmensabläufe dar und behindert nicht nur den Wettbewerb, sondern errichtet eine Art Gedankenkontrolle über Unternehmen. Diese können nicht mehr frei eigene Abläufe entwickeln, sondern müssen mit Unterlassungsklagen und/oder Zahlung von Lizenzgebühren rechnen, wenn jemand anders ihnen mit derselben Idee zuvorgekommen ist und/oder aber bei externen Beratern wird deren Handlungsspielraum massiv eingeengt, indem diese nicht mehr alle Vorschläge ohne finanzielles Risiko für sie selbst sowie ihre Kunden machen können. Solche Eingriffe sind mit freiheitlichen Verfassungen letztlich nicht vereinbar und stellen die Ausnutzung typischerweise alles anderer als genialer Ideen für rein kommerzielle Zwecke dar. Auch hier muss mit massiver Aktivität der bereits vorher erwähnten Patentierungs-Trolle gerechnet werden.

Lebewesen und Gene

Ganz fatal ist auch die Patentierung von Genen und Lebewesen: zum einen ist hier deutlich der Frankenstein-Komplex zu spüren, aber jemand will sich hier nicht nur zum Herr über das Leben aufschwingen, sondern auch gleich dies noch wirtschaftlich ausnutzen bzw. absichern. Beispiele: Genmanipulationen können patentiert werden, so wird die Programmierung geänderter Organismen, die für sich schon oft höchst problematisch ist, via Patenten zementiert und gleich noch bei Dritten dafür mit abkassiert. Die entstehenden Lebewesen werden unter Umständen, wie z.B. beim sogenannten Gen-Mais, was vor allem in den USA schon jetzt ein großes Problem ist, einfach in die Natur ohne echte Kontrolle (die ohnehin nur sehr schwer bis kaum/unmöglich erscheint) eingebracht. Das hat gleich mehrere Folgen: die mögliche, oft unvorhersehbare Veränderung des Lebens in diesen Bereichen bzw. Ökosystemen und das Risiko für Gegner von Gentechnik, sich durch Kreuzung natürlicher mit gen-modifizierten Arten ebenso unerwünscht wie unvorhersehbar selbst gen-modifzierte Pflanzen einzuhandeln. Dies hat gleich mehrere schlimme Folgen für diejenigen, die davon betroffen sind: zum Einen können sie oft eigene Normen bzw. Standards für genfreie Lebensmittel nicht mehr einhalten, was zu schweren, unter Umständen totalen Verlusten von Ernten führen kann. Zum Anderen, und das ist tatsächlich schon passiert, klagen Konzerne, die die betreffenden Patente halten, sogar noch in arroganter Unverfrorenheit gegen diese Opfer auf Schadensersatz und/oder Lizenzgebühren, weil sie deren sogenanntes geistiges Eigentum verwenden. Der Verbraucher ist nebenbei bemerkt in jedem Fall der Dumme: das Angebot an genfreien Lebensmitteln wird geschmälert, die Stellung der Gen-modifzierten Konzerne weiter gestärkt und es ist aufgrund fehlender Vorschriften in der EU und anderswo auch nicht nachvollziehbar, wer gezielt Gen-manipulierte Lebensmittel und Inhaltsstoffe verwendet. Auch da haben die betreffenden Konzerne durch weitreichende Korruption und Lobbyismus einen Riegel vorgeschoben, da kaum Verbraucher bereit wären, solche Lebensmittel zu kaufen, wenn diese deutlich als genmodifiziert gekennzeichnet werden müssten. Letztlich dient das Ganze hier nur zur Profiterhöhung einiger Großkonzerne auf Kosten bzw. zum Schaden aller Konkurrenten und Verbraucher.

Teil 4: Die Auseinandersetzung um die Erweiterung der Patentierbarkeit in Europa (insbesondere Softwarepatente) und die Debatte um die Eindämmung der Patentierbarkeit in den USA

Der erste "Krieg" um Softwarepatente in Europa: Niederlage für die Patentbefürworter

Vor einigen Jahren wurde auf regulärem, parlamentarischem Weg in der EU versucht, die weitgehende Patentierbarkeit v.a. von Software via dem EPLA (European Patent License Agreement, europäisches Patentlizenz-Abkommen) einzuführen. Von Anfang an widersprach dieser Versuch dem erwähnten Abkommen aus den Siebziger Jahren, das ausdrücklich Patente auf "Software als Solche" ausschloß. Es war ein offensichtlicher Versuch der Europäischen Kommission, das inzwischen angegliederte EPA in die Lage zu versetzen, seine weitreichende Patentierungspraxis entgegen der früheren Vereinbarung nicht nur zu sanktionieren, sondern sowohl sämtlich erteilten Patente auf der Stelle zu legalisieren (die zuvor von europäischen Gerichten regelmäßig auf nationaler Ebene aufgrund des Rechtsrahmens für ungültig erklärt wurden), als auch den Boden für die weiter ausufernde Erteilung solcher Softwarepatente zu bereiten. Erwartungsgemäß bildete sich eine Koalition aus Befürwortern dieser Änderung aus den folgenden Akteuren: das EPA, das wie erwähnt sowohl an der Erteilung von Patenten als auch Streitigkeiten um diese in der eigenen, internen Gerichtsbarkeit verdient, und damit völlig unglaubhaft blieb, als es sich als neutraler, objektiver Vertreter von Innovation darstellte bzw. von der EU-Kommission so dargestellt wurde, die Patentanwälte, deren Interessen letztlich in dieselbe Richtung gehen, wiederum zur Erzielung möglichst hoher eigener Einkünfte, und von meist US-Konzernen wie IBM (Software-Patentweltmeister), dem quasi-Monopolisten Microsoft, dessen wettbewerbsfeindliches Verhalten in vielen Teilen der Welt inzwischen rechtliche Konsequenzen hatte (Strafzahlungen, Kontrollen, Vorschriften über Maßnahmen, die verboten bzw. vorgegeben wurden), oder auch HP, die ebenfalls Patentmissbrauch bei Tintenpatronen zwecks Behinderung des Wettbewerbs betreiben, aber auch ein deutscher Software-Monopolist, nämlich SAP, trat dafür ein. Hier war wieder in ganzem Umfang erkennbar, dass solche Konzerne zumeist wettbewerbsfeindliche Ziele verfolgen und ihnen ein möglichst weitgehendes, d.h. kommerziell optimal nutzbares Patentrecht gerade recht kommt. Da z.B. die BITKOM massiv von solchen Konzernen geprägt ist, und Mittelständler und erst recht kleine Softwarefirmen dort so gut wie keinen Einfluss haben, trat auch diese nachvollziehbar massiv für Softwarepatente ein. Auf der anderen Seite standen sich ebenso weitgehend geschlossen diesen gegenüber Vertreter kleinerer Software-Firmen, die sich weder aufwändige Patentrecherche leisten noch in nennenswertem Umfang selbst Patente anmelden können bzw. wollen sowie die Open-Source-Szene, die zurecht einen Versuch von Microsoft erwartete, gegen OpenSource-Projekte mittels zu zahlenden Lizenzgebühren bzw. Unterlassungsklagen vorzugen. Die übliche FUD-Strategie (Fear, Uncertainty and Doubt: Furcht, Unsicherheit und Zweifel sähen) von Microsoft kam zuletzt auch tatsächlich gegen GNU/Linux zum Einsatz, ist aber nicht nur meines Erachtens hier klar zum Scheitern verurteilt, da Firmen wie IBM und HP ein lebhaftes wirtschaftliches Interesse am Linux-Geschäft haben und auch Novell und RedHat sich da nicht einfach ausbooten lassen (auch wenn Novell sich auf eine gefährliche Vereinbarung mit Microsoft eingelassen hat, die in der Folge sogar zu einer Ergänzung in der GPL V3 führte, um eine solche mögliche Schwächung von Open Soure in Zukunft zu verhindern; die Vereinbarung wurde prompt einseitig von Microsoft als Patentverletzungseingeständnis umgedeutet, obwohl das so nicht darin steht). Die Befürworter hatten jedoch die Masse der Softwareentwickler, die sich durch diese Ausweitung der Patentierbarkeit vor allem in den zahlreichen kleineren europäischen Softwarefirmen, aber auch vielen Open Source Projekten gefährdet sahen, drastisch unterschätzt.

Kampf auf allen Ebenen

Während professionelle Lobbyisten, die regelmäßig in der EU versuchen, einseitig durch manipulative Eingriffe die Interessen von Konzernen wie IBM, HP und Microsoft und Verbänden wie der BITKOM durchzusetzen, wobei schon oft Verbraucherinteressen sowie die Dritter, die keine so starke Lobby besitzen, auf der Strecke blieben, massiv für die allgemeine Patentierbarkeit von Software warben, stellten sich viele Gegner einzeln bzw. in neu(artig)en Verbänden wie dem FFII (Foundation for a Free Information Infrastructure, Förderverein für einer Freie Informationelle Infrastruktur) oder auch der Initiative www.nosoftwarepatents.org dem entgegen. Dies geschah durch Demonstrationen vor dem Europäischen Parlament bzw. dem Rat in Straßburg (dort war ich auch dabei) und Brüssel ebenso wie durch Briefe an Abgeordnete im EU-Parlament wie im Bundestag hier in Deutschland (was ich ebenfalls Beides auch getan habe). Sogar ein Buch wurde vom Begründer von www.nosoftwarepatents.org heraus gebracht, dessen Lektüre den Interessierten wärmstens empfohlen wird: Florian Müller, "Die Lobbyschlacht um Softwarepatente" (in Englisch: "No Lobbyists as Such — the war about software patents in the European Union"), Verlag SWM Software Marketing GmbH. Hier gibt es das auch als PDF-Datei: Datei:DieLobbyschlachtUmSoftwarepatente.pdf.

Aber auch einige größere IT-Firmen wie Sun Microsystems kritisierten die Praxis der Softwarepatente (in den USA) als nicht hilfreich: selbst viele solche Patente haltend, diene dies nur dazu, sich den Rücken gegen andere Große mit eigenen Patenten durch Cross-Lizenzierung freizuhalten. Sozusagen ein defensives Verhalten gegen den möglichen Patent-Missbrauch Anderer. Ein gefährlicher Ansatz fürwar, denn kleinere Teilnehmer der Software-Entwicklungsbranche ohne ein solches Patentportfolio werden alleine dadurch angreifbar, durch große Konzerne, denen sie ein Dorn im Auge sind, oder die sie gerne übernehmen würden, und natürlich durch die erwähnten "Patent-Trolle".

Natürlich fielen den Softwarepatent-Befürwortern noch weitere Tricks und Winkelzüge ein: nachdem man im ersten Anlauf im EU-Parlament auf Granit biss und schnell merkte, dass keine Aussicht auf Erfolg der Vorlage bestand, verzögerte man kurzerhand das Lesungsverfahren so lange, bis die entscheidende Lesung nach der nächsten EU-Parlamentswahl stattfand. Offenbar hofften die Befürworter auf ein geneigteres Gremium nach der Wahl — zum Glück ohne Erfolg.

Weitere Manipulationen der Softwarepatentbefürworter waren für klardenkende Beobachter offensichtlich: so stand der irische EU-Komissar, der deren Durchsetzung betrieb, offensichtlich unter Druck durch die Patentbefürworter IBM, Microsoft und HP, die alle in Irland große Dienstleistungsniederlassungen haben. Da die Industrialisierung weitgehend an Irland vorbeigegangen ist, stellt der Dienstleistungsbereich gegenüber der traditionellen Landwirtschaft die einzige moderne Säule der Wirtschaft da. Wer erwartet ernsthaft von einem solche EU-Komissar ein ausgewogenes Vorgehen?

Wie auch immer, das Ganze ging über einige "Schlachten" in der EU in verschiedenen Organen bis in das EU-Parlament, was aber diesen Versuch unter dem Eindruck der massiven Proteste von Software-Entwicklern, kleineren Firmen, Open-Source-Projekten und gebündelten Initiativen derselben schließlich abwehrte. Wie Churchill sagte, entscheidend ist nicht die erste, sondern die letzte Schlacht zu gewinnen: das erschien somit als Sieg der Vernunft über die Profitgier einiger weniger (hauptsächlich) US-IT-Konzerne. Einen anderen Ausgang hätte ich daher auch als Hochverrat an der europäischen Interessenlage gewertet, vielleicht ein Argument, was auch Eindruck gemacht hatte? Doch man lernt nie aus...

Der zweite "Krieg" um Patentierbarkeit: die undemokratische, nicht legitimerte Einführung durch die Hintertür in der EU

Eigentlich sollte in einem demokratischen Gemeinwesen, das die EU sein sollte oder müsste, aber leider nicht ist, mit dieser Parlamentsentscheidung die Sache geregelt sein. Das Folgende ist also leider auch ein Lehrstück über gravierende Demokratie-Defizite in der EU, die einer in keinster Weise demokratisch legitimierten Gruppe von EU-Komissaren unfassbar viel Einfluss zugesteht. Und eben diese EU-Kommission ist sehr wahrscheinlich die korrupteste größere politische Struktur in der gesamten EU. Vor einigen Jahren musste einmal wegen Korruptionsvorfällen eine ganze EU-Komission zurücktreten, weil sie es derart maßlos trieb, dass die üblichen Vertuschungs- und Bagatellisierungsmethoden nicht mehr funktionierten. Man muss befürchten, dass das nicht besser geworden ist, sondern heute nur effektiver vertuscht wird. Und der Einfluss von Lobbyisten, deren ungeheuerlichen Eingriffe in nur scheinbar demokratische Entscheidungen immer gravierender und unverfrorener werden, wächst ständig und kommt klassischer Korruption schon sehr nahe. Auch hier wird viel Geld in die Manipulation demokratischer Entscheidungsprozesse gesteckt, wenn auch meist nicht direkt die Politiker gekauft werden. Das macht die Bekämpfung dieser Fehlentwicklungen natürlich nicht leichter, auch wehren sich die Lobbyisten, durchaus nachvollziehbar, aber deswegen noch lange nicht akzeptabel, gegen die Offenlegung der Verbindungen zwischen Konzernen und Politikern. Eine schwerwiegende Fehlentwicklung sind Richtlinien- und Gesetzes-Ghostwriter, die direkt in nur noch scheinbar demokratischen Institutionen wie Ministerien, Kommission und so weiter sitzen, und dort im Interesse ihrer Geldgeber Vorlagen erstellen. Dass diese nur ihren Geldgebern nützen, aber meist der Allgemeinheit schaden, versteht sich von selbst.

Diese Einleitung ist nötig, um das Folgende verstehen zu können. Trotzdem stellt es eine Art Offenbarungseid für die EU dar, auch wenn Kenner (ich auch) dieser Probleme genau ein solches Vorgehen um die einzige wirklich demokratisch legitimierte, normalerweise maßgebende Einrichtung herum erwartet hatten, nämlich das aus Sicht der Software-Patent-Befürworter einfach zu störrische EU-Parlament.

Übrigens gewann die EU-Kommission 2006 in der Kategorie "Worst Privileged Access" einen Worst EU Lobby Award für besonders dreistes Betreiben der Durchsetzung von Softwarepatenten. Das genügt wohl als Hintergrundinformation.

Jener bereits zuvor erwähnte irische EU-(Binnen-)Kommissar versucht (zweifelos gut motiviert durch die genannten IT-Riesen, die in Irland sitzen) weiter, Softwarepatente durch die Hintertür einzuführen. Diesmal soll eine zentrale EU-Patentgerichtsbarkeit geschaffen werden, die in den USA nie wirklich funktioniert hat und deren Unabhängigkeit vom etablierten Patentwesen wie dem EPO und den Patentanwälten mehr als fraglich ist, auch wenn versucht wird, das EPO nicht alleine über diese Posten bestimmen zu lassen. Da die EU-Kommission wie erwähnt das EPO sozusagen an sich angegliedert hat, ist auch diese Maßnahme völlig unglaubhaft. Hierfür wird kein EU-Parlamentsbeschluss benötigt, die EU-Kommission und der Rat (die Versammlung der Regierungsvertreter der Mitgliedsländer) können hier alleine festlegen, was sie wünschen. Man muss das Schlimmste befürchten und diesmal wird kein demokratisch legitimiertes Plenum wie das EU-Parlament gefragt werden. Immerhin haben die Gegner von Softwarepatenten aus dem ersten Krieg um dieses Thema dazu gelernt, verschaffen sich jetzt etwas besser Gehör und auch unabhängige Stellen wie Kapital oder die Deutsche Bank haben in Veröffentlichungen große Zweifel am Sinn von Softwarepatenten hervorgebracht. Vielleicht ist dieser zweite Krieg doch noch nicht verloren und die IT-Branche in Europa kann letztlich vor den katastrophalen Folgen von Softwarepatenten (siehe oben) bewahrt werden.

Die Einschränkung von Patentmissbrauch in den USA

Da in den USA keine praktisch relevanten Grenzen der Patentierbarkeit bestehen, hat sich im Lauf der Jahre immer mehr gezeigt, wie unsinnig und gefährlich diese Regelungen sind. Bislang sind mehrere Initiativen auf Eindämmung des Patentierungs-Missbrauchs zwar gescheitert, aber es sind immer welche am Laufen und werden früher oder später zweifellos Erfolg haben, weil der Schaden den Nutzen mittlerweile für fast Alle, und zwar auch klar erkennbar, deutlich überwiegt.

Leider wird dabei nicht an die Abschaffung von Software-Patenten gedacht, es geht mehr um folgende Fehlentwicklungen: Patent-Trolle, die systematisch Patente einkaufen, nur um dann Lizenzkosten einzusammeln, was immer mehr allgemein als modernes Raubrittertum empfunden wird; triviale Patente, die aber nur unverhältnismäßig schwer, vor allem teuer wieder zu annullieren und leider viel zu zahlreich sind und der hohe Kostenaufwand für Patentstreitigkeiten im Allgemeinen.

Ein Beispiel war Eolas, eine Ein-Mann-Firma, die Microsoft wegen eines obskuren Patentes verklagte, das ziemlich allgemein gehalten war und in den ersten Instanzen damit gewann. Ein klares Geschäftsmodell: bei so reichen Konzernen lohnt sich ein Erfolg vor Gericht in jedem Fall, und Eolas hatte Nichts, was eine Gegenklage hätte begründen können. Auch wenn es hier mal richtig einen traf, nämlich Microsoft, der selbst massiv das Patentrecht zwecks Behinderung von Interoperabilität (APIs, eigene (Office-)Formate) sowie der Open-Source-Konkurrenz (z.B. GNU/Linux, OpenOffice, Samba), die man anders nicht mehr zu bekämpfen weiß, missbraucht, beleuchtet es die Schieflage des Patentrechtes deutlich.

Auch Video-Codecs, reine Computer-implementierte Algorithmen, die derzeit in Europa nicht patentierbar bzw. nicht gerichtlich durchsetzbar sind, werden in den USA zur Behinderung des Wettbewerbs missbraucht (wieder Microsoft mit AVI,wmv und wma, sowie Apple mit Quicktime-Codecs wie Sorensson oder auch Real Video), indem für deren Nutzung Lizenzgebühren verlangt werden. Übrigens ist das derzeit (noch) nicht das Problem mit vlc, dem Open-Source Video LAN Client Video Player. Dort geht es um ein anderes, leidiges Thema, das angeblich wirksame (für Fachleute nicht nachvollziehbar, was daran wirksam sein soll) Verfahren CSS (Content Scrambling System) zur "Verschlüsselung" von DVDs. Leider ist hier derzeit noch keine Besserung in Sicht. Und Versuche unter anderem auch von Microsoft, den Missbrauch von Patenten einzudämmen, sind teilweise offensichtlich darauf angelegt, nur den Missbrauch anderer aber nicht den Eigenen zu unterbinden, sie sind dementsprechend unglaubwürdig.

Fazit: erwünscht ist Einschränkung, nicht Ausweitung des Patentrechts

Vor dem Hintergrund des allgemeinen Missbrauchs des Patentrechtes, der Benachteiligung kleiner und mittlerer Unternehmen (KMUs) und der Tatsache, dass heutzutage meist lange Forschung für neue Verfahren aufgrund von Computersimulationen und Outsourcing z.B. an Universitäten und angesichts immer kürzerer Innovationszyklen weitgehend entfällt, hat sich das jetzige Patentsystem überlebt: es verursacht enorme volkwirtschaftliche Kosten u.a. durch Wettbewerbsbehinderung, juristische Streitigkeiten usw. Es passt nicht mehr in die moderne Informationswelt, in der das Urheberrecht ohnehin eigene Beiträge vor dem Kopieren bzw. dem Missbrauch durch kommerzielle Interessen schützt. Daraus ergibt sich zwangsläufig die Forderung nach Veränderungen in Richtung weniger statt mehr Patenten.

Diese zwei Möglichkeiten sind meines Erachtens zu prüfen:

1. Völlige Abschaffung von Patenten. Obwohl dies radikal klingen mag, hätte das viele Vorteile und kaum Nachteile. In Einzelfällen bliebe größeren Firmen immer noch die Möglichkeit, bei allzu dreisten Nachahmern und wenn tatsächlich nachvollziehbar größere finanzielle Nachteile dadurch entstehen, wegen Plagiats gegen diese vorzugehen. Dafür sind aber Patente nicht mehr zwingend nötig.

2. Radikale Einschränkung der Patentierbarkeit, insbesondere ein Verbot sowohl direkter Patente als auch der Mitabdeckung durch Patente von Software, Genen, Lebewesen und Geschäftsprozessen sowie ein Verbot des Handels von Patenten aus reiner Gewinnabsicht (nichts selbst beitragen, Patente einkaufen und mit diesen andere verklagen), d.h. Bindung von Patentlizenzforderungen an eigene wirtschaftliche Tätigkeit auf diesem Gebiet. Nur die ursprünglichen (Beispiel s. Anfang) Fälle dürfen noch patentierbar bleiben, die Anforderungen an die Erfindungshöhe sind sehr hoch anzusetzen und die derzeitige EU-Regelung für Neuheit wäre außerdem das Minimum in dieser Hinsicht. Zudem sollte über die Strafbarkeit (und Schadensersatzpflicht) von systematischem Missbrauch des Patentrechts (wie auch bei Serienabmahnungen) nachgedacht werden, um hier eine Hemmschwelle gegen leichtfertigen Umgang mit diesem potenziell gefährlichen System zu schaffen.