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Benutzer:Roere/wer bezahlt bestellt

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Wer bezahlt bestellt?

Warum die Gläubiger der BRD offengelegt werden sollten

Die Bundesrepublik ist insgesamt mit rund 2Bill.€ verschuldet. Davon entfallen gut 1,3Bill.€ auf den Bund und der Rest auf die Länder und die Kommunen. Wem wir das Geld schulden, lässt sich aber so einfach nicht herausfinden. Weder entsprechende Anfragen bei den Finanzministerien noch bei der BRD Finanzagentur GmbH waren erfolgreich. Bei einer kleinen Anfrage in NRW im Jahr 2011 teilte der Finanzminister nur mit, dass sich das Land hauptsächlich über Landesschatzanweisungen und Schuldscheine verschuldet. Da diese aber teilweise an den Börsen gehandelt würden, ließe sich nicht mehr feststellen, wer die Gläubiger tatsächlich sind.[1] Macht es denn überhaupt Sinn danach zu fragen, bei wem wir verschuldet sind? Natürlich fordern die Piraten grundsätzlich Transparenz bei staatlichen Verträgen, also gilt diese Forderung auch für Kreditverträge, somit auch hier. Aber wenn es möglicherweise kompliziert ist und viel Aufwand bedeutet die Gläubiger zu ermitteln, lohnt sich dann der Aufwand im konkreten Fall?

Zunächst kann man anführen, dass jedes Jahr erhebliche Zinsen anfallen. Im Bundeshaushalt 2011 wurden z.B. mehr als 15% der Steuereinnahmen für Zinszahlungen verwendet. Hier besteht sicherlich das berechtigte Interesse aller Steuerzahler zu wissen, an wen diese 15% geflossen sind. Die zweite und vielleicht viel wichtigere Frage ist aber, wie unabhängig ein Staat noch sein kann, der in einem solchen Ausmaß am Kapitalmarkt verschuldet ist. Vergleiche mit Privatpersonen und Unternehmen hinken natürlich immer. Aber jeder kann sich vorstellen oder weiß aus eigener Erfahrung, dass der eigene Handlungsspielraum in dem Maße sinkt, in dem die Schulden steigen. Dass z.B. die gut 35Mrd.€, die in 2011 alleine im Bundeshaushalt für Zinsen ausgegeben wurden an anderer Stelle fehlen, ist sofort klar. Aber ist die BRD inzwischen in einer Abhängigkeit von ihren Geldgebern, die diesen Geldgebern möglicherweise Einfluss auf die Politik erlaubt? Denn in dem Fall würde das Interesse nach einer Offenlegung der Gläubiger ja weit über eine allgemeine Forderung nach Transparenz hinausgehen. Betrachten wir zunächst die Fakten, am Beispiel des Bundeshaushalts 2011.[2] In dem Jahr mussten fällige Krediten in Höhe von 262Mrd.€ zurückgezahlt werden. Zusätzlich waren Zinsen i.H.v. gut 35Mrd.€ fällig. Die gesamten Einnahmen (Steuereinnahmen und sonstige Einnahmen) des Bundes lagen im gleichen Zeitraum jedoch bei nur etwa 257Mrd.€ und hätten somit nicht einmal ausgereicht um alle fälligen Kredite zu bedienen, geschweige denn um zusätzlich die eigentlichen Staatsausgaben zu decken. Die Aufrechterhaltung der Zahlungsfähigkeit war somit nur durch die Aufnahme neuer Kredite in erheblicher Höhe möglich. Konkret lag die Kreditsumme, die aufgenommen werden musste um alte Kredite abzulösen, Zinsen zu zahlen und die eigentlichen Staatsausgaben zu decken bei 320Mrd.€ und damit fast 25% über den gesamten „echten“ Einnahmen des Bundes im gleichen Jahr.

Es besteht also offensichtlich eine erhebliche Abhängigkeit vom Kapitalmarkt. Der Bund ist zunächst darauf angewiesen jährlich neue Kredite zu bekommen und zwar in einem Volumen, das regelmäßig die „echten“ Einnahmen deutlich übersteigt. Des Weiteren ist der Bund auf günstige Zinsen angewiesen. Hätte der Bund z.B. die neuen Kredite in 2011 nur zu einem Zinssatz von 6-7% bekommen, hätte dies alleine schon eine Steigerung der jährlichen Zinsausgaben von ungefähr einem Drittel zur Folge gehabt und zu einer erheblichen Mehrbelastung im Haushalt geführt. Die nächste Frage ist, ob sich aus der generellen Abhängigkeit von neuen Krediten und damit vom Kapitalmarkt im Allgemeinen, auch eine direkte Abhängigkeit von einzelnen Investoren und damit eine Beeinflussbarkeit der Regierung ergibt. Das scheint dann der Fall zu sein, wenn es auf Seiten der potenziellen Kreditgeber nur wenige, große Investoren gäbe, die dem Staat im Zweifel Kredite verweigern könnten, um so Druck auszuüben und Einfluss geltend zu machen. Haben wir es jedoch mit vielen kleineren Investoren zu tun, die jeweils nur kleinere Anteile zum gesamten Kreditvolumen beisteuern und ist insgesamt immer ausreichend Liquidität im Markt vorhanden, scheint die Gefahr der Einflussnahme durch Kreditgeber eher gering. Zusammenfassend kann man folgendes festhalten: keine Regierung möchte ihren Staat in die Zahlungsunfähigkeit führen. Jemand, der den Zugang zu neuen Krediten verhindern oder deutlich erschweren kann, hätte deshalb vermutlich einen sehr großen Einfluss.

Ob die Gläubiger der Bundesrepublik momentan einen starken Einfluss auf die Politik ausüben können lässt sich aber ohne weitere Fakten schwer beurteilen. Um dies zu überprüfen und die Möglichkeit der Einflussnahme weitgehend auszuschließen, ist hier dringend deutlich mehr Transparenz erforderlich. Konkret sollte in einem ersten Schritt offengelegt werden, wer die Gläubiger der BRD sind und welche Forderungen sie jeweils haben. Aus Gründen der Übersichtlichkeit scheint hierbei eine gewisse Mindesthöhe, die die Forderung überschreiten muss, sinnvoll. Weiterhin können aus Gründen des Datenschutzes die Namen von Privatpersonen anonymisiert werden.

Aktuell kann sich die BRD Geld für 0% Zinsen leihen und die Auktionen zur Platzierung von Anleihen sind regelmäßig überzeichnet. Die Anleger betrachten die deutschen Staatsanleihen derzeit als sicheren Hafen. Insgesamt ist das Einflusspotenzial auf die Politik, das sich aus der geschilderten Situation ergeben könnte nicht zu unterschätzen und die Forderung nach mehr Transparenz im Bereich der Staatsschulden von hoher Bedeutung.

Nachtrag:

In einem Artikel vom 19.10.2012 schreibt „Der Standard“ über die Finanzierungsgeschäfte des Landes Linz. Das Land hatte sich im Haushaltsgesetz Finanzgeschäfte zur Reduzierung Zinslasten erlaubt, diverse Geschäfte an der Börse getätigt und hält noch immer spekulative Derivate in Höhe von 1,7Mrd.€. In den Jahren 2008/2009 soll die Deutsche Bank sogar die Linien für Salzburg gesperrt haben, wegen negativer Entwicklung der Papiere.[3] Auch in Deutschland hat z.B. NRW seit 2000 einen vergleichbaren Passus im Haushaltsgesetz. Wir brauchen hier mehr Transparenz!

[1] http://www.juramagazin.de/Gl%C3%A4ubiger-und-Schuldendienst-des-Landes-Der-Finanzminister-hat-die-Kleine-Anfrage-391-mit-Schreiben-vom-6-Januar-2011-namens-der-Landesregierung-wie-folgt-beantwortet-Vorbemerkung-der-Kleinen-Anfrage-Im-Laufe-der-Finanzkrise-mussten

[2] http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/025/1702500.pdf; http://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Monatsberichte/Standardartikel_Migration/2011/03/analysen-und-berichte/b01-bundeshaushalt2011-sollbericht/bundeshaushalt-2011-sollbericht.html#doc216736bodyText19

[3] http://derstandard.at/1350258903358/Spekulationswelle-rollt-ueber-Salzburgs-Finanzen