Benutzer:RobertB/Theater
Im Westen nichts Neues
Die Tageszeitung ist doch immer wieder Ort der Erbauung und Quelle des Erstaunens. So liest man heute beispielsweise, dass in Mühlheim an der Ruhr ein Theaterstück – wahrscheinlich – nicht aufgeführt werden wird, weil es von jüdischer Seite als "antisemitisch" eingestuft wurde. Nun gut. Interessant daran ist, dass eben jenes Stück schon in New York und Tel Aviv lief. Beides sind Orte, wo jüdische Kultur ein Heimspiel hat.
Das ganze ist also in etwa so, als wollte eine, sicherlich sehr engagierte, Ortsgruppe des Bayrischen Brauchtumvereins die Aufführung eines bayernkritischen Stückes in, sagen wir, Hamburg verbieten, obwohl dieses Stück bereits in Passau, in München und in Garmisch gelaufen ist.
Es gibt immer wieder Menschen, die glauben, anderen Menschen vorschreiben zu müssen, was sie sehen dürfen und was nicht. Und wie sie bestimmt Dinge zu bewerten habe und wie nicht. Interessant daran ist, dass diese Form der Dummheit – denn nichts anderes ist zensierendes Vorkauen – an keine bestimmte Gruppe oder politische Richtung oder tätige Religiosität oder sexuelle Orientierung oder wirtschaftliche Lage – oder was auch immer die Soziologen so an Kästchen bereit halten – geknüpft ist.
Sie ist menschlich. Niemand kann behaupten, er sei frei davon. Jede, aber auch jede Interpretation dessen, was wir Wirklichkeit nennen, ist tendenziös. Muss sie auch sein – dieses Wahrnehmen konstituiert den Menschen. Wer schon einmal einen anderen Zeitgenossen von den Gegenständen, Wahrheiten und Besonderheiten seiner eigenen Wahrnehmung versucht hat zu überzeugen weiß das. Sehr schön übrigens hier die Vorstellung, wie zwei frühe Menschen darüber diskutieren, ob man der Sippe mitteilen soll, dass ein paar Meter weiter im Gebüsch ein Tiger hockt und offenkundig Hunger hat; oder ab man doch lieber niemanden vor den Kopf stoßen solle und eher vor dem Gebüsch vielleicht ein Stopp-Schild …
Das bedeutet, dass – und hier darf man radikal werden – jedweder Einfluss auf die Verbreitung von Fakten zu unterbleiben hat. Jedem seine Wirklichkeit! Ungeschminkt, direkt, total. Leben ist gefährlich – so ist es definiert.
Woraus zieht ein Roman wie 12px Erich Maria Remarques "Im Westen nichts Neues" seine Kraft? Aus der ungeschminkten Darstellung des nicht zu leugnenden Unmittelbaren. Nur durch diese schonungslose, weitgehend wertungsfreie und weitgehend vollständige Darstellung der Dinge kann etwas wie Engagement, wie Beteiligung, wie Wille zur Veränderung im Menschen entstehen. Geschönte Wirklichkeiten produzieren geschönte, handlungsunfähige Menschen. Die Kraft zur Veränderung jedoch entsteht aus der Unmöglichkeit, die Wirklichkeit weiter auszuhalten. Wir brauchen sie, die Fakten, um zu überleben.
Im Westen nichts Neues? Na ja, warten wir mal den 27. September ab.
18. Sept. 09