Benutzer:Entropy/aBPT/Vorgeschichte

Die hier vorgetragene Sichtweise ist selbstverständlich subjektiv und mitunter sehr konträr zu einigen anderen Blogposts. Ich glaube der eine Teil der Leser wird soll sie voll unterschreiben können, und der andere ablehnen.

Bundesparteitag Bremen (30.11/1.12.2013)

Auf dem Bundesparteitag mit 1085 Teilnehmern wurde ein neuer Vorstand gewählt: Thorsten Wirth (Vorsitzender), Caro Mahn-Gauseweg (Stellv. Vorsitzende), Björn Semrau (Pol. Geschäftsführer), Stefan Bartels (Schatzmeister), Stephanie Schmiedtke (Generalsekretärin), Veronique Schmitz (1.Stellv. GenSek), Gefion Thürmer (2.Stellv. GenSek). Wie üblich war die Vorbereitung der Teilnehmer mau und es mussten überwiegend spontane Bauchentscheidungen getroffen werden: Kandidaten wurden gewählt, obwohl die Mitglieder aus dem dazugehörenden LV vergeblich vor ihnen warnten und sie es nicht mal auf die BTW Liste geschafft hatten; statt einer Geschäftsordnung (GO) mit Befragung der Kandidaten von Angesicht zu Angesicht wurde eine mit absurder, kaum informativer und leicht manipulierbarer Urnenbefragung beschlossen; die Kandidaten waren nicht mal auf die beschlossene Satzungsänderung der Ämter vorbereitet, obwohl diese wochenlang zur Debatte stand; usw. Dennoch schien die Basis nach der Ablösung des früheren skandalbehafteten BuVos neue Hoffnung auf einen weniger zerstrittenen BuVo zu schöpfen.

Positionierung zur Rote-Flora Ausschreitungen Hamburg (21.12.2013)

Das erste Mal erregte der neue BuVo mit einer sehr einseitigen Positionierung zu den Rote-Flora Ausschreitungen Aufsehen, die der Polizei den schwarzen Peter für die Eskalation in die Schuhe schob und sich durch unterlassene Distanzierung mit gewalttätigen Autonomen solidarisierte - offenbar ohne mit den Mitgliedern vor Ort zu sprechen, denn diese wussten die Lage viel besser einzuschätzen und veröffentlichten eine differenzierte Stellungnahme. Selbstverständlich gab es großen Protest unter den Mitgliedern, doch der BuVo wollte nicht von seiner Position abrücken. Es fand eine breitere Diskussion zum Umgang mit Gewalt und der Autonomen Szene statt. Vielen Mitgliedern dämmerte erstmals, dass sie nicht gerade einen Kernthemen vertretenden Urpiraten zu ihrem Vorsitzenden gewählt haben könnten.

Bundesparteitag Bochum (4/5.1.2014) und Flaggengate

Kurz darauf fand die Aufstellungsversammlung (AV) zur Europawahl mit nur 767 Teilnehmern zusammen mit einem BPT statt. Auf die EU-Liste wurden u.a. gewählt 1. Julia Reda 2. Fotios Amanatides 3. Anke Domscheit-Berg 4. Bruno Gerd Kramm 5. Anne Helm, wobei unter diesen ersten 5 alle bis auf den 2. Kandidaten recht klar dem sehr linken Spektrum zuzuordnen sind. Ob dies an deren besserer Mobilisierung zu diesem mitgliederunfreundlichen Termin, dem Mangel an vergleichbar prominenten Gegenkandidaten oder den tatsächlichen Mehrheiten in der Partei lag, ist schwer einzuschätzen. Auffallend, aber typisch für die Piratenpartei ist, dass erst die Kandidaten gewählt und dann das Wahlprogramm verabschiedet wurde. Welche Bedeutung das Wahlprogramm für Kandidaten hat, scheint bis heute nicht geklärt zu sein, jedenfalls kann es keine Besondere sein, was man auch an den abweichenden Flyern und Wahlwerbespot erkennen kann. So war es offenbar nicht weiter von Bedeutung, dass der gemeinsame Vorschlag der Spitzenkandidatin und weiterer Listenkandidaten einem anderen Programmvorschlag unterlag - in anderen Parteien wäre das ein Eklat.

Viel höhere Wellen schlug das #Fahnengate: mit Genehmigung des Versammlungsleiters, aber nicht der Versammlung oder des Vorstands (ein VL-Mitglied behauptete dies jedoch), wurden zentral und im Stream gut sichtbar eine Antifa- und eine Anarchosyndikalistische Flagge aufgehängt. Auf diese ungefragte symbolische Vereinnahmung folgte ein Sturm der Entrüstung, der noch dadurch intensiviert wurde, dass die Versammlung keinen Weg sah, etwas dagegen zu unternehmen. Zum einen wurde die Möglichkeit, einen Antrag zur Abstimmung über diesen Sachverhalt auf die Tagesordnung zu hieven, von der VL verweigert, da die GO solche Anträge ab 15 Uhr nicht mehr zuließ, zum anderen wollten die meisten Teilnehmer den erfolgreichen Abschluss der unter Zeitmangel stattfindenden AV nicht durch eine langwierige Diskussion gefährden.

Das Flaggengate löste einen noch größeren Streit aus, der zu einer klaren Zwiespaltung in Befürworter und Gegner der Flaggen führte. Die weniger bekannte Anarchosyndikalismus-Flagge ging eher unter, war aber durch ihre Assoziierung mit Revolution und Sozialismus für viele Mitglieder politisch indiskutabel. Die Flagge der Antifa-Bewegung steht in der Wahrnehmung vieler Mitglieder für weit mehr als Antifaschismus, der in der Partei ohnehin selbstverständlich ist, nämlich für revolutionäre und linksradikale Bestrebungen. Da eine Bewegung mangels formeller Strukturen nicht Gewalttätige und andere Spinner ausschließen bzw. sich distanzieren kann, prägen diese besonders auffallenden Personen das Bild der Bewegung in der Öffentlichkeit. Dass dieses Bild nicht unnötig durch Solidarisierung auf die Partei übertragen werden sollte, kam Befürwortern nicht in den Sinn, die alles Negative der Bewegung ausblendeten. Einige Befürworter wurden sogar so unsachlich, dass sie die Ablehung der Antifa-Flagge mit Unterstützung von Faschismus oder mangelnder politischer Bildung gleichsetzten.

Molligate (Berlin, 7.2.2014) und Bombergate (Dresden, 13.2.2014)

Femen- und Piratenmitglied Mercedes Reichstein, die für den LaVo Berlin kandidierte, warf bei einer Femen-Aktion am 7.2. einen Brandsatz auf die russische Botschaft um halbnackt vermeintlich für die Rechte von Homosexuellen in Russland zu protestieren. Die Aktion soll zu diplomatischen Konsequenzen für Deutschland geführt haben - bei anderen Parteien wäre solch ein Mitglied hochkant hinausgeflogen. Doch bis heute hatte dies mW weder eine offizielle Distanzierung der Partei von dieser Aktion noch innerparteiliche Konsequenzen für das betreffende Mitglied zur Folge.

Kurz darauf protestierte sie zusammen mit der EU-Listenfünften und BVV-Abgeordneten Anne Helm halbnackt aber teils vermummt am 13.2 in Dresden. Anne Helm trug dabei die skandalöse Aufschrift "Thanks Bomber Harris", die öffentlich als Verhöhnung der Opfer der alliierten Bombardierung im 2. Weltkrieg aufgenommen wurde. Daran änderten auch die Rechtfertigungen von Anne Helm und anderen der antideutschen Szene zuzurechnenden Personen nichts. Selbst [ Femen distanzierte] sich umgehend von dieser antideutschen Aktion. Mit Hilfe von frühereren Nacktprostestbildern und den charakteristischen Tattoos von Anne Helm war es leicht ersichtlich, dass es sich bei der Vermummten um sie handelte. Dies bestritt sie jedoch gegenüber dem Vorstand und ihrem befreundeten Bundesvorsitzenden. Entsprechend peinlich war es für die Pressesprecherin, zuerst die Teilnahme von Helm zu dementieren und später, nachdem es Helm nicht mehr leugnen konnte und öffentlich zugab, wieder zu revidieren - ganz zu schweigen von dem massivem Vertrauensbruch gegenüber dem Vorstand und der Partei.

Wie schon bei Reichstein hatte auch diese Aktion keinerlei innerparteiliche Konsequenzen (Ordnungsmaßnahmen) zur Folge. Der Vorstand und ihre Freunde verlangten hingegen für Helm ausschließlich Solidarität als Opfer von Anfeindungen aus der rechtsextreme Ecke. Kritik, dass sie diese Reaktionen wohlwissend mit ihrer Aktion provoziert habe und damit auch dem Ansehen der Partei schade, wurde als innerparteiliche Gehässigkeiten abgebügelt. Vorschläge, rechtzeitig von ihrem ohnehin aussichtslosen 5.EU-Listenplatz zurückzutreten (Teilrücknahme §12(2) EUWG) oder gegenüber dem Wahlleiter ihren Verzicht auf ein mögliches Mandat zu erklären (§21(2) EUWG), wurden ignoriert, obwohl sie dadurch nicht nur aus der Schusslinie getreten wäre, sondern auch Glaubwürdigkeit gewonnen hätte. Stattdessen hielt sie stur an ihrem Listenplatz fest und bestätigte das negative Image von Politikern, die an Posten kleben und aus ihren Fehlern keine Konsequenzen ziehen. Es ist kein Wunder, dass diese Umstände Mitglieder noch mehr auf die Palme brachten.

Orgastreik (21.2.2014)

Auf Grund des anhaltenden Streits und immer respektloseren Umgangs der Mitglieder untereinander, stellten ein erheblicher Anteil der bisher still im Hintergrund arbeitenden Verwaltung und IT der Partei ihr Engagement in Frage. Sie erkannten die Partei, der sie einst beigetreten waren, nicht wieder und waren dem Austritt nahe. Um die Partei nicht vor vollendete Tatsachen und damit massivem, irreversiblen Schaden zu stellen, beschlossen sie ein deutliches Warnzeichen zu geben. Dies bestand in einem fast eintägigem Umleiten einiger interner Piratendienste wie Wiki oder Mumble auf eine Streikseite. Es gab bekannte Ausweichmöglichkeiten für diese Dienste. Die Pads wurden auf Bitten von Benutzern innerhalb von 2Std wieder aktiviert. Der Vorstand durfte jederzeit den "Warnstreik" beenden, billigte dies jedoch. Da die Mitglieder erfahrungsgemäß reine Absichtserklärungen nicht ernst nehmen, schien dies ein angemessenes Mittel um Aufmerksamkeit für ihre Anliegen zu gewinnen. Gleichzeitig wurde dadurch vielen bewusst, wie sehr die Partei von wenigen ehrenamtlichen Kräften abhängig ist, die statt Lob bestenfalls das zu hören bekommen, was nicht funktioniert. Hätten die ehrenamtlichen IT-Mitglieder stattdessen einfach fristlos ihre Arbeit eingestellt, wären sämtliche Dienste schon einen Tag später bei dem Ausfall des RAID-Speichers zur Folge gehabt und wäre längerfristig nicht nutzbar gewesen. Trotz dieser sorgsam abgewogenen Warnaktion wurden die Orgastreiker von einigen Aggressoren öffentlich als Erpresser, Verräter und Saboteure beschimpft, ihnen Anzeigen angedroht oder gar Morddrohungen ausgesprochen. Die Auswirkungen auf ihre weitere Motivation kann man sich denken.

Marina Kassel (1-2.3.2014)

Da vom Bundesvorstand vergeblich auf Maßnahmen zur Entspannung des Konflikts (z.B. Distanzierungen) gewartet wurde, aber nur ausweichende Reaktionen kamen, sahen sich etliche Landesvorstände dazu veranlasst, eigene Erklärungen abzugeben und sich insbesondere zur FDGO zu bekennen. Spätestens nach der frustrierenden Marina Kassel war vielen Mitgliedern klar, dass zumindest vom Bundesvorsitzenden überhaupt keine Einsicht zu erwarten ist.

Austrittswelle und #keinHandschlag

Auf Grund des immer mehr eskalierenden Streits, den katastrophalen Umfragewerten und keiner Aussicht auf Verbesserung sahen sich zunehmend Mitglieder zum Austritt verlasst. Darunter waren auffallend viele prominente, sehr aktive und erfahrene Mitglieder. Andere gingen still. Ein paar Vorstände versuchten gar sich die Zahlen schön zu rechnen, indem sie die Austritte von für die Partei sehr wertvoller Aktiver, deren Schmerzgrenze nun erreicht war, mit der Anzahl von neuen online-Mitgliedsanträgen gegenüberstellten. Andere Mitglieder wollten die Partei noch nicht vollends aufgeben, kündigten aber im Rahmen der #keinHandschlag Aktion an, keinen Finger mehr für Wahlkampf und Partei zu rühren, solange sich die Zustände nicht ändern und es Konsequenzen gibt. Während einige lieber einen Richtungsstreit zwischen "links" und "sozialliberal" sahen, nahmen andere eher einen Methodenstreit zwischen "autoritär-fundamentalistisch" (Blockempfehlung, "wer nicht für uns ist, ist gegen uns") vs. "leben und leben lassen" wahr. Denn auch einigen sich selbst sehr "links" einschätzenden Mitgliedern fiel das rücksichtslose Verhalten und Durchsetzen von eigenen Zielen einer kleinen, aber aggressiven Gruppe auf.

Rücktritt der Vorstandsmitglieder (16.3.2014)

Auch ein Teil des Bundesvorstandes (Stefanie Schmiedtke, Björn Semrau und Stefan Bartels) sah, wie der Streit in der Partei immer mehr eskalierte, ohne dass eine Lösung in Sicht war. Sie versuchten vergeblich im Vorstand einen vorgezogenen ordentlichen Bundesparteitag durchzusetzen, um der Basis die Möglichkeit zu geben, demokratisch ihre Konflikte zu lösen. Wie auch bei anderen Entscheidungen fanden sie sich in der Minderheit und somit in der ohnmächtigen Rolle eines Zuschauers eines Autounfalls in Zeitlupe. Der Vorstand war bereits vollkommen innerlich zerrüttet. Der Vorstand hatte sich absurderweise zu einem Konsenszwang für öffentliche Positionierungen verpflichtet, so dass bereits eine einzelne Person einen Vorschlag mit ihrem Veto blockieren konnte - eine Verletzung des Demokratieprinzips und eine Erklärung für ausbleibende Konfliktlösungsansätze durch den Bundesvorstand. Da diese BuVo-Mitglieder diese Zustände nicht mehr verantworten konnten, beschlossen sie gemeinsam, unmittelbar nach den Kommunalwahlen in Bayern zurückzutreten. Die Rücktritte wurden schon frühzeitig angedeutet und für aufmerksame Beobachter keine Überraschung. Gefion Thürmer wurde eine Woche zuvor in Kenntnis gesetzt. Die Rücktritte hatten den Nebeneffekt, dass der Bundesvorstand handlungsunfähig wurde und schnellstmöglich einen außerordentlichen BPT einberufen muss, um einen neuen, hoffentlich kompatibleren Vorstand zu wählen.