Benutzer:Bzapf/Wahrheit

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Ein Versuch über Wahrheit

Bei Diskussionen innerhalb der Piratenpartei tauchen oft die folgenden Begriffe auf: Wahrheit, Recht, Meinung (auch gerne das Gegensatzpaar Objektiv/Subjektiv), Wahrnehmung, politische Entscheidung, Realität. Ich will versuchen, diese zu differenzieren.

Es gibt eine Realität, und zwar genau eine. Diese ist die Ursache für alle Phänomene, der Hintergrund, vor dem sich unser aller Leben abspielt. Die Weltkugel, die Sonne, die Sterne und alles andere sind real, wie unser aller Leben real ist. Staaten sind real, Geld ist real, Polizei ist real.

Ich kann diese Realität vermittels meiner Sinnesorgane wahrnehmen, das funktioniert "eher schlecht als recht", ist also zunächst nur eine beschränkte Sicht. Ich kann mir deswegen eine Meinung bilden, diese ist "Subjektiv", also auf mich beschränkt. Was ich aber auch kann, ist, eine Meinung über die Realität auf die Probe zu stellen. Man nennt diesen Vorgang gemeinhin Experiment und es ist anderer Stelle so viel darüber geschrieben worden, dass ich diesem kaum etwas hinzufügen kann.

Wenn ich also sage, ich bin der Überzeugung, eine (vielleicht meine) Meinung entspräche der Wahrheit, sage ich damit genau, dass ich keinen Widerspruch zwischen meiner Meinung und meinen Wahrnehmungen entdecke. Ich beanspruche also, meine Meinung sei objektiv die Wahrheit. Das ist wohlgemerkt weder eine Mehrheitsentscheidung noch eine juristische noch eine politische.

Wegener stand mit seiner Theorie der Kontinentalverschiebung im Spott. Erst nach seinem Tod wurde diese Bestandteil der "allgemein anerkannten Wahrheit". Gerichte maßen sich zwar gelegentlich an, über Wahrheitsgehalte zu entscheiden, aber zunächst ist das nicht ihre Aufgabe und dann haben auch sie keine Möglichkeit der Findung der letztgültigen Wahrheit. Sie haben bloß die Möglichkeit der Findung des letztgültigen Rechts, was zugleich ihre Aufgabe ist: innerhalb kurzer Zeit gültiges Recht zu finden.

Der Bezug der politischen Entscheidung zur Wahrheit ist noch ein anderer: Eine politische Entscheidung kann rechtens getroffen werden oder unrechtens. Beide Male kann sie wahrhaft getroffen worden sein. Wenn z.B. eine Mehrheit im guten Glauben, sie dürfe das so, entscheidet, einem sei der Kopf abzuschneiden, und das getan wird, ist das die Wahrheit und eine politische Entscheidung, aber innerhalb Deutschlands derzeit Unrecht, da niemand jemand anderem den Kopf abschneiden darf.

Dies sagt aber nichts aus über die Möglichkeit der politischen Entscheidung, Wahrheit zu enthalten. Dies ist ein eher subtiler Unterschied: Eine politische Entscheidung kann wahrhaft getroffen worden sein, aber eine Lüge enthalten. Wenn zum Beispiel Frau Merkel vom Bundestag aus dem Amt der Kanzlerin der Bundesrepublik Deutschland abgewählt würde, weil sie sich letzten Donnerstag ihr Gesicht Blau angemalt hat und das inakzeptabel sei, sagt das nicht, dass sie dies tatsächlich getan hat. Es sagt nicht einmal, dass dies, wenn sie es getan habe, tatsächlich inakzeptabel sei. Man kann auf politischem Wege (etwa: mit einer Abstimmung oder mit einer Umfrage) nicht die Wahrheit ermitteln, man kann nur bestenfalls eine Handlungsempfehlung ermitteln. Dabei sollte man sich davor hüten, über die Wahrheit zu sprechen, Erfahrungsgemäß fällt die in der Politik recht häufig unter den Tisch.

Unter diesen Umständen sich anzumaßen, davon zu sprechen, Parteivorstände, Mehrheiten, Beamte oder irgendwelche anderen Menschen sollten Macht über andere Leute haben - auch nur, zu entscheiden, wo diese reden dürften und wo nicht - ist Hybris. Hybris, wie sie zwar vielleicht üblich ist, deswegen aber noch lange nicht akzeptabel. Das ist genau die Hybris, vor der uns das Grundgesetz (Artikel 4 und 5 z.B.) warnen will. Hybris und Macht in denselben Personen vereint führen in die Katastrophe. Das ist nach wie vor eine der wesentlichen Lektionen der Geschichte.

Und: [1]