Archiv:2008/Piratenmagazin/Nachbeben ein Folgeartikel zum Internetdebakel

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  • Verfasser: Janis Ian / Jamasi
  • Erstellt am: 26.01.2008
  • Rechte: normales Urheberrecht
  • Stand: fertig, gegengelesen von Hoshpak


Intro

In einem auch im letzten Piratenmagazin veröffentlichten Artikel schilderte Janis Ian, eine bekannte und erfolgreiche Musikerin, ihre positiven Erfahrungen mit Filesharing und äußerte sich Kritisch zum Verhalten der amerikanischen Medienindustrie. Dieser Artikel stieß bei der erstmaligen Veröffentlichung im "Performing Songwriter Magazine" auf derart viel Resonanz, daß sie noch einen Folgeartikel schrieb. Zur damaligen Zeit war P2P noch ein relatives Novum und sie somit eine Pionierin der "pro-Filesharing-Bewegung". Daß diese Methoden auch heute noch funktionieren, zeigt das Beispiel von Paulo Coelhos, der in Eigenregie ein Blog mit ed2k-Links zu Übersetzungen seiner Bücher ins Netz gestellt hat. Durch diese, seinem Verlag zunächst sicher nicht genehme Aktion, konnte er jedoch seine Popularität und dann auch seinen weltweiten Absatz an Büchern merklich steigern. (Quelle)

Das Thema ist also immer noch aktuell und nun geben wir das Wort an Janis Ian:

Nachbeben - ein Folgeartikel zu "Das Internet-Debakel"

I. Der ursprüngliche Artikel

Offen gestanden, als ich drei Monate lang für Das Internet-Debakel recherchierte und den Artikel schrieb, hatte ich nicht geplant, Teil einer Mission zu werden. Ich dachte, die 35.000 Abonnenten des Performing Songwriter Magazine würden ihn lesen, und einige davon darüber eMails mit mir austauschen. Ich hatte keine Ahnung, daß der Artikel kaum einen Monat später auf über 1.000 Seiten veröffentlicht, in neun Sprachen übersetzt, und von BBC vorgestellt werden würde.

In den letzten zwanzig Tagen habe ich über 2.200 eMails von verschiedenen Absendern erhalten. Ich habe jede einzelne selbst beantwortet und dabei eine Weiterbildung genossen, die ich nie geplant hatte. Ich habe Briefe mit Anwälten, Schülern, Abgeordneten, leitenden Angestellten und Hackern gewechselt. Und ich fühlte mich zu einem guten Teil davon der Sache nicht einmal gewachsen.

Ich bin in keinster Weise qualifiziert, die meisten mir gestellten Fragen zu beantworten, obwohl ich mein Bestes getan oder sie an jemand anderen weitergeleitet habe. Die Dinge hier sind viel, viel zu groß, als daß ich sie alle auflösen könnte. Ich habe nur über das Herunterladen, Plattenfirmen, und Musikkonsumenten geschrieben; innerhalb weniger Tage fand ich mich dabei wieder, mir selbst solche Fragen zu beantworten wie "Wem gehört die Kultur?". Dauer der Urheberrechte, Fair Use des Netzes, wie sich das alles auf Büchereien auswirkt - all dies sind Dinge, über die ich vorher nicht sonderlich viel nachgedacht habe.

Als ich begann, Nachforschungen für den ursprünglichen Artikel anzustellen, war ich unentschieden; aber je mehr ich forschte, desto mehr habe ich die Schlußfolgerungen gezogen, die ich im Debakel-Artikel beschrieben habe. Seit Erscheinen des Artikels hatte ich nur wenige Wochen Zeit. Darüberhinaus war ich die ganze Zeit auf Tour, also hatte ich nicht die Möglichkeit, die meisten dieser Fragen zu recherchieren. Ich möchte Jim Burger und anderen Anwälten und Fans danken, die mir freundlicherweise Artikel und Gerichtsurteile zusandten, um sie außerhalb des Netzes zu lesen, während ich im Auto unterwegs zur nächsten Stadt war.

Denke ich immer noch, Herunterladen schade der Musikindustrie nicht? Ja, absolut. Würden Konsumenten meiner Meinung nach Platten kaufen, obwohl sie sie herunterladen können, wenn die Industrie anfangen wird, die Produkte herzustellen, die sie wirklich haben wollen? Ja. Wasser kostet nichts, aber viele von uns trinken Mineralwasser, weil's besser schmeckt. Man bekommt Kaffee im Büro, aber trotzdem geht man eher auf einen Kaffee oder Espresso ins Stehkaffee um die Ecke, weil es dort besser schmeckt. Wenn Plattenfirmen anfangen, CDs herzustellen, die uns Käufern einen Grund bieten, sie zu kaufen, werden wir sie kaufen (siehe hierzu Kevins eMail am Ende dieses Artikels). Die Lieder mögen im Netz frei sein, aber die CDs werden besser schmecken.

II. Meine Schlußfolgerungen bis jetzt

Warum sind Plattenfirmen auf so einer harten Linie? Ich schätze, es geht ausschließlich darum, ihr vom Internet herausgefordertes Geschäftsmodell zu schützen. Ihre Profite kommen von einigen Kassenschlagern. Wenn die Industrie sich an eine abwechslungsreichere Kundschaft wandte, würden unabhängige Firmen und Künstler florieren - zum Nachteil der großen Firmen... Ein schlagender Beweis dazu ist die Aussage eines RIAA-unterstützten Ökonoms, der dem Regierungsgebührenausschuß erzählte, eine dramatische Gesundschrumpfung von Webradios sei unausweichlich und erstrebenswert, weil sie Marktkonsolidation mit sich bringen wird. (Labels to Net Radio: Die Now, Steven Levy in Newsweek, 15. Juli 2002)

Soweit ich das sehe, gibt es drei maßgebliche Probleme, die die strenge Antwort der Industrie auf das Konzept, Musik aus dem Internet herunterzuladen, erklären:

  1. Kontrolle. Die Musikindustrie ist nicht anders als andere sehr große Organisationen, sei es Mobil Oil oder die Römisch-Katholische Kirche. Wenn sie sich einer neuen Technologie oder einem neuen Produkt gegenübersehen, das ihre Geschäfte revolutionieren wird, ist ihre Antwort vorhersehbar:
    1. Zerstöre es. Und wenn das nicht geht,
    2. Kontrolliere es. Und wenn das nicht geht,
    3. Kontrolliere die Konsumenten, die es verwenden wollen, und durch die Gesetzgebung auch die Gesetze, von denen erwartet wird, daß sie diese Verbraucher schützen.
    Das gilt nicht nur für die Unterhaltungsindustrie. Diese Mentalität gehört zum Stoff unseres täglichen Lebens. Filmstudios klagten gegen die Herstellung von Videorekordern und den Verkauf von Video-Leerkassetten, mit Jack Valenti (Motion Picture Association of America-Präsident), der vor dem Kongreß aussagte, der Videorekorder sei für die Filmindustrie das gleiche wie der Würger von Boston für eine Frau alleine in der Nacht - und trotzdem macht der Gewinn aus Videoverkäufen jetzt für die Filmindustrie mehr Gewinn aus, als der Film selbst. Als Ignaz Semmelweiß herausfand, daß es das Kindbettfieber ausmerzt, wenn man sich die Hände wäscht, bevor man eine Frau bei der Geburt versorgt - und das zu einer Zeit, als über 50% der in Krankenhäusern Gebährenden daran starben -, machten sich seine Kollegen über ihn lustig und weigerten sich, es zu tun. Kein eingegrabenes Modell hat je eine neue Technologie (oder Idee) angenommen, ohne unter den begleitenden Geburtswehen zu leiden.
  2. Stasis. Die Industrie arbeitet immer noch nach Gesetzen und Konzepten, die in den 30ern und 40ern entwickelt wurden, vor Kassetten, vor tragbaren HiFi-Geräten, vor MP3 und Dateitausch und dem Internet. Es ist weit einfacher, darauf zu bestehen, daß die neuen Technologien unter alte Rechtsprechung fallen, als neue Gesetze zu verabschieden, die alle existente Technologie umfassen. Es ist viel einfacher, einen Sündenbock zu finden, als die eigene Geschäftsführung zu hinterfragen. Wie man sagt: Man kann nicht für's Neinsagen gefeuert werden.
  3. Der Traum vom Fortschritt. Die Versprechen, die jedem von uns während unseres Lebens als Einwohner der westlichen Welt gemacht werden, stillschweigend oder anders. Der Traum, den wir erben, wenn jede neue Generation eingeschult wird - daß wir freier sein werden als unsere Großeltern, erfolgreicher als unsere Eltern, und für unsere Kinder eine bessere Welt bauen werden. Die Versprechen, die von unseren Schulbüchern, unseren Staatsoberhäuptern, und unserer Kultur während unserer gesamten Kindheit gemacht werden: Gute Bezahlung für ein Tagwerk, und das Recht zu streiken. Das Recht, eine unbefriedigende oder ausbeuterische Arbeit zu verlassen. Freiheit von erzwungener Knechtschaft. Die Grundlage, daß jeder Bürger ein Wahlrecht hat, und niemand je wieder Sklave genannt wird. Das Versprechen, daß Büchereien und Grundbildung quasi gratis sind und es bleiben werden. Das sind keine Ideen, die ich mir impulsiv ausgedacht habe; das ist, was uns von der Kultur, in der wir aufwachsen, gelehrt wird. Und von all dem, was uns beigebracht wird, herrscht eine Sache immer vor - in einer Demokratie ist es das Volk, das regiert. Es ist das Volk, das seine Regierung wählt. Wir wählen unsere Gesetzgeber, damit sie Gesetze verabschieden, die für uns gemacht sind. Wir bezahlen tausende Richter, Polizisten, Beamten, die die Gesetze umsetzen, die zu verabschieden wir unsere Vertreter wählen.
    Es ist das Versprechen, daß unsere Regierung den Willen des Volkes, und nicht den der Großfirmen, unterstützt, was dieses Thema so niederschmetternd macht - und zur gleichen Zeit so hoffnungsvoll.
    Wenn man Disney erlaubt, zwei Clowns mit Klage zu bedrohen, die es wagen, aus drei Ballons Mäuse zu machen und sie Mickey zu nennen, ist das keine Sache des Volkes. Wenn Senator Hollings mehrere hunderttausend Dollar (ca. 90.000€) an Wahlkampfspenden von großen Unterhaltungskonzernen annimmt und dann vorgibt, Geld habe nichts mit seinem Standpunkt zum Herunterladen zu tun, während er seine eigenen Wähler Diebe nennt, hat das Volk daran keinen Anteil. Wenn die Repräsentanten Berman und Coble ein Gesetz einbringen, das Filmstudios und Plattenfirmen erlaubt, Ihren Rechner außer Betrieb zu nehmen, zu blockieren oder anders zu beeinträchtigen indem Viren und Würmer auf Ihre Festplatte aufgespielt werden sobald sie nur vermuten, daß Sie Dateien tauschen, ist es das Volk, das dadurch gefährdet wird. Und das Volk ist schlecht vertreten, wenn die Geschäftsführerin der RIAA dieses Gesetz als einen innovativen Ansatz, das ernsthafte Problem der Internetpiraterie in den Griff zu bekommen kommentiert - anstatt zuzugeben, daß es einen riesigen Schritt der Konzerne in ein Ödland darstellt, das selbst unsere Regierungsnachrichendienste nicht zu betreten wagen. (Hilary Rosen, in einer Stellungnahme zitiert von Farhad Manjoo, Salon.com Juni 2002)

III. Ein hoffnungsvoller Gedanke

Wenn man Kopien in Schulen scharf einschränkt, wenn wir jemandem ein Softwarepatent über Grundfunktionen geben, wird irgendwann der frei zugängliche öffentliche Besitz so geschrumpft sein, daß Schöpfer in Zukunft vom Schaffen abgehalten werden, weil sie sich die benötigten Rohmaterialien nicht mehr leisten können. Ein System von geistigem Eigentum muß sicherstellen, daß der fruchtbare öffentliche Besitz nicht zu einer Brachlandschaft von eingemauerten Grundstücken wird. (James Boyle in der New York Times, 31. März 1996.)

Ich habe gesagt, die Nachforschungen und die Informationen, die ich während der letzten drei Wochen erhalten habe, haben mich hoffnungsfroh gemacht, und ich meine das auch so. Denn ich weiß, daß, obwohl die RIAA und die sie unterstützenden Firmen 55 Millionen US$ (ca. 49 Millionen €) pro Jahr für Lobbyarbeit im Kongreß und vor Gericht ausgeben können, sie es sich nicht leisten können, sich jedem Musikkäufer da draußen zu entfremden. An diesem Punkt wird es einen Generalstreik geben, davon bin ich überzeugt. Nur eine Woche, in der Leute sich weigern das Radio einzuschalten, Produkte zu kaufen, oder unsere Industrie in irgendeiner Weise zu unterstützen, würde Muskeln anspannen, von denen sie bisher keine Ahnung haben.

Und ich weiß daß, obwohl Firmen unbeschränkt Geld für Kampagnen ausgeben können, nur das Volk eine Regierung wählen kann. Ich glaube, daß es für einen Politiker kein Lobbygeld wert sein wird, abgewählt zu werden.

Aus diesen Gründen, meine Freunde, habe ich Hoffnung. Weil ich weiß, daß in Demokratien Wählerstimmen zählen. Weil ich weiß, daß das Recht gewinnen wird, wenn genügend Leute diese Thematik verstehen und dementsprechend wählen. Eine Gesetzgebung wird an die Macht kommen, die den Willen des Volkes in Erwägung ziehen wird, und ihrem Recht zu lernen mehr Gewicht geben wird als dem Recht auf Kontrolle durch Disney. Internetradio, momentan gefährdet, wird außer Landes gehen wenn nötig, so daß die Hörer tausende von Liedern anstatt einer engen Liste hören können. Die RIAA wird eine kleine Fußnote auf den Seiten der Internetgeschichte werden, und das Volk wird gesiegt haben - wieder einmal. Ein bescheidener Vorschlag für ein Experiment, der zu einer Lösung führen könnte:

Die Plattenfirmen haben Napster erschaffen, indem sie eine Lücke für Napster zum Füllen ließen. (Jon Hart und Jim Burger, Wall Street Journal, 2. April 2001)

  1. Alle Plattenfirmen schließen sich zusammen und kreieren eine einzige große Webseite, auf der alle Sachen aus ihren Katalogen, die momentan vergriffen sind, verfügbar sind, und erklären sich bereit, das Experiment für ein Jahr fortzuführen.
    Das könnte das Experiment sein, daß die ganze Problematik zum Herunterladen ein für alle Mal aus der Welt schafft, ohne Gefahr für die beteiligten Parteien. Durch die Benutzung des Katalogs von vergriffenen Werken würden Plattenfirmen, Komponisten und Sänger kein Geld verlieren; der Katalog steht momentan nur im Lagertresor rum. Und Fans können eine Gelegenheit haben, auf Worte Taten folgen zu lassen; wenn die meisten Leute tatsächlich einen angemessenen Preis für heruntergeladene Musik zahlen wollen, sollte die Auslastung dieser Seite exzellent sein. Wenn die meisten Leute von Seiten wie Napster tatsächlich Musik herunterladen, weil es so viel Material nicht mehr in Geschäften zu kaufen gibt, sollte die Auslastung dieser Seite unglaublich gut sein.
  2. Die Seite bietet in diesem Teil des Experiments ausschließlich Musik zum Herunterladen an.
    Weil alle angebotenen Stücke auf CD nicht verfügbar sind, gäbe es keinen Grund, Zeit und Geld zu investieren, um auf Seiten zu verweisen (oder Seiten von Plattenfirmen zu erstellen), wo Interessenten sie auf CD kaufen können. Das stellt auch sicher, daß das Experiment rein bleibt und sich nur mit dem Herunterladen von Musik beschäftigt. Es würde auch Künstler wie mich hindern, ihre noch auf CD verfügbaren Stücke anzubieten und so die Ergebnisse zu verfälschen.
  3. Jetzt kommt der schwierige Teil ins Spiel. Alle Plattenfirmen erklären sich einverstanden, um des Experiments willen, und weil diese Stücke sowieso ungenutzt im Wasser treiben, einen mehr als angemessenen Preis für jedes aufgerufene Stück zu verlangen.
    Wenn ich angemessen sage, spreche ich nicht von 1,50 US$ (€1,33) pro Lied; das ist Wucher, wenn eine brandneue 17-Lieder-CD zwischen 12,99 US$ (€11,55) und 16,99 US$ (€15,10) kostet. Ich denke an etwas in der Größenordnung von einem Vierteldollar (€0,22) pro Lied. Ich habe vor kurzem einen Bericht gelesen, der zeigte, daß in der Blütezeit von Napster Plattenfirmen, wenn sie sich darauf geeinigt hätten, auch nur ein Fünf-US-Centstück (€0,045) pro heruntergeladenem Lied zu verlangen, unter sich 500.000 US$ (ca. €444.400) pro Tag, 24 Stunden am Tag, 52 Wochen im Jahr, hätten aufteilen können.
    Plattenfirmen müßten sich einverstanden erklären, daß es kein Limit gibt, wieviele Lieder man herunterladen kann, solange man für jedes zahlt; das ist ein Hauptgrund, warum ihre eigenen Seiten nicht erfolgreicher waren.
  4. Indem man den Preis so niedrig hält, erreicht man:
    1. Die Konsumenten werden ermuntert, die Seite zu nutzen, selbst diejenigen unter uns, für die Herunterladen mit einem MoDem zeitaufwändig und mühsam ist.
    2. Eine Menge großartiger, alter Musik wird verbreitet - und Musik, wie jede Kunstform, baut auf dem Fundament auf, das die Vorläufer gelegt haben. Wenn ein so großer Teil des Kataloges vergriffen ist, wachsen ganze Generationen auf, ohne je die Originale gehört zu haben, sondern nur die Klone. Es ist immer besser, auf der echten Sache aufzubauen.
    3. Einen großen Anteil an der Wiedergewinnung der Glaubwürdigkeit der Plattenfirmen in den Augen der Kunden - faktisch könnte man es wie ein Geschenk aus Dankbarkeit für die Treue, die alle Verbraucher über die Jahre gezeigt haben, aussehen lassen! Und obwohl ich weiß, das das im Augenblick für das Geschäftsmodell der Konzerne irrelevant aussieht, wird das im Zuge der Globalisierung immer wichtiger werden, während das Mißtrauen gegenüber großen Konzernen wächst und immer mehr Leute zurück zu Markentreue gehen. Wenn Sony einsichtig ist, und BMG nicht, wird die Marke Sony früher oder später den Markt erobern, und BMG wird mitgehen oder untergehen müssen. Das ist Kapitalismus von seiner besten Seite, nicht?
  5. Und nicht zuletzt würden die erhaltenen Gelder gerecht verteilt werden. Ich bin kein Ökonom, aber das Modell könnte etwa so aussehen:
    1. Die Plattenfirmen hätten die Hauptarbeit, die Seite zu erstellen. Aber es gibt viele Arten für sie, Geld durch dieses Experiment zu machen, ob es nun funktioniert oder nicht. Wenn sie ein wenig darauf achten, von welchen Alben die meisten Lieder heruntergeladen werden, kann die massive Propagierung ihrer vergriffenen Stücke in kurzer Zeit eine ganz neue Subindustrie schaffen. Es ist gut, wenn sie für ein gemeinsames Projekt ihre Ressourcen zusammenlegen; wenn nichts anderes, wird das ihre konstanten Klagen für einige Zeit stoppen.
    2. Ein angemessener (schon wieder dieses Wort) Betrag würde von jedem heruntergeladenen Stück abfließen, um die Kosten zu decken. Die würden nicht, wie traditionell üblich, vollständig von den Künstlern und ihren Nachkommen getragen. Es würde zwischen allen beteiligten Parteien aufgeteilt - Firmen, Sänger, Komponisten. Die Kosten würden einer Schranke unterworfen, so daß Firmen keine Mittel zur Bezahlung ihrer normalen Operationskosten abzweigen könnten. Und die Kontostände würden monatlich auf der Seite veröffentlicht, so daß sie jeder prüfen kann. Wenn man dies tut, könnte man das Anfangsexperiment sogar gemeinnützig machen und die Kosten für Erstellung und Betrieb der Seite absetzen! Plattenfirmen könnten keine Rechnungen mehr für Lagerkosten, Illustrationen, Spenden nach Übersee usw. stellen; Verbraucher könnten wieder anfangen, ihnen zu trauen.
    3. Von diesem Punkt an teilt man, und man teilt gleichmäßig. Man läßt die Plattenfirma, den Künstler, den Komponist und den Verleger den Gewinn gleichmäßig unter sich aufteilen. Lachen Sie nicht! Die Kosten für das Album sind schon bezahlt, egal was Sie ihnen erzählen, und die einzigen hiermit verbundenen Kosten sind es, das Material ins Netz zu stellen, und dann die Seite selbst zu warten. Und wieder, das Material liegt momentan einfach nur auf Halde; es werden keine Gewinne mehr davon erwartet. Die Komponisten, die traditionell mehr als die Sänger bezahlt bekommen, würden angemessen entlohnt und hätten keinen Grund zur Klage. Und die Sänger würden endlich einmal für die Werke bezahlt, die sie aufgenommen haben.
    4. In einer idealen Welt wären verschiedene Dateiformate verfügbar - wav, MP3, Ogg Vorbis und andere. Vielleicht würde man ein kleines bißchen mehr für eine höhere Abtastrate verlangen. Und wie die Plattenfirmen würden alle Firmen, die die Programme für diese Formate besitzen, diese für das Experiment auf Spendenbasis zur Verfügung stellen, bei zukünftigen Geschäftsmodi auszuhandelbar, wenn das Experiment Erfolg hat. Was für eine großartige Möglichkeit für Verbraucher, selbst zu entscheiden, welches ihnen gefällt! Was für eine großartige Möglichkeit für Softwarefirmen, zu beweisen, daß ihre Programme besser sind!

Es gibt alle möglichen Methoden, die man verwenden kann, sobald man weiß, ob dies auch funktioniert. Zum Beispiel:

  1. Stellen Sie sich ein Internet vor, in dem es eine riesige Musikseite gibt, leicht zugänglich für jeden mit einem MoDem und einem Rechner. Die Seite bietet zu angemessenen Preisen alle jemals aufgenommenen Musikstücke zum Herunterladen an, und verweist Sie dann entweder zum direkten Verkauf, oder zu anderen Seiten, wo man die Musik auf CD, DVD, oder in anderen Formaten kaufen kann. Wäre das nicht großartig, nach dem Namen eines Künstlers zu suchen, und im wahrsten Sinne des Wortes alles hören zu können, was er je geschaffen hat?
  2. Verweise könnten von einem Künstler und seinen Werken gelegt werden zu Zeitungsartikeln, Streaming-Videos (ich weiß, ich weiß, aber bis wir alle einen Dateistrom genauso einfach auf DVD brennen können, wie wir vom Fernseher auf Video aufnehmen können, ist das kein ernsthaftes Thema), besonderen Illustrationen, Gesprächen, Filmen, Konzertberichten, selbst Gitarrenlektionen.
    Netzkameras könnten die Konzerte eines Künstlers übertragen, und zwar von überall in der Welt, damit die Fans, die nicht nach Japan fahren können, die Möglichkeit haben, zu sehen, wie sich die Konzerte dort unterscheiden. Konzertorte, die Live-Netzkameras betreiben, könnten ihre eigenen Unterseiten im Netz haben und einen Anteil vom Eintrittspreis für das Konzert dafür verlangen. Sie könnten sogar verknüpft werden mit Rundfahrten in die umliegende Region, Gesprächen mit örtlichen Fans und Künstlern, und dergleichen mehr. Wer weiß - die Musikindustrie könnte damit sogar eine ganze globale Generation weiterbilden. Es würde die Konzertverkäufe nicht beeinflussen, weil die Leute, die zu einem Konzert gehen, etwas völlig anderes bekommen, als diejenigen, die es zu Hause an einem Schirm anschauen. Ansonsten hätten MTV und VIVA Veranstaltungsorte schon vor Jahren in den Konkurs getrieben.
  3. Zuletzt und am wichtigsten könnten Künstler und Verbraucher sich fühlen, als seien sie Teil von einer größeren Sache, und sogar Partner der Musikindustrie werden. Und diese Industrie könnte, anstatt mit drakonischen Maßnahmen und Schutzvorkehrungen zu antworten, sich als echter Teil der Gesellschaft fühlen - und dabei helfen, die künstlerischen und intellektuellen Ressourcen eines Landes, und der ganzen Welt, weiterzuentwickeln.

Der Westen hat seine Kultur immer exportiert; das ist unser Hauptweg in die Herzen des Rests der Welt. Statt das aufzugeben, sollten wir es auf eine neue Art und Weise laufen lassen und die ersten und besten damit sein. Es ist eine schöne neue Welt da draußen, und jemand wird sie sich nehmen.

Und nun zum unterhaltsamen Teil:

  • Empfangene eMails: 1.268 zum Stand 30.07.03 (nicht inklusive Artikel in Foren)
  • Anzahl der Sprachen, in die der Artikel übersetzt wurde: 9.

(Französisch, Deutsch, Chinesisch, Japanisch, Italienisch, Spanisch, Portugiesisch, Russisch, Serbokroatisch.)

  • So oft schloß AOL meinen Zugang wegen SPAM, weil ich versuchte, 40-50 eMails auf einmal schnell und effizient zu beantworten: 2
  • Gewinner des auf Worte auch Taten folgen lassen-Preises: Ich.

Wir begannen, freie Stücke zum herunterladen etwa eine Woche, nachdem der Artikel herausgekommen war, hochzuladen. Wir werden versuchen, so lange wir können ein freies Stück pro Woche anzubieten - und alle oben zu lassen.

  • Veränderung in Verkäufen, nachdem der Artikel veröffentlicht wurde (vorherige Verkäufe über ein Jahr gemittelt): plus 25%
  • Veränderung in Verkäufen nach dem Beginn des Angebots freier Stücke: plus 300%
  • Angebote über Speicherplatz auf Servern, um freie Stücke zu speichern: 31
  • Angebote, mir zu helfen, auf Linux umzusteigen: 16
  • Angebote, mir zu helfen, meine angebotenen Stücke vom MP3-Format auf Ogg-Vorbis umzustellen: 9
  • Angebote, ein Buch über die Musikindustrie, das ich schreiben sollte, zu veröffentlichen: 5
  • Angebote, ein Buch über mein Leben, das ich schreiben sollte, zu veröffentlichen: 3
  • Angebote, für mich ein Buch über mein Leben zu schreiben, das ich nicht schreiben sollte: 2
  • Heiratsanträge: 1
  • Anzahl eMails, die meiner Position nicht zustimmten: 9
  • Anzahl dieser Leute, die nach weiteren Gesprächen ihre Meinung überdachten: 5

Eine interessante Sache über diese eMails: Alle außer drei waren schlüssig. Von diesen schien nur einer wirklich unzusammenhängend zu sein, aber deise wurde tatsächlich von jemandem geschrieben, der kein Englisch sprach und Babblefish.com als Übersetzer verwendete. (Kostprobe: Ich liebe Ihre Artikel und spiele Ihre Musik meinen Babies vor wurde zu Ich liebe Babies und will Ihre Artikel berühren.)

Dümmste eMail: Ein Komponist, der meinte, er würde sich alle meine Lieder herunterladen, sie auf CD brennen, und sie an alle seine Freunde weitergeben. Danke!

Größte Ironie: Ich schreibe dies auf einem Sony Vaio Laptop, der mit meinem ersten CD-Brenner und leichten Anleitungen geliefert wurde, wie man eine CD kopieren oder eine Datei herunterladen kann.

Auszüge aus den eMails:

Vor einigen Jahren schloß die Musikindustrie mit den CD-Herstellern ein Abkommen, eine Abgabe pro CD-Rohling zu erhalten, um den Effekt von kopierter Musik auszugleichen... die Plattenindustrie bekommt eine Tantieme für jeden Audio-CD-Rohling, damit er dafür verwendet werden kann, Musik zu kopieren, nimmt das Geld, und dreht sich dann um und beschwert sich, daß die CD verwendet wird, um unauthorisierte Kopien anzufertigen. Also was jetzt? Entscheiden sie sich! (bohannon)

America On Line (AOL) wurde so beliebt, indem sie CDs mit ihrem Produkt per Post versandte. Ihre Zuwachsraten stiegen schnell über die Kapazität ihrer Infrastruktur, aber dieses Problem wird die Musikindustrie nicht betreffen: Sie hat die Infrastruktur schon. Warum um alles in der Welt nimmt sie nicht mehr kleine Künstler unter einen ein-Platten-Vertrag, mit Vorkaufsrechten für die Plattenfirmen garantiert, bei einem vergleichsweise geringen Betrag für den Künstler für die erste Platte? Sie könnten CDs genauso wie AOL versenden, außer mit vielleicht 20 Stücken von verschiedenen Künstlern pro CD, Quartalsweise verschickt? Achtzig gute Künstler pro Jahr, in Ihrem Briefkasten. Wenn nur einer davon anspricht, gebraucht die Plattenfirma ihr Vorkaufsrecht, der Künstler kann nicht zu einer anderen Firma abwandern, und sie werden unter einen normalen Plattenvertrag genommen. Jemand, auf den die Kundschaft nicht anspringt, wird nach einer CD wieder entlassen... wenigstens bekommt er einen Versuch. Wären die Kosten für diese Werbung wirklich mehr als die Kosten für den Kampf gegen Tauschbörsen? (henry1)

...sie sollten den Hinweis der Filmindustrie und moderner DVDs annehmen, die den Käufer so mit klarem und eindeutigem Wert überladen, daß selbst diejenigen, die nicht mit der Wimper zucken, eine CD herunterzuladen ohne dafür zu zahlen,... keine Motivation hätten, dutzende Stunden zu verbringen, etwas herunterzuladen und den Wert und die Qualität zusammenzufügen, der auf einer DVD für 25 US$ (€22,-) verfügbar ist. Ich habe schon DVDs für 20 US$ (€17,60) gekauft, wo der Film selbst nur die Spitze des Eisbergs war -- Musikstücke, Dokumentationen, interaktive Präsentationen, Audiostücke, Standbilder, Bildschirmschoner, und so weiter, und so weiter. ...Sie können immer noch mit eindeutigem Wert kämpfen -- sei es in Videos, Spielen auf dem Rechner, Freikarten, besonderen Kennwörtern, um Bonusstücke herunterzuladen, Demostücke und Tanzmixen... Karaokestücken von jedem Lied, alternative Textaufnahmen... Wer könnte, oder würde, die Zeit aufwenden wollen, das alles herunterzuladen und zu reproduzieren? Solange die Erfahrung des Verbrauchers an einer Musik-CD mit einer oder zwei Stunden Herunterladen und einem kurzen Brennen des Ganzen auf CD dupliziert werden kann, werden sie niemanden, der sich die CD kaufen würde (aber es nicht tut, weil er sie herunterladen kann), überzeugen, sie doch zu kaufen... Anstatt alles zu tun, um sich der Kundenbasis, die ihre Produkte regelmäßig kauft, zu entfremden, sollten sie sich darauf konzentrieren, ihren Produkten Mehrwert hinzuzufügen. (kevin)

Eine Schlußbemerkung:

Unsere Abgeordneten sind nicht im Bundestag/Nationalrat oder dem Europaparlament, weil sie mehr verdienen vollen. Sie sind dort, weil sie Macht und Einfluß wollen. Ohne ihr Amt haben sie nichts davon.

Wenn sie glauben, daß ihre Aktionen dazu führen, daß große Teile der Bevölkerung gegen sie stimmen, wird kein Geldbetrag genug sein, um ihre Zusammenarbeit zu erkaufen. Wenn sie Ihre Abgeordneten wissen lassen, in Massen, daß Sie sie nicht wählen werden, wenn sie lächerliche Maßnahmen unterstützen, wie beispielsweise das Gesetz, daß es Medienkonzernen erlaubt, Viren auf Rechnern von jedem zu verbreiten, den sie wegen Dateitausch verdächtigen, und wenn genug von Ihnen ihnen das erklären, werden sie nicht Hand in Hand mit der RIAA oder IFPI arbeiten. Wir können nicht realistisch mit den Geldern der Plattenfirmen, die diese für Rechtsstreite ausgeben können, konkurrieren, aber wir können drohen, die Abgeordneten, die mit ihnen im Bett sind, abzuwählen. Und am Ende sind es die Wählerstimmen, die sie ernst nehmen.

Bemerkung der Autorin: Sie sind eingeladen, diesen Artikel auf jeder entsprechenden Webseite oder in jedem Druckmagazin zu veröffentlichen, wir erbitten allerdings, daß Sie einen direkten Verweis auf http://www.janisian.com und eine Autorenangabe mit veröffentlichen!

Schreiben Sie Ihrem Abgeordneten des Bundestages, Nationalrats und Europaparlaments und verschaffen Sie sich in dieser Sache Gehör!

Janis Ian

Englischer Originaltitel dieses Artikels: FALLOUT - a follow up to The Internet Debacle.

Übersetzung von Ralf Hagen.
Änderungen am Originaltext mit Zustimmung der Autorin vorgenommen.
Lektorat: Stephan Grondel, Jan Simons
Verweise sind vom Übersetzer eingefügt.