Alternative Erklärung zum Volksentscheid zum Minarettverbot in der Schweiz 2009
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Stellungnahme zum Minarettverbot und zum Problem der direkten Demokratie
Das Ergebnis der Schweizer Volksabstimmung über ein Minarettverbot muss als Warnsignal gesehen werden. Allerdings nicht als Warnsignal vor religiösen Minderheiten, sondern als Warnsignal vor einer naiven Auffassung von Demokratie. In der Vergangenheit wurde von vielen Seiten der Ruf laut, in Deutschland muss mehr direkte Demokratie stattfinden, mehr Volksabstimmungen und Urabstimmungen. Dies geschah mit lobenswerten Absichten. Heute muss man jedoch sagen: Man hat es sich oft zu einfach gemacht. Demokratie ist nicht, wenn Mehrheiten über die Köpfe von Minderheiten hinweg entscheiden. Demokratie ist ein komplexer Prozess, der von Lernprozessen begleitet werden muss. Zu einer funktionierenden Demokratie, in der die Grundrechte aller Bürger gewahrt sind, gehört Gewaltenteilung genauso wie das Zusammenspiel zwischen Mehrheits- und Minderheitenmeinung.
In den Medien hieß es oft, "die Schweiz" oder "das Volk" habe gegen den Bau von Minaretten entschieden. Damit macht man es sich zu einfach. 57 Prozent sind nicht das Volk. Erst recht nicht bei 54 Prozent Wahlbeteiligung. Es ist eben ein Mythos, dass bei Volksabstimmungen "das Volk" entscheidet. Natürlich hat jeder Schweizer Bürger das Recht, gegen die Entscheidung vor Menschenrechtsgerichtshöfen zu klagen. Wir als eine Partei, die die Grund- und Bürgerrechte verteidigt, begrüßen das. Es ist nicht undemokratisch, wenn man gegen das Votum einer Mehrheit klagt. In einer funktionierenden Demokratie mit Gewaltenteilung muss jeder die Möglichkeit haben, vor der Judikative gegen Gesetze der Legislative zu klagen, egal, ob in der Legislative Gesetze per Parlaments- oder per Volksentscheidmehrheit verabschiedet werden, und das muss man respektieren. Die Minderheit muss sich nicht bedingungslos der Mehrheit "fügen". Sie hat das Recht, ihre Grund- und Menschenrechte einzuklagen.
Der Sinn von Volksabstimmungen
Eine Demokratie, in der alle Gewalt von Volksabstimmungen ausgehen würde, wäre gegen den Grundsatz der Gewaltenteilung. Nicht zufällig fordern manche rechtsextreme Parteien die Einführung von Volksentscheiden. Einer Gesinnung, die Minderheiten und Andersdenkende verachtet, wäre eine konsequente direkte Demokratie mit Mehrheitsentscheiden eine willkommene Möglichkeit, Minderheiten zu unterdrücken. Natürlich darf die Mehrheit ihren Willen ausdrücken, natürlich ist es wichtig, die Meinung von möglichst vielen Bürgern zu hören. Petitionen einreichen, Sammeln von Unterschriften, Volksabstimmungen und Volksbefragungen können ein wichtiger Bestandteil einer lebendigen Demokratie sein, in der die Meinung aller gehört wird. Aber niemand soll über andere Menschen herrschen. Keine Mehrheit, keine Minderheit. Kein Einzelner, keine Gruppe, und auch keine Volksmehrheit darf beanspruchen, Entscheidungen, die die Gemeinschaft betreffen, im Alleingang fällen zu dürfen.
Was verstehen die Piraten unter Demokratie?
Wir sind mit dem Anspruch angetreten, die Grund- und Menschenrechte aller Menschen zu verteidigen. Über diese Rechte kann nicht per Mehrheitsbeschluss abgestimmt werden.
Die anderen Parteien haben ein gespaltenes Verhältnis zu diesem schwierigen Thema. Die CDU versteht sich als Volkspartei, lehnt aber Volksentscheide ab, es sollen lieber die wenigen gewählten Politiker entscheiden. Die anderen im Bundestag vertretenen Parteien fordern zwar Volksentscheide, wahrscheinlich in der Hoffnung, durch diese populäre Forderung Wählermehrheiten zu gewinnen, sind sich der Tragweite dieser Entscheidung aber offenbar nicht bewusst. So sehen wir die paradoxe Situation, dass die Grünen in Deutschland zwar offiziell Volksabstimmungen fordern, nun aber gegen das Ergebnis des Schweizer Volksentscheides protestieren. Die Schweizer Grünen wollen sogar vor den europäischen Menschenrechtsgerichtshof ziehen.
Die Piraten müssen einen anderen Weg einschlagen. In einer Demokratie fällt jeder Bürger tagtäglich Entscheidungen, sei es, welche Produkte er kauft, welcher Religion er angehört oder welchen Beruf er wählt. Demokratie bedeutet nicht nur, dass "das Volk" entscheidet, sondern auch, dass der einzelne Bürger entscheiden darf. Er darf zum Beispiel entscheiden wohin er reist, was er in einer Diktatur oft nicht darf. Erinnert sei hier an die DDR und die Einschränkung der Reisefreiheit.
Wir vertrauen auf die Entscheidung des einzelnen Bürgers und fordern, dass dieser die notwendige Bildung und die notwendigen Informationen erhält, um verantwortungsvolle Entscheidungen zu treffen. Solch ein mündiger Bürger braucht keine Volksmehrheit, die ihm vorschreibt, wie hoch seine Kirche oder seine Moschee sein darf. Gesetze, die für alle gelten, können nicht im Ad-Hoc-Verfahren in Urabstimmungen entschieden werden. In einer Demokratie muss der Ausgleich zwischen Mehrheit und Minderheit zwischen verschiedenen Kulturen, zwischen verschiedenen Altersgruppen, zwischen unterschiedlichen Menschen mit unterschiedlichen Interessen, Fähigkeiten und Neigungen gesucht werden.
In einer freiheitlich demokratischen Gesellschaft sollen alle entscheiden, nicht die Mehrheit.