AG Geldordnung und Finanzpolitik/Der Kapitalismus und die Gier

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Der Kapitalismus und die Gier

Link: http://videoonline.edu.lmu.de/en/node/301

Kurzzusammenfassung der Thesen und Analysen im Vortrag

Gier ist eine völlig unbrauchbare Bezeichnung für das Motiv, das im Kapitalismus das Streben nach Gewinnmaximierung beschreibt. Die Motivation für dieses Streben ergibt sich als Sachzwang aus dem Systemimperativ der Marktwirtschaft, aus dem Systemimperativ Wettbewerb, welcher die Grundlage von Marktwirtschaft als solcher ist.

Die Systemzwänge lassen sich am besten anhand des einfachen Grundmodells des Gefangenendilemmas der Spieltheorie beschreiben. Es gibt zwei Akteure A und B. Sie können sich kooperativ oder egoistisch verhalten. Sie müssen immer damit rechnen, dass der andere egoistisch handelt. Daraus ergibt sich folgendes Schema:

Gefangenendilemma.jpg

Die Schlussfolgerungen aus dieser Spielanordnung sind folgende:
- Ein einzelner Betrieb, der innerhalb eines kapitalistischen Systems nicht nach Rentabilität strebt, ist zum Untergang verurteilt.
- Der Imperativ für Starke und Schwache lautet: Maximierung der Ressourcen und präventive Maximierung der Ressourcen in jedem Augenblick. Der stärkste Trieb des Menschen, der Überlebensinstinkt erzwingt im Wettbewerb diese Motivation.
- Produktiv für das gelingende Leben Aller wird der Wettbewerb nur, wenn er sich auf die Parameter begrenzt, bei denen er im Ergebnis das Gemeinwohl fördert.
- Der Wettbewerb über Bereiche, die dem Gemeinwohl schaden, muss stillgestellt werden.
- Wettbewerb ist die Bedingung allen Wohlstands, er braucht dafür aber ein geeignetes Regelsystem. Dieses soll die eigeninteressierten Handlungsoptionen der Akteure so kanalisieren, dass der Wohlstand für alle dabei herauskommt.
- Das präventive Gewinnstreben von Unternehmen ist nicht Ursache sondern Folge des Wettbewerbs.
- Der Systemimperativ Wettbewerb zwingt alle Spieler im System Marktwirtschaft unter seine strenge Logik.
- Die Wettbewerbslogik erschwert es dem einzelnen Akteur moralisch zu handeln. Nur wenn sich moralisches Handeln wirtschaftlich auszahlt, oder unmoralisches Handeln durch sanktionsbewehrte Regeln systematisch unwirtschaftlich gemacht wird, kann sich moralisches Handeln im Wettbewerb durchsetzen.

- Schlussfolgerung: So verschiebt sich die Moral unter Wettbewerbsbedingungen von den Motiven, Tugenden und Charaktereigenschaften der Einzelnen grundlegend wenn auch nicht ausschließlich auf die Rahmenordnung, was wir auch soziale Ordnung nennen. Auf der Systemebene müssen also die Probleme, die durch Marktwirtschaft und Wettbewerb entstehen, angegangen und gelöst werden.

Um einen Rahmen für die soziale Ordnung zu schaffen, bei dem nur positive Gefangenendilemmas auftreten wird momentan eine Vision der Piratenpartei in den Bereichen Wirtschaft, Finanz und Geldpolitik erstellt. Dieses Projekt ist noch nicht abgeschlossen, soll aber die Erkenntnisse aus diesem Vortrag entsprechend umsetzen.

Ergänzungen und Kritik an Thesen und Analysen des Vortrags

Eine sehr krasse Beschreibung von Gefangendilemmas in wirtschaftlichen Notsituationen wird in Eugen Drewermanns Beschreibung der nach-45er und ab Minute 8 und weiter in seiner Analyse ab Minute 11 von Grimms Märchen Hensel und Gretel gegeben. Es ist geradezu schockierend, wie sich diese Allegorie auf die Situation Europas als Festung anwenden lässt.

Auch Slavoj Zizek kommt zum gleichen Schluss, allerdings mit einer weniger detaillierten Hinführung ab Minute 14 in folgendem Video: http://www.youtube.com/watch?v=VJ7NkL3ljlA

Langversion des gesamten Vortrags von Prof. Homann

Max Weber (gekürzt): „Erwerbstrieb hat an sich mit Kapitalismus nichts zu schaffen. Dieses Streben ist zu allen Epochen aller Länder der Erde wo die objektive Möglichkeit dafür irgendwie gegeben war und ist, existent. Erwerbsgier als Trieb hat also mit Kapitalismus nichts zu tun. Allerdings ist Kapitalismus identisch mit dem Streben nach Gewinn. Nach immer erneutem Gewinn, nach Rentabilität. Ein einzelner Betrieb der innerhalb eines kapitalistischen Systems nicht nach Rentabilität strebt ist zum Untergang verurteilt.“

Wie soll dieser anscheinende Widerspruch aufgelöst werden? These von Homann: „Gier ist als Begriff unbrauchbar. Das Gewinnstreben im Kapitalismus lässt sich präzise und sauber mit dem Begriff Systemimperativ von Marktwirtschaft bezeichnen.

1. Die überkommene Vorstellung Gier und wie man sie überkommt?

Gier ist ein Trieb (nach Max Weber), ein Handlungsmotiv (modern) von natürlichen Personen. Gier juristischen Personen zu unterstellen ist ein Kategorienfehler. Man findet auch bei genauer Betrachtung der Motive von handelnden Menschen innerhalb von Unternehmen niemanden, der vom Motiv Gewinnmaximierung des Unternehmens geleitet wird. Diese falsche Annahme herrscht allerdings in der Volkswirtschaftslehre und Betriebswirtschaftslehre vor.

2. Gier zählt auch heute zu den gesellschaftlichen Lastern, zu den theologischen Sünden.

Kant: Moral verlangt nicht nur das Richtige zu tun, sondern auch es aus den richtigen (moralischen) gründen zu tun. Die wichtigsten Folgen sind: a) Therapie besteht in der Änderung des Motivs: der Änderung des bösen in einen guten Willen. In einer Bewusstseinsänderung. In einer Stärkung des schwachen Willens. In moralischer Aufrüstung des Einzelnen. Ziel ist die Mäßigung als Tugend. b) Das moralisch gute wie schlechte Ergebnisse auf entsprechende Motive von Einzelnen zurückzuführen sind. Unmoralisches Handeln hat seine Ursache im bösen Willen – Egoismus, Gier –oder im schwachen Willen der Akteure. Man sucht und findet also natürliche Personen, die solche Eigenschaften haben und verurteilt diese dann dafür.

Moralische Übel auf der Systemebene werden systematisch auf entsprechende Motive natürlicher Personen als ihre Ursache zugerechnet – also personalisiert. Adam Smith, Karl Marx und Max Weber haben diesen „sozialwissenschaftlichen Analphabetismus“ bereits beschrieben und beklagt. Der Schluss der Moralisten: 1. (un-)moralische Einsichten und Gewissensüberzeugung => 2. (un-)moralische Motive => 3. (un-)moralische Systemergebnisse, ist ein Kurzschluss.

3. Eine Ethik muss die Einheit zwischen diesen 3 Ebenen – die Überzeugung des Einzelnen, die sich darauf ergebenden Motive und den aggregierten Systemergebnissen aufgeben, wenn diese Ethik in modernen Marktwirtschaften lebbar sein soll.

Begründung: Der Wettbewerb erzwingt dies:

Der Wettbewerb als Systemimperativ der Marktwirtschaft

Der Wettbewerb ist ein konstitutives Element der Marktwirtschaft und die Bedingung für Wachstum und allgemeinen Wohlstand. Wettbewerb sorgt für gute, preiswerte Waren und Dienstleistungen, für Innovationen und deren schnelle Verbreitung und er löst Machtpositionen, die in Wettbewerbsprozessen immer mal entstehen, auch wieder auf – solange der Marktzugang frei bleibt. So die paradigmatische Vorstellung.

Wegen dieser Wohlfahrtswirkung ist dem Wettbewerb also eine moralische Qualität zuzusprechen. Er erhöht die Lebens- uns Selbstverwirklichungschancen der Menschen.

Die Logik des Wettbewerbs wurde erstmals von Thomas Hobbes beschrieben. Dafür werden 2 Gruppen betrachtet: die Schwachen und die Starken. Die Schwachen müssen im Wettbewerb alle Ressourcen mobilisieren um mithalten zu können, um nicht aus der Marktwirtschaft oder gar der Gesellschaft rauszufallen. (DYS-MOTIVATION – Überlebensinstinkt jetzt) Die Starken müssen, da sie nicht wissen, ob sie nicht morgen oder übermorgen von einem anderen Akteur überholt oder gar in ihrem Kerngeschäft überflüssig gemacht werden, jetzt und in jedem Augenblick im Wettbewerb alle Anstrengungen unternehmen um möglichst viele Ressourcen anzusammeln um gegen künftige Attacken gewappnet zu sein. Ressourcen an Macht, Geld, Wissen, Kapital und Unterstützung, etc. (DYS-MOTIVATION – Überlebensinstinkt für die Zukunft) Der Imperativ für Starke und Schwache lautet also: Maximierung der Ressourcen und präventive Maximierung der Ressourcen in jedem Augenblick. Das bedeutet Gewinnmaximierung ist das logisch erforderliche Streben zur eigenen Existenzsicherung innerhalb einer Marktwirtschaft. Bei Hobbes führt diese Situation im Naturzustand (LINK) zu seinem berühmten Kampf aller gegen alle mit allen Mitteln. In diesem Zustand ist das Leben aller Menschen einsam, armselig, elend, brutal und kurz. (solitary, poor, nasty, brutish and short)

Produktiv für das gelingende Leben Aller wird der Wettbewerb nur, wenn er sich auf die Parameter begrenzt, bei denen er im Ergebnis das Gemeinwohl fördert. Also Wettbewerb über Preise, Qualität und über Innovationen, Umweltschutz, Arbeitsschutz und dergleichen mehr.

Darüber hinaus muss also der Wettbewerb über Bereiche, die dem Gemeinwohl schaden, stillgestellt werden. Verboten sind beispielsweise Raub, Erpressung, Vertragsbruch, Betrug, Intransparenz, Umweltverschmutzung, etc.

Wettbewerb ist die Bedingung allen Wohlstands, er braucht dafür aber ein geeignetes Regelsystem. Dieses soll die eigeninteressierten Handlungsoptionen der Akteure so zu kanalisieren, dass der Wohlstand für alle dabei herauskommt.

Die 5 wichtigsten Schlussfolgerungen aus der Logik des Wettbewerbs: 1. Das präventive Gewinnstreben von Unternehmen ist nicht Ursache sondern Folge des Wettbewerbs. 2. Damit ist Gewinnstreben nicht ein genuines Motiv der Akteure (Ausnahmen bestätigen die Regel) sondern ein Systemimperativ der Marktwirtschaft (siehe Max Weber oben). 3. Der Systemimperativ Wettbewerb zwingt alle Spieler im System Marktwirtschaft unter seine strenge Logik. Also auch diejenigen, die den Wettbewerb gar nicht wollen. 4. In der moralischen Perspektive gilt der Wettbewerb weitgehend als Gegenbegriff zur Solidarität. Der Grund ist einfach: Im Wettbewerb gibt es Verlierer. Das widerspricht unseren moralischen Intuitionen. Diese Vorstellungen (Intuitionen) entstanden in vormodernen Gesellschaften. Antike Definition: im Sport – Olympiade, beim Theaterspiel und als Wettbewerb um Bürgertugenden. Der wirtschaftliche Wettbewerb existiert erst seit kurzem. In unserem Moralverständnis sind wir weitgehend im 19Jhd stehengeblieben, wo Zünfte, gerechte Preise und kanonisches Zinsverbot den Markt weitgehend regelten. Im Hintergrund steht das Nullsummenparadigma: Der Reichtum einiger, etwa der Manager, wird auf die Ausbeutung entweder der Entwicklungsländer oder hier der Arbeitnehmer zurückgeführt. (Ergänzung siehe auch Niko Paech – Produktion ist Umweltverbrauch und Wachstum misst die Geschwindigkeit dieses Verbrauchs) 5. Die Wettbewerbslogik erschwert es dem einzelnen Akteur moralisch zu handeln. Moralisch handeln kann er nur, wenn entweder die Moral sich im Wettbewerb am Markt positiv niederschlägt (also die Kunden seine moralische Entscheidung honorieren) (hier entsteht bereits ein Problem mit der Moral nach Kant, weil die Entscheidung nicht aus moralisch richtigen Gründen gefällt wird) oder wenn die Konkurrenten denselben Moralstandards unterworfen werden, was durch sanktionsbewährte Regeln geschieht. Die weniger moralischen Konkurrenten unterliegen dann denselben Regeln und können aus weniger moralischen, kostengünstigeren Handlungen keinen Mehrgewinn generieren, weil die (angedrohten) Strafen auf Regelverletzung diesen Vorteil vernichten. Das ist der Sinn von Strafen. So verschiebt sich die Moral unter Wettbewerbsbedingungen von den Motiven, Tugenden und Charaktereigenschaften der Einzelnen grundlegend wenn auch nicht ausschließlich auf die Rahmenordnung, was wir auch soziale Ordnung nennen.

Das unablässige Streben aller nach Vorteilen bzw. nach Gewinnen, ist als universale Verhaltensmaxime an den Kapitalismus gekoppelt. (Max Weber): Allerdings ist dieses Streben kein irrationaler Trieb, kein Motiv sondern durch die Rahmenordnung und den Wettbewerb erzwungen und gleichzeitig dadurch begrenzt. Gier bezeichnet also dieses Streben völlig unzulänglich und führt als falsche Diagnose zu falschen unzweckmäßigen Therapievorschlägen wie z.B. Mäßigung.

Das Spieltheoretische Konzept des Gefangenendilemmas spiegelt diese Logik und die Abhängigkeiten wider: Spieltheoretische Darstellung 3 Grundsätze: 1. Es liegen immer gemeinsame und konfligierende Interessen zugleich vor (ohne gemeinsame Interessen gäbe es keine Interaktionsmöglichkeiten zwischen den Beteiligten, aber ohne konfligierende Interessen gäbe es auch keine Interaktionsprobleme) 2. Das Gefangenendilemma spiegelt eine Situation wider, in der das Ergebnis des Handelns von Akteur A immer auch vom Handeln des Akteurs B abhängt. Eine einseitige Kontrolle des Ergebnisses gibt es nicht (Fachbegriff: Interdependenz). Akteur B handelt teils in Reaktion auf die Aktionen von Akteur A teils in Antizipation solcher Aktionen von A (Fachbegriff: doppelte Kontingenz). 1. und 2. sind fest und können nicht geändert werden. 3. Das Gefangenendilemma in seine Reinform bildet eine Interaktionsstruktur ab, in der es den Akteuren nicht gelungen ist oder nicht gelingt vorab eine Wirksame Verhaltensbindung unter den Akteuren, den Spielern, abzumachen. Eine solche Verhaltensbindung herzustellen ist die Aufgabe von Institutionen.

In der Normalform des Gefangenendilemmas und 2 Akteuren gibt es also folgende Spielanordnung:

Gefangenendilemma.jpg

Kooperieren ist die moralische Lösung
Defektion (Treuebruch) ist die unmoralische Lösung.
Es ergeben sich 4 Auszahlungskombinationen (s. 4 Quadranten). Die Zahl vor dem Komma ist die Auszahlung für Akteur A, die Zahl nach dem Komma, die Auszahlung für Akteur B.
Für diese Anordnung wird davon ausgegangen, dass jeder Spieler ausschließlich sein eigenes (egoistisches) Interesse verfolgt:
I moralische (für beide am meisten Vorteile bringende) und instabilste Lösung II beste Lösung für B schlechteste für A (B handelt unmoralisch, A moralisch) III beste Lösung für A schlechteste für B (A handelt unmoralisch, B moralisch) IV einzig stabile und für beide drittbeste Lösung (beide handeln unmoralisch) keiner der beiden will dieses Ergebnis

Diese Situation motiviert beide Akteure zur präventiven Gegendefektion. Das heißt in Antizipation der Defektion des einen Akteurs, defektiert der andere Akteur und umgekehrt, weil jeder befürchten muss, vom anderen betrogen zu werden.

Quadrant IV wird als kollektive Irrationalität bzw. als soziale Falle bezeichnet:
Diese Lösung ist das einzig stabile Gleichgewicht, das sogenannte Nash-Gleichgewicht (Ergänzung nach John Nash, dem Erfinder der Spieltheorie - siehe dazu: Film - A Beautiful Mind http://de.wikipedia.org/wiki/A_Beautiful_Mind_%E2%80%93_Genie_und_Wahnsinn; und Wikipedia: http://de.wikipedia.org/wiki/John_Forbes_Nash_Jr.).

1. Dieses Ergebnis ist suboptimal für jeden Einzelnen.
2. Es stellt sich systematisch ein,
3. obwohl es keiner der beiden Akteure will.

Das aggregierte Ergebnis wird als nicht intendiertes Ergebnis eigeninteressierten Verhaltens abgeleitet.

Das Verhalten der beiden Akteure ist eigeninteressiert intentional, aber das aggregierte Ergebnis (was dabei herauskommt) ist bei allen Menschen, Gesellschaften, Unternehmen, etc. nicht intendiert. Das kommt dabei heraus, obwohl es keiner will.

Der Grund ist: Keiner kann allein den Quadranten I (das moralische und für beide Akteure beste Ergebnis) kontrollieren. Jeder muss mit einer Defektion des Anderen rechnen. Das einzige Gegenmittel ist die präventive Gegendefektion.

Soweit die reine, statische und mathematische Logik des Systems. Wie können wir dieses System jetzt auf die Realität übertragen?

Man stelle sich hier einen Akteur vor der gar nicht auf die Auszahlung 4 aus ist, also gar nicht andere maximal ausbeuten will. Dieser ist aus Selbstschutz gezwungen zu defektieren. Keine Ethik, auch keine christliche Ethik, kann vom Einzelnen verlangen, sich dauerhaft und systematisch von Anderen ausbeuten lässt. Das Modell, wenn dich jemand auf die eine Wange schlägt, halte ihm auch die andere hin, ist kein brauchbares Modell für eine anonyme Großgesellschaft, wo wir unsere anderen Akteure meist nicht mehr direkt kennen. Besonders problematisch ist diese Situation, weil der Einzelne genau in seinem moralischen Handeln bestraft wird.

Konkrete Beispiele für diese Logik: In den Beispielen ist die Logik als Antrieb und Motivation im Hintergrund stets vorhanden, wird aber teilweise von anderen Antrieben und Motivationen überlagert, bspw. durch institutionelle Zwänge so stark, dass das auftretende Handeln die Zwänge nicht mehr erkennen lässt.

6 Beispiele: 1. klassisches Beispiel (Hobbes) ist der Kalte Krieg. Da einseitige Abrüstung (einseitige Kooperation), die moralische Lösung, den Gegner aufgebaut und vielleicht zum Angriff ermutigt hätte, kam es zur sozialen Falle in Form des äußerst kostspieligen Wettrüstens, das erst nach und nach durch partielle Abrüstungsverträge mit gegenseitigen Kontrollen eingedämmt werden konnte. Das war die Logik des kalten Krieges.

2. Die Weltmeere sind überfischt. Das ist ein Nachteil für alle. Hier besteht ebenfalls eine soziale Falle. Hinter dem Makrophänomen der Überfischung steht folgende Mikrologik auf Ebene der Fischfangnationen: Wenn ein Land einseitig die Bestände schont, dann fischen die Anderen umso mehr. Das ist gut für die Anderen und verbessert die Situation überhaupt nicht. Derjenige, der moralisch richtig in Vorleistung für das Gemeinwohl geht, läuft Gefahr ausgebeutet zu werden. Die einzige Gegenwehr ist die Beteiligung am Wettbewerb. Die Forschung spricht hier von der Tragik der Allmende. (ähnlich: Klima). Inzwischen hat man zwischen den Ländern Kollektivvereinbahrungen getroffen, die auf eine Teilprivatisierung hinauslaufen. Die Erweiterung der national kontrollierten Fischfanggebiete vor den Küsten und die Einführung von Fischfangquoten. Die Institution Privateigentum unterbindet die Logik des Gefangenendilemmas. Das ist ihre letztliche Begründung. Die Nicht-Eigentümer können von der Nutzung der Ressource effektiv ausgeschlossen werden. Das garantiert, dass die Vorteile einer Schonung der gleichen Partei, die schont, zukommen. So schafft die Institution Privateigentum die Voraussetzung für eine effektive (nachhaltige) Nutzung der Ressource zum Wohl der Allgemeinheit.


3. Ähnliches gilt für Protektionismus. Die ökonomische Theorie behauptet, dass die beste Lösung für die Länder der internationale Freihandel sei. Aber aus innenpolitischen Gründen setzen viele Demokratien auf protektionistische Maßnahmen, in bspw. dem Agrar- und Stahlbereich, weil diese noch größere Vorteile verheißen (Auszahlung 4,1). Die dadurch ausgebeuteten Nationen haben hier nur ein Mittel der Selbstverteidigung, solange die WTO keine wirksamen Regularien durchsetzen kann, die präventive Gegendefektion. Das bedeutet, dass diese Nationen ebenfalls Protektionismus betreiben, was im Ergebnis zu den üblichen Handelskriegen führt, die wie aus der Geschichte kennen (siehe EU und USA).

4. Die demographische Entwicklung. Das Gefangendilemma erklärt sowohl die Bevölkerungsexplosion in armen Gegenden dieser Welt als auch den extremen Geburtenrückgang in den reichen Gegenden der Welt, den Industrienationen. Die Versorgung im Alter ist dabei der entscheidende Faktor. Wo diese Versorgung vorwiegend oder fast ausschließlich von den eigenen Kindern gewährleistet wird, haben die Menschen viele Kinder. Wenige Kinder sind dort ein Risiko für Armut im Alter. Wo die Versorgung im Alter von den eigenen Kindern unabhängig wird, sind umgekehrt diejenigen im Vorteil, die keine (oder wenige) Kinder haben, die lediglich viel einzahlen und sich dadurch hohe Rentenansprüche im Alter sichern. Diese müssen später im Umlagesystem in Deutschland beispielsweise von den Kindern Anderer versorgt werden, wobei die Anderen oftmals wegen ihrer Kinder nicht so hohe Rentenanwartschaften erwerben konnten. (vor 10 Jahren etwa hat das BVerfG diese Logik durchschaut und Korrekturen angemahnt, die allerdings noch nicht vollständig umgesetzt wurden. Allerdings müssen bei jeder Rentenänderung diejenigen besser gestellt werden, die mehrere Kinder in die Welt gesetzt haben. Die Begründung ist allerdings eine andere.)

Bei diesen 4 Beispielen handelt es sich um Situationen (Gefangendilemmas) die in eine soziale Falle führen, die unerwünscht also moralisch schlecht ist. In diesen Fällen wäre kooperatives Verhalten erwünscht und das kann bewährterweise durch sanktionsbewehrte Regeln, siehe in Beispiel 2 das Privateigentum, erzwungen werden.

Diese Dilemmata sind so allgegenwärtig, dass sie in Sprichwörtern erhalten sind: - der Ehrliche ist der Dumme (Beispiel: Steuerehrlichkeit) - Hahnemann geh du voran. - das Sankt-Florians-Prinzip. - Es kann der Frömmste nicht im Frieden bleiben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt. (Wilhelm Tell 4. Aufzug, Szene 3) => Frieden können Sie einseitig nicht machen.

Es gibt aber auch Gegenbeispiele, bei denen die Kooperation von den Akteuren erwünscht ist, aber unerwünschte Ergebnisse für die Allgemeinheit zur Folge hat. Moralisch verwerfliche Beispiele für Kooperation werden in den nächsten 2 Beispielen dargestellt:

5. Die Kronzeugenregelung bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität: Dabei dient die Kronzeugenregelung den Justizbehörden dazu die Kooperation zwischen den Kriminellen zu beenden und die Wahrheit herauszufinden. Diese Logik gilt auch in Fällen, in denen keine kriminelle Handlung vorliegt. Dieses Beispiel hat zum Namen Gefangenendilemma geführt.

6. Das Kartell: Die Beteiligten bereichern sich zu Lasten der Allgemeinheit durch Preisabsprachen (Beispiel: Kaffeeröstereien). Die Aufgabe der Kartellrechtsgesetze ist es die Kooperation von Akteuren zu Lasten der Allgemeinheit zu verhindern und die Beteiligten unter den Wettbewerb zu zwingen, damit sie in die soziale Falle des Preis- (Ergänzung:, Sicherheits-) und Qualitätswettbewerbs zum Wohle der Allgemeinheit gehen müssen. Wettbewerb ist nichts anderes als ein Gefangenendilemma auf derselben Marktseite (entweder Angebot vs. Angebot oder Nachfrage vs. Nachfrage). Er ist zwar allgemein erwünscht, in der Marktwirtschaft also moralisch geboten, unterliegt aber für die Beteiligten der gleichen Logik wie das unerwünschte Gefangendilemma.

Das hat Folgen für die Ethik: Homann identifiziert 3 Typen von Situationen, die nach der Logik des GD funktionieren:

1. gemeinsame Ressourcen, die Allmende: die klassische Allmendeproblematik kann natürlich sein (Beispiele: Weidegründe, Fischgründe, Luft, Klima, saubere Umwelt), sie kann aber auch artifiziell, also durch soziale Regelungen erst erzeugt, sein (Beispiele: Rentenversicherung, Krankenversicherung, Länderfinanzausgleich)

2. gemeinsame Ziele: Nach Vereinbahrung gemeinsamer Ziele tritt immer das Problem der Disaggregation auf, d.h. die Frage wer wie viel zum Erreichen der gemeinsamen Ziele (siehe: Klimaschutz, Abbau von Arbeitslosigkeit oder Preisstabilität) beitragen soll. Hier gilt die Logik: Hahnemann geh du voran. Solche Probleme sind künstlich durch Zielvereinbahrungen geschaffen.

3. Wettbewerb: Der Wettbewerb ist ein Gefangenendilemma auf derselben Marktseite.


Fazits: - Gefangendilemmata zu überwinden (insbesondere artifizielle) dauert meist Jahre und Jahrzehnte. - Gefangendilemmata sind normativ ambivalent. Nicht alle sind für die Allgemeinheit schlecht. (siehe Kartellamt) Aber die Logik ist bei guten und schlechten GDs gleich.

Traditionelle Ethik und die (von Homann postulierte) Ethik für die Marktwirtschaft:

Die traditionelle Ethik des Abendlandes hat die Ausbeutbarkeit von moralischem Handeln und Wettbewerbsbedingungen nicht auf dem Schirm, ist also in der MW unbrauchbar. Sie fokussiert sich auf die personalisierten Laster Gier und Maßlosigkeit, sieht aber nicht, dass das geforderte moralische Handeln unter den Maßgaben des Systemimperativs Wettbewerb zur systematischen und programmatischen Schlechterstellung gerade der moralisch Handelnden führen kann. Das kann keine Ethik rechtfertigen.

Konsequenz: Menschen befolgen moralische Handlungsideale nicht immer. Die klassischen Erklärungen böser Wille, Egoismus, Maßlosigkeit, Gier oder schwacher Wille werden den Akteuren als Laster vorgeworfen. In der Theorie nicht vorgesehen ist der Fall, dass Menschen moralische Normen oft aus einem ganz anderen Grund nicht befolgen, nämlich dem Selbstschutz (sich vor der Ausbeutung durch weniger moralische Akteure zu schützen). Selbstschutz als Grund für nicht moralisches Handeln kommt in der traditionellen Ethik paradigmatisch nicht vor. Der Wettbewerb im Wirtschaftlichen war in der vormoderne unterbunden (Gilden, Zünfte, Zinsverbot, gerechte Preise, usw.)

Wir brauchen in der Marktwirtschaft eine Ethik, die für das Gefangenendilemma sensibel ist und eine konstruktive Lösung dafür anbieten kann. Eine gute Theorie muss so gebaut sein, dass die wichtigsten Herausforderungen der alten Theorie, also hier der Wettbewerb, zum Kern dieser neuen Theorie werden. Das heißt der Wettbewerb bzw. das Gefangenendilemma muss als paradigmatischer Fall zum Ausgangspunkt und zur Grundlage der neuen Theorie werden. (Es gibt weniger problematische Fälle, wo der Wettbewerb nicht so stark ist, wo er über Institutionen geregelt ist, oder wo im Wettbewerb das moralische Verhalten honoriert wird, also Wettbewerbsvorteile bringen – Diese Fälle können in die neue Theorie problemlos integriert werden)

GDneu.jpg

Die Quadranten II und III sind hier anders. statt 1,4 und 4,1 stehen hier 2,4 und 4,2. In dieser Darstellung gibt es Gier und Maßlosigkeit, das Streben nach Sondervorteilen, was moralisch unterbunden werden soll. Das wird durch das Gebot des maßvollen Strebens gefordert. Aber in diesem System wird das moralische Handeln nicht zur Schlechterstellung führen – also als kostenneutral gesehen. Hier kann man moralisches Handeln ohne zu große Zumutung für den moralisch Handelnden fordern. Quadrant I verlangt zwar den Verzicht auf Sondervorteile, wie in Quadranten II und III, die zwar nach wie vor verlockend sein können, aber unmoralisches Handeln führt nicht mehr zu einer Schlechterstellung, gegen die man sich verteidigen müsste.

Die zentrale Schlussfolgerung für eine Analyse der Gegenwart: Sämtliche globalen moralischen Probleme weisen die Problemstruktur des Gefangenendilemmas auf: Armut, Unterentwicklung, Klimawandel, Kindersterblichkeit, Seuchen, Migrationen, Demographie, Arbeitslosigkeit und viele weitere. Der Kern ist: Wir bekommen wegen des Wettbewerbs auf aggregierter Ebene immer ERGEBNISSE, DIE KEINER WILL! Weil aber keiner diese Ergebnisse will, kann die Ursache nicht im Willen der Einzelnen liegen. Gute Ergebnisse können im Gegenzug auch nicht an den Tugenden der Einzelnen liegen. Also ist der Versuch am Willen der Einzelnen etwas zu ändern, bspw. durch moralische Aufrüstung des Einzelnen, etwas zu ändern, zum Scheitern verurteilt. Moralisches Handeln führt eben genau nicht zur Lösung des Problems, sondern verschärft dieses.

Das Problem ist nicht der Einzelne mit seiner Motivation, sondern die Anderen, genauer, die Unsicherheit über das Verhalten der Anderen. Die Lösung kann nur auf der systemischen Ebene – auf der Ebene von Institutionen – gefunden werden. Deren Aufgabe ist es das Verhalten der Einzelnen zumindest in Grenzen kalkulierbar zu machen. Institutionen sind Spieler, die alle (Mit-)Spieler unter die gleichen moralischen Regeln zwingen. Sie können formeller und informeller Art sein. Grob gesagt: formell ist das Recht, informell ist die Moral.

Informelle Regeln reichten in früheren Zeiten in denen Anonymität quasi nicht existierte aus. In den heutigen anonymen Großgesellschaften müssen wir also umso mehr auf formelle Regeln wie das Recht und die Organisationsstrukturen setzen. Die Individuelle Moral wird hierdurch nicht überflüssig.

Hermann Krings: Das Gewissen des Einzelnen kann ein Versagen der Institution nicht kompensieren. Wir müssen das moralische Handeln des Einzelnen durch Institutionen stützen bzw. erst ermöglichen (nicht ersetzen). Daran hat es in allen gegenwärtigen Krisen gefehlt.

Adam Smith: „Nicht vom Wohlwollen des Metzgers, Brauers oder Bäckers erwarten wir unsere Mahlzeit, sondern von deren Bedachtnahme auf das eigene Interesse. Wir wenden uns nicht an ihre Menschenliebe, sondern an ihre Eigenliebe und sprechen ihnen nie von unseren eigenen Bedürfnissen sondern von ihren Vorteilen.“

Die überkommene Ethik des Abendlandes hat die mit der Marktwirtschaft (Kapitalismus), Wettbewerb und Vorteilsstreben neu entstandenen Probleme bis heute nicht verarbeitet, ja noch nicht einmal erkannt. So kommt es, dass wir die neuen Probleme immer noch mit den alten Mitteln der Tugendethik zu lösen suchen: Mäßigung gegen Gier. Aber aus falschen Analysen ergeben sich nur selten und zufällig wirksame Lösungen. Auf diesen Zufall sollten wir nicht setzen.


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